Kavallerie im Dreißigjährigen Krieg

Brissotin

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Ich hätte mal eine Frage zur Reiterei des Dreißigjährigen Krieges. Ich kann mich irgendwie an Druckgraphiken vom Kriegsanfang erinnern, worauf man auch schwere Lanzenreiter sah. Gab es das damals noch?
Bei meiner Recherche derzeit bin ich an schwer gepanzerten im Dreißigjährigen nur auf Kürisser gestoßen und diese waren ja klassischerweise neben dem Rapier/Reiterschwert/Degen nur mit Pistolen bewaffnet. Ich nahm daher an, dass die schweren Lanzenreiter so eine Art Überbleibsel der Lanzenreiter des 16.Jh. waren und diese dann im Laufe der ersten Jahre des Krieges auch verschwanden. Kennt sich dazu jemand näher aus?

Hm, vielleicht waren das Lanzierer? http://de.wikipedia.org/wiki/Lanzierer
 
Wallhausen schrieb:
Der Kürisser ist eine Erfindung unserer Zeit, die vor 50 oder 60 Jahren in Gebrauch gekommen ist, weil die Lanzierer in Frankreich und den Niederlanden zu fehlen begannen und man nicht mehr genug davon auftreiben konnte, so daß man gezwungen war, an ihrer Stelle Kürisser zu nehmen...
Nehmt dem Lanzierer seine Lanze und sein gutes Pferd, gebt ihm ein weniger schweres und für einen plötzlichen Angriff unbrauchbares, dann habt ihr einen Kürisser.

aus Johann Jacob von Wallhausens Werk Kriegskunst zu Pferd, zitiert nach F. & L. Funcken Rüstung und Kriegsgerät der Ritter und Landsknechte.

In dem Buch wird immer wieder der Mangel an gut ausgebildeten Pferden erwähnt, aber auch an Leuten, die in der Lage waren, Pferd, Ausrüstung und eigene Ausbildung zu finanzieren.

Insofern würde ich sagen: Die klassischen, gepanzerten Lanzenreiter des Mittelalters waren im 17. Jh. schon weitgehend von den im Unterhalt billigeren Kürissern und Pistolenreitern abgelöst.

Die einzige Ausnahme, die mir einfallen würde, wären die polnischen Lanzenreiter, aus denen später die neuzeitlichen Ulanen und Lanciers hervorgingen. Aber diese wurden erst im Laufe des 16. bzw 17. Jh. zu einer schweren, gepanzerten Reiterei, und haben a) eine andere Tradition, und sind b) ja eher bei den Belagerungen Wiens interessant als im Zusammenhang mit dem 30jährigen Krieg. ;)
 
Es gab im 17. Jahrhundert auch den Panzerstecher. Ein Schwert mit vierkantigem Querschnitt. Sozusagen ein Ersatz der Lanze.
 
@ Reineke
In dem von Dir zitierten Buch ist auch ein Dragoner mit Pike dargestellt. Auf zeitgenössischen Abbildungen habe ich sowas noch nicht gesehen. Theoretisch hätten diese Piken ja sicherlich auch aus dem Sattel heraus wie Lanzen verwendet werden können.:grübel:

Die schwere Kavallerie bestand also primär aus Kürissern, welche man auch oft auf Darstellungen der Zeit erkennen kann. Die Kaiserlichen sollen am Anfang des Krieges nur ein Regiment besessen haben, brachten es später aber auf 41. Eigentlich waren m.E. die Kürisser nur mit Pistolen und Rapieren bzw. schwerden Degen etc. ausgerüstet. Dennoch sieht man z.B. hier bei dem Bild der Schlacht bei Zablat, Wallensteins Kürassiere offensichtlich mit Gewehren bewaffnet, die den Flüchtenden hinterher feuern - hat jemand dafür eine Erklärung? - : File:Schlacht von Zablat Hogenbersche Geschichtsblätter.JPG - Wikipedia, the free encyclopedia
Generell sieht man oft auf Drucken der Zeit, dass die schwere wie auch mittlere Reiterei die Gewehre beim Anreiten aufrecht hält, wie hier auf dem kolorierten Blatt die Arkebusierer ganz im Hintergrund und die Reiter im Vordergrund rechts.
Die Kürassiere waren überwiegend noch sehr stark gepanzert, vor allem am Anfang des Krieges. File:Armure savoyarde IMG 3809.jpg - Wikipedia, the free encyclopedia
Es gab auch eine Demi-Armure, ohne die Armschienen und einige andere Teile.
Die Schweden hatten das Problem, dass sie sich die teuren Rüstungen für die Kürisser nicht leisten konnten und daher nur wenige solche Reiter aufstellten. Die kaiserliche schwere Kavallerie war deswegen teilw. sehr gefürchtet.

