Anfänge des Christentum

Wie wär's denn, wenn wir uns mal dem Thema zuwenden würden?

Es begann ja wohl mit der Entscheidung, dass die Taufe keine Beschneidung voraussetze. Dann kam die Gründung er ersten Gemeinde in Rom - wohlgemerkt nicht durch Paulus. Parallel dazu setzen die Missionsreisen des Paulus ein. Es folgt die Trennung von Synagoge und Christen. Paulus, selbst gebildeter Jude, äußert sich ausgesprochen bildungsfeindlich, indem er den Glauben der irdischen Weisheit entgegensetzt. Damit hat er aber keinen Erfolg, denn schon bald setzt die Auseinandersetzung mit der Philosophie der Zeit ein, und es beginnt die Propaganda, dass die christliche Lehre "die wahre Philosophie" sei.
Nur mal so als Einstieg.

Fingalo
 
fingalo schrieb:
Wie wär's denn, wenn wir uns mal dem Thema zuwenden würden?
Prima. Ich bin dabei!


fingalo schrieb:
Es begann ja wohl mit der Entscheidung, dass die Taufe keine Beschneidung voraussetze.
Das ist viel zu spät gegriffen. Es begann mit der Entscheidung einiger Juden, nach dem Kreuzestod einen Mann namens Jesus als Christus zu verherrlichen und diese Idee zu verkündigen, auch unter Nicht-Juden. Der Wegfall der obligatorischen Beschneidung ist eher eine zwingende Folgeerscheinung in der Trennung des Christentums vom Judentum


fingalo schrieb:
Damit hat er aber keinen Erfolg, denn schon bald setzt die Auseinandersetzung mit der Philosophie der Zeit ein, und es beginnt die Propaganda, dass die christliche Lehre "die wahre Philosophie" sei.
Vielleicht passt hier besser der Begriff von der Rezeption antiker, vor allem griechischer Philosophie und deren stetig erfolgende Anpassung an die entstehende christliche Theologie.


fingalo schrieb:
Dann kam die Gründung er ersten Gemeinde in Rom - wohlgemerkt nicht durch Paulus. Parallel dazu setzen die Missionsreisen des Paulus ein. Es folgt die Trennung von Synagoge und Christen. Paulus, selbst gebildeter Jude, äußert sich ausgesprochen bildungsfeindlich, indem er den Glauben der irdischen Weisheit entgegensetzt.
Deine Abneigung gegen Paulus ist ja fast schon legendär, mein lieber Fingalo. Ich denke, wir können das an dieser Stelle ausklammern, denn unsere Diskussion diesbezüglich haben wir schließlich schon geführt. ;)
 
Kirlon schrieb:
Deine Abneigung gegen Paulus ist ja fast schon legendär, mein lieber Fingalo. Ich denke, wir können das an dieser Stelle ausklammern, denn unsere Diskussion diesbezüglich haben wir schließlich schon geführt. ;)
Ich habe überhaupt keine Abneigung gegen Paulus. Er war ein genialer Theoretiker (reden konnte er nach eigener Einschätzung nicht). Ich kämpfe nur gegen das Vorurteil, dass eigentlich Paulus das frühe Christentum entscheidend geprägt habe. Das kann man allenfalls von seinen Entscheidungen und seiner Lebensweise sagen, nicht aber von seiner Theologie. Diese hat erst viel später ihre große Rolle gefunden mit Höhepunkt in der Reformation. Es fällt doch auf, dass der Briefwechsel zwischen Hieronymus und Augustinus, soweit er sich mit Paulus befasst, nicht seine Theologe behandelt, sondern die Frage, warum er Petrus angreift, weil er in Gegenwart von Judenchristen sich ans jüdische Gesetz hält, während er, Paulus, ja das gleiche getan habe, ob ihm hier also Heuchelei vorzuwerfen sei. Außerdem segeln in seinem Windschatten noch die Pseudopaulinen, die sich auch nicht mit der Theorie, sondern mit handfesten Fragen des täglichen Lebens befassen.
Die entscheidenden Entwicklungen in der Glaubenswelt der frühen Christen suche ich daher nicht bei Paulus, sondern bei der Entwicklung der Evangelientexte und dem allmählichen Ausscheiden der Apokryphen und der Festlegung des Kanons. Dort spielte anfänglich die Musik. Und ein Einfluss Pauli auf diesen Prozess ist nicht erkennbar - im Gegenteil, er interessiert sich offenbar um die Vita Jesu kaum, ihn interessieren nur die heilsgeschichtlichen Konsequenzen aus dem Kreuszestod. Ganz anders offenbar seine Zeitgenossen und die unmittelbar nachfolgende Generation, von denen wir so gut wie keine Überlieferung haben. Wir haben nur das Ergebnis ihrer Bemühungen, nämlich eine große Anzahl Lebensgeschichten Jesu, von denen am Ende 4 übrig bleiben. Die wollten was handfestes.
Auch in den folgenden christologischen Auseinandersetzungen (Doketen, Monophysiten, Arianer usw) steht nicht der Rückgriff auf die paulinischen theoretischen Schriften im Vordergrund.
Und welche Rolle nun Paulus in der Urkirche tatsächlich gespielt hat, gehört schon hierher. Ihm ist immerhin der Durchbruch zur Universalkirche zu verdanken.

