Genese des Monotheismus

Chan

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(Folgender Text ist eine Improvisation zum Thema ´Genese des christlichen Monotheismus´. Falls der eine oder andere die Muße für das Lesen aufbringt, würde mich interessieren, ob die sachliche Darstellung und einige darauf fußende Schlussfolgerungen vertretbar sind. Meine Prämisse lautet übrigens: Alle religiösen Ideen und mythischen Figuren leiten sich ausnahmslos von anderen, parallel bestehenden oder vorausgegangenen, Ideen und Figuren ab = synkretistisches Prinzip. Das in jedem Detail zu beweisen ist natürlich nicht immer einfach.)


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Der erste in der Reihe monotheistischer Propheten ist Zarathustra, der Begründer des iranischen Zoroastrismus/Mazdaismus. Diese Gestalt ist (höchstwahrscheinlich) historisch, wenn auch nur vage datierbar, mutmaßlich um 600 v.u.Z.. Zarathustra ist der erste, der sich auf eine "Offenbarung" beruft. Man muss dazu wissen, dass in der vedischen Religion, deren Priester Zarathustra zunächst war, der schamanistische Gebrauch des Rauschtranks Soma üblich war, um Zugang zur ´göttlichen´ Sphäre zu erlangen. Die Götter selbst, allen voran Indra, pflegten Soma zu konsumieren. Zarathustra wird seine ´Offenbarung´ also sehr wahrscheinlich unter solchen Umständen erfahren haben.

Er realisiert als erster einen Monotheismus, indem er den vedischen Gott Ahura Mazda (Teil eines Pantheons) zum alleinigen (Schöpfer-)Gott erhebt. Das ist kein Zufall, da Z. ein Priester des Ahura Mazda ist. Andere vedische Götter degradiert er zu Heiligen (in etwa: Engeln) bzw. Dämonen als Zugeständnis an sein polytheistisch indoktriniertes Publikum. Es gab zwar monotheistische Ansätze schon in der babylonischen Marduk-Religion, aber ohne die Konsequenz des Mazdaismus. Echnatons System wiederum kann nicht als Monotheismus gelten, da es die Sonne in archaischer Weise als physisches Objekt verkultet, was nichts mit der Verehrung eines (relativ) transzendenten Gottes zu tun hat, wie sie für Monotheismen typisch ist.

(Mehr zum Zoroastrismus am Schluss)

Einige Jahrhunderte vor Zarathustra entsteht in Kanaan der Jahwismus. Das ist der Kult um den Schutzgott eines zugewanderten Nomadenstamms (Habiru = Hebräer), der dem Wüsten- und Wettergott Jahwe huldigt.

Zunächst gibt es keinen Gedanken an ein monotheistisches Konzept: Jahwe wird, den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend, in das polytheistische System Kanaans eingegliedert. Er ist im aus Ugarit importierten Pantheon nur ein Untergott neben 70 anderen, denen der Vatergott El (= Eljon) vorsitzt, seinerseits mit der Fruchtbarkeitsgöttin Aschera vermählt. Als Relikte aus dieser Phase finden sich im AT folgende Stellen: 5 Mose 32:8,9, Psalmen 82 und 89:8. An der Moses-Stelle heißt es:

Als Eljon die Völker als Erbbesitz gab, als er die Menschen verteilte, setzte er die Gebiete der Völker fest nach der Zahl der Götter. Da wurde Jahwes Anteil sein Volk, Jakob der ihm zugemessene Erbbesitz.

Schon in der Septuaginta wird "Götter" fälschlich mit "Söhne Israels" übersetzt, um den polytheistischen Kontext zu verschleiern.

Ab ca. 1000 v.u..Z. bildet sich aufgrund innenpolitischer Konflikte im entstehenden Königreich die Tendenz, Jahwe als Hauptgott gegen die polytheistische Konkurrenz durchzusetzen ("Jahwe-allein-Bewegung"). Die Protagonisten dieser Strömung sind die ´Propheten´, gelehrte und - milde ausgedrückt - hochmotivierte Männer mit bewaffneten Gefolgsleuten. Im 9. Jh. kommt es einem ersten größeren Konflikt zwischen Jahwe- und Baal-Anhängern, alles aber im Rahmen des Polytheismus und mit einem politischen Hintergrund.

Die Jahwe-allein-Bewegung bleibt vorläufig in einer machtlosen Minderheit. Die Bevölkerung akzeptiert Jahwe nur in bestimmten Funktionen (vor allem Kriegsgott), aber für Fruchtbarkeit z.B. bleiben Baal und Aschera zuständig. Im 8. Jh. wird Hauptgott El von Jahwe endlich von der Spitze des Pantheons verdrängt und mit Aschera assoziiert (die vorher mit El verbunden war).

Im gleichen Jahrhundert tritt Prophet Hosea auf den Plan, der energisch die Alleinverehrung Jahwes fordert (im polytheistischen Rahmen aber, also henotheistisch). Auch hier gibt es politische Zusammenhänge, denn von Jahwe erhoffen sich seine Anhänger Schutz gegen wirtschaftliche Probleme und gegen die Abhängigkeit von den Assyrern. Es gibt bei Hosea auch einen persönlichen Grund: Seine Frau Gomer hat in Baal-Tempeln im Rahmen des Kultes mit anderen Männern geschlafen, nachzulesen in Hos 2,6f..

Als die Israeliten Anfang des 6. Jh. zum zweiten Mal deportiert werden (Babylonisches Exil) und der Jerusalemer Tempel zerstört wird, ist die Katastrophe komplett. Die Exilanten deuten das so, dass sich Jahwe von ihnen abgewandt hat, weil ihn die ungebrochene Vielgötterei der Israeliten empörte, und nun auf der Seite ihrer Besieger steht. Um sein Wohlwollen zurückzugewinnen, konzipieren sie eine radikale Monolatrie (Alleinverehrung) Jahwes und beginnen die "heiligen" Texte zu erstellen (als Ersatz für den verlorenen Tempel).

Von einem echten Monotheismus kann man erst ab und nach dem Exil sprechen (ab der Zeit, ab der man auch von ´Judentum´ sprechen kann), also nach mehreren Jahrhunderten einer weitgehend polytheistisch gerahmten Jahwe-Verehrung. Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass sich der Monotheismus unter der Voraussetzung des Drucks der politischen Verhältnisse herausgebildet hat. Er ist also nicht das Resultat sozusagen freischwebender "Offenbarungen", auch wenn diese vorgegeben werden, um die Attraktivität der Message zu steigern. Vielmehr haben alle Protagonisten der Jahwe-allein-Bewegung primär politische Motive, ihr Held (und Schutzgott!) Jahwe dient als psychologischer Turbo, um die Massen zu motivieren, ihre kulturelle Identität angesichts konfliktreicher Situationen zu bewahren (Rivalität zur polytheistischen Rest-Bevölkerung, später die assyrische Besetzung des Landes, Zerstörung des Tempels, Deportation der Elite nach Babylon). Salopp gesagt: Der Polytheismus ist eine locker gespreizte Hand, der (jüdische) Monotheismus eine protestierend geballte Faust.

Dass eine geballte Faust aber immer noch aus mehreren Fingern besteht, zeigt die folgende Entwicklung. Die jüdische Weisheitstheologie greift Motive aus der Stoa (Weisheit = weltordnende Kraft) und der ägyptischen Religion (die Göttinnen Isis und Ma´at) auf und konzipiert die weibliche Gestalt der Weisheit (Sophia). Sie ist Gottes Botin, aber auch auch seine Geliebte und Throngefährtin. In der jüdischen Apokalyptik spielt Metatron eine vergleichbare Rolle: Er ist der mächtigste Engel und thront neben Gott. Kein Zweifel: Der Polytheismus meldet sich in Gestalt von Sophia und Metatron wieder zu Wort.

Die trinitarische Entwicklung des Christentums gründet u.a. in solchen Vorstellungen: Die Botenfunktion von Sophia und Metatron wird auf die Christusfigur übertragen. Die Entstehung dieser Religion lässt sich nur hypothetisch nachzeichnen. Prinzipiell gibt es zwei Hypothesen:

1) Jesus ist eine historische Figur, die als jüdischer Messias auftritt und als politischer Rebell hingerichtet wird. In der Folge bilden sich theologische Konzepte als Auslegungen einer kaum noch rekonstruierbaren Botschaft dieser Figur.

2) Jesus ist eine mythologische Figur (ein "Äon"), die innerhalb der gnostischen Strömung als synkretistische Adaption externer Erlösergestalten (z.B. Osiris) in Erscheinung tritt, ohne im geringsten eine geschichtliche Funktion zu haben. Eine bestimmte Untergruppe dieser Strömung konstruiert im 2. Jh. u.Z. historisierende Legenden um diese Gestalt (analog zur Historisierung des mythischen Moses im Judentum) und verbindet sie mit der geschichtlich orientierten jüdischen Theologie. Diese Untergruppe ist die katholische Kirche Roms.

