Wie sähe die heutige Zeit ohne Reformation aus?

Was hat denn das mit Bismarck und dem Nationalstaat miteinander zu tun, wenn Du von der Reformation sprichst?
Du bringst da zwei Fragen zusammen, die so kaum zu beantworten sind. Ersteinmal könnte man sich aber fragen, welche Auswirkungen der Protestantismus auf das Heilige Römische Reich hatte.

Ich würde so eine spekulative Frage, wenn dann im zeitlichen Umfeld zur Reformation angehen (16./17.Jh.).
Dann könnte man sich anschauen, ob nicht auch die katholischen Reichsstände gegen einen Machtzuwachs des Kaisers waren.:grübel:
 
Unser Geschichtslehrer sagte, dass der 30 Jährige Krieg die Reichsgründung nach hinten warf.
Deswegen frage ich.
 
Unser Geschichtslehrer sagte, dass der 30 Jährige Krieg die Reichsgründung nach hinten warf.
Deswegen frage ich.

Geschichtslehrer wissen ja auch alles. Zur Ehre dieses Berufsstandes hoffe ich mal, dass er gesagt hat, es gäbe Theorien nach denen die konfessionelle Spaltung in der Folge Luthers als einer der möglichen Gründe angesehen wird, warum es zu einer verspäteten Gründung einer deutschen Nation kam. Und dass diese Sicht evtl. überholt sein könnte. Aber man weiß ja nie.
 
Wie kann man eine Nation gründen???
Das HRR war ein Staat aus Minderheiten, durch die Reformatoren haben sich einige enger zusammengeschlossen, worauf hin sich die anderen ebenfalls annäherten .
Es bildete sich eine einigermaßen allgemeinverständliche Schriftsprache heraus, "fremdsprachliche " Minderheiten wurden ausgegrenzt , schieden aus dem Verband, ->
"deutsche "Mehrheit -> Deutsches Reich, weil eben andere auch einen "Nationalstaat" bildeten.

So etwas ähnliches wäre auch ohne den Protestantismus geschehen, vielleicht hat erst der 30 jährige Krieg für "Nationale Keimzellen" gesorgt.

Und nebenbei, die "Deutsche Nation" wird immer noch gesucht
 
ich vermute, dass Dein Lehrer meinte, durch den Dreißigjährigen Krieg sei die Entwicklung zu einem deutschen Nationalstaat gebremst worden.

Während andere Nationen bereits lange in einem Nationalstaat zusammenlebten, wurde Deutschland erst 1871 (aber ohne Österreich) in einem gemeinsamen Staatsverband geeint. Die vorher bestehenden deutschen, staatlichen Organisationsformen des Heiligen Römischen Reiches (s. Heiliges Römisches Reich ? Wikipedia) (bis 1806) und des Deutschen Bundes Deutscher Bund ? Wikipedia) (1815 - 1866) waren von einer schwachen Zentralinstanz (Kaiser bzw. Reichstag, Bundesversammlung), so daß man bei diesen Körperschaften eher von einer Könföderation (Staatenbund) reden kann.

Es ist eine spekulative Frage, was gewesen wäre, wenn der Dreißigjährige Krieg nicht gewesen wäre. Hätten sich die einzelnen deutschen Staaten einer stärkeren Zentralisierung (hin zu einem Nationalstaat) unterworfen?
 
Es ist eine spekulative Frage, was gewesen wäre, wenn der Dreißigjährige Krieg nicht gewesen wäre. Hätten sich die einzelnen deutschen Staaten einer stärkeren Zentralisierung (hin zu einem Nationalstaat) unterworfen?
Und warum hätten sie das tun sollen? Ich sehe dafür keine Tendenz, dass irgendein größerer Reichsfürst bereitwillig seine Rechte abgetreten hätte.
 
Brissotin, genau,eher hätten sich kleinere zusammengeschlossen, um sich nicht unterwerfen zu müssen.
Und selbst für die Einigung 1871 mußte ja erst ein Krieg gegen einen äußeren Feind her, mit dem man dann so etwas wie ein "deutsches Nationalgefühl/Wirgefühl" in der Bevölkerung erzeugen konnte. Vorher war es ja eher ein "auch deutsch"
 
Wie würde es jetzt aussehen?
Wären wir ohne Bismarck schon früher ein Nationalstaat geworden?
USW.

