Warum wurden um 1600 viele Kirchen neu gebaut?

pelzer

Aktives Mitglied
Grüezi

Bei uns in der Umgebung stelle ich fest, dass fast alle Kirchen in den Jahren zwischen 1600 und 1675 abgerissen und neu gebaut wurden. Warum geschah das? Und warum grad in diesen Jahren?

Gruss
Pelzer


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Ich schätze mal vorsichtig, dass dies an der Reformation und an dem 30 jährigen Krieg und seinen Folgen liegt.
 
Nach dem 30-jährigen Krieg gab es einen Bevölkerungszuwachs, viele alte Kirchen waren ruinös und zu klein.
Hinzu kam: Mit der Rekatholisierung nach dem Tridentinum zog auch einer neuer Geist in die Gemeinden ein, der seinen Ausdruck in der Barock-Gestaltung von Um- oder Neubauten fand.
 
Grüezi

Ich muss vielleicht noch etwas präzisieren: Ich meinte die Kirchen in der katholischen Innerschweiz. Hier in den ländlichen Voralpen war der dreissigjährige Krieg weit weg. Und die Reformation fand um 1528 statt und war auch weit weg!
Die Jahre um 1630 waren eher von der Pest, Naturkatastrophen, Missernten und der Hexenverfolgung geprägt.

Gruss
Pelzer


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Nachdem Pelzer in der Nähe von Luzern ansässig ist. wird es wahrscheinlich weniger mit den Zerstörungen während des 30-jährigen Krieges zu tun haben. Ich tippe hier also eher auf die Reformation als (Haupt-)grund. Nachdem der "unterlegenen" Konfession zunächst häufig die Kirche weggenommen wurde, entspannte sich im Lauf der Zeit oft die Situation. Teilweise gab es dann Simultankirchen, manchmal mit baulicher Trennung, die von 2 Konfessionen genutzt wurden. Da dies häufig zu Reibereien führte, wurde dann meist eine weitere Kirche gebaut. In Deutschland hatte die Bautätigkeit selbstverständlich nach dem 30-jährigen Krieg in erster Linie mit den Zerstörungen durch eben diesen zu tun. Diese Neubauten hatten aber oft zunächst eher behelfsmäßigen Charakter, weil es an den nötigen materiellen und personellen Ressourcen (etwas euphemistisch formuliert) fehlte.
 
Grüezi

Ich muss vielleicht noch etwas präzisieren: Ich meinte die Kirchen in der katholischen Innerschweiz. Hier in den ländlichen Voralpen war der dreissigjährige Krieg weit weg. Und die Reformation fand um 1528 statt und war auch weit weg!
Die Jahre um 1630 waren eher von der Pest, Naturkatastrophen, Missernten und der Hexenverfolgung geprägt.

Gruss
Pelzer


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Hier was das Historische Lexikon der Schweiz zum Kirchenbau sagt (ist aber eher allgemein gehalten)

http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11002.php

Ich suche noch andere Quellen, hoffe das welche finde.

Das hab ich jetzt nicht durchgelesen, aber vielleicht steht hier was drin:

http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7382.php
 
Ich habe bei uns (Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen usw.) die Erfahrung gemacht, daß der Kirchenbau direkt mit der finanziellen Situation der Gemeinden zusammenhing. Aus der Zeit des sächsischen Silberbergbaus sind uns die großen, zeitgemäß ausgestatteten Kirchen geblieben (Schneeberg, Zinnwald...), während in den immer armen Gebieten Mecklenburgs noch heute die alten Feldsteinkirchen aus dem 13. Jahrhundert teilweise noch mit ihren Marienaltären stehen. Der Aufschwung Brandenburgs im 18. Jahrhundert hat uns wiederum viele Barockkirchen oder Barockumbauten beschert.

Ich würde also mal nachsehen, wie es in dem Gebiet der Schweiz wirtschaftlich in genau dem Zeitraum aussah.
 
Die durch das Konzil von Trient eingeleitete Katholische Reform förderte im 17. und 18. Jh. den Bau von neuen Pfarrkirchen und Wallfahrtskapellen im Stil des Barock


Das ist doch schlüssig.