Fingalo
 
fingalo schrieb:
Ich habe überhaupt keine Abneigung gegen Paulus. Er war ein genialer Theoretiker (reden konnte er nach eigener Einschätzung nicht). Ich kämpfe nur gegen das Vorurteil, dass eigentlich Paulus das frühe Christentum entscheidend geprägt habe. Das kann man allenfalls von seinen Entscheidungen und seiner Lebensweise sagen, nicht aber von seiner Theologie. Diese hat erst viel später ihre große Rolle gefunden mit Höhepunkt in der Reformation. Es fällt doch auf, dass der Briefwechsel zwischen Hieronymus und Augustinus, soweit er sich mit Paulus befasst, nicht seine Theologe behandelt, sondern die Frage, warum er Petrus angreift, weil er in Gegenwart von Judenchristen sich ans jüdische Gesetz hält, während er, Paulus, ja das gleiche getan habe, ob ihm hier also Heuchelei vorzuwerfen sei. Außerdem segeln in seinem Windschatten noch die Pseudopaulinen, die sich auch nicht mit der Theorie, sondern mit handfesten Fragen des täglichen Lebens befassen.
Die entscheidenden Entwicklungen in der Glaubenswelt der frühen Christen suche ich daher nicht bei Paulus, sondern bei der Entwicklung der Evangelientexte und dem allmählichen Ausscheiden der Apokryphen und der Festlegung des Kanons. Dort spielte anfänglich die Musik. Und ein Einfluss Pauli auf diesen Prozess ist nicht erkennbar - im Gegenteil, er interessiert sich offenbar um die Vita Jesu kaum, ihn interessieren nur die heilsgeschichtlichen Konsequenzen aus dem Kreuszestod. Ganz anders offenbar seine Zeitgenossen und die unmittelbar nachfolgende Generation, von denen wir so gut wie keine Überlieferung haben. Wir haben nur das Ergebnis ihrer Bemühungen, nämlich eine große Anzahl Lebensgeschichten Jesu, von denen am Ende 4 übrig bleiben. Die wollten was handfestes.
Auch in den folgenden christologischen Auseinandersetzungen (Doketen, Monophysiten, Arianer usw) steht nicht der Rückgriff auf die paulinischen theoretischen Schriften im Vordergrund.
Und welche Rolle nun Paulus in der Urkirche tatsächlich gespielt hat, gehört schon hierher. Ihm ist immerhin der Durchbruch zur Universalkirche zu verdanken.

Fingalo
Diese Argumentation kenne ich doch: Also sind wir wieder an der Stelle, an der wir beim letzten Mal aufgehört haben.
Du weißt, dass auch ich Paulus nicht in den Himmel hebe, aber meine Einschätzung von der Bedeutung seiner Theologie und seiner Person ist eben in entscheidenden Nuancen eine andere als die deine.

Ich möchte nicht den ganzen Paulus ausklammern, sondern nur ein Wiederaufleben unserer alten Diskussion verhindern, da mir das Unterfangen als sehr fruchtlos erscheint.

Ich schlage vor, wir machen an deiner letzten Aussage weiter; denn dass Paulus der "Durchbruch zur Universalkirche zu verdanken" ist, scheint unstrittig zu sein.
 
