Body Snatcher - Leichendiebe

SRuehlow

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Im Empire des 19. Jahrhunderts war es per Gesetz verboten, als Medizinstudent, Arzt oder Anatom anderer Objekte zu untersuchen und zu sezieren, als Leichen von Hingerichteten, also von der Justiz in den Tod beförderte Verbrecher.
Dieses Gesetz sollte Leichenflederei und skrupellosen Umgang mit den toten Körpern unterbinden - doch genau das Gegenteil war der Fall. Die Body Snatcher, auf deutsch Leichendiebe, und Resurrection men hatten Hochkonjunktur. In England und Wales gab es im Jahr 1831 nur ganze 12 Leichen, die zur Sezierung freigegeben wurden, aber es wurden mehr als 1000 Leichen benötigt, um die steigende Nachfrage, vor allem an beschaulichem Lehrmaterial zu befriedigen.

In London lebte ca. dreiviertel der Bevölkerung unter der völligen Armutsgrenze. Nahrungsversorgung, vor allem mit frischem Obst und Gemüse, und sauberem Trinkwasser waren katastrophal. Die Armen gingen allen möglichen Alternativen nach, um sich das alltägliche Brot zu verdienen. Neben den schätzungsweise, über 80.000, Prostituierten gab es Berufe wie Hundekotsammler, Knochen- und Lumpensammler (Knochenleim), Rattenfänger für Tierkämpfe. Man hatte schnell herausbekommen, dass sich Mediziner nicht lumpen liesen und eine saftige Summe für eine "frische" Leiche bezahlte. Die meisten Body Snatcher gingen ihrer Arbeit auf Friedhöfen nach - sie stahlen die Leichen aus den Leichenhallen oder gruben sie des Nachts wieder aus ihren Gräbern aus. Oftmals waren die Friedhofswärter selbst in dieses Geschäft voll eingebunden, weshalb sie die Armen aus ihrem "Geschäft" vertrieben. Als der Bedarf an Leichen durch die Body Snatcher stieg und die medizinische Fachwelt Londons endlich dem Sezieren widmen konnte, wurde nicht mehr so genau nachgefragt, woher die Leichen kamen. In den Elendsvierteln Londons fiel es nicht auf, wenn ein Mensch verschwandt. Es gab tausende, die in den Kanalisationen lebten, vergleichbar heute noch. Wenn dort jemand getötet wurde, merkte niemand etwas.
1832 wurden drei Body Snatcher verhaftet - James May, John Bishop und Thomas Williams. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie vorsätzlich Morde begangen hätten, um so an Leichen zu kommen, die sie gewinnbringend an Anatomen, Perückenmacher oder Zahnärzte verschachert hätten. Bishop und Williams wurde ihre Tat an zwei Opfern nachgewiesen - einer unbekannten Frau und dem "Italian Boy", einem Jungen, der durch seine südländischen Züge allsbald das Stadtgespräch von London war, ebenso wie in der Presse. May wurde in die australische Strafkolonie geschickt - hingegen Bishop und Williams zu Tode durch Erhängen verurteilt wurden. Eine interessante Anekdote hierbei wäre, dass Bishop, in seiner Gefängniszelle gesagt haben soll, dass er vollkommen schuldig sei und den Tod verdiene, sich gleich das Knick brach und Williams erst nach mehreren Minuten und nachdem sich der Scharfrichter an seinen Körper hängte, den Lebensodem ausgehaucht hatte. Williams hatte mehrfach beteuert unschuldig zu sein.
Nach diesem Rummel wurde am 11. Mai 1832 ein neues Gesetz erlassen, dass es Anatomen erlaubte Leichen zu sezieren, die nicht von Verwandten in irgendeiner Form beansprucht wurden, z.B. zur Beerdigung.
 
Das Thema wurde natürlich auch von der Filmindustrie aufgenommen.

1945 wurde in den USA ein Film namens "Bodysnatcher" gedreht, der hierzulande unter dem Namen "Der Leichendieb" lief. Hauptrollen:; Boris Karloff und Bela Lugosi.

