Bauer-Hypothesen revisited: Stand der Forschung?

Judas Phatre

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Während ich auf das Modell warte, möchte ich meine Sicht des Konfliktes zwischen Radikalkritik und Seriöser Wissenschaft (scheibchenweise) darstellen. Wie bereits gesagt, unterstütze ich die meisten Datierungen der Mehrheitsreligionsgeschichte. Ich hoffe, dass das weitere Unterstellungen vermeiden hilft.
Was die Quellenkritik angeht: Die Q-Kritik ist kein Selbstzweck und sie dient auch nicht dazu, eine Quelle zu disqualifizieren.
Das sicher nicht. Sie dient dazu, die Bedeutung der Synoptiker zu konservieren, indem sie versucht, die gegenseitigen Abhängigkeiten wohlwollend aufzuklären. Das hat leider bisher nicht zufriedenstellend geklappt.
Die Q-Kritik ist eine historische Methode und es ist unlauter sie in den Dienst einer Ideologie [zu] stellen!
Ich glaube auch. dass man die Q-Hypothese nicht einfach vom Tisch wischen kann, aber sie steht im Dienst einer Ideologie, wenn ich das Christentum so nennen darf (s.o.). Sie lässt die Annahme einer Fälschung/eines Betrugs völlig außen vor.
Man unterscheidet in innere und äußere Q-Kritik...
Danach stellst Du die Arbeit an Q als vorbildlich dar. Ich schließe daraus, dass sie den Gegenpol zu der hanebüchenen Radikalkritik repräsentieren soll. Vergessen wir nicht, dass das Postulat "Q" selbst einmal eine Art Revolution in den frühen 1800ern war. Sie räumte mit dem heiligen Geist als Autor auf. Ihre Ergebnisse aus den bald 200 Jahren sind beachtlich und wir profitieren heute davon.
Dabei ist aber gerade die Geschichte um Q eine Ursache für die Radikalkritik. Man stelle sich vor, es hätte wirklich eine Logienquelle gegeben, also eine Sammlung der Sprüche des Jesus von Nazareth. Die wurde in den verschiedenen Synoptikern auf unterschieldiche Weise verarbeitet und dann?
Weggeschmissen!!! Das heiligste Dokument der Christenheit! Wer soll denn so etwas glauben? Der Verdacht der Manipulation liegt hier besonders wegen der gegenseitigen Abhängigkeit nahe. Nicht von ungefähr verabschieden sich auch führende Vertreter der rechtgläubigen Wissenschaft von Q, z.B. Mark Goodacre ( The Case Against Q: A Synoptic Problem Web Site by Mark Goodacre).
Ich kann den meisten Argumentationswegen der Radikalkritik nicht folgen, besonders, wenn postuliert wird, dass bestimmte Personen wie Jesus, Petrus, Paulus oder gar Augustinus von Hippo gar nicht existiert haben. Aber einen Punkt macht die Radikalkritik: Sie zeigt, dass etwas faul ist in der Geschichte des frühen Christentums.
 
Offenbar habe ich durch meine Faulheit ein Missverständnis verursacht: Wenn ich "Q-Kritik" schreibe, meine ich Quellenkritik. Ich rede von der Q-Kritik als Methode des Historikers. Nicht von der historisch-kritischen Methode der Bibelexegese. Ich bin Historiker, kein Theologe und dementsprechend interessiert mich der korrekte Umgang mit dem Quellenmaterial.
Du hast mich offenbar in der Richtung missverstanden, dass ich von Kritik an der hypothetischen Logienquelle Q spreche. Sorry, das war aber so nicht gemeint. Q-Kritik (=Quellenkritik) muss man bei jeder Quelle anwenden, ob es sich um eine Traditions- oder eine Überrestquelle handelt, um ein Schriftstück, um Ötzis Beil oder ein Stück Keramik.
 