Kirlon schrieb:
Ich möchte nicht den ganzen Paulus ausklammern, sondern nur ein Wiederaufleben unserer alten Diskussion verhindern, da mir das Unterfangen als sehr fruchtlos erscheint.
Hoffentlich haben wir nicht noch mehr Differenzen, die wir alle ausklammern müssen, bis nichts mehr übrig bleibt.:(
Kirlon schrieb:
Ich schlage vor, wir machen an deiner letzten Aussage weiter; denn dass Paulus der "Durchbruch zur Universalkirche zu verdanken" ist, scheint unstrittig zu sein.
Da ist für mich schon Ende mit Paulus - zunächst mal.
Die Mission war schon damals von räumlichen Distanzen ziemlich unabhängig. Denn schon vor 56 n.Chr. bestand in Rom eine christliche Gemeinde, von der sich Paulus sogar nach Spanien entsenden lassen wollte (Röm 15, 24) Die Missionierung betraf zunächst die regionalen Ballungszentren (Palästina, Kleinasien) und die Knotenpunkte des Reiseverkehrs (Antiochien, Ephesus, Thessaloniki, Korinth, Rom), so dass sich großstädtische Schwerpunkte des Christentums bildeten. Eine Bedingung für die rasche Ausbreitung war eine überall zu verstehende Sprache, die Koine. Sie hatte damals die Bedeutung, die heute das Englische hat, war also nicht nur auf die Gebildeten beschränkt. Marseille war griechische Koloniegründung. Jüdische Grabinschriften im Westen bevorzugten die griechische Sprache. Auch die Schaffung der Septuaginta zeugt davon, dass das Griechische wahrscheinlich auch in synagogalem Gebrauch war.
Die Tatsache, dass alle in der Anfangszeit bekannten Schwerpunkte christlicher Mission auch eine Synagoge aufwiesen, wie die Archäologie gezeigt hat, legt es nahe, dass vor der Trennung von Christen und Synagoge die Missionare zunächst die örtliche Synagoge aufsuchten - schon wegen der gemeinsamen Tradition. Allerdings verschärfte die unterschiedliche Interpretation der Schriften die Spannungen, wie der Barnabas-Brief zeigt. Die Rezeption popularphilosophisch-skeptischer Götter- und Mythenkritik durch Juden wie Christen trug dazu bei, dass die Unterschiede aus heidnischer Perspektive gar nicht deutlich wurden (Joh. Geffcken, Zwei christliche Apologeten, 1907). Dieses enge Nebeneinander ist auch der staatlichen Religionspolitik zuzuschreiben, die sich die Identifizierung beider Gruppen durch die Öffentlichkeit zu eigen machte (Tac. Ann. 15, 44; Sueton, Vita Claudii 25; Cassius Dio, Hist. Rom. 67, 14, 1 ff.) und beide entsprechend launenhaft und sehr wechselvoll behandelte. Das änderte sich erst, als unter Kaiser Septimius Severus und Caracalla Juden kommunale Ämter bekleiden durften und ihnen mit der Constitutio Antoniana 212 sogar die staatsbürgerliche Gleichstellung eröffnet wurde. Seit dieser Zeit wird nichts mehr über judenfeindliche Staatsaktionen berichtet.
Was zur raschen Ausbreitung des Christentums im Fernbereich führte, die Koine, mag im Nahbereich für die sehr zähe und schleppende Verbreitung mitverantwortlich gewesen sein. Nur selten gelang es, die Brücke zur Landessprache zu schlagen. Irenäus v. Lyon berichtet aus dem Ende des 2. Jh. noch um seine Bemühungen um das Keltische, wobei unbekannt ist, ob er Erfolg hatte. In Syrien allerdings hatte es allerdings bald eine Übersetzung der 4 Evangelien ins Altsyrische gegeben und bald darauf eine Harmonie des Tatian. In diesen Zeitraum fallen auch die ersten altlateinischen Übersetzungen aus Nordafrica. Augustin klagt noch im 4. Jh. darüber, wie die Doppelsprachlichkeit Punisch/Lateinisch die Predigt lähmt. Zu dieser Zeit kann man auch für Rom Griechisch als Liturgiesprache und Latein als Predigtsprache beobachten. In Spanien bemühte man sich erst gar nicht um die iberischen Sprachen. Dafür aber kam sehr früh das Koptische/Sahidische in Ägypten ins Spiel, worin erst die Evangelien übersetzt wurden und später eine nicht unbedeutende Literatur entstand. Man achtete sogar auf die Dialekte (sahidisch = Oberägypten, bohairisch = Unterägypten)
In den ländlichen Gebieten stand einer Missionierung der bäuerliche Konservativismus, die weitverzweigte familiäre Vernetzung mit ihrer sozialen Kontrolle im Alltagsleben, das örtliche im Magischen verankerte Brauchtum entgegen. Erst das nachkonstantinische Christentum begann da mit Ersatz-Angeboten.
Damit ende ich zunächst mal meinen Beitrag, der das starke und langanhaltende Stadt-Land-Gefälle in der Ausbreitung des Christenums zum Gegenstand hatte.