(Als Vorlage der historisierten Jesus-Figur könnte z.B. der Zelot Menachem ben Hiskia gedient haben, der 66 u.Z. mit einer bewaffneten Truppe in Jerusalem einzog, sich als Messias feiern und den Hohepriester töten ließ und schließlich von der durch die Priesterschaft aufgewiegelten Bevölkerung (systematisch) gefoltert und getötet wurde)

Stecken wir die Frage, ob 1) oder 2) zutrifft, aber in eine Black Box. Die Lehre vom christlichen Gott, bisher "Jahwe", jetzt "Vater" und vor allem "Herr" genannt, wird von der sich später "katholisch" nennenden Strömung in den hellenistischen, römischen und ägyptischen Raum verbreitet, also in Gegenden, wo die griechische Philosophie boomt. Ein geschichtsimmanenter ´linearer´ Gott trifft auf eine transzendent ausgerichtete ´vertikale´ Vorstellungswelt. Zwei völlig unterschiedliche Dimensionen. Akzeptanz des christlichen Konzepts ist nur möglich, wenn eine Synthese erfolgt. Also geschieht, was Harnack die ´Hellenisierung des Christentums´ nannte: Die griechische Logos-Philosophie wird von den Apologeten (zunächst Justin) adaptiert und bildet das neue Gerüst der christlichen Theologie. "Gott" wird als welt- und geschichtstranszendierende Entität gedacht, die einer Mittlerinstanz bedarf, um auf die Welt einzuwirken.

Angeregt wird das Konzept durch den Mittelplatonismus, die Stoa und die Logoslehre des jüdischen Philosophen Philon von Alexandria. Bei den Stoikern ist der Logos das kosmische Gesetz, welches die weltlichen Prozesse steuert. Bei dem durch die platonische Ideenlehre inspirierten Philon ist der Logos der Vermittler der Weisheit des absolut transzendenten Gottes an die Menschen. Angelehnt an griechische Mythen nennt er diesen Logos auch "Sohn Gottes" und "Gottes Erstgeborener". Die Funktionen der weisheitlichen Sophia überträgt er auf diesen Logos.

Justin wiederum überträgt solche Vorstellungen in die christliche Theologie und identifiziert den "fleischlichen" Jesus mit dem Logos. Dieser ist das erste Gezeugte des Ungezeugten (Gott), der präexistente Logos, der Fleisch wird und als Mensch leidet. Hier liegt die Wurzel des späteren Trinitätsdenkens, wie es als erster Tertullian ausformt: Una substantia - tres personae. Gott ist eine Struktur, die Vater, Sohn und Geist in sich fasst. Auch der christliche Monotheismus kann der Verlockung des Polytheismus nicht standhalten.

Um einen Bogen zum Anfang zu schlagen: Der iranische Zoroastrismus hat seine Spuren im Juden- und Christentum natürlich hinterlassen, auch wenn der Einfluss im Detail nicht eindeutig rekonstruierbar ist. Die Gestalt des Satans ist ein Import aus dem Zoroastrismus (Ahriman, der dämonische Gegenspieler Ahura Mazdas). Auch das eschatologische Denken im Juden- und Christentum verdankt sich glasklar dem zoroastrischen Konzept vom Endkampf zwischen Gut und Böse.
 
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(Als Vorlage der historisierten Jesus-Figur könnte z.B. der Zelot Menachem ben Hiskia gedient haben, der 66 u.Z. mit einer bewaffneten Truppe in Jerusalem einzog, sich als Messias feiern und den Hohepriester töten ließ und schließlich von der durch die Priesterschaft aufgewiegelten Bevölkerung (systematisch) gefoltert und getötet wurde)

Wie soll das Christentum auf einer Figur basieren, die erst auftrat (66), als die ersten Christen schon verfolgt wurden (64)?
 
@El Quijote:

Wie soll das Christentum auf einer Figur basieren, die erst auftrat (66), als die ersten Christen schon verfolgt wurden (64)?

Der Wert der diesbezüglichen Tacitus-Stelle (Ann., Kap. 44) ist schon lange umstritten, wie auch der Bericht über den Rombrand. Dass die Stelle eine spätere Interpolation von Christenhand ist, dafür spricht einiges. Zum einen wirkt sie künstlich eingeschoben zwischen die Kapitel 43 und 45. Zum anderen ist die Formulierung "gewaltige Menge" sehr unglaubwürdig, selbst wenn man annimmt, dass zu diesem Zeitpunkt wirklich Christen in Rom lebten. Origenes jedenfalls berichtet von Märtyrern als einer kleinen und leicht zählbaren Schar. Der genannte "Hass auf das Menschengeschlecht" kann nach römischem Recht kaum ein Grund für eine Todesstrafe gewesen sein. Bis in das 5. Jh. hat kein Kirchenvater die (angebliche) Tacitus-Stelle zitiert oder darauf Bezug genommen. Erst dann schildert der Mönch Sulpius Severus in seiner Historia Sacra den Rombrand auf eine Weise, die z.T. wörtlich mit Tacitus übereinstimmt. Dabei ist nicht auszuschließen, dass die Severus-Stelle die Vorlage für eine (noch spätere) Tacitus-Interpolation ist. Die Herkunft des überlieferten Manuskripts ist auch nicht gerade vertrauenswürdig. Entstanden vermutlich nicht vor dem 10. Jahrhundert, ist sie materiell das Produkt christlicher Kopisten, die eine Kopie einer Kopie von Kopien herstellten. Was diese "Kopisten" durch die Jahrhunderte bei ihrer Arbeit in Texte einfügten oder wegließen usw., ist in anderen Zusammenhängen gut belegt. Warum also sollte man einen Text, jahrhundertelang durch christliche Hände ging, ausgerechnet an einer Stelle beim Wort nehmen, wo es um Christen geht?
 
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Eigentlich spricht hier gar nichts für eine christliche Interpolation, schon weil die Christen negativ dargestellt wurden. Ein christlicher Interpolator hätte die Christen aber nicht negativ dargestellt.
 
Zum anderen ist die Formulierung "gewaltige Menge" sehr unglaubwürdig, selbst wenn man annimmt, dass zu diesem Zeitpunkt wirklich Christen in Rom lebten.
Genaugenommen schreibt Tacitus nicht, dass die Christen selbst eine "gewaltige Menge" waren, sondern dass einige zuerst Verhaftete gestanden und auf ihre Anzeige hin dann noch eine "gewaltige Menge" gefasst wurde. Es wäre nicht erstaunlich, wenn in Todesangst und unter Folter manche zuerst verhaftete Christen noch etliche andere Menschen beschuldigten, weil man das von ihnen hören wollte und keine Ruhe ließ, bis sie Namen nannten. Die "gewaltige Menge" muss also keineswegs ausschließlich aus Christen bestanden haben, sie kann auch etliche unschuldig Bezichtigte enthalten haben.
Christen lebten vermutlich schon unter Claudius in Rom, da Sueton berichtet, dass Claudius die Anhänger eines Chrestos ausweisen ließ, wenngleich mE nicht sicher ist, dass mit Chrestos wirklich Jesus Christus gemeint war.

Der genannte "Hass auf das Menschengeschlecht" kann nach römischem Recht kaum ein Grund für eine Todesstrafe gewesen sein.
Man sollte auch nicht unbedingt von einem regulären Prozess ausgehen.

Bis in das 5. Jh. hat kein Kirchenvater die (angebliche) Tacitus-Stelle zitiert oder darauf Bezug genommen. Erst dann schildert der Mönch Sulpius Severus in seiner Historia Sacra den Rombrand auf eine Weise, die z.T. wörtlich mit Tacitus übereinstimmt.
Ich möchte eine Stelle aus Tertullian (Apologie 5) zitieren: "Consulite commentarios vestros; illic reperietis primum Neronem in hanc sectam cum maxime Romae orientem Caesariano gladio ferocisse." ("Konsultiert eure Aufzeichnungen; dort werdet ihr finden, dass zuerst Nero mit dem kaiserlichen Schwert gegen diese Sekte, als sie in Rom auftrat, wütete.") Tertullian hatte diese Schrift an die heidnische römische Obrigkeit gerichtet. Er ging also davon aus, dass sich auch in amtlichen Aufzeichnungen Informationen über die Neronische Christenverfolgung befanden; andernfalls hätte er sich diese Aufforderung bestimmt verkniffen, da er sich selbst lächerlich gemacht hätte, wenn im heidnischen Schrifttum keinerlei Hinweise auf Neros Christenverfolgung vorhanden gewesen wären. Somit kann es sich um keine spätere christliche Erfindung gehandelt haben.
Sie wird übrigens auch in Suetons Nero-Biographie erwähnt.