Da gehe ich aber von neuen Kirchen aus und nicht wie Pelzer schreibt, dass man Kirchen abgerissen und wieder neu aufgebaut hat. Kann mich aber auch täuschen.
 
Mein obiger Beitrag war vor Kenntnis der Präzisierung verfasst.
Was ich aber hauptsächlich noch loswerden will: Der Kirchenbau war auch eine Machtdemonstration der katholischen Kirche im Rahmen der Gegenreformation, gerade auch weil diese militärisch im 30-jährigen Krieg nicht durchsetzbar war. Die "Pracht" der katholischen Barockkirchen ist auch als Gegenkonzept gegen die "kargen" lutherischen und insbesondere reformierten Kirchen zu verstehen.
 
Grüezi
Ich würde also mal nachsehen, wie es in dem Gebiet der Schweiz wirtschaftlich in genau dem Zeitraum aussah.
Wie ich schon schrieb. In dieser Zeit herrschte die Armut. Zahlreiche kühle und nasse Sommer führten zu Missernten und verheerenden Überschwemmungen.

Der Barock ist im ländlichen Kirchenbau nicht so ausgeprägt, resp. trat eher später in Erscheinung. Hingegen kann man sagen, dass die neuen Kirchen immer wesentlich grösser waren, als ihre Vorgängerbauten.

Gruss
Pelzer


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Grüezi Ursi

Es handelt sich um keine spezielle Kirche. Fast alle Kirchen in Ob- und Nidwalden wurden in dieser Zeit neu gebaut. Hier eine Auiswahl:

Lungern, alte Kirche 1618 Ersatzbau
Lungern, Dorfkapelle um 1650 Neubau
Giswil, Laurentius 1635 Neubau wegen Überschwemmung
Giswil, St. Anton 1607 Ersatzbau
Giswil, S. Antons 1664 Neubau
Kerns, St. Gallus 1649. weitgehende Umbauten
Sarnen, Dorfkapelle 1660 Ersatzbau
Sarnen, Frauenkloster, 1615 Neubau
Stalden, 1701 Ersatzbau
Wilen, hl.Michael, 1579 Neubau, 1692 Ersatzbau
Kehrsiten. 1616 Neubau
Hergiswil S.Nikolaus. 1621 Ersatzbau
Sachseln, Kapelle auf dem Flüeli, 1616 Neubau
Sachseln, hl.Theodul, 1672 Ersatzbau wegen den Pilgermassen
Melchtal, 1618 Neubau
Ennetmoos, St. Jakob um 1600 Neubau
Stans St.Peter, 1639 Ersatzbau
und so weiter...

Gruss
Pelzer

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Ich hab mal auf der Homepage vom Frauenkloser Sarnen nachgeschaut und hier steht zum Beispiel unter Geschichte:

1584 – 1615
Jahre des Niedergangs. Die Zahl der Schwestern reduziert sich auf 7. Das Leben im Frauenkonvent ist beschwerlich geworden; die Gebäude sind in einem derart schlechten Zustand, dass sie von den Engelberger Schirmorten als unbewohnbar eingestuft werden.

Die Schwesterngemeinschaft kämpft gegen ihre Auflösung und bleibt dank ihrem unermüdlichen Durchhaltewillen bestehen.

Die Folge davon ist, dass der Frauenkonvent vom Männerkloster getrennt und mit Hilfe der Obwaldner Regierung nach Sarnen verlegt wird. Die verbleibenden 7 Schwestern siedeln um.
http://www.frauenkloster-sarnen.ch/geschichte.html

Und das hier auf der Seite von Sarnen Online:

Das Benediktinerinnenkloster St. Andreas hat seinen Ursprung in der Gründung des Doppelklosters Engelberg im Jahre 1120. Das Doppelkloster nahm einen raschen Aufschwung, doch brachten es harte Schicksalsschläge auch immer wieder in tiefe Not. Im Jahre 1615 wurde der kleine Frauenkonvent von Engelberg nach Sarnen verlegt. Hier erstarkte das monastische Leben, und die Gemeinschaft wuchs. Unter Anleitung der Regel des hl. Benedikt von Nursia versuchen die Schwestern ihr Leben einer ständigen Gottsuche zu widmen und der Liebe zu Christus nichts vorzuziehen (RB 4,21). Im 19. Jh. beteiligte sich die Abtei an der Missionsarbeit der Kirche und gründete in den USA 1906 das Kloster St. Gertrud in Cottonwood.
Seit 1938 sind Schwestern in Kamerun tätig, wo sie das Kloster St. Benoît in Mbouda-Babété gründeten.
Bei ihrer Verlegung von Engelberg nach Sarnen nahmen die Schwestern auch die wundertätige Figur des Jesuskindes mit sich, welche in der Mitte des 14. Jh. geschaffen wurde und deren Verehrung bald darauf begann. Die Betreuung der Wallfahrt zum Sarner Jesuskind ist eine der wichtigsten Aufgaben, die die Schwestern heute wahrnehmen. Durch das persönliche Gespräch an der Klosterpforte, das Telefongespräch oder Briefe nehmen die Schwestern Anteil an den Sorgen und Nöten der Menschen. Im Gebet bringen sie diese Menschen vor Gott und erbitten für sie die Hilfe Gottes. Immer wieder dürfen Menschen die Erhörung ihrer Anliegen erfahren.

http://www.sarnen.ch/de/tourismus/kirchenkapellen/welcome.php?action=showobject&object_id=2153

Vielleicht findest du über die Kirchenpflege oder Gemeinde noch mehr Hinweise zu den andern Kirchen.
 
Über die Dorfkapelle von Lungern steht das:

Die Dorfkapelle, zu Beginn des 17. Jahrhunderts erbaut, wurde beim Dorfbrand in der Nacht vom 10. auf den 11. März 1739 ein Raub der Flammen. Nur das Mauerwerk blieb intakt. Mit finanzieller Hilfe der Regierung und der Gemeinden konnte das Gotteshaus im gleichen Jahr wieder hergestellt werden.

http://www.lungern.ch/index.php?id=87

Und wenn ich mir ein paar andere Seiten ansehen, wurden doch viele, die du als Neubau angegeben hast, erst in dieser Zeit gebaut, so wie zum Beispiel

Die Flüeli-Kapelle bei Sachseln
Flüeli-Kapelle
Patron St. Karl Borromäus. – 1614-1618 erbaut; geweiht am 16. Oktober 1618. Die Kapelle oben auf dem Flüeli-Felsen dient als Gotteshaus für den Aussenbezirk Flüeli-Ranft und die Pilger. – 1980/81 Gesamtrenovation.
http://www.sachseln.ch/de/kirchenmain/kirchekapellen/
http://www.bruderklaus.com/?id=10
 
Zuletzt bearbeitet:
Grüezi Ursi

Du verstehst mich falsch. Ich sage ja nicht, dass alle Kirchen abgerissen und wieder neu gebaut wurden. In meiner Liste habe ich die entsprechenden Bauten als Ersatzbau bezeichnet.

Es wurden in dem fraglichen Zeitraum aber auffallend viele Kirchen gebaut. Und dies trotz der rauen Umstände. Das muss doch einen Grund haben?

Die Dorfkapelle „unserer lieben Frau“ in Lungern wurde wahrscheinlich Mitte/Ende des 17. Jahrhunderts erbaut, genau weiss man das nicht. Ich schrieb um 1650, richtig wäre vielleicht eher um 1670. Ebenso weiss man nicht, ob es einen Vorgängerbau gab.

Das Frauenkloster St. Andreas zügelte am 18. Februar 1615 von Engelberg nach Sarnen und bezog ein Haus am Dorfplatz. Am 23. Februar 1618 wechselten sie dann in das neuerbaute (heutige) Klostergebäude.

Kurz nachher (1644 bis 46) wurde in Sarnen überdies auch noch das Kapuzinerkloster erbaut.


Gruss
Pelzer


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Grüezi Ursi

Du verstehst mich falsch. Ich sage ja nicht, dass alle Kirchen abgerissen und wieder neu gebaut wurden. In meiner Liste habe ich die entsprechenden Bauten als Ersatzbau bezeichnet.