Fingalo
 
fingalo schrieb:
Nur selten gelang es, die Brücke zur Landessprache zu schlagen. Irenäus v. Lyon berichtet aus dem Ende des 2. Jh. noch um seine Bemühungen um das Keltische, wobei unbekannt ist, ob er Erfolg hatte. In Syrien allerdings hatte es allerdings bald eine Übersetzung der 4 Evangelien ins Altsyrische gegeben und bald darauf eine Harmonie des Tatian.

Das ist relativ leicht zu erklären. Keltisch war damals schon keine "Landessprache" mehr, sondern saß bereits auf dem Aussterbeetat. Das (aramäische) Syrisch hingegen war bis zum Vordringen des Arabischen eine vitale und überregional verbreitete Sprache, die sich neben der Koine gut behaupten konnte.
 
hyokkose schrieb:
Das ist relativ leicht zu erklären. Keltisch war damals schon keine "Landessprache" mehr, sondern saß bereits auf dem Aussterbeetat.
Dann frage ich mich allerdings, warum sich Irenäus überhaupt darum bemüht hat.

Fingalo
 
fingalo schrieb:
Dann frage ich mich allerdings, warum sich Irenäus überhaupt darum bemüht hat.

Was ich ohne konkrete Hintergrundinformationen dazu sagen kann, ist nur, daß eine Sprache bereits dann im Aussterben begriffen ist, wenn sie zwar noch von 100% der Bevölkerung verstanden, jedoch nur noch von der älteren Generation aktiv bzw. als Erstsprache verwendet wird. Zu diesem Zeitpunkt macht es sicher noch Sinn, die alte Sprache zu verwenden, um weite Bevölkerungskreise zu erreichen. Wenige Jahrzehnte später sieht das schon anders aus.
 
Nachdem Fingalo einige Schwerpunkte der frühen Missionstätigkeit des Christentums aufgezeigt hat, möchte ich an dieser Stelle eine kleine Einfügung machen, die bei der Darstellung der Anfänge der Religion in diesem Pfad bisher fehlt: Historisch betrachtet beginnt die Geschichte des Christentums nach Ostern, also der Auferstehung Christi.

Petrus empfing laut Berichten des NT als erster der Apostel eine Epiphanie, ist also unter geschichtlichem Blickwinkel als Gründer der christlichen Kirche anzusehen, wenngleich der Glaube der entstehenden Gemeinschaft selbstverständlich Jesus Christus als Stifter herausstellte.

Weitere Offenbarungen des Auferstandenen, insbesondere vor den Aposteln, führten sofort zur Bildung einer Gemeinschaft und wurden als eindeutiger Auftrag zur Mission gewertet. Der Sitz der neuen Gemeinde wurde Jerusalem; daneben existierten weitere Gemeinden in Galiläa. Die Verkündigung der neuen Lehre fand zunächst nur unter den Juden statt, denn natürlich verstanden sich die ersten Christen als solche. Der Adressatenkreis richtete sich in dieser ersten Zeit an palästinische wie auch an hellenistische Juden.

An der Spitze der Jerusalemer Urgemeinde standen überlieferungsgeschichtlich die Zwölf Apostel, unter denen Petrus den Rang eines Primus inter pares innehatte; festgelegte Kompetenzen in der Verwaltung der Gemeinde gab es jedoch in der Frühzeit noch nicht.
Die Gottesdienste folgten vermutlich dem Beispiel der Synagoge, was bedeutet, dass ein Wortgottesdienst ohne Opferkult, aber mit Gebet, Schriftlesung und Lehre abgehalten wurde. Zentrale Elemente dieser frühen Liturgie dürften der eschatologische Ruf „Maranatha“ sowie vor allem das christologische Bekenntnis gewesen sein. Das Abendmahl wurde in der urchristlichen Gemeinde bereits gefeiert; eucharistische Elemente sowie die Rückführung auf Jesus selbst sind allerdings unklar.
Schon in dieser ganz frühen Zeit entstand ein elementarer Katechismus, der vor allem die Taufe als Ritus zur Aufnahme in die Gemeinde betonte.