Die Herkunft des überlieferten Manuskripts ist auch nicht gerade vertrauenswürdig. Entstanden vermutlich nicht vor dem 10. Jahrhundert, ist sie materiell das Produkt christlicher Kopisten, die eine Kopie einer Kopie von Kopien herstellten. Was diese "Kopisten" durch die Jahrhunderte bei ihrer Arbeit in Texte einfügten oder wegließen usw., ist in anderen Zusammenhängen gut belegt. Warum also sollte man einen Text, jahrhundertelang durch christliche Hände ging, ausgerechnet an einer Stelle beim Wort nehmen, wo es um Christen geht?
Willst Du wirklich annehmen, dass ein mittelalterlicher um sein Seelenheil fürchtender Mönch das Christentum als "exitiabilis superstitio" ("verderblicher Aberglaube") bezeichnet hätte? Im Gegenteil erstaunt mich eher, dass die mittelalterlichen Abschreiber Tacitus' Darstellung der Christenverfolgung in ihrer christenfeindlichen Tendenz übernommen haben statt sie zu entschärfen.
 
@Ravenik:

Genaugenommen schreibt Tacitus nicht, dass die Christen selbst eine "gewaltige Menge" waren, sondern dass einige zuerst Verhaftete gestanden und auf ihre Anzeige hin dann noch eine "gewaltige Menge" gefasst wurde. Es wäre nicht erstaunlich, wenn in Todesangst und unter Folter manche zuerst verhaftete Christen noch etliche andere Menschen beschuldigten, weil man das von ihnen hören wollte und keine Ruhe ließ, bis sie Namen nannten. Die "gewaltige Menge" muss also keineswegs ausschließlich aus Christen bestanden haben, sie kann auch etliche unschuldig Bezichtigte enthalten haben.

Ich bezweifle sehr, dass nach römischem Recht die Aussage eines Einzelnen ausgereicht hat, um einen oder gar mehrere andere ans Messer zu liefern, außer jene gestehen (im besagten Fall, dass sie Christen sind). Du kannst mir aber gerne das Gegenteil beweisen.

Christen lebten vermutlich schon unter Claudius in Rom, da Sueton berichtet, dass Claudius die Anhänger eines Chrestos ausweisen ließ, wenngleich mE nicht sicher ist, dass mit Chrestos wirklich Jesus Christus gemeint war.

Die Sueton-Stelle ist als Indiz in der Tat umstritten. Einen argumentativen Wert hat sie also nicht.

Ich möchte eine Stelle aus Tertullian (Apologie 5) zitieren: "Consulite commentarios vestros; illic reperietis primum Neronem in hanc sectam cum maxime Romae orientem Caesariano gladio ferocisse." ("Konsultiert eure Aufzeichnungen; dort werdet ihr finden, dass zuerst Nero mit dem kaiserlichen Schwert gegen diese Sekte, als sie in Rom auftrat, wütete.") Tertullian hatte diese Schrift an die heidnische römische Obrigkeit gerichtet. Er ging also davon aus, dass sich auch in amtlichen Aufzeichnungen Informationen über die Neronische Christenverfolgung befanden; andernfalls hätte er sich diese Aufforderung bestimmt verkniffen, da er sich selbst lächerlich gemacht hätte,

Tertullian? Na ja :) Er behauptet auch (Apolog. 21, Seite 65), dass "euer" Archiv eine Aufzeichnung über den Augenblick des Todes von Jesus enthält, welcher am Mittag eintrat, als sich die Sonne verdunkelte...

Desweiteren behauptet er, Pilatus sei nachträglich zum Christentum "bekehrt" worden (Apolog. 21,24) und habe Tiberius über die Auferstehung (!!!) berichtet. Daraufhin habe Tiberius im Senat beantragt, Christus unter die Staatsgötter aufzunehmen, sei aber damit gescheitert (Apolog. 5,2).

Tertullian scheint also, milde ausgedrückt, nicht gerade die zuverlässigte Quelle zu sein.
 
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Ich bezweifle sehr, dass nach römischem Recht die Aussage eines Einzelnen ausgereicht hat, um einen oder gar mehrere andere ans Messer zu liefern, außer jene gestehen (im besagten Fall, dass sie Christen sind). Du kannst mir aber gerne das Gegenteil beweisen.
Wie ich schon in meinem letzten Beitrag geschrieben habe, bezweifle ich, dass allen Verfolgten ein ordnungsgemäßer Strafprozess gemacht wurde. Immerhin ist auffällig, dass etliche Verhaftete gestanden haben (dass sie Rom angezündet haben???), was nahelegt, dass ein gewisser Druck auf sie ausgeübt wurde. Folter war aber im Normalfall nur bei Sklaven (und eventuell Freigelassenen) zulässig.

Tertullian? Na ja Er behauptet auch (Apolog. 21, Seite 65), dass "euer" Archiv eine Aufzeichnung über den Augenblick des Todes von Jesus enthält, welcher am Mittag eintrat, als sich die Sonne verdunkelte...

Desweiteren behauptet er, Pilatus sei nachträglich zum Christentum "bekehrt" worden (Apolog. 21,24) und habe Tiberius über die Auferstehung (!!!) berichtet. Daraufhin habe Tiberius im Senat beantragt, Christus unter die Staatsgötter aufzunehmen, sei aber damit gescheitert (Apolog. 5,2).

Tertullian scheint also, milde ausgedrückt, nicht gerade die zuverlässigte Quelle zu sein.
Ich will mich auch nicht unbedingt auf Tertullian versteifen.
Allerdings möchte ich doch festhalten, dass er nicht behauptete, dass das Archiv eine Aufzeichnung über den Augenblick des Todes von Jesus enthält. Er schrieb lediglich, dass die Heiden die Finsternis beim Tode Jesu für eine normale Sonnenfinsternis gehalten hätten und ihre Archive Aufzeichnungen darüber (also über eine Sonnenfinsternis) enthalten würden. Tertullian machte also anscheinend den Fehler, irgendeine historische, in den Archiven erwähnte, Sonnenfinsternis in den Jahren um Jesu Tod (der ohnehin nicht genau datiert werden konnte) mit der biblischen Finsternis bei seinem Tod zu identifizieren und somit als Beleg für die Wahrheit des biblischen Berichts zu werten.
Bei seinen Behauptungen über Pilatus und Tiberius beruft er sich hingegen NICHT auf heidnische Quellen, die das bestätigen würden. Warum wohl? Vielleicht weil er wusste, dass es keine gab.
 
Der erste in der Reihe monotheistischer Propheten ist Zarathustra, der Begründer des iranischen Zoroastrismus/Mazdaismus. Diese Gestalt ist (höchstwahrscheinlich) historisch
Ich halte Zarathustra zwar auch für historisch, aber ein bisschen verwundert bin ich schon, dass Du ihn für historisch hältst, Jesus aber nicht, obwohl Letzterer eindeutig besser belegt ist.
 
Die Schilderungen zu den judenchristlichen Umtrieben im 1. Jhd. scheinen mir zu realistisch, die zu Paulus und Petrus zu nachvollziehbar, um von einer plötzlich auftauchenden seltsamen "katholischen Kirche Roms" im 2. Jhd. sprechen zu können. Es klingt einfach insgesamt zu konstruiert und verschwörungstheoretisch, Jesus als unhistorische Gestalt abtun zu wollen. Volle Sicherheit werden wir nicht erlangen, man kann grundsätzlich so gut wie jede Quelle in Frage stellen.

Insgesamt finde ich Deine Schlußfolgerungen, vor allem zum Judentum, lesenswert und nachvollziehbar. Allerdings trifft nicht erst das Christentum auf die hellenistische Philosophie, die ab dem 1 Jhd. v. Chr. zunehmend religiöse Anklänge hat. Bereits die Juden haben sich daher damit auseinandergesetzt, z.B. Philo von Alexandria.

Was ich stark vermisse bei Gedanken über die Entstehung des Monotheismus ist die ägyptische Seite, also Echnaton. Du solltest unbedingt lesen, was Assmann dazu zu sagen hat. Selbst wenn Du ihm nicht folgst, sollte man was dazu schreiben.
 
