Luther war nicht gegen den Ablasshandel

Uhtred

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War es nicht so, dass Luther nicht grundsätzlich gegen den Ablasshandel war, sondern nur gegen den sogenannten Missbrauch von eben diesem (z.B. Albrecht von Brandenburgs und Johann Tetzels Petersdom-Ablass)?

Kann man nicht auch weiters sagen, das Luther "nur" ein Werkzeug Friedrich von Sachsens war, damit der sich die Kirchengüter unter den Nagel reißen konnte?

Ich denke, ja.

Dass Martin Luther kein strahlender Held war, ist ja glaube ich Konsens - siehe vor allem seine Einstellung zu "Herren und Untertanen" bzw. den Bauernkriegen.
Dass es ein kleineres Unrecht sei, wenn sich der Bauer von seinem Herrn prügeln lässt, als wenn sich der Bauer ob dieses Unrechts gegen seinen Herrn erhebt, ist ja nicht nur nach heutigen moralischen Maßstäben, äußerst fragwürdig.

Da waren Leute wie Karlstadt oder Thomas Müntzer weitaus humaner/humanistischer eingestellt. Aber vom Humanismus oder der Vernunft hielt Luther ja nichts.

Luther erscheint mir als ein nützlicher Idiot, der den diversen hochadeligen Herren, den langersehnten Kirchenbesitz zugespielt hat und dessen Erbe 150 Jahre religiöse Zwistigkeit und ein auf Jahrhunderte zerstückeltes Deutschland waren.
Die reformierte Kirche war Spielball der Reichsfürsten geworden und diese sogenannte Reformierung hat auch nicht solche Grässlichkeiten wie Hexenverbrennungen verhindert (die Luther übrigens, so wie Judenhatz, auch befürwortete).

Ich weiß, starker Tobak.
Aber ich lasse mich gerne auch auf andere Ansichten ein ;)
 
Na ja, dass Luther ein Idiot war, würde ich nicht sagen wollen. Ich halte ihn eher für überdurchschnittlich intelligent.
Ich würde behaupten, er war Realist und wusste, was machbar und was Spinnerei war.
Ein Held war er insofern, als das er wagte, was sein Leben in Gefahr brachte.

Müntzer dagegen halte ich für einen ideellen Spinner, der Himmelreiche bauen wollte. Das konnte nur in die Hose gehen und hat auch noch vielen das Leben gekostet.

Allerdings glaube ich auch, das Luther das Heilige Römische Reich in unnötiger und nachhaltiger Weise spaltete.
 
War es nicht so, dass Luther nicht grundsätzlich gegen den Ablasshandel war, sondern nur gegen den sogenannten Missbrauch von eben diesem (z.B. Albrecht von Brandenburgs und Johann Tetzels Petersdom-Ablass)?

Zunächst einmal sollte man bedenken, daß Luther einige Ansichten im Lauf seines Lebens revidiert hat. Der spätere Luther war ganz sicher grundsätzlich gegen den Ablaßhandel. Einen Wendepunkt stellen die 95 Thesen dar, in dem Luther (damals noch papsttreuer Katholik) nicht nur einzelne Mißbräuche, sondern die gesamte damalige Ablaßhandelspraxis einer sehr deutlichen Kritik unterzieht. Dabei sehe ich durchaus eine grundsätzliche theologische Infragestellung der Ablaßlehre insbesondere in den Artikeln 36 und 37:
36. Jeder Christ, der wirklich bereut, hat Anspruch auf völligen Erlaß von Strafe und Schuld, auch ohne Ablaßbrief. 37. Jeder wahre Christ, sei er lebendig oder tot, hat Anteil an allen Gütern Christi und der Kirche, von Gott ihm auch ohne Ablaßbrief gegeben.
EKD: Evangelische Kirche in Deutschland - Leben & Glauben - Die 95 Thesen
 
Der spätere Luther war ganz sicher grundsätzlich gegen den Ablaßhandel. Einen Wendepunkt stellen die 95 Thesen dar..
In der quasi kirchenamtlichen RGG (3. Aufl. 1956/65, Bd. 4, S. 483) heißt es zu Luther:
So übte er seit der Römerbriefvorlesung scharfe Kritik an mancherlei Zuständen der Kirche, am 31.10.1516 zum ersten Male öffentlich in einer Predigt am Ablaß, und eröffnete mit 97 Disputationsthesen vom 4.9.1517, die er gedruckt verschickte, einen Generalangriff auf die scholastische Theologie.