Von Anfang an wurde die Missionstätigkeit des Christentums kontinuierlich ausgeweitet. Während die Gemeinde in Jerusalem judenchristlich blieb, war vor allem durch den hellenistischen Einfluss auch die Heidenmission begonnen worden. Der neue Glaube breitete sich entlang der phönizischen Küste Richtung Norden aus. In Antiochia entstand nach Jerusalem ein zweites großes christliches Zentrum; diese Gemeinde war allerdings schon stark durch die Aufnahme von Nichtjuden geprägt. Dort erhielten die Christen, vermutlich von den römischen Behörden, erstmals ihre Bezeichnung als „Christiani“. Damit war die Unterschiedlichkeit von Christentum und Judentum quasi amtlich festgeschrieben worden.
 
Inzwischen fahre ich fort mit der Ausbreitung:
Im Gegensatz zum ägäischen Raum, in dem es eine Vielzahl von christlichen Gemeinden gab, waren die christlichen Gemeinden im übrigen Mittelmeerraum eher verstreut und ziemlich isoliert. Außerdem zeigt die Perlenkette von Christengemeinden in den Küstenstädten an der Ostküste des Mittelmeeres von Alexandria minor im Norden bis Azotus bei Jamnia, dass den syrisch-palästinensischen Christentum das Hinterland weitgehend verschlossen war. Sieht man von Bithynien ab, so verteilt sich das Christentum im Gebiet des Schwarzen Meeres ebenfalls an der Küste. Auch bei Alexandria sieht man, dass ihre Ausstrahlung über das Meer gerichtet ist, das Hinterland aber ohne Interesse bleibt.
Generell kennzeichnet die christliche Gemeindesituation im 2. Jh. eine ins Auge fallende Verlorenheit im Raum.
Diese Situation hatte Rückwirkungen auf das frühchristliche Selbstverständnis. Allerorten, insbesondere in den großen Städten bekam man deutlich zu spüren, dass man zur Minderheit gehörte. Hinzukam die langdauernde Sperre für die Erlangung bürgerlicher Ehrenämter. So festigte sich das ursprünglich eschatologische Gefühl "nicht von dieser Welt" zu sein. Hinzukam der Gedanke des Auserwählt-Seins. So entwickelte sich das Selbstverständnis als Gemeinde der "Heiligen", der durchaus mit dem spätjüdischen Erwählungsgedanken verwandt ist. Dies kommt auch in der Polemik christlicher Schriftsteller gegen den jüdischen Erwählungsgedanken zum Ausdruck (Barnabasbrief; Dialog mit Tarphon von Justin; Dialog des Jason mit Papiskos des Aristos von Pella). In der 2. Hälfte des 2. Jh. kommt es zu einem Streitschrifttum mit polemischen Angriffen gegen das Judentum (Aristeides; Diognet). Damit beginnt der altchristliche Antisemitismus. Der Einfluss spätjüdischer Theologie auf das frühe Christentum wird gekappt.

Fingalo
 
@ fingalo

fingalo schrieb:
Das änderte sich erst, als unter Kaiser Septimius Severus und Caracalla Juden kommunale Ämter bekleiden durften und ihnen mit der Constitutio Antoniana 212 sogar die staatsbürgerliche Gleichstellung eröffnet wurde. Seit dieser Zeit wird nichts mehr über judenfeindliche Staatsaktionen berichtet.
Fingalo

So ganz stimmt das nicht. Unter Constantius II. kam es 351/52 zu einem Judenaufstand gegen den Cäsar Gallus. Die Juden überfielen die Besatzung von Sephoris-Diokaisareia, eroberten Tiberias und Diospolis und mussten durch den Heermeister Ursicinus niedergeworfen werden. Unter Theodosius d. Gr. beginnen die Pogrome, 388, 396 und 397. 408 und 409 wurde von Honorius die jüdische Sekte der Himmelsverehrer verboten, im Jahre 412 ist von einer allgemeinen Synagogenverbrennung die Rede usw.. Solche Maßnahmen lassen sich bis zum Ende der Spätantike nachweisen.
 
Isolation

Danke Germanicus.
Aber ich hatte nur die Zeit vor dem Verbot anderer Religionen als das Christentum im Auge, weil da noch beide Religionen gleichermaßen dem römischen Staatkult gegenüberstanden.