Noch ein Grund, weshalb eine radikale Kritik an sich ihre Berechtigung hat:
Fast alle Schriftzeugnisse, die uns über das frühe Christentum zur Verfügung stehen, sind durch den christlich rechtgläubigen Filter gegangen. Ich bin gerade über ein Bild aus karolingischer Zeit gestolpert, das Konstantin I zeigt, wie er arianische Ketzerliteratur verbrennen lässt. Noch brennen die Bücher...
Diese Zensur hat, wie wir wissen, nicht einmal vor den nichtreligiösen Texten halt gemacht (Jesus-Erwähnung bei Flavius Josephus). Viele angebliche Autoren von kanonischen Briefen und Evangelien sind reine Fiktion.
Hinter einer solchen Fassade kann durchaus eine ganz andere Wirklichkeit verborgen sein. Für mich besonders interessant ist dabei das Werk von Walter Bauer: Rechtgläubigkeit und Ketzerei im frühesten Christentum von 1934. Er hat gezeigt, dass das ursprüngliche Christentum im Osten das gnostische war und angebliche rechtgläubige Kirchengründungen von Petrus in Antiochia (und Rom?) oder Markus in Alexandria reine Fiktion.
Als die rechtgläubige Kirche am Ende des 2. Jh ans Licht tritt mit wieder wirklich greifbaren Figuren seit Paulus, tritt sie extrem aggressiv auf. Sie grenzt sich kompromisslos gegen Andersdenkende ab: "Heiden", Juden, Gnostiker und Gegner des Märtyrertums.
Dieser Gruppe ist eine massive Geschichtsfälschung ohne weiteres zuzutrauen. Es bleibt nur das Problem, die wahre Story zu finden...
 

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Das Zerstören von Irrlehren ist allerdings eine ganze andere Kategorie als der redaktionelle Eingriff zur Verfälschung der Texte, die man selbst als heilig ansieht. Und wenn "die Kirche" solche redaktionellen Eingriffe vorgenommen hätte, dann fragt man sich, warum sie nicht die Widersprüche in den Evangelien, die sie kanonisiert hat, ausbügelte. Und man muss sich auch fragen, warum sie gefälschte Paulusbriefe, die eine nahe Endzeiterwartung, die im 2. Jhdt. überhaupt nicht mehr sinnvoll war, hätte in Umlauf bringen sollen. Das ergibt keinen Sinn.

Nebenbei, die Apokryphen werden ja gerne mal als "verbotene Evangelien" apostrophiert: Einige Details, die katholische und orthodoxe Kirche lehren, speisen sich aus eben diesen apokryphen Evangelien, etwa die Kenntnis von Marias Eltern, die in den kanonischen Evangelien nicht vorkommen, von der Kirche aber als Heilige verehrt werden.

Manche der Texte, die auf uns gekommen sind, sind auch einfach plump. Ich las mal einen Text, der eine Interpolation des Lukasevangeliums darstellte (ich kann mich leider nicht erinnern welcher, das Protoevangelium scheint es nicht gewesen zu sein). Offensichtlich wollte der Interpolator Zweifeln an der Jungfräulichkeit Marias begegnen und schiebt in die lukanische Geburtsgeschichte einen absonderlichen Bericht von der Befühlung des Hymens ein...
 
Hinter einer solchen Fassade kann durchaus eine ganz andere Wirklichkeit verborgen sein. Für mich besonders interessant ist dabei das Werk von Walter Bauer: Rechtgläubigkeit und Ketzerei im frühesten Christentum von 1934. Er hat gezeigt, dass das ursprüngliche Christentum im Osten das gnostische war und angebliche rechtgläubige Kirchengründungen von Petrus in Antiochia (und Rom?) oder Markus in Alexandria reine Fiktion.
Als die rechtgläubige Kirche am Ende des 2. Jh ans Licht tritt mit wieder wirklich greifbaren Figuren seit Paulus, tritt sie extrem aggressiv auf. Sie grenzt sich kompromisslos gegen Andersdenkende ab: "Heiden", Juden, Gnostiker und Gegner des Märtyrertums.
Dieser Gruppe ist eine massive Geschichtsfälschung ohne weiteres zuzutrauen.
Nur hatte die "rechtgläubige" Kirche Ende des 2. Jhdts. überhaupt nicht die Möglichkeit, eine "gnostische" Kirche auszulöschen. Rechtgläubig oder gnostisch, zu dieser Zeit waren Christen aller Konfessionen noch Randgruppen, die froh sein mussten, wenn sie von der Staatsmacht in Frieden gelassen wurden. Die Möglichkeit, sich der Staatsmacht zu bedienen, um gegen konkurrierende Gruppierungen vorzugehen, gab es erst ab Konstantin. Die "rechtgläubige" Kirche konnte eine "gnostische" Kirche im 3. Jhdt. weder physisch auslöschen noch hatte sie die Möglichkeit, reichsweit alle "unverfälschten" christlichen Schriften aufspüren und vernichten zu lassen, um sie durch ihre Fälschungen zu ersetzen.
 