Es wurden in dem fraglichen Zeitraum aber auffallend viele Kirchen gebaut. Und dies trotz der rauen Umstände. Das muss doch einen Grund haben?

Die Dorfkapelle „unserer lieben Frau“ in Lungern wurde wahrscheinlich Mitte/Ende des 17. Jahrhunderts erbaut, genau weiss man das nicht. Ich schrieb um 1650, richtig wäre vielleicht eher um 1670. Ebenso weiss man nicht, ob es einen Vorgängerbau gab.

Das Frauenkloster St. Andreas zügelte am 18. Februar 1615 von Engelberg nach Sarnen und bezog ein Haus am Dorfplatz. Am 23. Februar 1618 wechselten sie dann in das neuerbaute (heutige) Klostergebäude.

Kurz nachher (1644 bis 46) wurde in Sarnen überdies auch noch das Kapuzinerkloster erbaut.


Gruss
Pelzer


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Nun das hat ja Mercy angesprochen:

Die durch das Konzil von Trient eingeleitete Katholische Reform förderte im 17. und 18. Jh. den Bau von neuen Pfarrkirchen und Wallfahrtskapellen im Stil des Barock

Steht so in dem von mir verlinkten Text vom Historischen Lexikon der Schweiz.
 
Nicht "trotz" sondern "wegen"

Es wurden in dem fraglichen Zeitraum aber auffallend viele Kirchen gebaut. Und dies trotz der rauen Umstände. Das muss doch einen Grund haben?

In Zeiten, in denen es den Menschen schlecht geht, wenden sie sich vermehrt den Religionen oder Religionsersätzen zu (etwa Wahrsagerei), während sie, wenn es ihnen gut geht, eher dazu neigen, die Religion zu vernachlässigen. Der Neubau von Kirchen kann also auch Ausdruck der neuen Suche nach Gott sein, wenn es den Menschen schlecht geht. Auf den ersten Blick erscheint es zwar unlogisch, in wirtschaftlich schlechten Zeiten die wenigen Mittel in den Kirchbau zu stecken, auf den zweiten Blick aber, wenn man die Religiosität der Leute zu begreifen sucht, merkt man, dass es sich hier um eine Investition handelt (die sich natürlich aus einer aufgeklärten Perspektive als Fehlinvestition zeigt). Man mag es als Versuch verstehen, das Auge Gottes wieder auf einen zu lenken, bzw. Wohlgefallen zu finden.
 
Katholische Reform

Mit K. bezeichnet man jene Veränderungen, die im 16. und 17. Jh. in der röm.-kath. Kirche parallel zur Reformation oder als Reaktion auf diese vorgenommen wurden. Die Geschichtsschreibung betonte zunächst deren gegenreformator. Aspekt (Gegenreformation ). Dann erkannte man, dass die nach dem Konzil von Trient (1545-63) durchgeführten Änderungen Wurzeln hatten, die vor den Protestantismus zurückreichten und daher ihre eigene Logik besassen. Der Begriff der Gegenreformation wurde daher auf jene Massnahmen - vorwiegend polit. und militär. Art - eingeschränkt, die den Protestantismus bremsen oder zurückdrängen sollten, während die inneren Umgestaltungen der röm. Kirche mit K. bezeichnet wurden. Die religiöse, geistige und kulturelle Bewegung, die sich damals im Papsttum entwickelte, kann mit den Begriffen der tridentin. Theologie, der Barockkultur und des christl. Humanismus umrissen werden.

In der Schweiz äusserte sich zu Beginn des 16. Jh. trotz der Probleme mit dem schlecht ausgebildeten und oft abwesenden Klerus eine spirituelle Kraft, die auf die Devotio moderna , den christl. Humanismus und die Nachwirkungen von Niklaus von Flüe zurückzuführen ist. Die Konzils-, Universitäts- und Druckerstadt Basel wurde zu einem Bibel- und Patristikzentrum, das durch Erasmus von Rotterdam grosse Ausstrahlung erhielt. Zwar trat eine Mehrheit der Schweizer Humanisten zum Protestantismus über, doch andere, so Erasmus selbst, Glarean oder Aegidius Tschudi, blieben katholisch.

