Das Leben in Garnison im 18. Jahrhundert

Brissotin

Aktives Mitglied
Ich habe mich schon mehrfach gefragt, wie man sich wohl die Tristess während der Zeit in einer Kaserne oder auch in Quartieren, welche über eine Stadt verteilt waren vorstellen muss.

Ungefähr vermittelt mir das französische Garnisonsreglement aus den frühen 1790er einen Eindruck, wem wann Rapporte abzuliefern waren und es scheint auch so, dass dies scheinbar die Haupttätigkeit in Garnison war. Viel Wert wurde auch auf die Erhaltung der Ausrüstung gelegt, die an bestimmten Tagen besonders gepflegt wurde.

Wie verbreitet waren denn bspw. die Fecht- und Tanzböden oder auch Bildungseinrichtungen für Soldaten in Kasernen oder anderen Garnisonsformen?

Ich stelle mir jedenfalls den Soldatenalltag, abgesehen davon wenn man auf seine Profession in der Stadt arbeiten durfte, als ungemein langweilig vor. Kein Wunder dass manch einer wie Bonaparte sich lieber langwierig beurlauben ließ oder zumindest wie De Laclos die Zuflucht in einer anderen Tätigkeit suchte.
 
Interessantes Thema! Mir ist dazu spontan das Lied "Oh König von Preußen" eingefallen, welches meines Wissens nach aus dem 18. Jahrhundert stammt und einige kleine Einblicke in den Alltag verschafft.


[...] Und kommt das Frühjahr an dann ist die große Hitz'
Da muß man exerzieren daß ei'm der Buckel schwitzt.
Da muß man exerzieren von Morgen bis Mittag
Und das verfluchte Leben das währt den ganzen Tag.
Vom exerzieren weg, geht's wieder auf die Wacht,
Kein Teufel tut nicht fragen ob man gefressen hat.
Kein Branntwein in der Flaschen, kein weißes Brot dabei,
Ein schlechtes Tabakrauchen das ist der Zeitvertreib.
[...]
Pardon, bin gerade auf dem Sprung, deswegen nur ganz schnell die Frage ob man auch Beispiele aus dem britischen Raum bringen darf, oder ob es dir in erster Linie um den angesprochenen französischen Raum geht ? :winke:
 
Dazu und zum Alltag in der preußischen Garnison gibt's ein Büchlein von

Guddat, Martin, Des Königs treuer Diener: Als Soldat unter Friedrich dem Großen, 2006

in dem der Einzug per Kantonsreglement, Ausbildung und Alltag des gemeinen Mannes aus Sicht eines (wohl fiktiven) ebensolchen geschildert werden.

Muss wohl wirklich langweilig gewesen sein.

Interessant, dass ein großer Teil des Alltagsdienstes auch des gemeinen Soldaten - m. W. aller oder der meisten europäischen Länder - aus Feldarbeit und Nebenerwerb bestand, während die Herren Offiziere gern randalierend durch die Straßen zogen (wenn sie nicht wo anders Unzucht trieben :pfeif:).
 
Interessant, dass ein großer Teil des Alltagsdienstes auch des gemeinen Soldaten - m. W. aller oder der meisten europäischen Länder - aus Feldarbeit und Nebenerwerb bestand
Ganz richtig, so viel Soldaten wurden für Schildwachen und ähnliche Aufgaben nicht benötigt. Sehr wichtig sind Tätigkeiten für das Regiment, z.B. Uniformen ausbessern oder herstellen, und für Bürger und Einwohner der Garnisonsstadt. Problem war dabei, dass die Soldaten zur Konkurrenz der Gilden wurden. Das sorgte für Beschwerden, andererseits bekamen die Soldaten Sold und gaben ihn in der Stadt aus, was für die Bürger wiederum von Vorteil war.
Manche Soldaten haben auch durch Heirat, z.B. mit Handwerkerwitwen, passable Existenzen in Garnisonsstädten aufgebaut.