Die üblichste Kavallerie in der Zeit waren die Arkebusierreiter. ( Harquebusier - Wikipedia, the free encyclopedia ) Diese waren weniger gepanzert als die Kürisser und zeichneten sich vor allem durch die Bewaffnung mit der Arkebuse aus.

Später mehr zu dem Thema. :)
 
In dem von Dir zitierten Buch ist auch ein Dragoner mit Pike dargestellt. Auf zeitgenössischen Abbildungen habe ich sowas noch nicht gesehen. Theoretisch hätten diese Piken ja sicherlich auch aus dem Sattel heraus wie Lanzen verwendet werden können.

Bildunterschrift dazu: "Deutscher Pikenier-Dragoner, 1600. Zusammen mit Dragoner-Musketieren bildete er eine Typ beritten gemachte Infanterie, die in kleinen Eineheiten in Deutschland eingesetzt wurde."

Hab ich anderswo auch noch nie von gehört; wenn es das gab, scheint es kein erfolgreiches Konzept gewesen zu sein... ;)

Zum Lanzeneinsatz: Eigentlich kA, aber vermutlich nein, würde ich sagen. Um eine Lanzen vom Pferderücken aus einzusetzen, braucht es einiges an Erfahrung, die so ein "Dragoner-Pikenier" wohl eher nicht hatte. Noch wichtiger ist aber, dass das Pferd einige Voraussetzungen mitbringen musste, ua feste gelnke, um den Lanzenstoß auszuhalten, und natürlich ebenfalls ein entsprechendes Training. Solange Dragoner allerdings als berittene Infanterie eingesetzt wurden, waren ihre Pferde meist die billigsten, die zur Verfügung standen, kleiner, schwächer etc als "echte" Kavallerie-Pferde.

Brutal gesagt: Für einen erfolgreichen Lanzenreiter braucht es mehr als einen Bauer mit Spieß, der auf einer Schindmähre sitzt... ;)
 
Die Arkebusierreiter hatten ursprünglich die reine Funktion einer Hilfswaffe. Die Kürassiere mit ihren teilweise kugelsicheren Rüstungen sollten als schwere Schlachtenkavallerie den Feind schlagen, während die Arkebusierreiter mehr oder weniger als Feuerunterstützung gedacht waren, hatten sie doch anders als die Kürisser Arkebusen bzw. leichtere Gewehre als der überwiegende Teil der Infanteristen, was ein Abfeuern aus dem Sattel ermöglichte.
Die Rüstung der Arkebusierreiter beschränkte sich auf Helm (in verschiedenen Ausführungen), Brust- und Rückenharnisch. Neben dem Gewehr verfügten diese Reiter noch über die typischen kavalleristischen Nahkampfwaffen.

Arkebusierreiter und besser gepanzerte Kürisser bildeten also im Wesentlichen die moderne Kavallerie am Anfang des Dreißigjähirgen Krieges.


Da Schweden für eine teure Ausrüstung der Kavallerie zu arm war, machte man dort aus der Not eine Tugend. Weil es kaum Kürisser gab (die selten zum Einsatz gekommene Adelsfana ist da eine von wenigen Ausnahmen (bei denen ist mir auch nur ein Eingreifen im dänisch-schwedischen Krieg von 1643-45 bekannt)), war eine Art Unterstützung derselben sinnlos. Daher befahl Gustav Adolf noch vor dem Eintritt in den Dreißigjährigen Krieg seinen Reitern nur Stichwaffe und Pistolen zu geben, die dann auch primär für den Nahkampf gedacht waren. Die Rüstung dieser "leichten Reiter" entsprach derjenigen der Arkebusierreiter.
Dies führte für Außenstehende zu einiger Verwirrung. So wurde diese Reiterei von den Kaiserlichen oft "Schwedische Kürassiere" genannt, weil die Bewaffnung der der Kürassiere entsprach, während die Engländer die schwedischen Reiter "Harquebusiers" nannten, wegen der geringen Rüstung. Selbst die verminderte Rüstung scheint oft nicht verfügbar gewesen zu sein, weshalb Gustav Adolf anordnete die hinteren Reihen seiner Reiterei ganz ohne Rüstung, also nur mit Hüten und Wämsern zu bekleiden. Das erklärt vielleicht auch, weshalb die Sachsen generell etwas belächelnd bei Breitenfeld auf ihre schwedischen Verbündeten blickten, die mit ihrer minder gerüsteten Kavallerie, aber auch ihrem mangelhaft bekleideten Fußvolk neben ihnen recht ärmlich ausgesehen haben sollen.
Später scheint die Rüstung bei der schwedischen Kavallerie zur Gänze aufgegeben worden zu sein. In den 1640er und 1650er Jahren spielten zusehends lederne Oberbekleidung wie sie Gustav Adolf bei Lützen trug eine größere Rolle bei der schwedischen Kavallerie.
 