Nachdem sich Bern 1528 der Reformation angeschlossen hatte, gaben zwei Ereignisse den Katholiken neuen Mut: Der 2. Kappeler Landfrieden (1531) sicherte den altgläubigen Orten eine Mehrheit in der Tagsatzung. Zudem brachte das Konzil von Trient eine neue Festigkeit der Lehre, konkrete Reformziele sowie die Hilfe der internat. Gemeinschaft.

Auf der Ebene des Dogmas legte das Konzil die kath. Haltung zur Rechtfertigungslehre fest, bestimmte den Ort des kirchl. Lehramts und der Tradition im Verhältnis zur Bibel, fixierte einen Kanon der heiligen Schriften, definierte die sieben Sakramente und erliess Richtlinien für die Predigt und die Katechese. In seinen Dekreten forderte es die Residenzpflicht der Bischöfe und der Pfarrer, verurteilte die Ämterkumulation, verlangte die Einhaltung des Zölibats und die Schaffung von Priesterseminaren. 1570 liess Papst Pius V. ein neues Messbuch herausgeben. Danach erschienen ein Brevier, ein Katechismus und schliesslich eine verbesserte Ausgabe der Bibel. Kardinal Karl Borromäus, Staatssekretär des Papstes, dann Ebf. von Mailand, wurde zum Protector Helvetiae ernannt. Er schlug die Errichtung einer Nuntiatur sowie die Gründung eines Jesuitenkollegiums und eines Priesterseminars vor. Zur Ausbildung der Priester aus der Eidgenossenschaft gründete er in Mailand das Collegium Helveticum . Er organisierte Diözesansynoden, an denen gewisse Tessiner Täler, die er überdies Dorf für Dorf visitierte, vertreten waren. All diese von Papst Gregor XIII. (1572-85) unterstützten Anstrengungen führten zur Errichtung einer Nuntiatur in Luzern, die die Umsetzung der Reformen aufmerksam verfolgte.

Einige Schweizer Bischöfe machten sich ans Werk. Jakob Christoph Blarer von Wartensee, Fürstbf. von Basel, berief 1575 eine Diözesansynode ein und veranlasste die Gründung eines Kollegiums in Pruntrut. Der Bf. von Konstanz, Mark Sittich von Hohenems, veranstaltete ebenfalls eine Synode. In Graubünden versuchten die Flugi von Aspermont, Bischöfe von Chur, wieder Ordnung in die äusserst unruhige Diözese zu bringen. Die von Riedmatten, Bischöfe von Sitten, taten dasselbe im Wallis, wo sich Bewohner von Leuk und Sitten mehr oder weniger offen zum Protestantismus bekannten. Die Reformbemühungen entfalteten ihre Wirkung erst im 2. Drittel des 17. Jh., nach der Missionstätigkeit der Kapuziner und der gründl. Arbeit der Kollegien.

Franz von Sales, Bf. von Genf mit Sitz in Annecy, übte seine Reformtätigkeit in Savoyen, im Wallis und in der Region Genf aus. Infolge seiner gründl. Studien nahm er seine Verantwortlichkeiten als Bischof mit grossem Ernst wahr. 1609 veröffentlichte er die "Anleitung zum frommen Leben" und 1616 die "Abhandlung über die Gottesliebe", die zu Klassikern der geistl. Literatur wurden. Mit Jeanne-Françoise de Chantal gründete er den Frauenorden der Heimsuchung Mariens, dessen Angehörige, die Visitandinnen, sich in Frankreich und in der Schweiz ausbreiteten. Die Jesuiten , deren "Gesellschaft" 1534 in Paris gegründet wurde, gaben der K. einen entscheidenden Impuls. Sie wirkten als Prediger und Missionare, als Lehrer und Erzieher. Die mangelnde Bildung des Klerus stellte in der Schweiz eines der Hauptprobleme der Kirche dar. Um Abhilfe zu schaffen, wurden Kollegien gegründet, die auch Unterricht in Theologie erteilten, und zwar in Luzern (1577), Freiburg (1582), Pruntrut (1591), Solothurn (1646), Brig (1650) und Sitten (1625-1734). In diesem Zusammenhang kam Petrus Canisius 1580 nach Freiburg. Der Schriftsteller und eifrige Prediger sowie Autor von drei Katechismen war an der Gründung von 17 Kollegien und Universitäten beteiligt. In der Schweiz publizierte er die Biografie der wichtigsten volkstüml. Heiligen, von Hilda bis Niklaus von Flüe.