Man fühlte sich als "nicht von dieser Welt". Der Ekklesia-Begriff beinhaltete ein Erwählungsbewußtsein. Die urchristliche Selbstbezeichnung "die Heiligen", "Gottesvolk", "Gläubige" belegt dies. In diese Zeit fällt auch die erste antijüdische Polemik im Barnabasbrief, Justins "Dialog mit Tarphon", Aristo von Pellas "Dialog des Jason mit Papiskos", die sich gegen den parallelen jüdischen Erwählungsgedanken wandten, und dann die frühchristliche Apologetik (Aristeides, Diognetbrief), die den frühchristlichen Antisemitismus einleiten. Die Distanzierung begann aber offenbar schon früher. Denn die Christen beteiligten sich nicht am jüdischen Aufstand 66.
Im Diognetbrief ist auch das frühchristliche Selbstverständnis zu finden: "Sie bewohnen ihre eigene Vaterstadt, und doch leben sie als Fremdlinge". Und: "Die Seele wohnt im Körper, ist jedoch nicht vom Körper. Auch die Christen wohnen in der Welt, sind aber nicht von dieser Welt". Man kann fast von einer inneren Emigration sprechen. Auch Theophilos, Bischof von Antiochien, beschreibt die weltverlorene Isoliertheit, indem er die Gemeinden als verstreute Inseln mitten im brandenden Meer bezeichnet.
Der Ausdruck "Christen" ist eine von außen herangetragener behördliche Bezeichnung, die die Behörden Antiochiens 44 mit politischer Subversion verbanden. Deshalb dauerte es bis in die Märtyrerzeit, bis die Christen diese Bezeichnung als interne Selbstbezeichnung übernahmen. Die früheste Verwendung in diesem Sinne wird bei dem Märtyrerbischof Ignatius von Antiochien (+ ca 110) gefunden. Sie lebten im geistigen Getto, so dass nur das böswillige Missverständnis des Heiden Celsus sie noch als "jüdische Sekte" bezeichnen konnte.

Fingalo
 
An dieser Stelle könnte ein Blick auf die historisch-geographischen Ausdehnung des Christentums während der ersten drei Jahrhunderte von Interesse sein. August Franzen (Kleine Kirchengeschichte; Freiburg, Basel, Wien 1988) bietet eine gute Übersicht, die Basis der folgenden Zusammenfassung ist.

Die Verbreitung des Christentums in seiner frühen Zeit durch die Mission zeigte schnell beachtliche Erfolge. Vor allem Paulus und die anderen Apostel, aber auch sonstige Missionare sowie die Christen allgemein, verkündeten das Evangelium. Es war dann insbesondere das Diasporajudentum, das zum Empfänger christlicher Lehre wurde, und auch die Heidenmission erlebte eine rasche Blüte.

Schon im zweiten nachchristlichen Jahrhundert hatte sich die neue Religion an allen Randgebieten des Mittelmeeres etabliert und strahlte von dort auch in die entfernteren Gegenden des römischen Reiches aus. Bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts war das Christentum im gesamten Imperium verbreitet, wobei der Schwerpunkt zunächst eindeutig im Osten anzusiedeln ist.

Auch in Syrien und Kleinasien war die Gründung einer Gemeinde in nahezu jeder bedeutenderen Stadt erfolgt; im zweiten Jahrhundert gab es dort bereits Ansiedlungen mit einer mehrheitlich christlichen Bevölkerung. In Phrygien sind Städte anzunehmen, die schon am Ende des dritten Jahrhunderts vollkommen christlich geprägt waren; ein Umstand, der dazu führte, dass dort die Verfolgungen unter Diokletian nicht mehr richtig greifen konnten.
Ein wichtiges Zentrum der Mission wurde um 200 Edessa, als König Abgar zum Christentum übertrat. Von dort aus wurde das Zweistromland christianisiert.

Die Missionierung Ägyptens ging von Alexandria aus, zu Beginn des dritten Jahrhunderts existierten dort annähernd 100 Bischofssitze. Im Allgemeinen ist die Überlegung berechtigt, dass Christen auch in Nordafrika frühzeitig relativ zahlreich vertreten waren, wenngleich die Quellenlage etwas dürftig ist.

Im Westen des römischen Reiches war es die Gemeinde in Rom, die nach wie vor den Mittelpunkt darstellte. Ihre Entwicklung war seit den Tagen der Apostel Petrus und Paulus sehr erfolgreich verlaufen, trotz aller Verfolgung und Unterdrückung.
Sehr früh lassen sich christliche Gemeinschaften in Gallien nachweisen; hier war es zunächst vor allem Marseilles, das schon vor dem Ende des ersten Jahrhunderts eine Gemeinde aufzuweisen hatte. Spätestens im dritten Jahrhundert gibt es dann in ganz Gallien christliche Gemeinden.
Im römischen Germanien entwickelte sich die Ausdehnung der neuen Religion zunächst eher zögerlich. Zwar gab es auch dort schon vor Ende des zweiten Jahrhunderts christliche Gemeinden, eine wirklich erfolgreiche Verbreitung ergab sich allerdings erst nach 300.