Aber nicht diese Thesen, sondern eine viel speziellere Reihe von 95 Thesen über Buße und Ablaß, die er nach vermutlich richtiger Überlieferung am 31.10.1517, der Vigil des Allerheiligenfestes, an die Tür der Wittenberger Schloßkirche anschlug, verwickelte ihn in eine öffentliche Auseinandersetzung und einen kirchlichen Prozeß. L.s Kritik richtete sich nicht in erster Linie gegen die Finanzpraktiken bei dem von dem Dominikaner Tetzel im Auftrag von Kardinal Albrecht von Mainz vertriebenen Ablaß, sondern gegen die darin liegende Verkehrung wahrer Bußgesinnung. Er griff, so gering er ihn einschätzte, weder den Ablaß selbst an, wenn er als bloß pädagogisches, nicht ins Fegefeuer hineinreichendes Mittel der Kirche verstanden wird, noch den Papst, dessen Vollmacht er freilich – wie er glaubte, im Einverständnis mit ihm – in der allen Priestern anbefohlenen Fürbitte sah.​
 
Friedrich von Sachsen machte mit seinem Reliquien-Ablass ordentlich Reibach.
In seine gewaltige Reliquiensammlung, welche Grundlage für seinen Ablasshandel war, hatte er einen ziemlichen Batzen Geld im Laufe der Jahre investiert.
Plötzlich kommt da der Kardinal Albrecht von Brandenburg (+Tetzel) daher und verkauft den Ablass aufgrund irgendwelcher "Schriftstücke" - sprich Albrecht schnappte Friedrich ein einträgliches Geschäft weg und noch dazu, ohne große Investitionen tätigen zu müssen.

Nun zaubert Friedrich von Sachsen den bis dahin unbekannten Martin Luther aus dem Hut, der sofort, und fast ausschließlich, gegen den Ablasshandel von Albrecht von Brandenburg zu wettern beginnt (siehe seinen Brief an eben diesen). So ein Zufall... ;)

Als Luther seine 95 Thesen öffentlich machte, dürfte, und das ist jetzt meine persönliche Meinung, Friedrich von Sachsen wohl beschlossen haben, seinen Reliquien-Ablass zugunsten des gewaltigen Kirchenvermögens zu opfern, dass bei einer Kirchenspaltung in Aussicht stand.
Denn wieso sonst hätte er Luther all die Jahre schützen sollen?
Aus religiöser Überzeugung?
Das halte ich bei der Lebensgeschichte dieses Mannes für unwahrscheinlich. Friedrich ging es nur darum, seine Macht und sein Vermögen auszubauen (siehe auch den Knebelvertrag, dem er Karl dem V aufgezwungen hat, um Deutschland regieren zu können.

Münzer und Co halte ich nicht für Träumer, sondern für Leute, die ihrer Zeit einfach weit voraus waren - Luther war hingegen fest in der Gedankenwelt des ausgehenden Mittelalters verhaftet. Bei ihm ist offensichtlich die Renaissance noch nicht angekommen gewesen.
Leute wie Luther gab es viele in jener Zeit, die meisten waren nur einfach konsequenter/undiplomatischer (siehe z.B. Johann von Wesel) oder sie hatten keinen mächtigen Fürsprecher und Beschützer.
Und wie gesagt, Luther wurde wohl nur beschützt, weil er unglaublich nützlich war.

Man sollte die Reformation nicht unter dem Gesichtspunkt des Idealismus betrachten, sondern nur unter einem Aspekt: "CUI BONO?"
Die Parallelen zur "Reformation" in England unter Heinrich dem VIII sind übrigens glasklar ersichtlich.
Heinrich ging es ja auch nur ums Geld und die Macht.
Deutschland und seine protestantischen Fürsten waren hier offensichtlich sein Vorbild.
Deshalb: Luther war für mich ein nützlicher Idiot.... auch wenn er sicher sehr intelligent war.
Doch Intelligenz schützt ja nicht zwingend davor, ausgenützt zu werden.
Luther hätte viel Gutes für die einfachen Menschen erreichen können, war letztendlich aber wohl doch zu angepasst und der ihn beschützenden Obrigkeit verpflichtet.
 
@Uhtred: Deine Darstellung ist etwas holzschnittartig, aber ich stimme Dir in vielem zu.:)
Es gibt übrigens ein Theaterstück zu Luther mit etwa dem gleichem Tenor, das ich sehr empfehlen kann: Dieter Forte, Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung, Berlin: Wagenbach 1971.
 
@Uhtred: Deine Darstellung ist etwas holzschnittartig, aber ich stimme Dir in vielem zu.:)
Es gibt übrigens ein Theaterstück zu Luther mit etwa dem gleichem Tenor, das ich sehr empfehlen kann: Dieter Forte, Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung, Berlin: Wagenbach 1971.