@Luziv

Die Schilderungen zu den judenchristlichen Umtrieben im 1. Jhd. scheinen mir zu realistisch, die zu Paulus und Petrus zu nachvollziehbar, um von einer plötzlich auftauchenden seltsamen "katholischen Kirche Roms" im 2. Jhd. sprechen zu können. Es klingt einfach insgesamt zu konstruiert und verschwörungstheoretisch, Jesus als unhistorische Gestalt abtun zu wollen. Volle Sicherheit werden wir nicht erlangen, man kann grundsätzlich so gut wie jede Quelle in Frage stellen.

Hier geht es aber nicht um irgendwelche Quellen, sondern um die Basistexte einer zweitausendjährigen Weltreligion, die um der Wahrheit dieser Texte wegen x Tausende von Todesopfern gefordert hat und ihre Lehre auf die Historizität einer bestimmten Person gründet. Das macht Quellenkritik ganz besonders wichtig.

Dass Paulus und Petrus historisch gänzlich ungesicherte Gestalten sind, weißt du sicher. Vielleicht auch, dass in den Paulusbriefen zahlreiche Stellen auf eine gegnerische gnostische Gruppierung mit ausgereifter Theo- bzw. Mythologie hinweisen. Nun ist der Gnosisforschung aber nicht bekannt, dass es überhaupt eine Gnosis und gar auf dieser Stufe im 1. Jh. bereits gegeben hat. Jene also, die behaupten, dass sich die Paulusbriefe auf eine Gnosis in der Mitte des 1. Jh. beziehen, müssen hypothetisch voraussetzen, dass es zu dieser Zeit eine Art „Gnosis in statu nascendi“ gab (so der entsprechende Ausdruck für diese Hypothese). Der bekannte Theologe und Gnosisexperte Gerd Lüdemann z.B. vertritt diese Ansicht (wie er mir auch in einer persönlichen Email mitteilte).

Diese Hypothese ist aber nur ein Hilfskonstrukt ohne den geringsten historischen Beleg. Nimmt man hinzu, dass ein Paulus im 1. Jh. nicht nachweisbar ist, dass die ersten Paulusbriefe erst um 140 vom Gnostiker Marcion herausgegeben wurden und dass viele Briefstellen zeigen, dass der Ich-Verfasser selbst gnosisnahe Positionen vertritt, dann bietet sich leicht die Hypothese an, dass die Briefe ursprünglich von Marcion selbst angefertigt und in der Folge von den Katholiken annektiert und überarbeitet wurden, wobei die Widersprüchlichkeiten (gnostisch angehauchter Verfasser polemisiert gegen gnostische Gruppe) aus der Unvollkommenheit dieser Überarbeitungen resultieren. Man nehme z.B. den paulinischen Epheserbrief, der zu den unechten Paulusbriefen gezählt wird: Dort gibt es Stellen wie

Eph 6,12: Denn wir kämpfen nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser Welt der Finsternis, gegen die Geister des Bösen in den Lüften

und

Eph 2,2: in denen ihr früher gelebt habt nach der Art dieser Welt, unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams.

Diese Verse sind gnostisch in Reinkultur, da sie auf den finsteren gnostischen Demiurgen, Jaldabaoth, Bezug nehmen ("Beherrscher der Welt der Finsternis", "Mächtiger, der in der Luft herrscht usw.").

Mittlerweile ist nachgewiesen, dass der Epheserbrief zunächst als Laodicäerbrief der Marcioniten kursierte. Aber auch in Röm und Kor finden sich Aussagen mit gnostischem Flair.

Die Indizien für die These, dass ´Paulus´ eine Erfindung des 2. Jh. ist, haben meines Erachtens mindestens so viel Gewicht wie die – man darf sagen – historisch alles andere als zuverlässigen Darstellungen der ´Paulusbriefe´ sowie der Apostelgeschichte.

Das, was gegen die Historizität der Jesusfigur spricht, habe ich im Forum schon mehrmals thematisiert – in erster Linie ist es die Tatsache, dass nichts für seine Historizität spricht. Natürlich gibt es eine Menge Zusatzargumente, die teilweise auf die Unzulänglichkeit der Evangelien als historische Dokumente zielen. Nehmen wir z.B. den angeblichen Prozessverlauf: Da wird die Verhandlung vor dem Sanhedrin gegen Jesus mitten in der Nacht geführt. Historisch ganz falsch. Denn der Sanhedrin tagte nur bei Tag. Dass der Rat die Hinrichtung nicht veranlassen darf, sondern dafür die Römer beanspruchen muss, ist ebenfalls unzutreffend. Der Rat durfte die Steinigung eines zum Tode verurteilten Juden eigenmächtig durchführen lassen. Eine Kreuzabnahme nach nur wenigen Stunden war bei den Römern absolut unüblich. Sie ließen die Leichen nämlich so lange hängen, bis sie verwesten, und zwar aus Gründen der Abschreckung. Dass laut Markus der Statthalter Pilatus eine Ausnahmegenehmigung erteilte, entspringt wohl der Phantasie des oder der Autoren, denen bei der Konzeption der Geschichte auch daran gelegen war, die Römer als „die Guten“ hinzustellen und den Tod von Jesus einzig den Juden anzulasten. Grund: Man wollte den Römern für die Annahme des christlichen Glaubens keine Steine in den Weg legen. Leider haben diese Szenen den jahrtausendelangen Antisemitismus begründet.

[FONT=Arial, sans-serif]Dass die „Auferstehung“ nach „drei Tagen“ geschah, sind hübsche Details, die beide mutmaßlich vom Osirismythos und dem Kybele-Kult abgekupfert wurden.[/FONT]

Allerdings trifft nicht erst das Christentum auf die hellenistische Philosophie, die ab dem 1 Jhd. v. Chr. zunehmend religiöse Anklänge hat. Bereits die Juden haben sich daher damit auseinandergesetzt, z.B. Philo von Alexandria
.

Philon von Alexandria habe ich in diesem Zusammenhang aber erwähnt, auch die hellenistischen Einflüsse auf die jüdische Weisheitstheologie und Apokalyptik, letzteres in einem kompletten Absatz in der Mitte des Posts.

Was ich stark vermisse bei Gedanken über die Entstehung des Monotheismus ist die ägyptische Seite, also Echnaton. Du solltest unbedingt lesen, was Assmann dazu zu sagen hat. Selbst wenn Du ihm nicht folgst, sollte man was dazu schreiben.

Mir ging es um die Genese des christlichen Monotheismus, wie ich im ersten Satz gleich schreibe. Da spielt Echnatons Lehre keine direkte und vermutlich auch keine indirekte Rolle, Zarathustras Lehre aber schon, da sie das Judentum stark beeinflusste, nachdem Babylon unter persische Herrschaft geriet.


Das Jesus-Thema werde ich demnächst mit einem neuen Thread (so etwa: „Jesus und das Blutopfer“) wieder einbringen.
 
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Hallo Chan, mein persönlicher Lieblings-Radikalkritiker,:winke:

ich komme nicht umher, eine ehrliche Achtung vor der Energie zu entwickeln, mit welcher Du Deine Thesen vertrittst.

@Luziv
Hier geht es aber nicht um irgendwelche Quellen, sondern um die Basistexte einer zweitausendjährigen Weltreligion, die um der Wahrheit dieser Texte wegen x Tausende von Todesopfern gefordert hat und ihre Lehre auf die Historizität einer bestimmten Person gründet. Das macht Quellenkritik ganz besonders wichtig.

Mal ganz davon abgesehen, dass man die Wirkungsgeschichte der Evangelien auch anders einschätzen kann;), kann ich den kausalen Zusammenhang nicht so recht erkennen. Die vermeintliche Wirkungsgeschichte eines antiken Textes darf den Historiker doch nicht dazu verleiten, diesem Text als Quelle eine andere Behandlung zukommen zu lassen, als anderen Quellen.
Meine Forderung: Keine „quellenkritischen Extrawürste“ für die christlichen Quellen gegenüber paganen.
Meine unverschämte Unterstellung: Zuerst war die ideologische Abneigung der Radikalkritiker gegen das traditionelle Christentum da, danach folgten Überlegungen, wie man die Glaubwürdigkeit jener christlichen „Basistexte“ am besten herabzusetzen vermag.
Wenn dem so wäre, wäre das natürlich keine gute Voraussetzung für eine objektive historische Quellenkritik.