Manche Soldaten waren von ihrem Lebenswandel allen Klischees zum Trotz bieder. Musketier Dominicus (prß. Inf. Reg. No. 9) beschwert sich in seinem Tagebuch über seinen Quartierwirt, da dieser ein "Säufer" sei. Außerdem wirkt er sehr religiös. Dominicus stand wohl auch längere Zeit nicht bei seinem Regiment, ging seinem zivilen Beruf nach und blieb erst mit Ausbruch des Siebenjährigen Krieges dauerhaft bei der Armee.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein typischer Tag eines französischen Soldaten um 1792 lässt sich durch das oben genannte Reglement recht gut nachvollziehen.*

7 Uhr (1. Oktober bis 1. April) bzw. 6 Uhr Morgen=Wirbel, wenn der Kommandant des Korps es wünscht auch schon früher.
Danach findet ein Morgen=Appell statt, wobei die Korporäle die Namen der Soldaten ihrer Korporalschaften/Escouades ablesen und verzeichneten, wer nicht anwesend war.
Danach wurden die Kammern, Gänge und Treppen geputzt, sich angezogen etc..
Währenddessen wurde von Rang zu Rang aufwärts Rapport abgestattet bis hin zum Oberst. (Das spar ich mir im Detail, weil es ja hier vornehmlich um die Soldaten gehen soll.)
Um 10 Uhr verkündete die Trommel, dass es Zeit zum Essen der Suppe war.
Um 11:15 sollten die Soldaten, die auf Wache ziehen mussten, von den Feldwebeln (Sergeant-Majors) versammelt werden.
Um 16 Uhr (1. Oktober bis 1. April) bzw. 17 Uhr wurde die Abendsuppe gegessen.
Zu einer vom Kommandanten festgelegten Stunde wurde der Zapfenstreich durch die Trommelschläger des Regiments verkündet.
Etwa eine halbe Stunde später sollte der Abend=Appell stattfinden, wobei die Sergeants die Namen der Soldaten, die ihnen unterstanden ablesen sollten (im Prinzip also wie der Morgen=Appell).
Dann wurden die Quartiere zugeschlossen, nach dem Abend=Appell sollte kein Soldat mehr ohne triftigen dienstlichen Grund das Quartier verlassen.
Danach zeigte die Trommel an, dass alle Lichter und Feuer in den Quartieren auszulöschen waren.

Da am Sonntag regelmäßig die Inspektion der Regimenter abgehalten werden sollte, waren die Samstage zum Reinigen und Ausbessern der Montierung, der Kleidung, Waffen etc. und der Säuberung der Betten, Tische und Bänke bestimmt.

Recht ähnlich wie in einer Kaserne sollten sich die Truppen auch verhalten, wenn sie bei Bürgern einquartiert waren, auch wenn sich in dem Falle nicht alle Einzelheiten umsetzen ließen. Beispielsweise sollte darauf geachtet werden, dass auch dann die Verteilung der Soldaten auf die Quartiere entsprechend der Schlachtordnung erfolgen sollte.

Zwischen dem 1. Oktober und 1. Mai sollte es auch für die Soldaten einen Schulunterricht geben, welcher im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichten sollte. 2 Unteroffiziere (Sergeants) sollten als Lehrmeister dienen, die scheinbar nach Qualifikation ausgewählt und auch belohnt werden sollten.
Daneben wurde anbefohlen, Fecht- und Tanzböden einzurichten.