Nur hatte die "rechtgläubige" Kirche Ende des 2. Jhdts. überhaupt nicht die Möglichkeit, eine "gnostische" Kirche auszulöschen. Rechtgläubig oder gnostisch, zu dieser Zeit waren Christen aller Konfessionen noch Randgruppen, die froh sein mussten, wenn sie von der Staatsmacht in Frieden gelassen wurden. Die Möglichkeit, sich der Staatsmacht zu bedienen, um gegen konkurrierende Gruppierungen vorzugehen, gab es erst ab Konstantin. Die "rechtgläubige" Kirche konnte eine "gnostische" Kirche im 3. Jhdt. weder physisch auslöschen noch hatte sie die Möglichkeit, reichsweit alle "unverfälschten" christlichen Schriften aufspüren und vernichten zu lassen, um sie durch ihre Fälschungen zu ersetzen.
Das ist z.T richtig. Die öffentlichen Bücherverbrennungen und späteren Verbote z.B. des Manichäismus unter Todesandrohung waren die Werke einer Kirche unter Staatsschutz oder gar der Staatskirche. Trotzdem wirkt sich diese späte Tätigkeit, die viele Jahrhunderte andauerte, massiv auf unser Geschichtsbild aus.
Die Methoden des 2. Jh. waren deutlich subtiler. Ich glaube aber schon, dass die Literatur der Gegner vernichtet wurde, wie es Bauer beschreibt, auch, wenn das nur innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft möglich war. Die Methode war, abgegrenzte Gruppen zu schaffen. Das ist genau das Bild der rechtgläubigen Kirche in den 2 Jhh vor Mailand: Abgrenzung gegen die Gnostiker. Irenäus gibt selbst am Anfang des 4. Buches seiner Schrift Contra haereses an, dass diese Ausgrenzung des Ketzertums seinen Vorläufern nicht gelungen sei. Und das war sein Ziel. Valentin und viele andere waren Teil des Christentums und wurden erst in der 2. Hälfte des 2. Jh. exkommuniziert. Ein Großteil der Gnosis sah sich als intellektuelle Spitze dieser Religion und nicht als Kokurrenz dazu. Erst die rechtgläubige Kirche hat sie in diese Rolle gedrängt. Natürlich verschwanden ihre Schriften aus den solchermaßen gesäuberten Gemeinden. Die Taktik war Ausgrenzung.
Noch ein Wort zu: " die froh sein mussten vom Staat in Ruhe gelassen zu werden". Wenn ich Tertullian und so manchen Märtyrerbericht lese, dann hat eine radikale Gruppe rechtgläubiger Christen absichtlich den Märtyrertod gesucht, bzw es wurden Menschen von "Kirchenvätern" wie Tertullian ins Martyrium gedrängt. Tertullian wirft den Gnostikern vor, diese Taktik abzulehnen und Frieden mit dem Staat zu suchen.
Mein Eindruck vom römischen Staat bis Decius ist eher der einer misstrauischen ablehnenden Toleranz.
 
...Und wenn "die Kirche" solche redaktionellen Eingriffe vorgenommen hätte, dann fragt man sich, warum sie nicht die Widersprüche in den Evangelien, die sie kanonisiert hat, ausbügelte. Und man muss sich auch fragen, warum sie gefälschte Paulusbriefe, die eine nahe Endzeiterwartung, die im 2. Jhdt. überhaupt nicht mehr sinnvoll war, hätte in Umlauf bringen sollen. Das ergibt keinen Sinn. ...
Dieser Einwand beantwortet sich selbst: Wenn man meine These eines absichtlichen Eingriffs akzeptiert, dann erhöhen solche Unstimmigkeiten die Plausibilität. Es gab richtig dämliche Fälschungen wie das Testimonium flavianum oder die Korrespondenz zwischen Paulus und Seneca. Viele davon stammen aus der Zeit nach dem Sieg des rechtgläubigen Christentums.
Die von mir vermuteten Eingriffe sind aber von einer Gruppe sehr intelligenter Männer duchgeführt worden. Dabei gehe ich aber nicht von einer Abfassung später als ca. 120 n.Chr. aus, höchstens von Überarbeitungen.
Zu den Differenzen der Evangelien ist zu sagen, dass sie kaum den Kern der Rechtgläubigkeit betrafen. Nehmen wir die erstaunlichste Differenz: Die Unterschiede der Prosopographien des Jesus von Nazareth, um ihn als Sproß Davids zu präsentieren (Mt 1,1-17; Lk 3,23-38). Wie man zu David kommt, ist im Prinzip egal. Andersherum kann kein Lösungsmodell des synoptischen Problems diesen Knoten lösen: Dieselbe Idee in voneinander abhängigen Texten mit unterschiedlichen Genealogien: Das ist absurd. Ich biete dafür das Alexanderschwert des Betrugverdachts an, um ihn zu zerschlagen.
 
Wenn man meine These eines absichtlichen Eingriffs akzeptiert, dann erhöhen solche Unstimmigkeiten die Plausibilität.
Wieso das denn?!

Es gab richtig dämliche Fälschungen
Richtig.