Dreimal darfst du raten, wie ich überhaupt zu diesen Ansichten gekommen bin... das ganze gibts übrigens auch als wirklich erstklassiges Hörspiel :D

Ursprünglich konnte ich das ganze so übrigens selbst kaum glauben, da ich Luther bisher immer als den strahlenden Reformator wahrgenommen habe.
Allerdings ist das von dir beschriebene Theaterstück/Buch vom Autor wirklich erstklassig recherchiert worden und nachdem ich selbst etliche Bücher zu dem Thema gewälzt habe bin ich zu eben jenem Schluss gekommen, dass Luther wohl wirklich nur benutzt wurde.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Noch etwas:
Sehr zu empfehlen ist folgendes Buch, um die Reformation und Luther wirklich zu verstehen bzw zu durchschauen: Luther. Sein Leben und seine Zeit - von Richard Friedenthal.
 
Dreimal darfst du raten, wie ich überhaupt zu diesen Ansichten gekommen bin...
Ursprünglich konnte ich das ganze so übrigens selbst kaum glauben...
Schlingel!:winke: Natürlich muss man Dieter Forte gewisse dichterische Freiheiten nachsehen - aber seine "Spielszenen" sind mindestens so glaubwürdig wie die von Guido Knopp...

Gut, dass Du Friedenthal erwähnst. Er beschäftigt sich ausführlich mit der Genese des Ablaßhandels (S. 153 ff. in meiner Ausgabe) und bestätigt, dass Luther das Treiben zunächst nicht generell verdammte, ebensowenig wie er die Autorität des Papstes zunächst in Frage stellte. Dabei geht F. auch auf Hus ein, den sein Kampf gegen den "Kreuzfahrer-Ablaß" des Papstes Johannes XXIII. - in Verbindung mit anderen Dingen - direkt zum Scheiterhaufen führte.

Aus aktuellem Anlaß:pfeif:: Wichtig ist auch die Darstellung der inniglichen Verbindung zwischen Ablaß und Bankwesen. Sehr instruktiv hierzu bzw. zur sog. "Fuggerei" natürlich Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte, Bd. 8, S. 363 ff.; zu Luthers Person kann ich noch die einfühlsame psychoanalytische und historische Studie von Erik H. Erikson ("Der junge Mann Luther") empfehlen.
 
Schlingel!:winke: Natürlich muss man Dieter Forte gewisse dichterische Freiheiten nachsehen - aber seine "Spielszenen" sind mindestens so glaubwürdig wie die von Guido Knopp...

Huch, Guido Knopp, der Gottseibeiuns der Geschichtsdokus.
Berühmt geworden mit Klassikern wie "Hitlers Hund", Hitlers Katze, Hitlers Zugehfrau,...

Gut, dass Du Friedenthal erwähnst. Er beschäftigt sich ausführlich mit der Genese des Ablaßhandels (S. 153 ff. in meiner Ausgabe) und bestätigt, dass Luther das Treiben zunächst nicht generell verdammte, ebensowenig wie er die Autorität des Papstes zunächst in Frage stellte. Dabei geht F. auch auf Hus ein, den sein Kampf gegen den "Kreuzfahrer-Ablaß" des Papstes Johannes XXIII. - in Verbindung mit anderen Dingen - direkt zum Scheiterhaufen führte.

Aus aktuellem Anlaß:pfeif:: Wichtig ist auch die Darstellung der inniglichen Verbindung zwischen Ablaß und Bankwesen. Sehr instruktiv hierzu bzw. zur sog. "Fuggerei" natürlich Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte, Bd. 8, S. 363 ff.; zu Luthers Person kann ich noch die einfühlsame psychoanalytische und historische Studie von Erik H. Erikson ("Der junge Mann Luther") empfehlen.
Ja, die "Fuggerei" ist sicher ein Punkt, der bei der Reformation eine sehr wichtige Rolle gespielt hat.
Auch hier ist Fortes Theaterstück übrigens sehr gegenwartsbezogen.
Er lässt Jakob Fugger sinngemäß sagen: "Bezahlt die Arbeiter schlecht, dann arbeiten sie doppelt so viel."
Nun war das damals ja wirklich so, weswegen es in Fuggers Bergwerken auch immer wieder Aufstände gab.
Und heute entwickeln es sich wieder in genau dieselbe Richtung.
In den USA sind zwei Jobs normal und auch in Europa wird das immer mehr üblich. Mit einem Job alleine kommen viele mittlerweile kaum über die Runden.
Aber ich schweife ab.
Irgendwo meine ich einmal gelesen zu haben, das Luther von Jan Hus bzw. den Hussiten wohl wenig gehalten haben soll.
Wahrscheinlich hat er, wenn er an Hussiten dachte, nur die blutigen Kriege vor Augen und Untertanen die sich gegen ihre Herren erhoben - und davon hielt er ja nicht viel, wie man an den Bauernkriegen sah.
Schade, dass es nirgendwo etwas darüber zu lesen gibt, inwieweit die Reformation unter Luther trotzdem von den Hussiten beeinflusst worden war.
Mir kam dazu bisher jedenfalls nichts unter die Augen - dabei ist es doch unwahrscheinlich, das Luther, Müntzer und Co. sich kein bisschen von Jan Hus, dem ersten erfolgreichen religiösen Querdenker, inspirieren ließen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Schade, dass es nirgendwo etwas darüber zu lesen gibt, inwieweit die Reformation unter Luther trotzdem von den Hussiten beeinflusst worden war. Mir kam dazu bisher jedenfalls nichts unter die Augen - dabei ist es doch unwahrscheinlich, das Luther, Müntzer und Co. sich kein bisschen von Jan Hus, dem ersten erfolgreichen religiösen Querdenker, inspirieren ließen.