Bildunterschrift dazu: "Deutscher Pikenier-Dragoner, 1600. Zusammen mit Dragoner-Musketieren bildete er eine Typ beritten gemachte Infanterie, die in kleinen Eineheiten in Deutschland eingesetzt wurde."

Hab ich anderswo auch noch nie von gehört; wenn es das gab, scheint es kein erfolgreiches Konzept gewesen zu sein... ;)

Zum Lanzeneinsatz: Eigentlich kA, aber vermutlich nein, würde ich sagen. Um eine Lanzen vom Pferderücken aus einzusetzen, braucht es einiges an Erfahrung, die so ein "Dragoner-Pikenier" wohl eher nicht hatte. Noch wichtiger ist aber, dass das Pferd einige Voraussetzungen mitbringen musste, ua feste gelnke, um den Lanzenstoß auszuhalten, und natürlich ebenfalls ein entsprechendes Training. Solange Dragoner allerdings als berittene Infanterie eingesetzt wurden, waren ihre Pferde meist die billigsten, die zur Verfügung standen, kleiner, schwächer etc als "echte" Kavallerie-Pferde.

Brutal gesagt: Für einen erfolgreichen Lanzenreiter braucht es mehr als einen Bauer mit Spieß, der auf einer Schindmähre sitzt... ;)


Der umgang mit der Lanze zu Pferde muss sehr schwierig sein und erforderte jahrelanges Training. Ich habe einen alten Kavalleristen gekannt, der noch in der wilhelminischen Armee gedient hatte. Dieser Mensch war noch im hohen Alter ein hervorragender Reiter, der unzählige Reit- und Fahrpreise gewonnen hatte. Er sagte, dass er und die meisten seiner Kameraden die Lanzen verflucht haben, die ihnen Wilhelm II. verordnet hatte.
 
Der umgang mit der Lanze zu Pferde muss sehr schwierig sein und erforderte jahrelanges Training. Ich habe einen alten Kavalleristen gekannt, der noch in der wilhelminischen Armee gedient hatte. Dieser Mensch war noch im hohen Alter ein hervorragender Reiter, der unzählige Reit- und Fahrpreise gewonnen hatte. Er sagte, dass er und die meisten seiner Kameraden die Lanzen verflucht haben, die ihnen Wilhelm II. verordnet hatte.
Diese Erfahrung erinnert ja beinahe an Berichte à la Delbrück.

Sicherlich ist da was dran.

Andererseits ist die Entwicklung nicht ganz verständlich.
Natürlich waren Arkebusierreiter genauso wie Dragoner weitaus flexibler einsetzbar. Wenn man sich dann anschaut, dass im Laufe des Krieges der Anteil der Kavallerie bisweilen mehr als Hälfte in den Heeren wurde, dann ergibt sich daraus, dass letztlich immer wieder ein Großteil der Aufgabe der Kavallerie in der offenen Feldschlacht darin bestand, die feindliche Reiterei zu bekämpfen. Dabei hatte ja offensichtlich der Nahkampf zunehmend Priorität, was man an der Vermehrung der schweren Kürisser bei den Kaiserlichen genauso wie bei der Bewaffnung der schwedischen Reiterei nur mit Schwert und Pistolen erkennen kann. Eine Art von Lanzenreiter hätte bei dieser auf Nahkampf ausgerichteten Kampfweise allerdings einige Vorteile besessen. Natürlich gab es ja auch schottische Lanzenreiter im Englischen Bürgerkrieg und leichte Lanzenreiter bei den Kaiserlichen, die im Osten rekrutiert wurden (vergleichbar mit den leichten Lanzenreiter in den franz. Religionskriegen).
Gibt es zeitgenössische Militärtheoretiker, die sich zu der Thematik äußern? Oder wird sich darauf beschränkt, einfach die aktuelle Entwicklung widerzugeben?
 
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