Nehmen wir die erstaunlichste Differenz: Die Unterschiede der Prosopographien des Jesus von Nazareth, um ihn als Sproß Davids zu präsentieren (Mt 1,1-17; Lk 3,23-38). Wie man zu David kommt, ist im Prinzip egal. Andersherum kann kein Lösungsmodell des synoptischen Problems diesen Knoten lösen: Dieselbe Idee in voneinander abhängigen Texten mit unterschiedlichen Genealogien: Das ist absurd.

Ich sehe das nicht so sehr als die erstaunlichste Differenz zwischen den Synoptikern an. Aber darüber, bzw. über einen bereits antiken Versuch diesen Widerspruch aufzulösen, hatten wir anderswo schon eine Diskussion:

http://www.geschichtsforum.de/f30/i...stammbaums-jesu-bei-lukas-und-matth-us-46424/
 
Hallo, El Quijote,
die Genealogieunterschiede sind nur ein Beispiel für Differenzen, die m.E. absichtlich stehen gelassen wurden, vielleicht sogar eingefügt, um mit unbedeutenden Unterschieden darzustellen, dass das christliche Dogma in den wesentlichen Punkten einheitlich war. Dafür muss ich mich nicht durch irgendeinen Thread nagen, in dem das schon 'mal vorkam. Wenn dort etwas zur Sache steht, schreib' mir einfach die Fakten, z.B. das Lösungsmodell, das Du für plausibel hältst.
Unterschiede in der Überlieferung von 3 Evangelien, die eigentlich nur eines sind, machen es für die Nachwelt evidenter, dass hier eigentlich 3 unabhängige Autoren die gleiche Lehre vertreten. Stimmten die Synoptiker genauer überein, würde jeder sofort eine Absicht dahinter vermuten. So ist auch die Tatsache erklärt, dass keines dieser Dokumente alle Logien oder Wundergeschichten enthält. Die Frage ist, warum man diese Einigkeit demonstrieren musste. Offensichtlich gab es in der Nachfolge von Jesus und Paulus von Anfang an große Meinungsunterschiede.
Ist das jetzt klarer?
Die These, dass die Evangelien manipuliert sind, ist sehr alt. Markion von Synope ging davon aus und hat versucht, eine Art ursprüngliches Evangelium aus dem von Lukas zu extrahieren, übrigens der Text, der die meisten Logien enthält. Das lässt m.E. für EvLk kaum eine Abfassungsdatum nach 120 AD zu. Es unterstützt aber den Betrugsverdacht, besonders, weil Markion kein eigentlicher Gnostiker war.
Ich muss feststellen, dass wir uns über Dinge unterhalten, die eindeutig in Chans Thema gehören.
 
Hallo, El Quijote,
die Genealogieunterschiede sind nur ein Beispiel für Differenzen, die m.E. absichtlich stehen gelassen wurden, vielleicht sogar eingefügt, um mit unbedeutenden Unterschieden darzustellen, dass das christliche Dogma in den wesentlichen Punkten einheitlich war.
Wenn du hier behaupten möchtest, dass sich die verschiedenen Strömungen des Urchristentum nur "unbedeutend unterschieden" haben, dann kennst du dich mit der Geschichte des Christentum nun wirklich nicht gut aus.

Unterschiede in der Überlieferung von 3 Evangelien, die eigentlich nur eines sind, machen es für die Nachwelt evidenter, dass hier eigentlich 3 unabhängige Autoren die gleiche Lehre vertreten. Stimmten die Synoptiker genauer überein, würde jeder sofort eine Absicht dahinter vermuten. So ist auch die Tatsache erklärt, dass keines dieser Dokumente alle Logien oder Wundergeschichten enthält. Die Frage ist, warum man diese Einigkeit demonstrieren musste. Offensichtlich gab es in der Nachfolge von Jesus und Paulus von Anfang an große Meinungsunterschiede.
Ist das jetzt klarer?
Hier kommt jetzt ein Problem auf, dass viele Verschwörungstheorien haben, nämlich dass alles deine Theorie bestätigt. Wenn du die "Beweise" für deine Theorie findest, dann bestätigt es deine Theorie, wenn wir dir Fakten gegen deine Theorie aufzeigen, dann ist es die Bestätigung für dich, dass "die Kirche" natürlich ihre Fälschungen verschleiern wollen.
 
die Genealogieunterschiede sind nur ein Beispiel für Differenzen, die m.E. absichtlich stehen gelassen wurden, vielleicht sogar eingefügt, um mit unbedeutenden Unterschieden darzustellen, dass das christliche Dogma in den wesentlichen Punkten einheitlich war.