Was die "konzeptionelle" Beeinflussung betrifft, so müsste ich weiter ausholen & recherchieren. Für die Zeitgenossen jedenfalls war die Sache klar:
"Wyclif erzeugte den Hus, der Hus den Martin Luther", so hieß es im biblisch gefaßten Stammbaum der Gegner, als neue Kämpfe im nächsten [16.] Jahrhundert auflebten.
Für Friedenthal, aus dessen Buch über Hus ich zitiere (S. 450), ist das so wichtig, dass er den Gedanken gleich noch zweimal notiert (S. 15, 46).

Auch wenn Luther die Hussiten nicht gemochte haben sollte - ihr Schicksal war ihm Warnung genug. Friedenthal schreibt über die "Verhandlung" des Konstanzer Konzils gegen Hieronymus von Prag (S. 303):
Wir können uns den Mobcharakter vieler Sitzungen des Konzils nicht kraß genug vorstellen. Er wird kaum gemildert durch das Eingreifen eines Prälaten, der die Bibel zitierte mit den Worten des Propheten Hesekiel: "Nein, Hieronymus, nicht also, denn es steht doch geschrieben, daß der Herr spricht: Ich habe kein Gefallen am Tode des Sünders, sondern daß er lebe und sich bekehre!" Auch Papst Leo X. hat diese bequeme Formel in seinem Schreiben an Luther verwendet. [sic!]
 
Ja, die "Fuggerei" ist sicher ein Punkt, der bei der Reformation eine sehr wichtige Rolle gespielt hat.

[Nicht dass Du meinst, ich hätte alle Zeit der Welt, aber::winke:]

Beachtlich ist der enge Zusammenhang zwischen Luthers Haltung zum Ablaß und zum Wucher, den Hans-Jürgen Prien in seinem Buch über "Luthers Wirtschaftsethik" (--> googlebooks, dort S. 175 ff.) herausgearbeitet hat.

Luthers ökonomische Gedanken werden sogar von Karl Marx im "Kapital" erwähnt (z. B. Bd. 1, S. 149 Fußnote 96) und z. T. positiv gewürdigt - tja, man kann sich halt seine "Verbündeten im Geiste" nicht aussuchen...
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir kam dazu bisher jedenfalls nichts unter die Augen - dabei ist es doch unwahrscheinlich, das Luther, Müntzer und Co. sich kein bisschen von Jan Hus, dem ersten erfolgreichen religiösen Querdenker, inspirieren ließen.
Von Münzer weiß ich, dass er sich in Böhmen aufhielt. Er ist dorthin nach seiner Zeit in Zwickau gegangen. Dort verkündete er öffentlich in Latein und Deutsch, er wolle "...nebst dem vortrefflichen Streiter Christi, Johann Hus, die hellen Posaunen mit einem neuen Gesang erfüllen."
Weiter: "Mein Gaumen soll der allerhöchsten Wahrheit nachsinnen und meine Lippen sollen verfluchen die Gottlosen, welche zu erkennen und auszurotten ich in eure vortrefflichen Grenzen, o ihr geliebten böhmischen Brüder, gekommen bin." (aus, Der Grosse Deutsche Bauernkrieg von Wilhelm Zimmermann, 1891)
Münzer sah in Hus einen Vordenker.
 
Uhtred schrieb:
Kann man nicht auch weiters sagen, das Luther "nur" ein Werkzeug Friedrich von Sachsens war, damit der sich die Kirchengüter unter den Nagel reißen konnte?