Zur Entwicklung der Anzahl der frühen Christen gibt es Schätzungen, die jedoch mit der gebotenen Vorsicht zu betrachten sind.
Für das Gebiet des Westreiches werden für die Zeit um 100 wenige tausend Christen angenommen; um 200 mögen es mehrere zehntausend gewesen sein, deren Anzahl zu Beginn des vierten Jahrhunderts auf vielleicht zwei Millionen Menschen angewachsen sein könnte.
Ganz vage sind die Vermutungen für den Ostteil des Reiches, wo eine Anzahl von fünf bis sechs Millionen Christen um das Jahr 300 als vertretbar gilt. Sicher ist jedoch, dass die oströmischen Gebiete in den genannten Zeiträumen durchweg stärker christianisiert waren als der Westen. Davon ausgehend, dass das gesamte Imperium zu Beginn des vierten Jahrhunderts ungefähr 50 Millionen Einwohner hatte, wird ersichtlich, dass das Christentum, trotz seiner bis dahin relativ erfolgreichen Verbreitung, ganz eindeutig immer noch eine Minderheit repräsentierte.
 
Kirlon schrieb:
Schon im zweiten nachchristlichen Jahrhundert hatte sich die neue Religion an allen Randgebieten des Mittelmeeres etabliert und strahlte von dort auch in die entfernteren Gegenden des römischen Reiches aus. Bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts war das Christentum im gesamten Imperium verbreitet, wobei der Schwerpunkt zunächst eindeutig im Osten anzusiedeln ist.
Mir liegt eine Karte über die Ausbreutung des Christentums im Kaiserreich 1. - 3. Jh. vor. Danach waren am Ende nioch die Poebene und der südalpine Raum Rätien, Jugoslavien, die Gegens nördlich von Bordeaux, Toeurs Orleons, Die Bretagne sowie die Niederlande, das mittlere Portugal und England weiße Flecken auf der Karte der Christianisierung. Ein schmaler Streifen der Christianisierung zog sich durch die burgundische Pforte das Rheintal entlang bis zur Mündung, ein Seitenzweig nach Reims die Seine entlang, ein Brückenkopf in London bis nach Wales.
Kirlon schrieb:
Die Missionierung Ägyptens ging von Alexandria aus, zu Beginn des dritten Jahrhunderts existierten dort annähernd 100 Bischofssitze. Im Allgemeinen ist die Überlegung berechtigt, dass Christen auch in Nordafrika frühzeitig relativ zahlreich vertreten waren, wenngleich die Quellenlage etwas dürftig ist.
In Mauretanien, Tripolis, Libyen und Ägypten finden sich nur vereinzelte christliche Zentren (in Ägypten nur nilaufwärts im Tal).

Fingalo
 
fingalo schrieb:
Mir liegt eine Karte über die Ausbreutung des Christentums im Kaiserreich 1. - 3. Jh. vor. Danach waren am Ende nioch die Poebene und der südalpine Raum Rätien, Jugoslavien, die Gegens nördlich von Bordeaux, Toeurs Orleons, Die Bretagne sowie die Niederlande, das mittlere Portugal und England weiße Flecken auf der Karte der Christianisierung. Ein schmaler Streifen der Christianisierung zog sich durch die burgundische Pforte das Rheintal entlang bis zur Mündung, ein Seitenzweig nach Reims die Seine entlang, ein Brückenkopf in London bis nach Wales.

In Mauretanien, Tripolis, Libyen und Ägypten finden sich nur vereinzelte christliche Zentren (in Ägypten nur nilaufwärts im Tal).
Wie erwähnt, stammen meine Angaben ursprünglich von Franzen. Diese müssen aber deinen Fakten nicht unbedingt widersprechen, da die Darstellung einer historischen Entwicklung in Kartenform immer nur einen groben Überblick geben kann und außerdem offensichtlich wenige Jahre und Jahrzehnte ausreichten, um die Verbreitung des Christentums in bestimmten Gegenden massiv anschwellen zu lassen. Ein gutes Beispiel dafür ist das eingangs erwähnte Ägypten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Als Beleg für die Christianisierung Ägyptens sei es mir gestattet, Franzen wörtlich zu zitieren:

"Über die Anfänge des Christentums in Ägypten fehlen uns leider die Quellen. Aber alles deutet daraufhin, daß hier die christliche Mission nicht weniger früh eingesetzt hat. Alexandrien war ihr Ausgangspunkt und wurde bald geistiges Zentrum, vor allem durch seine berühmte theologische Schule. Wenn Bischof Demetrios von Alexandrien (188-231) die Organisation der ägyptischen Kirche durchführen konnte und bald etwa 100 Bischofssitze entstanden, so läßt dies darauf schließen, daß die Christianisierung bereits weithin durchgeführt war."