Der Inhalt: Im Auftrag des angesehenen Arztes Mac Farlane gräbt der Kutscher Gray des nachts frische Leichen zu Sezierzwecken aus. Doch Gray übertreibt ein wenig mit seinem Job und liefert mehr Leichen als der Doc verarbeiten kann. Als diesem schwant, dass dem Tod seiner Präparate nachgeholfen sein könnte, kommt es zur Auseinandersetzung...

bodysnaz.jpg


Gruß

Jacobum
 
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Auch einer der berühmtesten Romane des Horror-Genres, "Frankenstein" beruht zu einem Teil auf das Wesen der Leichenräuber.

Der Arzt Dr. Frankenstein fertigt aus Leichenteilen ein Monster, das er sogar zum Leben erwecken kann, das seiner Kontrolle jedoch entgleitet.

Als Mary Shelley 1819 diesen Roman verfasste, war das Thema "body snatcher" anscheinend gar nicht so ungewöhnlich.

Jacobum
 
Nein, das glaube ich auch nicht, dass das zu Zeiten von Mary Shelley so ungewöhnlich war und auch nicht nur, dass dieses "Verbrechen" in England alleine stattfand. Im Laufe der Geschichte der Medizin oder besser gesagt in dem Zeitabschnitt, der von der Kirche versucht wurde zu kontollieren, war es ja bekanntlich verboten, dass man anatomische Studien an Leichen vornahm. Die menschliche Anatomie wurde mit denen der Schweine auf eine Stufe gestellt und daran durften sich Anatomen, Ärzte und Studenten lehren lassen, wie der Mensch funktioniert. Da Vinci war ja auch bekannt dafür, dass er Leichen illegal sezierte. Man findet überall Body Snatcher, ja man könnte sagen, dass es sie eigentlich nur gab, weil die Gesetze, Kirche und Gesellschaft die Medizin zwang, auf kriminelle Art und Weise Anatomie zu betreiben.
Was interessant wäre als Fragestellung: Wenn man Body Snatcher mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen zahlen lies, was mussten Ärzte und Anatomen fürchten? Entzog man ihnen die Lizenz oder wurden sie aus der Ärzteschaft ausgeschlossen und mussten als Wundarzt auf Jahrmärkten ihren Beruf ausüben?
 
SRuehlow schrieb:
Wenn man Body Snatcher mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen zahlen lies, was mussten Ärzte und Anatomen fürchten? Entzog man ihnen die Lizenz oder wurden sie aus der Ärzteschaft ausgeschlossen und mussten als Wundarzt auf Jahrmärkten ihren Beruf ausüben?


Gute Frage. Ich kann mir vorstellen, dass es damals schon so etwas wie eine standesärztliche Vereinigung gegeben hat, wo auch klar festgelegt war, was ein Arzt darf und was nicht. Bei solchen Verfehlungen müsste es dann einen Ausschluss gegeben haben, was einem Berufsverbot gleichkam. Ist aber nur eine Vermutung meinerseits; wie das zur Zeit Mary Shelleys war, ist mir auch nicht bekannt.


PS: So ganz nebenbei wäre es interessant zu wissen, wie lange Wundärzte auf Jahrmärkten aufgetreten sind. Ob es das um und nach 1820 noch gegeben hat? (Irgendwie verbinde ich das eher mit Mittelalter und früher Neuzeit, vielleicht bis in die Zeit um 1700.)


Gruß

Jacobum
 
Jacobum schrieb:
PS: So ganz nebenbei wäre es interessant zu wissen, wie lange Wundärzte auf Jahrmärkten aufgetreten sind. Ob es das um und nach 1820 noch gegeben hat? (Irgendwie verbinde ich das eher mit Mittelalter und früher Neuzeit, vielleicht bis in die Zeit um 1700.)

Tatsächlich ist das gar nicht so einfach, da es ja in Europa verschiedenste Meinungen in verschiedensten Ländern dazu gegeben hat. Ich habe gestern Abend mal ein wenig recherchiert und mein Wohnzimmer zum Leidwesen meiner Freundin für Deine Frage auf den Kopf gestellt, da ich mich erinnerte, dass ich mal sowas wie eine Quelle zu dieser Frage besessen habe. Ich muss aber sagen, dass leider einiges über Chirurgen herausgekommen ist, nicht aber über Internisten, aber diese Einteilung ist eher modern. In der früheren Zeit unterschied man da nicht so stark. Also hier die Ausbeute des gestrigen Abends:

Deutschland: In Preussen gab es im Januar 1716 einen königlichen Erlass von König Friedrich Wilhelm, in dem er schrieb: [...] dass diejenigen Marktschreyer oder so genannten Quacksalber, welche von Unserem Collegio Medico nicht examiniert und darüber ein glaubwürdiges Attestatum im Original nicht aufzuweisen haben, auf den Jahrmärkten gar nicht zugelassen sind. [...] diejenigen aber, so dergleichen Attesttatum und Concesdicamenta vorzuweisen haben, dennoch keinen Jean Potagen und Pickelhering (Typen auf der Komödiantenbühne, ähnlich dem Hanswurst) aufstellen, sondern ohne dergleichen Narrenteidingen ihre Arzneyen verkaufen sollen. [...]
Trotzdem war es undenkbar, dass die Bevölkerung gänzlich von Studierten medizinisch versorgt werden sollten. Eine preussische Statistik aus dem Jahre 1850 belegt, dass auf einen universitären Arzt ein Bevölkerungsverhältnis 4600:1 kam, aber auf einen Wundarzt nur 3000:1. Wundärzte gingen wie die Barbiere und Wundscherer in die Lehre und verdienten ihren Lebensunterhalt meist auf dem Land. Oftmals hatten sie mehrere Berufe, wie Wirt oder Bauer.
Im Königreich Würtemberg gab es um 1830 neun verschiedene Arten von Wundärzten, mit ettlichen Untergruppierungen, die alle unterschiedlichste Kenntnisse der medizinischen Ausbildung genossen hatten.
Das Königreich Bayern war da schon etwas fortschrittlicher: 1808 wurde dort das Organische Edikt über das Medicinalwesen erlassen, dass nur noch Medizinstudenten erlaubte, eine chirurgische Ausbildung zu erlangen. Trotzdem förderte es den Bau von Landarztschulen, um die medizinische Versorgung auf dem Land zu gewährleisten.

Frankreich: Im Dezember 1731 wurde die Académie Royale de Chirurgie gegründet, die 1743 einer medizinischen Fakultät gleich gesetzt wurde. Damit wurde ein klarer Trennstrich zwischen akademischen und handwerlichen Chirurgen gezogen. Wundärzte, Barbiere, Scherer und Bader sind somit keine anerkannten Ärzte. Sie stehen mit den "richtigen" Ärzten in hartem Konkurrenzkampf, werden aber mit Pfuschern und Quaksalbern auf eine Stufe gestellt.

Italien: Hier habe ich nicht wirklich viel gefunden. Im Jahre 1789 wird ein gewisser Alessandro Cagliostro (1743-1795) in Rom verhaftet und der Inquisition übergeben und ihm der Prozess gemacht. Er trat als Wundheiler auf den Märkten Italiens auf und bezeichnete sich als Sohn des letzten Herrschers von Trapezunt. Mit allerlei Schauspiel und Theater pries er seine Produkte an, die meist nur Durchfall verursachten.

England: Ein gewisser Dr. John Tylor operierte auf Jahrmärkten allerlei Augenkrankheiten, doch bevor der Patient die Augenbinde abnahm und feststellen konnte, dass es sich nun absolut verschlechtert hatte, war Tylor schon über alle Berge verschwunden. Seine Medikamente bestanden aus Erde und Vogelexkrementen und es ist nicht verwunderlich, dass ein leichtes Augenleiden sich in eine ausgewachsene Entzündung verwandelte.
 
ich muss mal ganz blöd fragen: ich hab letztens den medicus gelesen und frage mich seitdem, ob ie damals ersten "richtigen" chirurgen wirklich an islamischen fakultäten ausgebildet wurden und die meisten chirurgen juden waren, da es christen vorbehalten war, wahre chirurgie zu studieren????
ansonsten kann ich wahrscheinlich nicht so wissend antworten wie ihr, abr ich denke, zu der zeit(so übel es auch ist) war es einfach nötig sich leichen illegal zu beschaffen um sie sezieren zu können. heutzutage haben wir eine menge davon. widerlich finde ich nur leute, wie dieser... mist, name vergessen...leichenschau-typ der sich chinesische strafvollzugsopfer die den todesschuss bekamen "klaut" und sie dann quasi nackend darstellt. das finde ich pervers. und zur heutigen zeit völlig unnötig
 