Ganz interessant finde ich den Versuch durch Schulen und Fecht- und Tanzböden offenbar der leicht einschleichenden Langeweile der Garnisonstruppen entgegen zu wirken. Zwischen den beiden Mahlzeiten sehe ich für die Soldaten, welche nicht gerade auf Wache gezogen waren, als Polizeiwache oder ähnliches Dienst taten, kaum Beschäftigungen - die Samstage und Sonntage ausgenommen (wer weiß wie lange eine Muskete braucht bis sie geputzt ist, kann das ungefähr erahnen, wie ausgelastet die Soldaten da waren). Da im Sommerhalbjahr Übungen, Manöver etc. anstanden, scheint man in der Zeit die Schule ausgesetzt zu haben. Da auf dem Friedensfuß recht oft Soldaten die Möglichkeit des Erwerbs entsprechend ihrer Profession nutzten, gab es auch im Reglement für das Exerzieren den Ratschlag einfach die Linie (also von 3 auf 2 Glieder) auszudünnen, damit man dennoch die übliche Breite der Peletons etc. erreichte. Besonders schwierig war ja das Schwenken usw. so lang gezogener Linien, was besonders trainiert werden musste.

Die Soldaten, welche als Handwerker bspw. in der Stadt arbeiteten, sollten dazu übrigens nicht ihre Uniformen tragen. Dafür hatten sie an ihren Kitteln oder Jacken (?) Aufschläge oder dgl. in den Farben ihres Regiments anzubringen. Die Uniformröcke selbst sollten so viel es ging geschont werden, da die Uniformen nur alle 2 Jahre ersetzt wurden, und auch das offenbar nur in guten Zeiten.

*
"Reglement für den Dienst in Garnison, für die Polizey und Mannszucht der Infanterie" vom 24. Juni 1792, Straßburg, bei Levrault
 
Ganz interessant finde ich den Versuch durch Schulen und Fecht- und Tanzböden offenbar der leicht einschleichenden Langeweile der Garnisonstruppen entgegen zu wirken.
Das gab es wirklich? Es gibt ja im DHM ein französisches Rekrutierungsplakat von 1762 auf dem mit Tanz-, Fecht- und Reitunterricht geworben wird. War dann wohl doch keine Lügengeschichte um leichtgläubige Rekruten zu fangen. Bin überrascht. :D In anderen Armeen dürften Fecht- und Tanzböden eher Seltenheitswert haben.
 
Das gab es wirklich? Es gibt ja im DHM ein französisches Rekrutierungsplakat von 1762 auf dem mit Tanz-, Fecht- und Reitunterricht geworben wird. War dann wohl doch keine Lügengeschichte um leichtgläubige Rekruten zu fangen. Bin überrascht. In anderen Armeen dürften Fecht- und Tanzböden eher Seltenheitswert haben.
Scheinbar war das regulär von oberster Stelle so vorgesehen.

Zumindest das Fechten hatte ja eine halbwegs praktische Bedeutung als Leibesertüchtigung; Übungen für Händel oder Duelle sollten das sicher nicht sein. Mich würde interessieren, ob der Unterricht, dann nur den Grenadieren oder auch den Füselieren erteilt wurde. 1792 hatten ja nur noch die Grenadiere und Chasseurs bei den Linienregimentern Säbel.

Ich weiß nicht wie es in anderen Armeen war. Aber man sieht auf den Abbildungen von Suhr, leider nach 1800, welche Spanische Truppen in Hamburg zeigen, dass viele Soldaten Instrumente dabei hatten. Ich glaube auch schon ein paar Bilder mit tanzenden, vergnügten Soldaten gesehen zu haben, welche eher normales Lagerleben und nicht ein Ideal darstellten. Neben Tänzen gab es auch bestimmte Spiele, welche sehr üblich waren, womit ich nicht Würfel oder Kartenspiele sondern eher sportliche Spiele meine.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehr wichtig sind Tätigkeiten für das Regiment, z.B. Uniformen ausbessern oder herstellen, und für Bürger und Einwohner der Garnisonsstadt.

Da Neddy ja die guten alten Preußen ansprach: Bei denen war es inbesondere wichtig, einen großen Teil der Mannschaften als Arbeitskräfte an Gutshöfe etc. auszuleihen (und dafür zu kassieren), oder sie zu "Freiwachen" zu erklären, was bedeutete, dass sie sehen konnten, wie sie ohne Dienst und Sold überlebten, obwohl sie weiterhin Soldaten waren, Uniform tragen und im Falle eines Falles zur Truppe zurückkehren mussten. Alles im Rahmen der Kompaniewirtschaft, deren Hauptaugenmerk darauf lag, dem Kompaniechef nicht verarmen zu lassen...