Du willst uns ernsthaft weismachen, dass du glaubst, dass man in die synoptischen Evangelien mit Absicht Unterschiede eingebaut habe, um damit die Glaubwürdigkeit zu erhöhen? Das ist aber sehr um die Ecke gedacht.


Unterschiede in der Überlieferung von 3 Evangelien, die eigentlich nur eines sind, machen es für die Nachwelt evidenter, dass hier eigentlich 3 unabhängige Autoren die gleiche Lehre vertreten. Stimmten die Synoptiker genauer überein, würde jeder sofort eine Absicht dahinter vermuten.
Sorry, aber das wass du hier konstruierst, ist eine Verschwörungstheorie.

Die Frage ist, warum man diese Einigkeit demonstrieren musste.
Genau das tut man ja gerade nicht.

Offensichtlich gab es in der Nachfolge von Jesus und Paulus von Anfang an große Meinungsunterschiede.
Ist das jetzt klarer?
Jein. Nein und ja, wobei letzteres nicht in deinem Sinne sein kann.
 
Die These, dass die Evangelien manipuliert sind, ist sehr alt. Markion von Synope ging davon aus und hat versucht, eine Art ursprüngliches Evangelium aus dem von Lukas zu extrahieren, übrigens der Text, der die meisten Logien enthält. Das lässt m.E. für EvLk kaum eine Abfassungsdatum nach 120 AD zu. Es unterstützt aber den Betrugsverdacht, besonders, weil Markion kein eigentlicher Gnostiker war.
Richtig, Marcion ging davon aus, dass es jüdische und hellenistische Einflüsse in den überlieferten Texten gab und versuchte diese radikal wegzustreichen und begann für seinen Kanon damit, dass er nur die Briefe verwendete, die seiner subjektiven anti-judaistischen Theologie entsprachen. Er gab zwar an, dass er versuchte ein ursprüngliches Evangelium zu extrahieren, doch eigentlich schrieb er dieses nur für seine subjektive Theologie um. Sein antijudaistisches Weltbild sagte ihm, dass das AT die Diktion eines Demiurgen war und so hat er einfach alle AT-Zitate gestrichen.
Marcion selber kann man als fundamentalistischen Dualisten bezeichnen.
 
Richtig, Marcion ging davon aus, dass es jüdische und hellenistische Einflüsse in den überlieferten Texten gab und versuchte diese radikal wegzustreichen und begann für seinen Kanon damit, dass er nur die Briefe verwendete, die seiner subjektiven anti-judaistischen Theologie entsprachen. Er gab zwar an, dass er versuchte ein ursprüngliches Evangelium zu extrahieren, doch eigentlich schrieb er dieses nur für seine subjektive Theologie um. Sein antijudaistisches Weltbild sagte ihm, dass das AT die Diktion eines Demiurgen war und so hat er einfach alle AT-Zitate gestrichen.
Marcion selber kann man als fundamentalistischen Dualisten bezeichnen.
Das ist exakt die Meinung von Tertullian. Kein Wunder, uns blieb nur das Material erhalten, was seine Gegner produziert haben. Deren Diffamierungen muss man aber als solche erkennen.
Es ist festzuhalten, dass Markion, der sehr einflussreich war und eine Konkurrenzkirche von einigem Bestand gegründet hat, die Evangelien seiner Zeit für manipuliert gehalten hat und dass das für viele plausibel war. Wir kennen die wahren Gründe nicht und müssen beide mutmaßen.
 
An elQ:
natürlich ist das eine Verschwörungstheorie. Wir reden über die Radikalkritik und damit auch über Verschwörungstheorien. Ich halte es für möglich, dass die Abfassung der Evangelien mit einem Ziel erfolgt ist und nicht aus rein lauteren Gründen. Die Unabhängigkeit der Synoptiker voneinander ist doch wohl widerlegt. Über die Vernichtung von Q habe ich mich bereits ausgelassen. Das Synoptische Problem heißt nicht so, weil es gelöst wäre. Fälschungen von Briefen des Kanon wird keiner bestreiten, ebensowenig das Machtstreben der römischen Kirche.
Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir die Erklärungen der Radikalkritik mit Motiven und Zielen noch hören. Vielleicht kennt sich jemand anders mit Detering aus, ich leider nicht.
Deshalb stelle ich meine Idee der Motive dar:
Die Evangelien sind der Versuch, die Logien des Jesus von Nazareth mit der Lehre des Paulus von Tarsos zu verbinden. Diese Verschwörungstheorie erklärt das "Dreijestirn" der Synoptiker (s.o.), die fehlenden Jesuszitate bei Paulus, die Übereinstimmungen von Briefen und Evangelien in der Sache, obwohl Paulus fast nie in den Evangelien zitiert wird, das "Verschwinden" von Q.
Damit unterstütze ich die Radikalkritik in ihrer Motivation, soweit ich weiß aber nicht in ihren Ergebnissen.
 