Nein, das kann man so nicht sagen. Die Säkularisation von Kirchengut stand noch überhaupt nicht zur Debatte, als Friedrich seine schützende Hand über Luther ausbreitete. Die Motive sind aber, wie Du schon richtig vermutest, nicht in einem brennendem Eifer für die Ideen Luthers zu suchen, sondern hatten vielmehr pragmatische und allzu menschliche Gründe: Da der Brandenburger Albrecht und nicht sein Bruder Ernst das Mainzer Erzbistum bekam, war er natürlich sauer darüber und hatte deshalb ein Ohr dafür, wenn jemand dafür wetterte, die Einnahmen dieses Gegenspielers des eigenen Hauses zu beschneiden. (Halberstadt und Mageburg nenn ich nur als weitere Stichpunkte.)


Dass Martin Luther kein strahlender Held war, ist ja glaube ich Konsens - siehe vor allem seine Einstellung zu "Herren und Untertanen" bzw. den Bauernkriegen.

Worin bestehten deine konkreten Kritikpunkte am Verhalten Luthers während des Bauernkrieges? Du kannst mir gerne Stellen aus dem Traktat "über die Freiheit eines Christenmenschen" liefern, wenn Du möchtest, aber bitte nicht diese hier: "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan."
Dies ist nämlich rein theologisch zu verstehen und hat rein gar nichts mit frühneuzeitlichen Herrschaftsstrukturen im Reich zu tun.


Dass es ein kleineres Unrecht sei, wenn sich der Bauer von seinem Herrn prügeln lässt, als wenn sich der Bauer ob dieses Unrechts gegen seinen Herrn erhebt, ist ja nicht nur nach heutigen moralischen Maßstäben, äußerst fragwürdig.

Ich halte es für äußerst fragwürdig, heutige Maßstäbe auf das beginnende 16. Jahrhundert anzuwenden.

Luther erscheint mir als ein nützlicher Idiot, der den diversen hochadeligen Herren, den langersehnten Kirchenbesitz zugespielt hat und dessen Erbe 150 Jahre religiöse Zwistigkeit und ein auf Jahrhunderte zerstückeltes Deutschland waren.

Den langersehnten Kirchenbesitz? Wie lange haben sie denn schon mit dieser Option taktiert? Hier machst Du das Ergebnis eines Prozesses zur Zweckursache.
Außerdem wird die These, dass es allein konfessionspolitische Gründe waren, die das Handeln von eineinhalb Jahrhunderten bestimmten, der Komplexität dynasite- und machtpolitischer Verstrickungen dieser Zeit in keinster Weise gerecht.


Die reformierte Kirche war Spielball der Reichsfürsten geworden und diese sogenannte Reformierung hat auch nicht solche Grässlichkeiten wie Hexenverbrennungen verhindert (die Luther übrigens, so wie Judenhatz, auch befürwortete).

Erster Teil: Zustimmung. Zweiter Teil: Denkanstoß.
Natürlich waren Wellen von Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit eine grausame Sache, jedoch gilt auch hier, dass man keine modernen humanitären Maßstäbe einige Jahrhunderte zurückprojezieren darf. Da möchte ich mich aber nicht weiter streiten, weil das ein so fundamentales Thema ist, dass man als Historiker bei Diskussionen immer der Buh-Mann ist, wenn man Verständnis für die Zeit aufbringt.

Vielleicht trifft es dieser Satz ganz gut, auch, wenn er (wahrscheinlich) nicht zu diesem Themenkomplex geschrieben wurde:

Rurik schrieb:
Ich würde behaupten, er war Realist und wusste, was machbar und was Spinnerei war.

jschmid schrieb:
Aber nicht diese Thesen, sondern eine viel speziellere Reihe von 95 Thesen über Buße und Ablaß, die er nach vermutlich richtiger Überlieferung am 31.10.1517, der Vigil des Allerheiligenfestes, an die Tür der Wittenberger Schloßkirche anschlug, verwickelte ihn in eine öffentliche Auseinandersetzung und einen kirchlichen Prozeß. L.s Kritik richtete sich nicht in erster Linie gegen die Finanzpraktiken bei dem von dem Dominikaner Tetzel im Auftrag von Kardinal Albrecht von Mainz vertriebenen Ablaß, sondern gegen die darin liegende Verkehrung wahrer Bußgesinnung. Er griff, so gering er ihn einschätzte, weder den Ablaß selbst an, wenn er als bloß pädagogisches, nicht ins Fegefeuer hineinreichendes Mittel der Kirche verstanden wird, noch den Papst, dessen Vollmacht er freilich – wie er glaubte, im Einverständnis mit ihm – in der allen Priestern anbefohlenen Fürbitte sah.