Kompaniewirtschaft ? Wikipedia
 
Da Neddy ja die guten alten Preußen ansprach: Bei denen war es inbesondere wichtig, einen großen Teil der Mannschaften als Arbeitskräfte an Gutshöfe etc. auszuleihen (und dafür zu kassieren), oder sie zu "Freiwachen" zu erklären, was bedeutete, dass sie sehen konnten, wie sie ohne Dienst und Sold überlebten, obwohl sie weiterhin Soldaten waren, Uniform tragen und im Falle eines Falles zur Truppe zurückkehren mussten. Alles im Rahmen der Kompaniewirtschaft, deren Hauptaugenmerk darauf lag, dem Kompaniechef nicht verarmen zu lassen...
Dazu habe ich mal eine Frage. Auf den Landgütern brauchte man wohl v.a. im Sommer die Arbeitskräfte. Andererseits waren aber auch gerade im Sommer die großen Paraden z.B. in der Nähe von Berlin, die entweder den Alliierten imponieren sollten oder aber auch geheim gehalten wurden. Das scheint unterschiedlich gewesen zu sein.

Natürlich wirkten bei diesen Ereignissen nicht wie bei den beiden berühmten Lagern Friedrich August I. von Sachsen gleich nahezu die gesamte Armee mit.

Kam dann so mancher Befehlshaber in Schwierigkeiten bei Manövern, wenn er seine Freiwachen nicht rechtzeitig wieder zur Hand hatte? (Hm, andererseits, waren die Manöver und die dafür vorgesehenen Truppen freilich von langer Hand geplant.)
 
[...]
Ich weiß nicht wie es in anderen Armeen war. Aber man sieht auf den Abbildungen von Suhr, leider nach 1800, welche Spanische Truppen in Hamburg zeigen, dass viele Soldaten Instrumente dabei hatten. Ich glaube auch schon ein paar Bilder mit tanzenden, vergnügten Soldaten gesehen zu haben, welche eher normales Lagerleben und nicht ein Ideal darstellten. Neben Tänzen gab es auch bestimmte Spiele, welche sehr üblich waren, womit ich nicht Würfel oder Kartenspiele sondern eher sportliche Spiele meine.


Ähnliche Darstellungen gibt es auch im britischen Raum, auch von vor 1800. So weit ich das auf der mir vorliegenden Abbildung einschätzen kann, handelt es sich bei den mitgebrachten Instrumenten in erster Linie um diejenigen die in der "Militärmusik" üblich waren, womit ich um genau zu sein Trommeln und Pfeifen/Flöten meine.

Im groben Überblick der Zeichnungen und Stiche die ich gerade vorliegen habe (die Bilder gehören mir nicht, scannen ist mir gerade unmöglich) finde ich es interessant, daß bei der Darstellung domestischer Szenen, in Garnison sowohl als auch im Lager, öfter Soldaten abgebildet sind, die kleine Kinder herumtragen, während die Frauen anderweitig beschäftigt sind. Vergleichbare Bilder aus dem zivilen Leben sind mir noch nicht bewusst aufgefallen. Aber es bringt mich zu einer Frage, die dir @ Brissotin hoffentlich nicht zu OT ist. Falls ja, stelle ich sie gerne im entsprechenden Thread.

Bei meinem kurzen Abstecher in diese Darstellungen, bin ich über die Information gestolpert, daß bis ins 19. Jahrhundert die britische Armee keine Quartiere für Familien bereitstellte. Heiraten wurde ohnehin nicht gerne gesehen, aber wie sah das auf dem Festland aus? Wurden da Unterschiede gemacht?