Nimmt man hinzu, dass ein Paulus im 1. Jh. nicht nachweisbar ist, dass die ersten Paulusbriefe erst um 140 vom Gnostiker Marcion herausgegeben wurden und dass viele Briefstellen zeigen, dass der Ich-Verfasser selbst gnosisnahe Positionen vertritt, dann bietet sich leicht die Hypothese an, dass die Briefe ursprünglich von Marcion selbst angefertigt und in der Folge von den Katholiken annektiert und überarbeitet wurden, wobei die Widersprüchlichkeiten (gnostisch angehauchter Verfasser polemisiert gegen gnostische Gruppe) aus der Unvollkommenheit dieser Überarbeitungen resultieren. Man nehme z.B. den paulinischen Epheserbrief, der zu den unechten Paulusbriefen gezählt wird: Dort gibt es Stellen wie

Eph 6,12: Denn wir kämpfen nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser Welt der Finsternis, gegen die Geister des Bösen in den Lüften

und

Eph 2,2: in denen ihr früher gelebt habt nach der Art dieser Welt, unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams.

Diese Verse sind gnostisch in Reinkultur, da sie auf den finsteren gnostischen Demiurgen, Jaldabaoth, Bezug nehmen ("Beherrscher der Welt der Finsternis", "Mächtiger, der in der Luft herrscht usw.").

Was soll den an diesen Versen gnostische Reinkultur sein? Beinahe sämtlichen gnostisch-christl. Schulen/ Systemen liegt ein Geist-Materie-Dualismus zugrunde. Auch Marcion lehrte, der unbekannte Geist-Gott im Himmel sei das Gute, der Weltschöpfer hingegen, den das AT verkündet, sei ein böser Gott. Seine Schöpfung, vornehmlich die Materie und eben auch der menschliche Leib seien minderwertige und verabscheuungswürdige Gebilde. Marcion predigte Fleisch- und Weinverzicht sowie den Verzicht auf Ehe/ Geschlechtsverkehr, weil er den Leib, Fleisch und Blut, verachtete. Paulus hingegen betont in der von Dir zitierten Stelle, dass nicht „Fleisch und Blut“ der Gegner des Christen ist, sondern dass es geistliche Mächte sind (dass nach Paulus diese geistl. Mächte den Menschen gerne mittels „fleischlicher Begierden“ in Versuchung bringen ist etwas anderes).
Nun ist es richtig, dass die Gnostiker zum Teil sehr abstruse Engel- und Dämonenherarchien hervorbrachten, ausgerechnet für Marcion spielten solche Lehren allerdings eine eher geringe Rolle. Vielleicht nicht der Radikalkritiker, aber der normal-tickende Historiker nimmt ja aufgrund der Quellen eine jüdische Herkunft des Saulus/Paulus an. In diesem Zusammenhang ist die ausgeprägte Engel- und Dämonenlehre des Judentums zur Zeit zwischen den Testamenten von Bedeutung. Schon die kanonischen AT-Bücher lieferten Ansätze einer Engelhierarchie-Lehre, kennen „Mächte“, „Throne“, „Fürsten“, „Gewalten“ usw. Zwischen-testamentarische Schriften wie die Henoch-Apokalypse oder die in Qumran gefundene Schrift 1Q S III zeigen eindrücklich, wie die Engel des Lichts gegen die Engel der Finsternis kämpfen. Der Gläubige war aufgerufen, mit Hilfe der guten Engel gegen die Geister und Mächte der Finsternis anzukämpfen. Und auch das Wissen um die Existenz eines „Chefs“ der bösen Geister (nenn ihn Belial, Satan oder wie auch immer) ist ein jüdisches Wissen.
Die von Dir zitierten Epheserbrief-Stellen lassen als Hintergrund sehr viel besser diese jüdische Vorstellungswelt als die der Marcioniten erahnen. Meiner Meinung nach ist es sogar abwegig, einen Text, der davon spricht, dass „Fleisch und Blut“ kein Gegner der Gläubigen sei, als einen marcionitischen Text zu verdächtigen.

Die Indizien für die These, dass ´Paulus´ eine Erfindung des 2. Jh. ist, haben meines Erachtens mindestens so viel Gewicht wie die – man darf sagen – historisch alles andere als zuverlässigen Darstellungen der ´Paulusbriefe´ sowie der Apostelgeschichte.

Wenn das Dein Erachten ist, dann ist es das, aber ich persönlich halte das für eine historisch grob-fahrlässige Fehleinschätzung.

Das, was gegen die Historizität der Jesusfigur spricht, habe ich im Forum schon mehrmals thematisiert – in erster Linie ist es die Tatsache, dass nichts für seine Historizität spricht.

… außer eben die Quellen. Aber sei's drum ...

Natürlich gibt es eine Menge Zusatzargumente, die teilweise auf die Unzulänglichkeit der Evangelien als historische Dokumente zielen. Nehmen wir z.B. den angeblichen Prozessverlauf: Da wird die Verhandlung vor dem Sanhedrin gegen Jesus mitten in der Nacht geführt. Historisch ganz falsch. Denn der Sanhedrin tagte nur bei Tag.

Es ist richtig, dass laut den rabbinischen Quellen (siehe etwa Sahn. 4, 1) zumindest Kriminalprozesse bei Tage und nicht in der Nacht verhandelt werden sollten (anders Zivilprozesse). Nun ist den Evangelien zu entnehmen, dass direkt nach der Verhaftung Jesu, also noch i. d. Nacht Verhör-Gespräche im Haus des Hohenpriesters bzw. seines Schwiegervaters stattfanden. Alle drei Synoptiker (Mt. 27, 1; Mk. 15, 1; Lk. 22, 66ff) und sinngemäß auch Johannes (Joh. 18, 24) stellen aber auch eindeutig fest, dass der rechtsgültige Hinrichtungs-Beschluss erst am nächsten Morgen gefasst worden ist. Tatsächlich sind laut den Evangelien alle wichtigen Vorbereitungen im Hinblick auf das Urteil bereits in der Nacht getroffen worden, alle Zeugen schon gesammelt und ihre Aussagen abgeklopft worden usw. Nichts in den Evangelien hindert uns aber daran, die förmliche Synedrions-Sitzung, also den offiziellen, von den Gerichtsschreibern dokumentierten Prozess gegen Jesus in den Morgenstunden anzunehmen. Lukas behauptet dies sogar ausdrücklich.

Dass der Rat die Hinrichtung nicht veranlassen darf, sondern dafür die Römer beanspruchen muss, ist ebenfalls unzutreffend. Der Rat durfte die Steinigung eines zum Tode verurteilten Juden eigenmächtig durchführen lassen.

Ja, wahrscheinlich durfte der Hohe Rat das. Aber man kann genügend Überlegungen anstellen, warum eine Abwälzung der Verantwortung auf die Römer für die jüd. Elite vorteilhaft war.

Eine Kreuzabnahme nach nur wenigen Stunden war bei den Römern absolut unüblich. Sie ließen die Leichen nämlich so lange hängen, bis sie verwesten, und zwar aus Gründen der Abschreckung. Dass laut Markus der Statthalter Pilatus eine Ausnahmegenehmigung erteilte, entspringt wohl der Phantasie des oder der Autoren […]

Ich wundere mich, dass Du nach bald 2000 Jahren noch so genau sagen kannst, welche Genehmigungen die damaligen Behörden in ihrem Arbeitsalltag ausgestellt haben können und welche nicht. Könnte das nicht ein Autor, der nach meiner Einschätzung ein paar Jahrzehnte nach jenem Ereignis schrieb, nach Deiner Einschätzung vielleicht so 120(?) Jahre danach, vielleicht besser einschätzen, als Du das heute beurteilen kannst? Könnte doch zumindest sein.

[...] der Autoren, denen bei der Konzeption der Geschichte auch daran gelegen war, die Römer als „die Guten“ hinzustellen und den Tod von Jesus einzig den Juden anzulasten. Grund: Man wollte den Römern für die Annahme des christlichen Glaubens keine Steine in den Weg legen. Leider haben diese Szenen den jahrtausendelangen Antisemitismus begründet.

Ich will mich gar nicht über den Unterschied von Antijudaismus und Antisemitismus streiten und auch nicht wie gering oder wie groß die Schuld der Evangelien an diesen Entwicklungen war, aber eines ist doch klar: Wären die Evangelien völlig unhistorische Phantasie-Geschichten (meinetwegen aus dem 2 Jh. n. Chr., wie Du ja meinst), welche die Juden für den Tod Jesu verantwortlich machen wollten, die Römer aber als „die Guten“ darstellen wollten, dann hätten sie Jesus auch durch eine jüdische Steinigung sterben lassen und nicht durch eine vom röm. Präfekten angeordnete röm. Kreuzigung. Deine Argumentation ist an diesem Punkt absurd. Deine Märchenerzähler namens Evangelisten hätten doch alle Freiheit gehabt – es sei denn sie hatten sich doch an gewisse historische Vorlagen zu halten.

Das Jesus-Thema werde ich demnächst mit einem neuen Thread (so etwa: „Jesus und das Blutopfer“) wieder einbringen.

Ich bin schon gespannt.:winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
@Luziv


...