Wenn du hier behaupten möchtest, dass sich die verschiedenen Strömungen des Urchristentum nur "unbedeutend unterschieden" haben, dann kennst du dich mit der Geschichte des Christentum nun wirklich nicht gut aus.
Wer könnte sagen, er kennte sich damit aus? Die Periode ist so dunkel wie sie spannend ist.
Ich habe nicht über die Strömungen des Urchristentums gesprochen. Nach meiner Theorie kann der Unterschied dieser Strömungen kaum größer sein. Ich sprach nur über die Synoptiker. Natürlich kann man deren Unterschiede als gigantisch ansehen, mir als Außenstehendem kommen sie marginal vor.
 
silesia,
Du bist doch der eigentliche Vater dieses Threads und hast die Validität der Bauer-These mit dem Titel relativiert. Ich habe vor kurzem noch einmal den Bauer-Artikel in Wikipedia besucht. Dort steht, dass dessen Ergebnisse heute "weitgehend von der Wissenschaft geteilt" würden. Das ist immer eine fragwürdige Wendung und m.E. übertrieben. Wie siehst Du das?
 
silesia,
Du bist doch der eigentliche Vater dieses Threads und hast die Validität der Bauer-These mit dem Titel relativiert. Ich habe vor kurzem noch einmal den Bauer-Artikel in Wikipedia besucht. Dort steht, dass dessen Ergebnisse heute "weitgehend von der Wissenschaft geteilt" würden. Das ist immer eine fragwürdige Wendung und m.E. übertrieben. Wie siehst Du das?

Jetzt kommen wir zum Kern. Oben ist nach der Themeneröffnung - vorsichtig gesagt - relativ wenig bis nichts mehr zu Bauers Hypothesen erwähnt worden, nachdem der Name en passant platziert wurde.

Das Thema erschien jedenfalls interessant, um nicht weiter in der Verwässerung der Datierungsdiskussion unterzugehen.

Deshalb Danke für den interessanten Hinweis. Um für das Gebiet sozusagen die Pflöcke abzustecken: es geht hier nicht um Bauer als Godfather gnostisch angehauchter Fantasy-Romane oder Esoterik, sondern um die wissenschaftliche Rezeption von Archäologen, Papyrologen, Religionshistorikern, etc.

Zu unterscheiden ist außerdem zwischen der Impulswirkung der Hypothesen (Akzeptanz), die weitere Forschung angestoßen haben, und einem sozusagen axiomatischen Konsens zu einzelnen Thesen als Stand der Dinge.

Über Hypothesen und Fragezeichen in den Überschriften müssen wir nicht groß debattieren, oder? Ansonsten würde ich bitten, diesen Satz anhand des Forschungsstandes zu belegen:
Judas Pahtre schrieb:
Er hat gezeigt, dass das ursprüngliche Christentum im Osten das gnostische war und angebliche rechtgläubige Kirchengründungen von Petrus in Antiochia (und Rom?) oder Markus in Alexandria reine Fiktion.
Gezeigt hat er nämlich nichts, sondern Hypothesen angeboten. Andere Behauptungen findet man in der Godfather-Ecke.

Außerdem habe ich nichts von Bauers Hypothesen "relativiert", zur "Validität" habe ich mich hier noch überhaupt nicht geäußert. Vielleicht resultiert Dein Irrtum aus der Überschrift, aber das sollte jetzt geklärt sein.

1. Fangen wir also mal an: frühe Kirche und Johannes-Evangelium:

"As Bauer notes, “If we listen to the sources without prejudice, it seems to me that this is the result: a current of caution with regard to the gospel of John runs continuously through ecclesiastical Rome, that center of orthodoxy, right up to almost the end of the second century – a mood that manifests itself through silence and through explicit rejection.” Bauer, Orthodoxy and Heresy, 208"

Manor: Epiphanius’ Alogi and the Question of Early Ecclesiastical Opposition to the Johannine Corpus.
Das wäre ein erstes Feld.

2. Und dann sollten weitere folgen, um die wesentlichen Hypothesen zu sammeln, die insbesondere mit den Nag Hammadi-Schriften die Forschung inspiriert haben:

Bauer ist nun von Dir eingeworfen worden. Kannst Du bitte die wesentlichen Hypothesen in Bezug auf Gnostiker und frühe Kirche im Osten (speziell Ägypten) darlegen. Was sind Bauers Vorschläge, wie die frühe Kirchengeschichte zu fassen ist?