(Quelle: Franzen, August: Kleine Kirchengeschichte; Freiburg, Basel, Wien 1988, S. 29)
 
anonymer Bewertungskommentar schrieb:
obwohl ich noch nicht dazugekommen bin, Jedin zu konsultieren; Brox scheint anderer Ansicht zu sein
Dieser kurze Text fand sich bei einer (positiven) Bewertung zu meinem Beitrag #30 in diesem Pfad. Leider erfolgte die Bewertung anonym; deswegen hoffe ich, das entsprechende Mitglied hier erreichen zu können.

Ich vermute, dass sich die Bewertung auf meine Aussage zum Charakter des urchristlichen Abendmahles bezieht, ganz sicher bin ich mir allerdings nicht.
Natürlich würde es mich grundsätzlich interessieren, was Norbert Brox anders zu sehen scheint und, wenn bereits konsultiert, wie die Darstellung Hubert Jedins ist.
Also, liebes anonymes Mitglied, lass mich nicht hängen! :winke:
 
Kirlon schrieb:
Dieser kurze Text fand sich bei einer (positiven) Bewertung zu meinem Beitrag #30 in diesem Pfad. Leider erfolgte die Bewertung anonym; deswegen hoffe ich, das entsprechende Mitglied hier erreichen zu können.

Ich vermute, dass sich die Bewertung auf meine Aussage zum Charakter des urchristlichen Abendmahles bezieht, ganz sicher bin ich mir allerdings nicht.
Natürlich würde es mich grundsätzlich interessieren, was Norbert Brox anders zu sehen scheint und, wenn bereits konsultiert, wie die Darstellung Hubert Jedins ist.
Also, liebes anonymes Mitglied, lass mich nicht hängen! :winke:
Der gleiche Text fand sich bei mir. Da ich nichts über das Abendmahl geschrieben habe, kann er sich nicht darauf beziehen. Brox liegt mir nicht vor, aber Jedin. Da ich etwas über die Isolation ausgeführt hatte, habe ich das darauf bezogen. Bei Jedin findet sich aber zu diesem Thema nichts - jedenfalls habe ich nichts gefunden. Meine Infos waren Carl Andressen, Die Kirchen der alten Christenheit, entnommen.

Fingalo
 
Nach der Beschreibung der räumlichen Entwicklung soll nun die geistige beschrieben werden.
Die frühesten Texte entwickeln eine transzendentale Ekklesiologie. Dies wird insbesondere in den Briefen des Igantius von Antiochien, der 110 die Beziehungen zwischen irdischer und und überirdischer Gesamtkirche entwickelt, und dem Hirt des Hermas deutlich. Ein weiteres Grundmotiv früher Texte ist die heilsgeschichtliche Ekklesiologie, die mit den schon erwähnten Begriffen der „Heiligen“ für die Gläubigen, den „Auserwählten“, dem „Volk Gottes“. Hier kann auf den 1. Klemensbrief verwiesen werden. Danach soll aus dem Volk der Erwählung „das Allerheiligste hervorgehen“, eine Äußerung, die mit jüdischem Erwählungsbewusstsein unvereinbar ist. Hier deutet sich das Christentum selbst als reifste Frucht göttlicher Erwählung seines Volkes und dehnt diesen Erwählungsgedanken sogar auf Christus aus.. Hier wird die geschichtliche Kontinuität der Heilsgeschichte unter Einschluss des alttestamentarischen Gottesvolkes ausgedrückt. Weiter fällt beim Klemensbrief bereits der Konservativismus auf: Tragendes Element des Guten ist die göttliche Ordnung. Im AT hatte Gott durch die Regeln kultischer Ordnung einen strengen Dienst auferlegt. Da den christlichen Kirchen größere Erkenntnis geschenkt wurde, haben sie den göttlichen Ordnungswilen noch überzeugender zu erfüllen. Was jetzt in der Gemeinde Brauch und Praxis ist, gilt dem 1. Clemensbrief als unantastbar und gottgewollt.
Die Mythologisierung des Jesus-Ereignisses und die verschiedenen Christentümer der Anfangszeit sind ein eigenes Kapitel.

Fingalo
 
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