Mir ging es um die Genese des christlichen Monotheismus, wie ich im ersten Satz gleich schreibe. Da spielt Echnatons Lehre keine direkte und vermutlich auch keine indirekte Rolle, Zarathustras Lehre aber schon, da sie das Judentum stark beeinflusste, nachdem Babylon unter persische Herrschaft geriet.

...

Das verstehe ich nicht. Da das Christentum zu großen Teilen aus dem Judentum hervorgeht, ist doch die Entstehung des monotheistischen Judentums von Bedeutung. Und da sind ägyptische Einflüsse zu diskutieren.

Insgesamt zur Quellenfrage: man kann sich zu einzelnen Quellen hauen und stechen, es kommt letztlich auf eine Gesamtschau in Bezug auf die These "geschichtliche Entstehung" contra "nachträgliche Erfindung" an. Das ist eine (aber nicht nur) subjektive Frage, weil über Wertungen ein allgemeines Weltverständnis und Lebenserfahrungen hineinspielen. Aus meiner Sicht als Jurist und dilettierender Hobbyhistoriker spricht bei Abwägung von pro und contra mehr dafür, bei der Sache mit Jesus, früher Kirche und Co. von Berichten über reale Abläufe - mit Zudichtungen und natürlich auch interpretiert, aufgebauscht, umgedeutet, verfälscht, etc. - auszugehen als von kompletten Erfindungen. Da ich kein Christ bin, fühle ich mich hier auch nicht übermäßig voreingenommen.
 
Sorry für die lange Verzögerung.

@luziv:

Mir ging es um die Genese des christlichen Monotheismus, wie ich im ersten Satz gleich schreibe. Da spielt Echnatons Lehre keine direkte und vermutlich auch keine
indirekte Rolle, Zarathustras Lehre aber schon, da sie das Judentum stark
beeinflusste, nachdem Babylon unter persische Herrschaft
geriet.
Das verstehe ich nicht. Da das Christentum zu großen Teilen aus dem Judentum hervorgeht, ist doch die
Entstehung des monotheistischen Judentums von Bedeutung. Und da sind Ãgyptische
Einflüsse zu diskutieren.

Als da wären? Mir ist in Bezug auf die jüdische Mainstreamlehre kein nennenswerter Einfluss aus ägyptischer Richtung bekannt. Isis hat nebst Maat zwar Modell gestanden für die Sophia der Weisheitsliteratur, das aber war nach der "Entstehung des monotheistischen Judentums" und ist eher ein Zeichen für die Wiederkehr polytheistischer Regungen im Judentum. Da Moses eine mythische Figur ist, fällt ´er´ als Medium des Echnaton-Eingottglaubens weg. Geprägt wurde die israelitische Religion vor allem durch die ugaritisch-kanaanitischen Götter, weit weg von Ägypten, während der explizit jüdische Glaube (also ab dem 5. Jh. vuZ) mehr unter dem Einfluss der apokalyptischen persischen Religion stand.

Ägyptische Einflüsse auf das Christentum sehe ich schon eher, da die Osiris-Figur (nebst Attis aus dem Kybelekult) das entscheidende Vorbild für die christliche Idee sein dürfte, die Christusfigur im Passionsmythos gewaltsam sterben und, wie Osiris und Attis, nach drei Tagen wiederauferstehen zu lassen.

Das ist eine (aber nicht nur) subjektive Frage, weil über Wertungen ein
allgemeines Weltverständnis und Lebenserfahrungen hineinspielen. Aus meiner
Sicht als Jurist und dilettierender Hobbyhistoriker spricht bei Abwägung von pro
und contra mehr dafür, bei der Sache mit Jesus, früher Kirche und Co. von
Berichten über reale Abläufe - mit Zudichtungen und natürlich auch
interpretiert, aufgebauscht, umgedeutet, verfälscht, etc. - auszugehen als von
kompletten Erfindungen. Da ich kein Christ bin, fühle ich mich hier auch nicht
übermäßig voreingenommen.

Ich weiß nicht, was dich veranlasst, von einem historischen Kern der Jesusgeschichte auszugehen, aber es hängt sicher mit der, auch szenischen, Detailliertheit der Darstellung zusammen. Dazu ist zu sagen, dass die Phantasie religiöser Autoren in jenen Zeiten grenzenlos war. Belegt wird das durch die detailfreudigen und doch komplett erfundenen Lebensbeschreibungen von Abraham und Moses, die etwa sechshundert Jahre vor den Evangelien im babylonischen Exil verfasst wurden. In gleicher Ausführlichkeit konnte also auch die fiktive Vita eines mythischen Helden namens Jesus zu Papyrus gebracht werden - und das durchaus im Fact-Fiction-Stil, also unter Einbeziehung historischer Figuren wie Pilatus und Kaiphas. Vergegenwärtigt man sich die abergläubische Mentalität jener Zeit, die ein heutiger Mensch, mit einer Zeitmaschine dorthin versetzt, als irrenhausreif empfinden würde, dann kann es nicht wundern, dass die Fiktion, einmal in Umlauf geraten, immer mehr Menschen dazu brachte, die sie für bare Münze nehmen, zumal das Bedürfnis nach einer messianischen Erlöserfigur epidemisch grassierte. Vermutlich wusste nach einer Generation kaum einer mehr, dass die Story nur der Phantasie begabter Autoren entsprungen war. Eine Analyse der Passionsgeschichte legt nahe, dass sie ursprünglich ein Mysteriendrama zur szenischen Aufführung und nachträglich in Prosa umgestaltet war, wobei das Hauptkriterium des antiken Dramas (Handlung über maximal einen Tag hinweg) eingehalten wurde, was den historisch unmöglichen nächtlichen Prozess im Sanhedrin erklärt. Die Vorgeschichte der Passionshandlung wurde dann nachträglich her- und der Passion vorangestellt.

Soweit meine von anderen Autoren, z.B. John M. Robertson, angeregte Hypothese.

Abgesehen von der Lebensechtheit vortäuschenden Detaillierheit spricht nichts für die Historizität. Alle scheinbaren historischen Zeugnisse über Jesus können als falsch oder fragwürdig gelten. Nicht einmal archäologische Hinweise auf das Christentum finden sich im 1. Jahrhundert. Es ist kein objektiver Grund für einen dogmatisch unbeeinflussten Nichtchristen erkennbar, die Jesusfigur für historisch fundiert zu nehmen. Aber vielleicht siehst du ja einen, der mir entgeht.
 
 
 
Alle scheinbaren historischen Zeugnisse über Jesus können als falsch oder fragwürdig gelten.

Siehst Du denn nicht, dass das eine Behauptung ist, die Du bisher mit nichts anderem Stützen konntest als eben mit dieser Behauptung in verschiedenen Varianten?

Du sagst immer sinngemäß: 'Nichts spricht für eine Historizität Jesu von Nazareth'. Ich sage: Außer den Quellen. Und ich sage weiter: Nichts spricht für einen fiktiven unhistorischen Jesus, außer Deiner Behauptung, dass die Quellen zu Jesus nur Fiktives bieten würden.

Es ist kein objektiver Grund für einen dogmatisch unbeeinflussten Nichtchristen erkennbar, die Jesusfigur für historisch fundiert zu nehmen. Aber vielleicht siehst du ja einen, der mir entgeht.

Auch wenn ich nicht angesprochen war: Ich sehe einen objektiven Grund: die Quellenlage!


In gleicher Ausführlichkeit konnte also auch die fiktive Vita eines mythischen Helden namens Jesus zu Papyrus gebracht werden - und das durchaus im Fact-Fiction-Stil, also unter Einbeziehung historischer Figuren wie Pilatus und Kaiphas. Vergegenwärtigt man sich die abergläubische Mentalität jener Zeit, die ein heutiger Mensch, mit einer Zeitmaschine dorthin versetzt, als irrenhausreif empfinden würde, dann kann es nicht wundern, dass die Fiktion, einmal in Umlauf geraten, immer mehr Menschen dazu brachte, die sie für bare Münze nehmen
Ich teile Dein - gelinde gesagt - "unfreundliches" Urteil über die Mentalität der Menschen jener Zeit nicht, aber angenommen, es träfe zu: Wenn damals jene "abergläubische Mentalität", die ein heutiger Mensch als "irrenhausreif" beurteilen würde, so hoch im Kurs stand und derart verbreitet war, warum sollten die mit solcher Mentalität bestens vertrauten Zeitgenossen die Produkte solchen Aberglaubens für "bare Münze" nehmen?
 
 
 
@ Chan:

Beim erneuten Durchlesen meines Beitrags sehe ich, dass mein Ton Dir gegenüber nicht gerade wertschätzend daherkommt. Das war eigentlich gar nicht meine Absicht. Hätte das auch netter formulieren können. Also entschuldige bitte den Ton.
 