Genau das ist der Punkt! (Nur, dass inzwischen per argumentum ex silentium gesichert gilt, dass es den legendären Thesenanschlag nicht gab.)


Das halte ich bei der Lebensgeschichte dieses Mannes für unwahrscheinlich. Friedrich ging es nur darum, seine Macht und sein Vermögen auszubauen (siehe auch den Knebelvertrag, dem er Karl dem V aufgezwungen hat, um Deutschland regieren zu können.

Was heißt hier Knebelvertrag? Es war eine Wahlkapitulation und es ist mehr als nachvollziehbar, dass jemand wie Friedrich, der selbst als Kandidat im Gespräch war, Zugeständnisse für die Aufgabe seiner Ambitionen forderte.

von Jan Hus, dem ersten erfolgreichen religiösen Querdenker

Erfolgreich inwiefern und warum der erste? Falls Du Lesestoff benötigst, voilà: Kirchliche Reformimpulse des 14./15. Jahrhunderts in Ostmitteleuropa, Hrsg. v. Winfried Eberhard u. Franz Machilek, Böhlau 2006.
Oder auch ein anderes x-beliebiges Werk über Hus oder eben ad fontes! Eine dezidierte Aufstellung der Lehre von Hus findest du unter anderem in Sigismund Meisterlins Augsburger Chronik. Da wirst Du feststellen, dass einige Ideen schon vor Luther gedacht wurden - sowohl von ihm, als auch von Wyclif, wie jschmid schon richtig sagt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich hoffe, das geht nicht zu weit vom eigentlichen Thema weg, aber ich würd noch gern was zu Jan Hus sagen.
Tatsächlich muss Wyclif als geistiger Vater von Hus und der gesamten Böhmischen Reformbewegung gesehen werden. In "de ecclesia" übernimmt Hus viele Ideen Wyclifs und er verteidigte ihn auch gegenüber Anfeindungen. Allerdings - und da lässt sich vielleicht Hus besser greifen - hatte er einen deutlich praktischeren Zugang zu reformbedürftigen Praktiken. So machte er sich viele Gedanken um den praktischen Ablauf der Eucharistiefeier oder sinnierte über den "sinful priest".
Erfolgreich? Nunja...wenn jemand eine ganze Bewegung in Gang setzt ("Hussites") oder Nachfolger wie Savonarola inspiriert hatte diese Person zumindest Einfluss.

Hat nun nicht wirklich viel mit Luther zu tun. Zeigt aber, dass Luther keine komplett neuen Ideen entwickelte, sondern vielmehr während einer Zeit lebte, die von generellen Reformgedanken geprägt war. Aber ich denke, da dürfte hier Konsens herrschen..
 
Worin bestehten deine konkreten Kritikpunkte am Verhalten Luthers während des Bauernkrieges? Du kannst mir gerne Stellen aus dem Traktat "über die Freiheit eines Christenmenschen" liefern...

Die Frage ist durchaus schlüssig zu beantworten, und zwar nicht anhand Luthers theologischen Reflexionen Von der Freiheit eines Christenmenschen, sondern aus seinen aktuell-politischen Stellungnahmen: Wider die raeuberischen und moerderischen Rotten (daraus die Zitate unten) und Ein Sendbrief von dem harten Buechlein wider die Bauern.

Zum besseren Verständnis sei zunächst erinnert

  • an die Tatsache, "daß ohne die reformatorische Verkündigung des Evangeliums [durch Luther] kein Bauernkrieg möglich gewesen wäre" (Winfried Schulz, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert [1997], S. 98 - daraus auch die beiden folgenden Zitate - mit Verweis auf Peter Blickle, Die Revolution von 1525),
  • an die Bedeutung des Bauernkriegs als "Wendepunkt der deutschen Geschichte der frühen Neuzeit" und das bekannte Diktum - statt vieler - des abwägend urteilenden Universalgelehrten Alexander von Humboldt, wonach es "der große Fehler der deutschen Geschichte" gewesen sei, dass "die Bewegung des Bauernkriegs nicht durchgedrungen ist."
Nun waren freilich die Bauern dem gleichen Irrtum aufgesessen wie Millionen andere bis hin zu den Lateinamerikanern nach der Mitte des 20. Jh. (nebst ihren "roten" Priestern): Das Christentum ruft nicht dazu auf, die Sache der Befreiung - und sei es auch nur von den übelsten Dingen (Sklaverei usw.) - in die eigenen Hände zu nehmen, sondern seine Botschaft lautet in der klassischen Fassung des Römerbriefs: "Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet."