cuisinekokee schrieb:
ich muss mal ganz blöd fragen: ich hab letztens den medicus gelesen und frage mich seitdem, ob die damals ersten "richtigen" chirurgen wirklich an islamischen fakultäten ausgebildet wurden und die meisten chirurgen juden waren, da es christen vorbehalten war, wahre chirurgie zu studieren????
Dazu haben wir einen netten Thread: Jüdische Ärzte
Es gibt aber auch den bekannten Bericht von Usama ibn Munqidh, einem Chronisten der Kreuzzüge, den man aber wohl nicht ganz wörtlich nehmen darf, obwohl man aber annehmen muss, dass seine Geschichten auch nicht ganz unwahr sind. Er berichtet von einem Kreuzfahrer mit einer Beinverletzung, die er selbst hätte heilen können, aber die tumben Kreuzfahrer hätten ihn als kulturlosen Muslim eben nicht an den Patienten heranlassen wollen, und das Bein lieber amputiert, mit der Folge, dass der Patient kurz darauf an Wundbrand starb.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, Gunther van Hagens... darüber könnte man einen eigenen Tread eröffnen, aber es passt ja hier hin: Im genaueren Sinne ist er auch ein Body Snatcher. Dies wird zumindest in der Ukraine und in China behauptet, da er sich dort besondere Leichen erschlichen hat, die für die anatomische Sammlung interessant sind.
Plastination-City in China ist eine ware Fließbandfabrik, was die Herstellung von anatomischen Modellen aus "Echt-Material" angeht, und jeder will´s besitzen und kaufen [Universitäten und Lehranstalten].

Interessant finde ich vor allem, dass Mister van Hagens gar keinen Doktortitel oder akademischen Grad besitzt, ihn sich aber gekauft hat... ein weiterer interessanter Tread: Titelkauf und die damit verbundenen Privilegien oder Der neue Adel: Gekaufte Größen... wie dem auch sei, der kleine Gunther war nur Pathologiehelfer...

Noch interssanter finde ich das neuste Projekt von ihm: Er sieht sich ja in der direkten Nachfolge der historischen Anatomen, daher auch der scheusliche Hut. Er spricht sich dafür aus, dass man wieder anatomische Lehrveranstaltungen einführen sollte, die in sogenannten anatomischen Theatern stattfinden. Das heißt, die Sektion einer Leiche kann von Hinz und Kunz und Jedermann für geringen Oblolus besucht werden, was die allgemeine Bildung laut van Hagens heben soll. Er hats in England versucht und ich glaube, dass die BBC darüber einen Artikel gedreht hat. Hier in Deutschland läuft meines Wissens nach ein Gerichtsprozess, da die deutschen Behörden mit dem Spektakel nicht einverstanden sind.
 
Meines Wissens hat von Hagens (nicht "van") ganz normal in Heidelberg promoviert. Ärger hatte er dagegen mit einem chinesischen Professorentitel, den er nicht als solchen gekennzeichnet hat.

Weiß jemand genaueres?
 
Jacobum schrieb:
Meines Wissens hat von Hagens (nicht "van") ganz normal in Heidelberg promoviert. Ärger hatte er dagegen mit einem chinesischen Professorentitel, den er nicht als solchen gekennzeichnet hat.

Weiß jemand genaueres?

Ich glaub, da könntest Du recht haben... habe mal schnell nachgegoogelt und das gleich festgestellt. Das mit dem Studium nehm ich sofort zurück... :pfeif:
 
Dazu haben wir einen netten Thread: Jüdische Ärzte
Es gibt aber auch den bekannten Bericht von Usama ibn Munqidh, einem Chronisten der Kreuzzüge, den man aber wohl nicht ganz wörtlich nehmen darf, obwohl man aber annehmen muss, dass seine Geschichten auch nicht ganz unwahr sind. Er berichtet von einem Kreuzfahrer mit einer Beinverletzung, die er selbst hätte heilen können, aber die tumben Kreuzfahrer hätten ihn als kulturlosen Muslim eben nicht an den Patienten heranlassen wollen, und das Bein lieber amputiert, mit der Folge, dass der Patient kurz darauf an Wundbrand starb.

ich danke dir:) tragisch ums bein... nun ja, wer so dumm ist und hilfe wegen religion ablehnt, vor allem in dem zeitalter. kulturlos sind die ja nun wirklich nicht! und nie gewesen. auch wenn sie heute nun wiklich nicht im besten licht dastehen.
 
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