Vielleicht sollten wir erstmal die wesentlichen Hypothesen zur Frühkirche sammeln. Los geht's! Ich bin gespannt.:winke:

___________________________________________
P.S., weil erwähnt:
Was bei Wikipedia steht, interessiert mich in Bezug auf Forschungsstand in keinem Fachgebiet, mit dem ich professionell befasst bin oder mich hobbyweise gern befasse. Rezensierende Feststellungen schon gar nicht.
 
Danke für die Antwort,
in diesem Fall komme ich Deinem Wunsch gern nach und werde den Bauer kurz noch einmal durcharbeiten (ich bin Deinem Vorbild gefolgt und habe ihn vor gar nicht langer Zeit digitalisiert). Bis dahin eine kurze Anmerkung:
P.S., weil erwähnt:
Was bei Wikipedia steht, interessiert mich in Bezug auf Forschungsstand in keinem Fachgebiet, mit dem ich professionell befasst bin oder mich hobbyweise gern befasse. Rezensierende Feststellungen schon gar nicht.
Wikipedia enthält sicher viele Irrtümer, unzulässige Verallgemeinerungen und wohl auch gezielte Fehlinformationen von Einzelnen. Es ist aber mit seiner konkurrenzlosen Verfügbarkeit und Verbreitung so etwas wie die Weltseele der Alten, das Wissen unserer Art. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich bei den meisten Fragen dort nachschaue, auch was meinen Beruf angeht, und ich habe schon so einiges dort publiziert und verändert (verbessert?). Diese unglaubliche demokratische Errungenschaft mit einem derartig abfälligen Ton vom Tisch zu wischen ist für mich pure Arroganz. Wenn man sich so äußert, muss man sich fragen lassen, warum man die Fehler nicht korrigiert, statt sie zu verurteilen.
 
Meine Güte, die heftige Reaktion ist nun nicht notwendig, und die Schneehöhe liegt niedriger. Vielleicht trennst Du mal persönliche Anwürfe von Sachdiskussionen, das reißt langsam hier bei Dir ein (siehe "Kothaufen" u.ä.).

Ganz simpel:
Es hat einfach damit zu tun, dass die a) Wiki-Qualität unterschiedlich ist (erfahrungsgemäß nicht zufriedenstellend), und ich b) weder Zeit noch Lust habe, die Richtigkeit und Zuverlässigkeit von resümierenden (mehr ist es ohnehin nie) oder vereinfachenden Feststellungen zu beurteilen. Ebenso wenig habe ich c) Zeit oder Lust, da irgendwas zu korrigieren oder an Vereinfachungen zu differenzieren.

Gegen eine gesunde Mischung ist auch nichts einzuwenden, ich zitiere Wikipedia ebenfalls bei einfachen Aspekten. Was allerdings irritierend wirkt, ist eine Fixierung bei manchen auf solche www-Schnipsel, und dann ist eine solche "Realitäts-Reduktion" ggf. schon Hinweis auf eine geistige Verarmung: "es existiert nur, was im www auffindbar ist," ... trifft man leider häufig an.

Damit zurück zum Thema. Zu Wiki gibt es hier im Forum bereits ein smalltalk-Thema, wenn Du da andere Auffassungen hast, woran nichts auszusetzen ist.

-> Bauer-Hypothesen?
 
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1. Fangen wir also mal an: frühe Kirche und Johannes-Evangelium:
"As Bauer notes, “If we listen to the sources without prejudice, it seems to me that this is the result: a current of caution with regard to the gospel of John runs continuously through ecclesiastical Rome, that center of orthodoxy, right up to almost the end of the second century – a mood that manifests itself through silence and through explicit rejection.” Bauer, Orthodoxy and Heresy, 208"
Manor: Epiphanius’ Alogi and the Question of Early Ecclesiastical Opposition to the Johannine Corpus.
Das wäre ein erstes Feld.
Dieses Feld liegt sehr am Rande des Themas. Beginnen wir lieber mit einem Statement aus der Einleitung (alle Reff. aus Bauer, W, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum. Tübingen 1934, im ff nur Seitenzahlen):

[FONT=&quot]Aber machen wir uns bei solchem Verfahren, und wenn wir dann für die nachneutestamentliche Zeit dem Urteil der antihäretischen Väter kurzerhand beipflichten, nicht allzu schnell von dem Votum der einen Partei abhängig, jener Partei, die durch die Gunst der Umstände vielleicht ebensosehr, wie durch eigenes Verdienst in den Vordergrund geschoben wurde und die möglicherweise nur deshalb heute über die größeren und daher durchdringenden Stimmittel verfügt, weil man den Chor der anderen gedämpft hat? [/FONT](sc. die Übernahme des Urteils der Gnostikgegener; S.1)

Die Grundthese des Werks von Bauer, die ich unterstütze, ist:
Gnosis und paulinisches Christentum existierten gleichzeitig, manchmal vereint, manchmal getrennt im gesamten griechischsprachigen Teil des Römischen Reichs. An vielen Orten war die Gnosis in der Mehrheit. Erst ab Mitte des 2. Jh. übernahm die römische Kirche mit Hilfe einer rigorosen Religionspolitik die Herrschaft in den großen Zentren, isolierte, exkommunizierte und unterdrückte andere Strömungen des Christentums.

