Entwicklung des Fegefeuers

fingalo

Aktives Mitglied
Lukrezia schrieb:
Fingalo schrieb:
Übrigens war die These, dass Märtyrer sofort zur Anschauung Gottes gelangen, Ursache für die Entwicklung des Fegefeuers.
Das würde mich mal näher interessieren. Gerne auch in einem neuen Pfad, wenn du magst.
Also, das war etwas plakativ verkürzt ausgedrückt. Es begann damit, dass es in der Bibel zwei verschiedene eschatologische Modelle gab: Bei Mt 25, 31 heißt es:
Matthäus schrieb:
31Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm, dann wird er auf seinem Throne der Herrlichkeit sitzen;32und vor ihm werden versammelt werden alle Nationen, und er wird sie voneinander scheiden, gleichwie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. 33Und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken.
Also alle warten irgendwo und irgendwie auf ein gemeinsames Endgericht.
Johannes hat in Joh 5, 24 eine andere Vorstellung:
Johannes schrieb:
24Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tode in das Leben übergegangen. ... 28Wundert euch darüber nicht, denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören, 29und hervorkommen werden: die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben, zur Auferstehung des Gerichts.
Hier kommen einige besonders Gute erst gar nicht ins Gericht. Im Mittelalter glaubte man, dass es neben Guten und Bösen auch "Halbgute" gebe. Sie hatten noch eine Chance, sonst würde das Gericht ja keinen Sin haben.
So gab es bald verschiedene Termine vor dem Weltgericht, direkt in den Himmel zu kommen. Im AT waren es Henoch und Elias. Dann folgte der "Gute Schächer" am Kreuz, dem Jesus versprach, noch heute wirst Du mit mir im Paradise sein. Aus einigen schwachen Andeutungen der Bibel entwickelte sich die "Höllenfahrt Christi", die dann im apokryphen Nikodemus-Evangelium ausführlich geschildert wird. Danach gelangten Adam und Eva und die Vorväter des AT zunächst in eine "Vorhölle", den sog. "Limbus". Jesus kam dann nach seinem Tod während der 3-tägigen Grabesruhe und sprengte die Vorhöllentore auf und führte die Gefangenen ins Paradies.
Nun war man sich sicher, dass die Märtyrer ebenfalls sofort zur Anschauung Gottes gelangten - andernfalls hätte man sie kaum anrufen können, bei Gott für den Betenden einzutreten. Hinsichtlich der übrigen gab es viele Spekulationen, wie und wo ihre Seelen die Zeit bis zum jüngsten Gericht verbringen würden, insbesondere darüber, wie aus den "Halbguten" schließlich "Gute" wurden. Daraus ergab sich dann das Fegefeuer, das "Purgatorium", der Reinigungsort. Papst Benedikt XII. verkündete diese Lehre verbindlich mit seinem Lehrentscheid von 1336. Entwickelt haben die Lehre Klemens von Alexandrien und Origines im 3. Jahrhundert.

Ohne die sofortige Aufnahme der Märtyrer in den Himmel hätten alle schlafend gleichmäßig auf das Endgericht warten müssen. Nun zeigte sich aber, dass nach dem Tode der bewusstlose Wartezustand nicht gegeben war, sondern durch die Heiligen vielfältig durchbrochen wurde, so dass diese Bewusstlosigkeit schließlich völlig aufgegeben wurde.
 
Dankeschön für den wirklich hervorragenden Beitrag, ich freu mich schon auf die Diskussion! :)

Zunächst einmal stimme ich mit allem, was du geschrieben hast grundsätzlich überein. Ob die Märtyrer aber wirklich der einzige Grund bzw. der wichtigste Grund für die Entwicklung der Lehre waren, wage ich zu bezweifeln. Das liegt zum einen daran, dass es wohl aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bei vielen Kirchenvätern Hinweise auf das Fegefeuer gibt, aber die Regel war das nicht. Zumindest habe ich in einem so ausführlichen Werk wie "De civitate dei" in den in Frage kommenden Kapiteln nichts gefunden. Ich muss aber fairerweise zugeben, dass ich mich erinnere, dass Augustinus (in den confessiones?) davon spricht, dass er für das Seelenheil seiner Mutter gebetet hat. Trotzdem steht fest, dass bei ihm noch ein rein dualistisches System vorhanden war - ohne Option Fegefeuer.