Wie gesagt: Falls das zu OT ist, suche ich den entsprechenden Thread heraus und stelle dir Frage dort. :winke:
 
Heiraten wurde ohnehin nicht gerne gesehen, aber wie sah das auf dem Festland aus? Wurden da Unterschiede gemacht?
Eigentlich waren Ehen nicht gern gesehen, was aber nicht heißt, dass es keine gab.
Quasi turnusmäßig wurde versucht den Tross um weiblichen Anhang und Kinder zu reduzieren.
Leider habe ich dazu auch momentan das Buch nicht vorliegend, aber ich weiß noch, dass man im 1. Koalitionskrieg offenbar viele (für die Generäle zuviele) Frauen mitschleppte.

In den Kasernen waren Unterkünfte für die Frauen nicht vorgsehen wie mir scheint. Auf der anderen Seite: Warum sollte man etwas einplanen, was es offiziell nicht zu geben hatte. Wenn man sich den straffen Plan, den ich oben beschrieb anschaut und sich vor Augen führt, dass ausschließlich Soldaten und Korporäle in den Kammern zu sein hatten, und es obendrein sowas wie Strafen bei Nichtanwesenheit bei der Suppe etc. gab, fragt es sich, wie man in den engen Rahmen ein Familienleben unterbringen konnte.
 
Eigentlich waren Ehen nicht gern gesehen, was aber nicht heißt, dass es keine gab.
Quasi turnusmäßig wurde versucht den Tross um weiblichen Anhang und Kinder zu reduzieren.
Leider habe ich dazu auch momentan das Buch nicht vorliegend, aber ich weiß noch, dass man im 1. Koalitionskrieg offenbar viele (für die Generäle zuviele) Frauen mitschleppte.
Ich bin heute im aktuellen "Afaktor" im Artikel von Gabriele Mendella, den ich für einen profunden Kenner zur franz. Infanterie dieser Zeit halte, auf ein paar Aussagen dazu gestoßen. Beim Regiment Garde-Françaises wurden Ehen häufiger als bei den Linienregimentern zugelassen. Außerdem hatte das Regiment abgesehen von den Wachdiensten und Polizeiaufgaben in Paris einen vergleichsweise leichten Dienst, was begünstigte, dass die Soldaten nach Dienstschluss einer Nebenerwerbstätigkeit nachgehen konnten. *
Wie man sich das genau vorstellen darf und wie das z.B. mit dem Ein- und Ausgang in den Kasernen geregelt war, würde mich noch interessieren.

* "Afaktor", Ausgabe 3/2011, Gabriele Mendella: "Gardes-Françoises - Au service du roi" S. 44
 
Als ersten Impuls und authentischen Einblick in die Materie ist dabei auch das Drama "Woyzeck" von Georg Büchner empfehlenswert - gerne aber auch die Verfilmung von Werner Herzog dazu.
Hier wird der Arbeitsalltag des Soldaten Woyzeck sehr gut dargestellt. Woyzeck ist im Dienst des Großherzogtums Hessen-Darmstadt im frühen 19. Jh. und wird als solcher vom Hauptmann drangsaliert. Obwohl es Deinen angesetzten Zeitraum nicht trifft, wird man wohl auch während der Zeit des Deutschen Bundes Hessen-Darmstadt als absolutistisch bezeichnen können.
 
Der britische Raum ist ebenso willkommen wie Frankreich oder Deutschland. :)


Was den Alltag von Soldaten des 18. Jahrhunderts betrifft, so gibt dieses Werk darüber eine Menge von Informationen.

Stephan Schwenke:Die gezähmte Bellona? Bürger und Soldaten in den hessischen Festungs- und Garnisonsstädten Marburg und Ziegenhain im 17. und 18. Jahrhundert.


Schwenkes Arbeit wurde in einigen Rezensionen verrisssen, und es wurde moniert, der Autor habe seine Ausgangsthesen und Fragen nicht entschieden genug verfolgt. Ich habe das Buch aber trotzdem mit Vergnügen gelesen, nicht nur deshalb, weil ich beide Städte gut kenne. Der verfasser hat viele Archivalien verarbeitet, die doch eine ganze Reihe von Schlaglichtern auf alltags- und sozialgeschichtliche Verhältnisse in einer Garnisonsstadt werfen.