Genau das ist der Kern dessen, was Luther den Aufständischen entgegenhält:
daß sie ihrer Oberkeit treu und hulde geschworen haben, untertänig und gehorsam zu sein, wie solchs Gott gebeut, da er spricht: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Und Röm. 13: Idermann sei der Oberkeit untertan etc.. Weil sie aber diesen Gehorsam brechen mutwilliglich und mit Frevel und dazu sich wider ihre Herren setzen, haben sie damit verwirkt Leib und Seel, als die treulose, meineidige, lugenhaftigen, ungehorsamen Buben und Bosewicht pflegen zu tun, darum auch St. Paulus Röm. 13 ein solch Urteil uber sie fället: Wilche der Gewalt widerstreben, die werden ein Gericht uber sich uberkommen. Wilcher Spruch auch die Baurn endlich treffen wird, es geschehe kurz oder lange, denn Gott will Treu und Pflicht gehalten haben.
Da nützte es den Bauern und ihren Anführern auch nichts, dass sie zunächst bewusst darauf achteten, "jedes Anzeichen von Gewalttätigkeit und anarchischer Bewegung zu vermeiden" (aaO, S. 99). Als sie sich dagegen wehrten, zu Hunderten und dann zu Tausenden abgeschlachtet zu werden, hatten sie sich Luthers Gunst ganz verscherzt:
Es ist des Schwerts und Zorns Zeit hie und nicht der Gnaden Zeit. So soll nu die Oberkeit hie getrost fortdringen und mit gutem Gewissen dreinschlahen, solang sie eine Ader regen kann. Denn hie ist das Vorteil, daß die Bauren böse Gewissen und unrechte Sachen haben, und wilcher Baur darüber erschlagen wird, mit Leib und Seele verluren und ewig des Teufels ist. Aber die Oberkeit hat ein gut Gewissen und rechte Sachen und kann zu Gott also sagen mit aller Sicherheit des Herzens: Siehe, mein Gott, du hast mich zum Fursten oder Herren gesetzt, daran ich nicht kann zweifeln, und hast mir das Schwert befohlen uber die Ubeltäter (Röm. 13).
So gesehen, ist der Bauernkrieg auch eine Art Kreuzzug:
Also kann's denn geschehen, daß, wer auf der Oberkeit Seiten erschlagen wird, ein rechter Märterer für Gott sei, so er mit solchem Gewissen streit, wie gesagt ist, denn er geht in göttlichem Wort und Gehorsam. [...] Sölch wunderliche Zeiten sind itzt, daß ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen verdienen kann baß denn andere mit Beten. [...] Drum, lieben Herren, loset hie, rettet hie, helft hie! Erbarmet euch der armen Leute! Steche, schlahe, würge hie, wer da kann! Bleibst du druber tot, wohl dir! Seliglichern Tod kannst du nimmermehr uberkommen, denn du stirbst in Gehorsam göttlichs Worts und Befehls (Röm. am 13.) und im Dienst der Liebe, deinen Nähisten zu retten aus der Hellen und Teufels Banden.
Zweifellos kann man das ganz unterschiedlich bewerten:

  • Man kann z. B. Luther als einen Verfechter des modernen Staates sehen, der dessen "Gewaltmonopol" verteidigt, das sich freilich "in aller Grausamkeit gegen die aufständischen Bauern richtete, ohne daß schon vorher die Auswüchse der privilegierten Position des Adels beseitigt wären. Auch in dieser Perspektive lässt sich der Bauernkrieg als ein Wendepunkt in der deutschen Geschichte ansehen" (aaO, S. 106).
  • Man kann Luther auch für eine ewige Lehre der Geschichte in Anspruch nehmen, die da lautet: Wenn die "Kleinen" die Waffe in die Hand nehmen, dann ist das ein Verstoß wider Gott & Natur - wenn die "Großen" (ob sie nun Konstantin, Chlodwig, Karl oder sonstwie heißen - spätere Zeiten mal abseits gelassen) morden und morden lassen, monströse Blutbäder anrichten [im Bauernkrieg aber "nur" 75.000 Tote], dann sind solche Übertreibungen zwar bedauerlich, aber halt nie ganz zu vermeiden.
 
Sehr schöne Darstellung, die fundiert ist und der ich zustimme. Wo jedoch ist die konkrete Kritik am Verhalten Luthers? Was ist ihm vorzuwerfen?
 