Als da wären? Mir ist in Bezug auf die jüdische Mainstreamlehre kein nennenswerter Einfluss aus ägyptischer Richtung bekannt. Isis hat nebst Maat zwar Modell gestanden für die Sophia der Weisheitsliteratur, das aber war nach der "Entstehung des monotheistischen Judentums" und ist eher ein Zeichen für die Wiederkehr polytheistischer Regungen im Judentum.
Sophia ist eine allegorische Figur und sollte man nicht verwechseln mit einer Rückentwicklung des Judentums zum Polytheismus.

während der explizit jüdische Glaube (also ab dem 5. Jh. vuZ) mehr unter dem Einfluss der apokalyptischen persischen Religion stand.
In der Zeit ab dem 5. Jhdt. begann sich das Judentum zunehmend gegen seine Umwelt abzuschotten und war immer weniger aufnahmefreudig für neue Einflüsse.

Ägyptische Einflüsse auf das Christentum sehe ich schon eher, da die Osiris-Figur (nebst Attis aus dem Kybelekult) das entscheidende Vorbild für die christliche Idee sein dürfte, die Christusfigur im Passionsmythos gewaltsam sterben und, wie Osiris und Attis, nach drei Tagen wiederauferstehen zu lassen.
Das schreibst Du zwar immer wieder, aber auf welche Quellen stützt Du Dich eigentlich, insbesondere hinsichtlich einer Auferstehung nach drei Tagen?
Attis soll an den Folgen einer Selbstkastration im Wahnsinn gestorben sein, also ganz anders als die christliche Passionsgeschichte. Er erstand dann (laut Pausanias) auch nicht wieder auf, sondern lediglich sein Körper blieb unverwest.

Ich weiß nicht, was dich veranlasst, von einem historischen Kern der Jesusgeschichte auszugehen, aber es hängt sicher mit der, auch szenischen, Detailliertheit der Darstellung zusammen. Dazu ist zu sagen, dass die Phantasie religiöser Autoren in jenen Zeiten grenzenlos war. Belegt wird das durch die detailfreudigen und doch komplett erfundenen Lebensbeschreibungen von Abraham und Moses, die etwa sechshundert Jahre vor den Evangelien im babylonischen Exil verfasst wurden. In gleicher Ausführlichkeit konnte also auch die fiktive Vita eines mythischen Helden namens Jesus zu Papyrus gebracht werden - und das durchaus im Fact-Fiction-Stil, also unter Einbeziehung historischer Figuren wie Pilatus und Kaiphas. Vergegenwärtigt man sich die abergläubische Mentalität jener Zeit, die ein heutiger Mensch, mit einer Zeitmaschine dorthin versetzt, als irrenhausreif empfinden würde, dann kann es nicht wundern, dass die Fiktion, einmal in Umlauf geraten, immer mehr Menschen dazu brachte, die sie für bare Münze nehmen, zumal das Bedürfnis nach einer messianischen Erlöserfigur epidemisch grassierte. Vermutlich wusste nach einer Generation kaum einer mehr, dass die Story nur der Phantasie begabter Autoren entsprungen war. Eine Analyse der Passionsgeschichte legt nahe, dass sie ursprünglich ein Mysteriendrama zur szenischen Aufführung und nachträglich in Prosa umgestaltet war, wobei das Hauptkriterium des antiken Dramas (Handlung über maximal einen Tag hinweg) eingehalten wurde, was den historisch unmöglichen nächtlichen Prozess im Sanhedrin erklärt. Die Vorgeschichte der Passionshandlung wurde dann nachträglich her- und der Passion vorangestellt.
Wo ist der Sinn des Ganzen? Wieso sollte jemand eine Jesus-Figur erfinden? So etwas macht höchstens dann Sinn, wenn eine religiöse Bewegung schon lange existiert und das Wissen um ihre Ursprünge verloren gegangen ist. Dass sich die Christen auf einen Christus zurückführten, der unter Pilatus hingerichtet wurde, ist aber spätestens durch Tacitus auch außerbiblisch belegt, also etwa siebzig Jahre nach Beginn des Christentums. Natürlich könnte auch in einer noch relativ jungen religiösen Bewegung jemand einen neuen Stifter erfinden, aber dass dieser dann von den übrigen Mitgliedern der Bewegung, die allesamt noch nie von einem Jesus, der erst vor ein paar Jahrzehnten gestorben sein soll, gehört hatten, auch anerkannt wird, ist damit noch lange nicht gesagt und gerade im konfliktfreudigen frühen Christentum reichlich unwahrscheinlich.
Außerdem ist das Christentum nun einmal stark auf Jesus und seine Erlöserfunktion ausgerichtet. Wenn Jesus nicht von Anfang an vorhanden war, wie soll dann das Christentum anfangs ausgesehen haben? Es kommen doch nicht einfach irgendwelche Leute zusammen, beschließen, dass sie fortan eine religiöse Bewegung sein wollen, lassen sich sogar verachten und verfolgen, aber welche Glaubensinhalte sie eigentlich haben, überlegen sie sich erst ein paar Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte später. Wenn von den Christen ursprünglich Attis oder Osiris verehrt wurde, wieso hätten ihn die Christen dann später durch einen erfundenen Jesus ersetzen sollen statt einfach weiterhin Attis oder Osiris zu verehren?
Zu den praktischen Schwierigkeiten, die eine nachträgliche Fact-Fiction-Erfindung der Evangelien und der Apostelgeschichte mMn bieten würde, siehe diesen Beitrag http://www.geschichtsforum.de/657865-post7.html , auf den Du leider nicht eingegangen bist.

Abgesehen von der Lebensechtheit vortäuschenden Detaillierheit spricht nichts für die Historizität. Alle scheinbaren historischen Zeugnisse über Jesus können als falsch oder fragwürdig gelten.
Natürlich, wenn man sie als falsch oder fragwürdig gelten lassen will. Man kann alles abstreiten.

Nicht einmal archäologische Hinweise auf das Christentum finden sich im 1. Jahrhundert.
In einer Zeit verstreuter kleiner Gemeinden, die obendrein von ihrer Umgebung oftmals angefeindet wurden, sind freilich keine großen christlichen Tempel mitsamt Jesusstatuen zu erwarten - zumal das frühe Christentum auch gar nicht auf die Errichtung irgendwelcher Kultgebäude ausgerichtet war, sondern das Zusammensein für Lehre, Gebet und gemeinsames Mahl in den Mittelpunkt des Kultuslebens stellte.
 
Es wird oben behauptet, es gäbe keine archäologischen Funde für das Christentum aus dem ersten Jahrhundert. Dann hätte man uns 1970 in den Katakomben von Rom belogen, dort gab es einen Raum, der angeblich von Christen im ersten Jahrhundert benutzt wurde.Und das galt damals als sichere Erkenntnis.
 
@buschhons:

Siehst Du denn nicht, dass das eine Behauptung ist, die Du bisher mit nichts anderem Stützen konntest als eben mit dieser Behauptung in verschiedenen Varianten?

Du sagst immer sinngemäß: 'Nichts spricht für eine Historizität Jesu von Nazareth'. Ich sage: Außer den Quellen. Und ich sage weiter: Nichts spricht für einen fiktiven unhistorischen Jesus, außer Deiner Behauptung, dass die Quellen zu Jesus nur Fiktives bieten würden.

Du meinst doch sicher die außerbiblischen Quellen? Oder wirklich auch die biblischen? Für letztere ist doch bekannt, dass sie als historische Quellen nicht dienen können. Und erstere können Stück für Stück widerlegt oder doch zumindest in Frage gestellt werden. Das hier zu leisten, wäre natürlich eine umfangreiche Angelegenheit, die ich aus Zeitgründen um ein paar Wochen aufzuschieben bitte.

Es geht übrigens nicht um irgendeine Person, sondern um just jene, die laut christlichem Glauben vom Herrn der Schöpfung zwecks Erlösung zu den Menschen gesandt wurde und sie am Ende der Tage auch richten wird. Ich verstehe absolut nicht, wie man sich unter diesem Aspekt mit den spinnenfadendünnen ´Zeugnissen´ zufriedengeben kann, die über diese angebliche Person hinterlassen sind, und diese ´Zeugnisse´ als hinreichendes Existenzdokument akzeptiert, wie du und Ravenik u.a. es anscheinend tun, vor allem, wenn man bedenkt, wie fälschungsfreudig das Christentum nachgewiesenermaßen war.

Ich teile Dein - gelinde gesagt - "unfreundliches" Urteil über die Mentalität der Menschen jener Zeit nicht, aber angenommen, es träfe zu..