Der Aufenthalt in der Universitätsstadt Marburg muss jedenfalls weitaus angenehmer gewesen sein, als in der Wasserfestung Ziegenhain, die seit 1777 als Rekrutendepot für die "Hessians" diente.

In Ziegenhain, wo auch das Staatsarchiv und zeitweise auch der Staatsschatz untergebracht war, gab es keine Kaserne, und man brachte die Soldaten bei privaten Quartierwirten unter. Das mochte bei normaler Besatzung noch funktionieren, wurde aber zu einer erheblichen Belastung für Soldaten und Bürger, als dann 600- 700 rekruten in Ziegenhain stationiert wurden, bei denen es sich nicht um "Landeskinder", sondern "geworbene Ausländer" handelte, denen die Offiziere nicht so recht trauten und von denen der Festungskommandant von Gohr sagte:

Es fällt schwer, mit wenigen Unterofficiers Ordnung unter so vielen bösen Kerls zu halten."


Die "bösen Kerls" hatten sich auch noch "liederliche Frauenzimmer" und "Beyhalterinnen" mitgebracht, die das Sittenleben in der hessischen Provinz gefährdeten, was immer wieder den Metropolitan und den 2. Pfarrer zu Beschwerden veranlasste.

Um den "bösen Kerls" die Flucht zu erschweren, war Ziegenhain mit 2 Wassergräben bestens geeignet, und nachdem im Winter 1777 drei Deserteure im Wallgraben ertranken, ordnete von Gohr an, dass die Gräben täglich enteist werden mussten. Die Festung verfügte eigens dafür über einen Eisbrecher, der getreidelt werden musste. Dafür Hand- und Spanndienste leisten zu müssen, war natürlich besonders unbeliebt, obwohl von Gohr mit gutem Beispiel voran ging und seine reitpferde dafür zur Verfügung stellte.

Ein Zeitzeuge, der selbst 1781 in Ziegenhain stationiert war, war übrigens Gottfried Seume, der Ziegenhain "ein teufelsnest" nannte, wo vormals eine Öffnung zum Styx gewesen sein muss".

Seume wusste auch von einer Meuterei zu berichten, bei dem ihm das Kommando angetragen wurde. Lange war man unsicher, ob es sich dabei um eine tatsächliches Ereignis handelte.

Tatsächlich fassten Rekruten den Entschluss für einen kühnen Ausbruch. Es sollte die ganze Garnison gemeinsam ausbrechen, nachdem man die Unteroffiziere durch einen Schlaftrunk ausschalten wollte.

Es war aber schon damals schwer, dort etwas geheim zu halten, und eines Tages schnappte ein Fähnrich ein Gerücht auf, das der landgräfliche Hoffischer erzählt hatte. Darauf hin ließ von Gohr die Prinz Carl Dragoner mobilisieren und eine Kanone vor das Lüdertor stellen, worauf die Verschwörer den Plan aussetzten. der Plan war verraten, man wusste nur noch nicht, wer die Rädelsführer waren.

Bei diesen handelte es sich um zwei junge Männer, ein Sachse und ein Brandenburger, der eine Sohn eines Försters, der andere Sohn eines Pfarrers, die sich offenbar aus Abenteuerlust von den hessischen Werbern blenden ließen. Als einer einen Kassiber in das Schloss schmuggeln wollte, hatte man sie.

Der reformierte 2. Pfarrer bereitete die lutheranischen Delinquenten auf den Tod vor, vor der Hauptwache auf dem Paradeplatz wurde ein Galgen aufgebaut, und das Urteil war bereits aus Kassel bestätigt. Doch in letzter Minute kam das Pardon des Landgrafen, es handelte sich um eine Scheinhinrichtung, und mit dieser Inszenierung war der Widerstand gebrochen.