Wie gewünscht das Beispiel Ägypten:
[FONT=&quot]A. von Harnack beispielsweise sagt in seiner „Mission und Ausbreitung des Christentums[FONT=&quot]"[/FONT] 1924, II 706 f.: „Die empfindlichste Lücke in unserem Wissen von
der ältesten Kirchengeschichte ist unsere fast vollständige Unkenntnis
der Geschichte des Christentums in Alexandrien und Ägypten . . .
bis zum Jahre c. 180 (Episkopat des Demetrius). Erst für diese Zeit
tritt für uns die alexandrinische Kirche wirklich in das Licht der
Geschichte .. . Eusebius hat in seinen Quellen über die älteste Ge*
schichte des Christentums in Alexandrien nichts gefunden.[/FONT]
(S.49)

Bauer beschreibt, dass Eusebius in seiner Verzweiflung die Therapeuten zu den ersten Christen macht.
Die von Africanus übernommene Genealogie der Bischöfe ist reine Erfindung und steht im Kontrast zu den wenigstens unsicher bestätigten Einzelfiguren in Antiochia und Rom (S. 50).
Der fraglich aus Ägypten stammende Barnabasbrief wird als im Grunde gnostisch dargestellt (m.E. zu weit hergeholt; S. 52).

[FONT=&quot]Christen — mehr kann diese Erzählung nicht beweisen — gab es in der Mitte und am Anfang des 2. Jahrhunderts gewiß in Ägypten. Doch — das ist die brennende Frage — wie waren sie beschaffen? Alles, was wir außer dem bisher Mitgeteilten von diesem Christentum erfahren, ist bis tief ins 2. Jahrhundert hinein deutlich abseits von allem Kirchentum gewachsen. Seine persönlichen Träger, von denen wir vernehmen), sind die — ganz überwiegend nachweisbar aus dem Nillande stammenden — Gnostiker) Basilides mit seinem Sohne Isidor, Karpokrates und Valentin mit verschiedenen seiner Schüler ), Theodotus und Iulius Cassianus. Auch der selbständige Marcionschüler Apelles hat hier gewirkt (Tertullian, De praescr. haer. 30)). Und Kerinth ist laut Hippolyt (Elench. VII 3 u. 33. X 21) in Ägypten unterwiesen worden. Auch die Barbelo-Gnostiker sind unter Valentins Einwirkung hier aufgeblüht und haben ein Werk hervorgebracht, das — unter dem Titel „Apokryphon des Johannes" koptisch erhalten[/FONT]...[FONT=&quot]dazu die Pistis Sophia, die wiederum den Gebrauch der gnostischen Oden Salomos in Ägypten voraussetzt, und die Bücher Jeu — Gnosis reinsten Wassers.[/FONT](S.53f).

Die Bezeichnung "Ägypterevangelium" für eine gnostische Schrift legt nahe, dass es eine für Ägypten typische Schrift war (S. 55).
Das in Ägypten bekannte Hebräerevangelium berührt sich mit dem Thomasevangelium (damals: Logien aus Oxyrhynchos), einem gnostischen Werk (Walter, ich mag dich! [emotionaler Ausbruch des Verfassers:)] S. 55).

[FONT=&quot]Es gab also in Ägypten am Anfang des 2. Jahrhunderts — wie lange zuvor schon, entzieht sich unserer Kenntnis — Heidenchristen neben Judenchristen beider Religion auf synkretistisch-gnostischer Grundlage ruhend...(S.57)[/FONT].

Danach behandelt er lang den Kampf um die Vorherrschaft um 200 nChr mit kleineren gnostischen Ausrutschern von Clemens und Origenes.
Darunter: [FONT=&quot]Eusebius (KG. VI 2,13 f.), wo "viele Ketzer" in Alexandria während der Adoleszens des Origenes erwähnt werden. (S. 62).

Soweit die Verhältnisse in Ägypten, wie sie Bauer zeigt. Ich glaube, das Wort "zeigt" (s.o.) hat hier durchaus seine Berechtigung.

[/FONT]
 
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