Luther

Interessante These, der ich auch teilweise gerne zustimme, aber wenn hier behauptet wird, dass Luther ein Werkzeug Friedrich des Weisen war, muss ich wirklich dagegenhalten:
Friedrich der Weise war erst sehr zögerlich und zeigte sich mit Luther nur in so fern solidarisch, dass er ihn nicht der Inquisition übergab, weil er sehr wohl wusste, was Luther dort drohte.
Also ich hätte es als sehr sehenswert erachtet, wenn der Judenhasser (Von den Jüden und iren Lügen,1543) Luther durch die Inquisition angezündet worden wäre, wenn er dieses Vorgehen bei Hexen ebenfalls für vertretbar hielt. Für Friedrich den Weisen war Luther auf Bundesebene wegen seinem Neffen, dem erzkatholischen Kaiser Maximilian V. sehr peinlich und so versuchte er Luthers "Ketzereien" zuerst vor dem jungen Maximilian und dem päpstlichen Nuntius Cajetan zu bagatellisieren, was ihm die katholische Kirche natürlich nicht einfach so gewährte. Dennoch konnte Friedrich seinen Einfluss ( u.a. auf seinen Neffen) so lange ausspielen bis Luther sich 1521 auf der Wartburg wiederfand. Angesichts dieser Tatsachen würde ich eher zu der Hypothese neigen, dass Luther seinen Kurfürsten zu einem nützlichen, einflussreichen und vor allen schützenden Werkzeug machte.
Wie dem auch sei; Luther hat nie wirklich große Opfer gebracht. Er hatte die Bauern auf seiner Seite und so konnte die Kirche, nachdem sie verspätet reagiert hatte, nicht mehr ausrichten als ihn zu exkommunizieren. Ich denke, dass die Kirche das neue Massenmedium, den (Buch-)druck, sehr unterschätzt hat (obwohl sie sich erst 1515 im 5. Laterankonzil mit diesem Medium beschäftigt hatte) und sie so erst sehr lange nach 1517 reagiert hat.
Alles in allem war Luther ein sehr mittelalterlicher, einfach gestrickter, dicker Mönch (er hat übrigens erst während seinem Aufenthalt auf der Wartburg zugenommen), der Hexenverfolgung und Judenhetze entweder guthieß oder selbst entscheidend mit anfachte.
Er hatte von Theologie erbärmlich wenig Ahnung (was sich schon allein darin wiederspiegelt, dass er nicht ansatzweise das Verhältnis des Christentums zum Judentum erkannte) und und hasste den Teufel mehr als er das Gott liebte, was keine lose Unterstellung oder ein vager Verdacht ist sondern sich in all vielen seiner Schriften ( ich habe längst nicht alle gelesen, das wollte ich mir nicht zumuten) wiederspiegelt. Ja, ich würde fast sagen, er war ein deutscher Savonarola.
Außerdem wurde er, wie auch Mohammed, immer mehr zu einem Feldherren, auch wenn er dies zugegebenermaßen nie beabsichtigt hatte. Wie schon mehrmals von anderen Usern beschrieben, hat er die Bauernkriege ausgelöst und teilweise auch den Dreißigjährigen Krieg ( ja, ich weiß, das religiöse Ansichten nur als Grund vorangestellt wurden und die damaligen Herrscher eigentlich territoriale Gewinne erringen wollten, aber dennoch kann Luther hier eine Mitschuld unterstellt werden). Außerdem verursachte Luther eine eigentlich noch bis heute anhaltende religiöse Teilung Deutschlands und schwächte die Einheit, die das abendländische Christentum gerade während der (1.) Belagerung von Wien durch die Türken 1529 gebraucht hätte (die Christen konnten die Belagerung der muslimischen Türken dennoch erfolgreich überstehen).
Alles in allem war Luther einer, der die Armut der Bauern schändlich ausnutzte, ein Kirchenspalter, der Verursacher von religiösen und politischen Wirren und Unruhen, der Schuldige an hunderttausenden von niedergemetzelten Menschen (hauptsächlich Bauern). Er war unbeschreiblich einfältig, was er bei seinen peinlichen Tischreden, aus denen ich auf Nachfrage gerne zitieren kann, und durch seine Einstellung zum Judentum oftmals bewies.
Also war Luther ein sehr übler Mensch und mich ärgert seine Verklärung zum theologischen Genie und humanitären Religionsstifter ähnlich wie bei Mohammed.:runter:
 
Für Friedrich den Weisen war Luther auf Bundesebene wegen seinem Neffen, dem erzkatholischen Kaiser Maximilian V. sehr peinlich und so versuchte er Luthers "Ketzereien" zuerst vor dem jungen Maximilian und dem päpstlichen Nuntius Cajetan zu bagatellisieren, was ihm die katholische Kirche natürlich nicht einfach so gewährte.

Bevor ich mich mit dem Rest von dem Quatsch auseinandersetze, falls es mir nicht zu mühsam wird oder sich jemand anderes erbarmt, würde ich gerne wissen, wer Kaiser Maximilian V. ist.
 
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