Die "bösen Kerls" ruckten nach Amerika ab und wurden durch andere ersetzt, denen man noch weniger traute, aber der Krieg in Amerika war ohnehin verloren.
 
Die armen Jungs in Ziegenhayn werden ein hundsmiserables Leben
gehabt haben.Weiber und Suff selten,aber harter Drill ständig.
Da ich selbst mal Zeit in einer Kaserne gelebt habe,kann ich es
ihnen nachfühlen.
Immerhin hatten sie das Glück nach Ihrem Abgang nach Amerika zu
einer der bestbezahlten Söldnertruppen aller Zeiten zu gehören.

@Reinecke
Nun hacke mal nicht so auf den alten Preussen herum.Was Du da
beschreibst ist das Kantonalsystem.Für die Stadtbevölkerung gab es
beim Einziehen viele Ausnahmen.Von den Einheimischen wurde also
ohnehin in erster Linie die Landbevölkerung eingezogen.Diese bekamen
schon als Kinder einen Püschel,der anzeigte zu welchen Regiment
sie gehören werden.Ich habe den Verdacht,das sie stolz darauf waren.
Die Uniform bakam man alle 2 Jahre neu.So etwas Gutes zum anziehen
hätte man selbst nie gekauft.Die Lebensdauer der Textilien lag deutlich
über 2 Jahren.Deshalb hat sich der Rock des Königs zu einer Volkstracht
entwickelt(bei den Männern)
 
Die Uniform bakam man alle 2 Jahre neu.So etwas Gutes zum anziehen
hätte man selbst nie gekauft.Die Lebensdauer der Textilien lag deutlich
über 2 Jahren.Deshalb hat sich der Rock des Königs zu einer Volkstracht
entwickelt(bei den Männern)
Ich dachte immer, die bekam man jedes Jahr neu:grübel:. Die armen Preußen waren ja so sparsam, dass sie ihren Soldaten nichtmal Ärmelwesten gönnten und sie diese daher immer im Rock, außer vielleicht bei harter Festungsarbeit, rumrennen lassen mussten.

Zu der Qualität der preußischen Stoffe habe ich unterschiedliche Aussagen gelesen. Wenn ich die Originale aus Paris und Berlin vergleiche, die im Musée d'Armée bzw. DHM ausgestellt sind, fiel mir schon auf, dass die französischen Uniformen besser verarbeitet und aus besserem Tuch gemacht waren. Dafür gab es diese aber nur alle 2 Jahre neu.
 
Die armen Jungs in Ziegenhayn werden ein hundsmiserables Leben
gehabt haben.Weiber und Suff selten,aber harter Drill ständig.
Da ich selbst mal Zeit in einer Kaserne gelebt habe,kann ich es
ihnen nachfühlen.
Immerhin hatten sie das Glück nach Ihrem Abgang nach Amerika zu
einer der bestbezahlten Söldnertruppen aller Zeiten zu gehören.

@Reinecke
Nun hacke mal nicht so auf den alten Preussen herum.Was Du da
beschreibst ist das Kantonalsystem.Für die Stadtbevölkerung gab es
beim Einziehen viele Ausnahmen.Von den Einheimischen wurde also
ohnehin in erster Linie die Landbevölkerung eingezogen.Diese bekamen
schon als Kinder einen Püschel,der anzeigte zu welchen Regiment
sie gehören werden.Ich habe den Verdacht,das sie stolz darauf waren.
Die Uniform bakam man alle 2 Jahre neu.So etwas Gutes zum anziehen
hätte man selbst nie gekauft.Die Lebensdauer der Textilien lag deutlich
über 2 Jahren.Deshalb hat sich der Rock des Königs zu einer Volkstracht
entwickelt(bei den Männern)

Das Kantonatssystem führte Friedrich II. von Hessen nach dem siebenjährigen Krieg auch in Hessen- Kassel ein, doch schon sein Großvater Karl, der erstmals ein stehendes Heer aufstellte, bemühte sich, Landeskinder zu rekrutieren.