Diese was-wäre-wenn-Fragen sind eigentlich total unergiebig, da geschichtliche Verläufe die unwahrscheinlichsten Wendungen nehmen. Prinzipiell kann also keiner voraussagen, wie Deutschland - und damit Europa (!) - ohne die Reformation Luthers ausgesehen hätte.
 
Diese was-wäre-wenn-Fragen sind eigentlich total unergiebig, da geschichtliche Verläufe die unwahrscheinlichsten Wendungen nehmen. Prinzipiell kann also keiner voraussagen, wie Deutschland - und damit Europa (!) - ohne die Reformation Luthers ausgesehen hätte.


Richtig! Allerdings könnte man versuchen, einige geschichtliche Ereignisse auf ihre kurz- oder langfristige Wirkung hin zu untersuchen.

Die These des Threaderstellers lautet ja verkürzt, dass die Reformation die Reichsgründung (im Sinne eines einheitlichen Staates mit einer starken Zentralmacht) verzögerte.

Dabei geht die These von den folgenden Ursache-Wirkungszusammenhängen aus:
  1. Die Reformation führt zu einer Glaubensspaltung in katholische und protestantische Regionen im HRR (cuius regio eius religio - Augsburger Religionsfrieden).
  2. Aufgrund der konfessionellen Gegensätzen bricht der Dreissigjährige Krieg aus.
  3. Der Friedensvertrag, der den Dreissigjährigen Krieg beendet, der Westfälische Friede, führt zu einer Schwächung der Zentralgewalt auf Reichsebene und zu einer Stärkung der unteren Ebene, die Reichsstände. Das HRR wird quasi zu einer Art Gemeinschaft unabhängiger Staaten, die dann erst über 200 Jahre unter Bismarck zu einem (klein-)deutschen Nationalstaat vereinigt werden.

Wenn ich mich auf den letzten Punkt konzentriere, lautet für mich die Frage, ob der Westfälische Frieden entscheidend die Macht des Reiches geschwächt hat.

Der entsprechende Passus des Vertrages lautet:

Der Osnabrücker Friedensvertrag vom 24. Oktober 1648 (Übersetzung aus dem Lateinischen)

„Art. VIII
§ 1. Damit aber Vorsorge getroffen sei, daß künftig keine Streitigkeiten in Bezug auf die Verfassung entstehen, sollen sämtliche Kurfürsten, Fürsten und Stände des Römischen Reiches in ihren alten Rechten, Vorrechten, Freiheiten, Privilegien, der ungehinderten Ausübung der Landeshoheit sowohl in geistlichen als auch in weltlichen Angelegenheiten, Herrschaften, Regalien sowie in deren Besitz kraft dieses Vertrages derart bestätigt und bekräftig werden, daß sie von niemandem jemals unter irgendeinem Vorwand tatsächlich beeinträchtigt werden können oder dürfen.


nach: Quelle: Friedensvertrag, Verfassungsmäßige Stellung der Reichsstände

Der Vertrag spricht ja von den "alten Rechten, Vorrechten, Freiheiten" etc., bzw. dadurch wird ja nur ein bereits bestehendes Gewohnheitsrecht bekräftigt. Bereits beim Augsburger Religionsfrieden 1555, also knappe 100 Jahre vor dem Westfälischen Frieden von 1648, konnte sich ja die kaiserliche Zentralgewalt gegen die Reichsfürsten in der Religionsfrage nicht durchsetzen, so dass die Kompromißformel des cuius regio, eius religio entstand.

In anderen Nationen mit einer stärkeren Zentralgewalt wurde der Protestantismus für das ganze Land (z. B. England oder die skandinavischen Königreiche) eingeführt oder das ganze Land blieb katholisch (z. B. Spanien oder Frankreich).

Aber gab es denn durch den Westfälichen Frieden dann überhaupt eine Schwächung der Zentralgewalt gegenüber dem Status quo ante? Gab es denn überhaupt im HRR eine starke Zentralgewalt in der vorherigen Geschichte?





Und warum hätten sie das tun sollen? Ich sehe dafür keine Tendenz, dass irgendein größerer Reichsfürst bereitwillig seine Rechte abgetreten hätte.

die alte Regel gilt ja: was man hat, hat man.
 