Beim Zeus, es trifft zu :) Ich kann das auch gerne belegen, z.B. anhand antiker Papyri für privaten Schutzzauber. Wenn es nicht als "religionsfeindlich" eingestuft werden könnte, würde ich mich auch auf die Hunderte von Zwangsregeln beziehen (z.B. wie weit in einer bestimmten Situation eine Tür geöffnet sein darf...), die das Judentum erarbeitet hat, um Gott wohlgefällig zu sein. Wir könnten auch über den Kybelekult reden, der viele Männer in Anlehnung an Attis zur Selbstkastration trieb, von denen manche das am nächsten Tag sicher bereuten. Wir könnten zudem über die Art und Weise reden, wie sich die christlichen Schulen in den ersten Jahrhunderten gegenseitig als "wilde Tiere" und Schlimmeres bezeichneten, also die emotionale Reife von Zwölfjährigen demonstrierte. Mein Urteil ist übrigens nicht wertend gemeint - es ist einfach evident, dass viele Denk- und Verhaltensweisen, die damals als normal galten, heute vorwiegend bei Borderline-Patienten und schizophrenen Patienten anzutreffen sind, d.h. sie gehen über den neurotischen Rahmen weit hinaus.

Das ist keine Wertung, sondern eine nüchterne Feststellung.

Wenn damals jene "abergläubische Mentalität", die ein heutiger Mensch als "irrenhausreif" beurteilen würde, so hoch im Kurs stand und derart verbreitet war, warum sollten die mit solcher Mentalität bestens vertrauten Zeitgenossen die Produkte solchen Aberglaubens für "bare Münze" nehmen?

So wie ich das Argument verstehe, erscheint es mir unlogisch. Gerade jene Mentalität war doch nicht fähig, mit nüchternem Sinn Mythos von Fakten zu unterscheiden. Natürlich gab es zu jeder Zeit klare Köpfe, aber ich spreche von der Durchschnittsmentalität jener Zeit. Ich verweise auch auf die Tatsache, dass sogar gebildete Römer - darüber sprachen wir schon vor einigen Monaten - privat und offiziell einen Aberglauben pflegten, der heute - mit Verlaub - total durchgeknallt wirken würde. Das lässt sich doch nicht abstreiten, lieber Buschhons.

@Ravenik:

Sophia ist eine allegorische Figur und sollte man nicht verwechseln mit einer Rückentwicklung des Judentums zum Polytheismus.

Nun, ich schrieb "polytheistische Regungen" und nicht "Polytheismus". Natürlich wurde mit Sophia keine separate Göttin offiziell neben Jahwe gestellt, aber die - ob wirklich allegorischen gemeinten, sei jetzt dahingestellt - Formulierungen in den Texten wären kaum erklärlich, wenn nicht zumindest unbewusst eine polytheistische Tendenz (Regung) bestanden hätte. Dafür spricht auch, dass es gerade die Sophia-Gestalt ist, deren wichtigste Züge das frühe Christentum über die Vermittlung von Philon von Alexandria auf Christus übertrug - das Motiv des JC als Gottesmittler entstammt dem Sophia-Konzept. Das kann ich dir gerne im Detail nachweisen. Die damit entstandene innerchristliche Problematik, nämlich das spätere Trinitätskonzept, hat dem Christentum den Vorwurf des Polytheismus eingetragen (bekanntlich ein Hauptargument auch des Islam gegen die Christen). Dem Christentum ist es auch nicht wirklich gelungen, diesen Vorwurf zu entkräften.

Kurz: Der in der Trinität zumindest rudimentär entfaltete Polytheismus steckt konzeptuell schon in dem Vorgängermodell Jahwe-Sophia, gleich ob allegorisch gemeint oder nicht.

In der Zeit ab dem 5. Jhdt. begann sich das Judentum zunehmend gegen seine Umwelt abzuschotten und war immer weniger aufnahmefreudig für neue Einflüsse.

Im 2. Jh. vuZ war Isis ein Orientierungspunkt für die Konzeption der Sophia. Jüdische Autoren hatten die diversen Isisaretalogien gut studiert und einiges daraus für Sophia adaptiert. Das überliefert auch Philon von Alexandria. Bestätigt wird das von Plutarch. Der Anteil der Isis, aber auch der Ma´at, an der jüdischen Sophia-Idee ist religionswissenschaftlich unumstritten.


Das schreibst Du zwar immer wieder, aber auf welche Quellen stützt Du Dich eigentlich, insbesondere hinsichtlich einer Auferstehung nach drei Tagen?

Bis dato auf Sekundärliteratur. Wir können das gerne mal detaillierter durchgehen, nur nicht heute, ich schreibe das nämlich gerade in einem frequentierten Internetshop am Münchner Hauptbahnhof :)

Attis soll an den Folgen einer Selbstkastration im Wahnsinn gestorben sein, also ganz anders als die christliche Passionsgeschichte. Er erstand dann (laut Pausanias) auch nicht wieder auf, sondern lediglich sein Körper blieb unverwest.

In Sachen Auferstehung gelten Mythen um folgende Figuren als Vorgänger:

Dumuzi, Attis, Adonis, Orpheus, Dionysos, Baal und Osiris.

Es geht im übrigen nicht um Eins-zu-eins-Übernahmen fremder Mytheme, sondern ums Prinzip. Ich zitiere auf die Schnelle Justin, Apol. 1,20 ff.:

Wenn wir aber weiterhin behaupten, der Logos, welcher Gottes erste Hervorbringung ist, sei ohne Beiwohnung gezeugt worden, nämlich Jesus Christus, unser Lehrer, und er sei gekreuzigt worden, gestorben, wieder auferstanden und in den Himmel aufgestiegen, so bringen wir im Vergleich mit den Zeussöhnen nichts Befremdliches vor... Wenn wir aber sagen, er sei auf ganz eigene Weise entgegen der gewöhnlichen Abstammung als Logos Gottes aus Gott geboren worden, so ist das, wie schon vorhin gesagt wurde, etwas, was wir mit euch gemeinsam haben, die ihr den Hermes den von Gott Kunde bringenden Logos nennt. Sollte man aber daran Anstoß nehmen, dass er gekreuzigt worden ist, so hat er auch das mit euren vorhin aufgezählten Zeussöhnen (Hermes, Asklepios, Dionysos, Herakles) gemeinsam, die auch gelitten haben; denn von diesen werden nicht gleiche, sondern verschiedene Todesarten erzählt, so dass er auch in der ihm eigentümlichen Todesart ihnen nicht nachsteht... Wenn wir ferner behaupten, er sei von einer Jungfrau geboren worden, müsst ihr hierin eine Übereinstimmung mit Perseus zugeben. Sagen wir endlich, er habe Lahme, Gichtbrüchige und von Geburt an Siechende gesund gemacht und Tote erweckt, so wird das dem gleichgehalten werden können, was von Asklepios erzählt wird...

Zum Rest deiner Antwort morgen mehr.
 
Zuletzt bearbeitet:
@buschhons:



Du meinst doch sicher die außerbiblischen Quellen? Oder wirklich auch die biblischen? Für letztere ist doch bekannt, dass sie als historische Quellen nicht dienen können.

Ich hatte tatsächlich ausschließlich die neutestamentlichen Schriften im Sinn! Hättest Du nicht gedacht, wa?=) Unser Urteil über den historischen Aussagewert dieser Quellen geht leider sehr weit auseinander.

Es geht übrigens nicht um irgendeine Person, sondern um just jene, die laut christlichem Glauben vom Herrn der Schöpfung zwecks Erlösung zu den Menschen gesandt wurde und sie am Ende der Tage auch richten wird. Ich verstehe absolut nicht, wie man sich unter diesem Aspekt mit den spinnenfadendünnen ´Zeugnissen´ zufriedengeben kann, die über diese angebliche Person hinterlassen sind, und diese ´Zeugnisse´ als hinreichendes Existenzdokument akzeptiert, wie du und Ravenik u.a. es anscheinend tun, vor allem, wenn man bedenkt, wie fälschungsfreudig das Christentum nachgewiesenermaßen war.

Wenn Du eine persönliche Abneigung gegen "just jene" Person der Geschichte hast, ok; aber solch einer Abneigung sollte man - so man historisch arbeiten will - keine allzu großen Auswirkungen auf die eigene Quellenkritik zugestehen. Ist das bei Dir der Fall? Ist das bei Dir nicht der Fall? Du weißt es am besten. Beantworte Dir die Frage einmal.

Ansonsten bewundere ich Dein geschlossenes Gedanken- und Argumentationsgebäude, halte aber die Grundfesten dieses Gebäudes für falsch und brüchig.
 
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