Von den Belastungen der Einquartierungen waren Universitätsbedienste und Hugenotten befreit. In Ziegenhain existierte übrigens neben den Garnisonstruppen eine Art Bürgermiliz, aus dem ein Schützenverein entstand. Diese Bürgerschützen bewährten sich im 30 Jährigen Krieg, als Tillys Kroaten Hessen verheerten.

Während die Garnison die Festung halten musste, schlossen sich die Bürgerschützen den sächsisch- weimarischen Truppen unter Reinhold von Rosen an, das durch ein französisches Bataillon verstärkt wurde.

Ihnen standen kaiserliche und bayrische Truppen unter Hans Rudolf von Breda und Franz von Mercy gegenüber. Bei einem Scharmützel nahe Riebelsdorf schlichen sich die Bürgerschützen unter ihrem Hauptmann Valentin Muhly in den Rücken von Bredas Gefechtsstand, und es wurde von Breda durch einen Schuss getötet, der lokalen Überlieferung nach von eben diesem Velten Muhly, der bereits ca 70 Jahre alt war und ein Metzger war.

Nachfahren dieses Lokalhelden lebten noch im 18. Jahrhundert in Ziegenhain, und es erließ ihnen der Landgraf wegen des verdienstes ihres Vorfahren Wachdienste und Einquartierungen. Beim traditionellen Königsschießen der Bürgerschützen winkte neben Sachpreisen auch die Befreiung von Einquartierung.
 
@Brissotin
Wie oft bekamen die Preussen eine neue Uniform?Ich hatte das
aus der Erinnerung an meine Quelle.Das war aber wohl nicht der
Katalog zur Preussen-Ausstellung von 81 ,wie ich dachte,
sondern ein altes Damals-Exemplar.Das ist auf dem Altpapier gelandet,
deshalb kann es gut sein,das ich mich geirrt habe.

Die Qualität der Uniformen wird ja nicht an frz gemessen,sondern
an dem was ein einfacher Mann ansonsten für sich erwerben kann.
Als Freiwächter war man ja ohnehin verplichtet ständig ein Uniformteil
zu tragen.Falls nicht,so galt das u.U.schon als Desertion.
 
1.
@Brissotin
Wie oft bekamen die Preussen eine neue Uniform?Ich hatte das
aus der Erinnerung an meine Quelle.Das war aber wohl nicht der
Katalog zur Preussen-Ausstellung von 81 ,wie ich dachte,
sondern ein altes Damals-Exemplar.Das ist auf dem Altpapier gelandet,
deshalb kann es gut sein,das ich mich geirrt habe.

2.
Die Qualität der Uniformen wird ja nicht an frz gemessen,sondern
an dem was ein einfacher Mann ansonsten für sich erwerben kann.
Als Freiwächter war man ja ohnehin verplichtet ständig ein Uniformteil
zu tragen.Falls nicht,so galt das u.U.schon als Desertion.

1.
Hierzu:
"... weil man in Preußen den Überschuß an produzierter Wolle ab 1724 jedes Jahr zur Neumontierung der Armee verwendete; wiederum einmalig in Europa. Die alte, noch wenig abgenützte Uniform durfte der Soldat verkaufen oder von Familienangehörigen tragen lassen."
*
Bis jetzt kenne ich das auch nicht anders. Die Uniform alle zwei Jahre, wäre ja auch nichts besonderes.

2.
Und wie willst Du das messen? Also ich kenne keine originale Männerkleidung der Unterschicht aus Preußen aus dem 18.Jh.. Kennst Du welche?
Was wir haben, sind in der Regel nur Landesbeschreibungen, worin das Metrial der Kleidung erwähnt wird. Die Bauern trugen als Oberbekleidung im größten Teil Deutschlands neben Leinen auch Wolltuch.

* Siegfried Fiedler: "Taktik und Strategie der Kabinettskriege 1650-1792"
Weltbild-Verlag, Augsburg, 2005
S. 111
 
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