Diese was-wäre-wenn-Fragen sind eigentlich total unergiebig, da geschichtliche Verläufe die unwahrscheinlichsten Wendungen nehmen. Prinzipiell kann also keiner voraussagen, wie Deutschland - und damit Europa (!) - ohne die Reformation Luthers ausgesehen hätte.

Es gäbe keine protestantischen Pfarrhäuser, keine Kehrwochen und erst recht keine angeschickerten Bischöfinnen, die sich in heikle Angelegenheiten einmischen. "Wir" wären Papst und Kaiser von Gottes Gnaden von der Maas bis an die Memel, soweit die deutsche Zunge lallt.

Eigentlich fängt aber alles bei Arminius alias Herrmann dem Cherusker an wie schon Heinrich Heine wusste:

Hätt dieser nicht gesiegt, mit seinen blonden Horden, dann gäb´s die deutsche Freiheit nicht, wir wären alle Römer geworden."
 
Hätt dieser nicht gesiegt, mit seinen blonden Horden, dann gäb´s die deutsche Freiheit nicht, wir wären alle Römer geworden."

Höchst bedauerlich, dass das nicht passiert ist - wir würden heute der romanischen Lässigkeit und dem dolce far niente ohne jeden Gewissensbiss frönen! :D
 
Eines kann man ja sagen: Da die lutherische Reformation nicht der erste Versuch dieser Art war - manche waren weniger radikal, andere stärker - darf man davon ausgehen, dass es irgendwann doch so etwas wie die Reformation gegeben hätte.
 
Eines kann man ja sagen: Da die lutherische Reformation nicht der erste Versuch dieser Art war - manche waren weniger radikal, andere stärker - darf man davon ausgehen, dass es irgendwann doch so etwas wie die Reformation gegeben hätte.

Davon bin ich auch überzeugt, denn die Zustände in der Kirche waren vielfach unerträglich geworden. Man klagte über mangelnde Ausbildung der Pfarrer, denn nur wenige hatten ein Theologiestudium absolviert und viele vernachlässigten ihre geistlichen Aufgaben. Auch die Lebensführung der Geistlichen bot Anlass zu Kritik. Manche Priester führten ein ausschweifendes Leben, in vielen Klöstern ließ die Ordnung zu wünschen übrig; Päpste, Bischöfe und Äbte pflegten oft einen luxuriösen Lebensstil.

Ob sich das alles ohne den dramatischen Anstoß der lutherischen Reformation geändert hätte, ist zweifelhaft. Der Wunsch nach einer durchgreifenden inneren Reform der Kirche war vor Luther jedenfalls nicht erkennbar.
 
Von einem Wunsch nach einer durchgreifenden Reform vor Luther ist uns nichts überliefert.
Aber, Luther hat nur vorsichtig mit seinen 95 Thesen ins Wasser getippt und es kam zum Dammbruch. Also hätten Zwingli, Calvin, Müntzer oder Bugenhagen oder wer auch immer etwas später ähnliches auslösen können.
 
Von einem Wunsch nach einer durchgreifenden Reform vor Luther ist uns nichts überliefert.
Aber, Luther hat nur vorsichtig mit seinen 95 Thesen ins Wasser getippt und es kam zum Dammbruch. Also hätten Zwingli, Calvin, Müntzer oder Bugenhagen oder wer auch immer etwas später ähnliches auslösen können.

Die historischen und politischen Voraussetzungen waren für Luther, der von seinem Landesherrn Friedrich dem Weisen gedeckt wurde, günstigere, als für Jan Hus, der trotz der Zusicherung freien Geleits 1415 in Konstanz hingerichtet wurde. Für die tschechische Identität war Hus überaus bedeutsam, was sich auch in mehreren Hussittenkriegen niederschlug. Vor allem aber war es das neue Medium des Buchdrucks, das Luther und dem Protestantismus die Bahn ebnete und für großes öffentliches Interesse sorgte.
 
Eigentlich fängt aber alles bei Arminius alias Herrmann dem Cherusker an wie schon Heinrich Heine wusste:

Hätt dieser nicht gesiegt, mit seinen blonden Horden, dann gäb´s die deutsche Freiheit nicht, wir wären alle Römer geworden."

Obwohl ich nicht weiß, ob das ein Nachteil gewesen wär.
Mein nächster Thread:
Wie würde es heute ohne Zerfall des Reiches aussehen.

:D

Die Römer hätten sicher noch stärker bei sowas durchgegriffen als
unser Kaiser zu der Zeit.
 
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