Die Kapuziner, die 1529 aus einer Reform des Franziskusordens hervorgegangen waren, zeichneten sich durch Armutsliebe und aufopfernde Missionstätigkeit aus. Ihre Popularität stieg rasch an, und die kath. Obrigkeiten machten einander deren Anwesenheit streitig. Von Monte Bigorio, dann von Sorengo bei Lugano aus, kamen die Kapuziner über die Alpen und gründeten in Altdorf (UR), dann in Stans (1581) ein Kloster. Mit der Unterstützung von Melchior Lussi taten sie dies darauf auch in Luzern (1585), Schwyz (1587), Appenzell (1586-87), Solothurn und Baden (1588), Zug (1595), Rheinfelden (1596), Rapperswil (SG, 1602), Sursee (1605), Freiburg (1609), Saint-Maurice (1615), Bremgarten (AG, 1617), Delsberg (1626), Sitten (1631), Sarnen (1642), Olten (1646) und Laufenburg (1650). Sie predigten in ihren Klöstern oder in den Pfarrkirchen und unternahmen Missionsreisen in die abgelegensten Täler. Ihr weibl. Zweig (Kapuzinerinnen ) liess sich in Freiburg (Montorge) nieder und führte die Reform der ehem. Klarissen- und Franziskanerinnenklöster durch.

Weitere Frauenorden traten in Erscheinung. Die 1535 in Brescia gegründete Gemeinschaft der Ursulinen wurde nach Pruntrut, dann nach Freiburg, Luzern, Brig, Mendrisio und Bellinzona gerufen. Sie bemühten sich um die Ausbildung und die Unterweisung der Töchter. Die Visitantinnen eröffneten 1635 und 1644 Mädchenpensionate in Freiburg und in Solothurn.

Die Obrigkeiten, namentlich Ludwig Pfyffer von Altishofen in Luzern, Melchior Lussi in Stans, Aegidius Tschudi in Glarus, Jean de Lanthen-Heid in Freiburg und die oberen Zenden des Wallis setzten sich entschlossen für diese Bemühungen ein. Unterstützung fanden sie im Klerus, wie etwa bei Propst Peter Schneuwly und Pfarrer Sebastian Werro in Freiburg, stiessen bei jeder Veränderung aber auch auf Widerstand.

Die Reformbewegung der kath. Kirche fand ihren Ausdruck im Barock . Diese Strömung förderte durch Frömmigkeit, Pilgerreisen, Liturgie und Sakramente die Sichtbarkeit der Kirche. Sie löste eine künstler. Erneuerung der Architektur, Malerei und Bildhauerei wie auch des Gesangs, der Musik und des geistl. Theaters aus. Auf der Ebene der Wissenschaften entwickelten sich die Apologetik, die Hagiografie, die Geschichte, die Literatur sowie die Astronomie. Die Übernahme des gregorian. Kalenders 1582 brachte die Messung des bürgerl. Jahres wieder in Übereinstimmung mit der astronom. Zeit (Kalender ).

So erneuerte die K. die Volksfrömmigkeit , hob das geistige und kulturelle Niveau und stärkte die sakramentale Praxis. Sie trug zur Entstehung eines neuen, besser ausgebildeten und disziplinierteren Klerus bei und brachte aussergewöhnliche geistl. Persönlichkeiten hervor. Das Selbstbewusstsein der Katholiken und ihre Bindung an das Papsttum wurden gestärkt. Andererseits errichtete die K. gegenüber dem Protestantismus eine unüberwindl. Wand. Da sie mit dem oligarchischen, auf Solddienst und Landbesitz beruhenden System des Ancien Régime eng verknüpft war, stiess sie später hart mit den Ideen der Aufklärung und der Franz. Revolution zusammen.

Quelle: Historisches Lexikon der Schweiz
 
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