(Das Gebet für seine Mutter mag insofern auch verwundern, da es ja nach seiner Theorie der beiden civitates ja ohnehin vorherbestimmt ist, ob man nach dem Tod das ewige Leben oder den ewigen Tod erleidet.)

Weißt du von Zeugnissen aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, die belegen, dass der Glaube an ein Reinigungsfeuer verbreitet war? Soweit ich weiß, begann der breite Kult um das Fegefeuer erst kurz vor der Jahrtausendwende in Cluny und den benachbarten Beneditkinerabteien und breitete sich dann im 11. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa aus. Ab dem 9. Jahrhundert beganngen die Möche dort, Obituraien/Nekrologien anzulegen, um ihrer verstorbenen Brüder zu gedenken und um ihre Zeit im Fegefeuer zu verkürzen.
[Zeitraffer an] Als sich diese Welle ausbreitete, drängten auch immer mehr Laien in die Obituarien und so wurde es notwendig, das Fegefeuer theologisch zu begründen, was dann durch Thomas von Aquin geschah - zu einer Zeit, da das Fegefeuer gerade seine Hochkonjunktur erlebte.[Zeitraffer aus]


Fingalo, ich verstehe deinen Punkt sehr gut. Zumal es ja auch noch in der Scholastik ein Anliegen war, nichts neues zu schaffen, sondern sich stets auf die Tradition und auf Autoritäten berufen zu können. Trotzdem bin ich nicht der Meinung, dass die Märtyrer der Hauptgrund für das Fegefeuer gewesen sein können. Schlichtweg deshalb, weil in den ersten Jahrhunderten nur "Fegefeueransätze" vorhanden waren. Dass sich Thomas von Aquin auch auf Personen aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten berufen haben mag, ist anzunehmen, aber ich schau da morgen in der Bib noch mal nach. Trotzdem hätte er wohl keine Veranlassung gesehen, das Thema logisch auszuarbeiten, wenn sich nicht die Gesellschaft gewandelt hätte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich sagte ja eingangs, dass das mit dem Fegefeuer sehr verkürzt gesagt war. Ich hatte das einfach aus dem Gedächtnis mal so hingeschrieben. Als Du mich aber auffordertest, "Butter bei die Fisch zugeben", musste ich nun doch mal blättern. Und da stellte sich heraus, dass die Erinnerung den Zusammenhang in eine gewisse Schieflage gebracht hatte.
Für das weitere bitte ich um etwas Geduld.
 
Und ich habe meine Weisheit aus den Aufsätzen im Katalog des Schweizerischen Landesmuseums zum Thema: "Himmel Hölle Fegefeuer - Das Jenseits im Mittelalter." Vielleicht schürft Le Goff etwas tiefer.
 
Und ich habe meine Weisheit aus den Aufsätzen im Katalog des Schweizerischen Landesmuseums zum Thema: "Himmel Hölle Fegefeuer - Das Jenseits im Mittelalter." Vielleicht schürft Le Goff etwas tiefer.

Das Problem, das ich bei LeGoff und der Annales-Schule im Allgemeine sehe ist, das dass sie gelegentlich die Fakten ein wenig zu offen interpretiert, so dass das von ihne angestrebte Ergebnis auch wirklich erreicht werden kann. Ich kann mich aber erinnern, dass viele Quellen darin abgedruck waren, so dass wir uns selbst Gedanken dazu machen können.

Wie gesagt, ich werd es spätestens morgen haben und dann können wir ja gemeinsam mal überlegen.
 
Zurück
Oben