Politischer "Wankelmut" und die unterschiedliche Bewertung

Brissotin

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Durch den Film "The King's whore" habe ich mich mal ein bisschen mit Vittorio Amedeus II. von Savoyen beschäftigt. Dabei ist mir aufgefallen, dass außenpolitischer Wankelmut doch sehr unterschiedlich von den Nachgeborenen wahrgenommen wird. Der Herzog von Savoyen ist mir vor allem durch Biographien zu Leopold I., Joseph I., Karl VI. oder Prinz Eugen bekannt, wo er meistens als Wendehals, dem man nicht trauen dürfe, schlecht wegkommt. Dass Savoyen in einer strategisch-topographisch schwierigen Lage war, wird vielleicht oft übersehen. Norditalien war das Aufmarschgebiet und der Kampfplatz für die Armeen der Habsburger und Valois bzw. dann Bourbonen über Jahrhunderte. Es war sicher schwierig sich in solch einer Position zwischen Hammer und Amboss überhaupt zu behaupten, ohne von einer der beiden Parteien geschluckt zu werden. Andererseits gab es zu Zeiten Vittorio Amedeus II. Verpflichtungen in beide Richtungen. Die Familienbande nach Frankreich nicht zuletzt auch über die Gattin des Herzogs waren recht eng. Auf der anderen Seite war Savoyen Teil des HRR und schon allein deswegen eine frankreichfreundliche Politik soetwas wie Verrat am Lehensgeber zumindest, wenn nicht gar am Reich.

Während Vittorio Amedeus recht schlecht wegkommt mit seiner Politik, vielleicht auch verschuldet durch seine zahlreichen Niederlagen im Neunjährigen Krieg (bzw. Krieg der Liga von Augsburg) und seiner nicht gerade brillanten Kriegsführung im Span. Erbfolgekrieg. Das Resultat war allerdings, dass unter ihm Savoyen als erste italienische Macht recht bedeutend wurde, die keinen Bourbonen oder Habsburger auf dem Thron hatte. Sizilien bzw. später Sardinien vergrößerten den Staat ganz erheblich.

Deutlich besser kommt meistens der Große Kurfürst in der Bewertung der Nachwelt weg, auch wenn er ähnlich oft wie sein Zeitgenosse in Savoyen in die Seiten wechselte. Mal mit Schweden gegen Polen, mal mit Polen gegen Schweden, mal gegen Frankreich, dann wieder mit Frankreich insgeheim verbündet. Günstig mag für F.W. ausgeschlagen haben, dass seine militärischen Operationen überwiegend erfolgreich waren. Den Vormarsch Brandenburgs an der Ostsee, sei es auch nur durch die Behauptung der Teile Pommerns, die 1648 an Brandenburg kamen, zählt sicherlich zu seinen Verdiensten.
Seltsamerweise wird sein außenpolitische deutlich konsequenterer Sohn Friedrich I., der eine erfolgreiche Territorialpolitik betrieb, negativer bewertet.
Ebenso wie beim Großen Kurfürst wird auch bei Friedrich II. die Wechselhaftigkeit in der Außenpolitik eher entschuldigt und das obwohl spätestens in den 1680ern Kurbrandenburg eine so starke Macht war, dass es eine zunehmend selbstbestimmtere Politik verfolgen konnte. Vom militärischen Potenzial her holte Preußen sicherlich Schweden bspw. spätestens während des Großen Nordischen Krieges ein, als sich die preußischen Truppen mit Bravour auf vielen Schlachtfeldern Europas schlugen.

Anders als bei Vittorio Amedeus war meines Erachtens die Lage Brandenburg-Preußens unter Friedrich Wilhelm d. Gr. Krfst. nicht ganz so ungünstig. Im Norden war Schweden letztlich ein Koloss auf thönernen Füßen, im Osten stieg ja Russland erst im späten 17.Jh. zur Großmacht und erst im Laufe des 18.Jh. zur konkreten Bedrohung auf. Polen hatte sich schon als Konkurrent im Baltikum erschöpft.
Vielleicht kommt der Große Kurfürst so gut weg, da man ihn vor allem mit dem schwachen Brandenburg seines Vorgängers vergleicht, als Brandenburg ein Spielball der Mächte war und der Kurfürst von seinem Kanzler dominiert wurde (eine Situation, die sich evtl. nochmals mit dem Gespann Kurfürst Friedrich-Dankelmann einstellte (?)).
 
Ist dir etwas bekannt, wie Vittorio Amadeo II. eigentlich außerhalb der deutschsprachigen Historiker wegkommt?

Sollte er da besser abschneiden, könnte es sein, dass die Beurteilungen mit "nationalen" Vorurteilen zu tun haben. Da hätten wir auf der einen Seite mit dem "Großen Kurfürsten" den "Deutschen", der sozusagen durch seine militärischen Siege zum erfolgreichen "Ahnherr" des Königsreichs Preußen wird, und auf der anderen Seite mit Vittorio Amadeo II. den "wankelmütigen" und "unzuverlässigen" "Italiener".
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Ein weiterer Aspekt, die vielleicht bei der Beurteilung von Vittorio Amadeo II. eine Rolle gespielt haben könnte:
Wie wird seine Familie allgemein beurteilt, und wie sieht es vor allem mit der Beurteilung von seinem Vorgänger und seinem Nachfolger bzw. seinem Vater und seinem Sohn / seinen Söhnen aus?
Immerhin gibt es genug historische Fälle, wo ein als erfolgreich geltender Vorgänger oder Vater bzw. Nachfolger oder Sohn sozusagen der Maßstab für eine "problematische" Beurteilung sein dürfte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich kenne den Herzog von Savoyen nur aus Quellen deutschsprachiger Autoren und obendrein nur aus älteren. Von daher bin ich auch ein bisschen vorsichtig.

Leider gibt es ja nur kaum Literatur zu dem Zeitschnitt. Wenn der Span. Erbf.krieg behandelt wird, dann oftmals eher aus Sicht Englands z.B. wegen Marlborough.
 
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