Wieviel Kynismus steckt im Christentum - wie viel Christentum steckt im Kynismus?

El Quijote

Moderator
Teammitglied
Aufgeworfen wurde das Thema von BZwo:
Da sich hier in letzter Zeit alles um Wanderprediger dreht, würde ich gerne nochmal auf den Kynismus und den eventuellen Einfluss den kynische Philosophie auf das frühe Christentum und auf Jesus [...] hatte, zu sprechen kommen. Leider sind kynische Schriften allenfalls in Fragmenten erhalten, und das meiste kann man nur aus den Kommentaren anderer antiker Autoren über diesen Philosophiezweig erschliessen. Aber es gab wohl auch im Kynismus Wanderprediger (oder wandernde Philosophen, wenn man so spitzfindig sein will) die unter anderem auch Bedürfnislosigkeit gepredigt haben. Das würde ja auch sehr gut zu den Verhaltensregeln für Wanderprediger passen [...]. Einige Zitate kynischen Ursprungs, die auch gut von Jesus stammen könnten, hatte ich schon weiter oben gebracht.
Epiktet: "Alle Menschen haben immer und überall einen Vater der für sie sorgt."

Dio aus Prusa: "...betrachte die wilden Tiere dort drüben und die Vögel, wieviel sorgenfreier sie als der Mensch leben..."

Und bei Seneca findet man zum Thema kynische Philosophie folgendes: "Gestatte jedem Menschen, der es möchte, dich zu beleidigen und falsch zu behandeln; wenn jedoch nur Tugend in dir ist, wirst du nichts erleiden. Wenn du glücklich sein möchtest, wenn du in guter Absicht wünschen würdest, ein guter Mensch zu sein, lass den einen oder anderen Menschen dich verachten."

Edit:
Können wir uns nicht mal zwischendurch über Wanderprediger des 1. (und vielleicht noch 2.) Jahrhunderts unterhalten, ohne auf die Person Jesus fixiert zu sein?

Ja genau, z.B. über kynische Wanderprediger. ;)

Wenn Du im Allgemeinen über solche Ähnlichkeiten zwischen Stoa/Kynismus auf der einen Seite und Aussprüchen Jesu auf der anderen Seite [...] in Anlehnung an Dohertys Thesen diskutieren willst, dann steuere ich gerne was bei [...]:

Ich beschränke mich auf das Epiktet- und das Dion-Zitat (findest Du übrigens bei Doherty genauere Werk- und Stellenangaben?):

Epiktet: "Alle Menschen haben immer und überall einen Vater, der für sie sorgt."
Dio aus Prusa: "...betrachte die wilden Tiere dort drüben und die Vögel, wieviel sorgenfreier sie als der Mensch leben..."
Wenn ich nach einer Parallele in den Aussprüchen Jesu suche, so kommt mir als erstes die Bergpredigt in den Sinn. Ich schätze mal, als Q-Paralelle für die beiden Philosophen-Zitate betrachtest Du Matth. 6, 25ff?

Matth. 6, 25-26:
Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?
Ich nenne die vier inhaltlichen Punkte, die ich in dem fett markierten Text erkenne:
Punkt 1: Der Mensch soll sich nicht um die existentiell-materielle Versorgung zum Leben sorgen, denn ...
Punkt 2: die Wildvögel sorgen sich auch nicht um ihre existentiell-materielle Versorgung.
Punkt 3: Dennoch werden sie vom himmlischen Vater ernährt und versorgt.
Punkt 4: Der Mensch ist aber noch viel mehr Wert als die Wildvögel (Unausgesprochen folgt daraus: Umso mehr versorgt der himmlische Vater den Menschen, der ihm in dieser Hinsicht vertraut).

Bei Epiktet sehe ich Anklänge an Punkt 1 und an das, was unter Punkt 4 in Klammern gesetzt ist.
Bei Dion von Prusa sehe ich Anklänge an Punkt 2.
Reichen diese „Anklänge“ aus, um über eine Abhängigkeit nachzudenken? Und ich meine jetzt keine literarische Abhängigkeit, sondern eine Abhängigkeit der Idee(n). Zumindest sind einige inhaltliche Gemeinsamkeiten nicht zu leugnen. Dennoch muss man auch bedenken, dass man bereits beim schnellen Durchstöbern des AT`s ebenso einige der oben benannten Punkte formuliert findet (Punkt 3: z. B. Psalm 104, 10ff. 27-28 u. 136, 25; Punkt 4: z. B. Gen. 1, 26-28). Nimmt man sich Zeit zum Suchen, würde man vielleicht alle vier Punkte schon im AT und/ oder den jüd. Apokryphen aus der Zeit vor Jesus finden. Und es fragt sich, ob die Bergpredigt nicht eher von dieser jüdischen Gedankenwelt als vom Kynismus beeinflusst ist. Und wie das folgende Zitat gleich zeigt, finden sich jene Punkte zudem in der rabbinischen Literatur; die Verwandtschaft der dortigen Gedanken mit Matth. 6, 25f ist m. E. enger als die zwischen Matth. 6, 25f und den Zyniker-Zitaten:

Mischna, Seder Naschim, Traktat Kidduschin IV 14a:
Rabbi Schim'on ben El'azar [um 190 n. Chr.] sagt: Hast du zu deiner Zeit ein Tier oder einen Vogel gesehen, die ein Handwerk ausübten? Und sie werden ohne Mühe ernährt. Und wurden sie nicht nur geschaffen um dir zu dienen, und wurde ich nicht geschaffen, um meinem Schöpfer zu dienen; sollte ich da nicht ernährt werden ohne quälende Sorgen?
Natürlich war auf der anderen Seite das Zeitalter des Hellenismus dasjenige, in dem auch im Judentum griechisches Gedankengut hie und da zaghaft Fuß fasste. Deshalb will ich nicht zu schnell behaupten, im 1. Jh. n. Chr. könnten nie und nimmer und unter gar keinen Umständen irgendwelche kynischen od. stoischen Elemente in der religiösen Sprache der Juden zu finden gewesen sein. Da kenne ich mich zu wenig aus.

Nur eines ist ja klar: So man von der Existenz Jesu ausgeht, so können seine Aussprüche mitnichten von Epiktet oder Dion, die beide erst Jahrzehnte nach Jesu Tod geboren wurden, abhängig sein. Wenn man aber schließen möchte, dass Jesus nicht existiert haben kann, weil seine bzw. die ihm angedichteten Sprüche von den Sprüchen Epiktets und Dions abhängig sind, diese aber erst bald ein halbes Jahrhundert nach Jesu angeblichem Tod gewirkt haben, so ist das natürlich eine ziemliche Überbewertung jener inhaltlichen Überschneidungen ihrer Sprüche. Außerdem müsste man dann auch annehmen, dass Rabbi Schim'on von den Zynikern abhängig ist, was gemessen an der sonstigen ziemlichen Eigenständigkeit und Abgrenzung der jüdisch-rabbinischen Literatur und Gedankenwelt, die sich für griechische Philosophie nicht interessiert, reichlich gewagt sein dürfte.

In Bezug auf Epiktet und Dion (bzw. Dio, so wird er auch in dem Brief von Lukian von Samosata genannt, den Sepiola verlinkt hat) hast Du sicher Recht. Natürlich könnte man sich fragen inwieweit diese Zitate sich auf die Lehren der Begründer des Kynismus wie z.B.: Antisthenes, Diogenes oder Krates beziehen. Leider ist von deren Schriften nichts überliefert, daher bleibt es wohl letzten Endes Spekulation, wieviel kynisches Gedankengut im Christentum steckt, es sei denn es werden irgendwo mal wieder ein paar alte Schriftrollen entdeckt, die diese Frage klären können.
die Frage nach Anlehnung an / Beeinflußung durch / Variation von / womöglich gar Ideenklau bei griech.-röm. philosophische Richtungen (Stoa, Kyniker) -- ganz egal wie man das formuliert -- wirft noch ganz andere Fragen auf, wenn sie speziell auf den Anfang, auf das "Urchristentum" und auf Jesus selber bezogen wird!
Denn es fragt sich dann:
- wie verbreitet in den kulturellen/städtischen Zentren Palästinas waren griechische philosophische Schriften oder Lehren?
- wie "hellenisiert" in kultureller und geistiger Hinsicht war die Oberschicht in dieser Gegend?
- wie verhielt sich die einheimische Religion/Religiosität zu den philosophischen Schulen/Richtungen? was hielt man in den Synagogen, im Jerusalemer Tempel von diesen Philosophen (und was kannte man tatsächlich von denen)?
- wer hatte Zugang zu dergleichen "intellektuellem Luxus"? ("Bücher", Schriftrollen, Kopien waren ein sehr teures Gut)
- müssten die Wanderprediger nicht enorm gebildete, an Akademien studierte Denker gewesen sein, wenn sie dergleichen Philosopheme zu variieren, zu adaptieren, umzudeuten vermochten?
- wer konnte sich wo und auf welche Weise vor der Integration ins röm. Imperium im Satrapenstaat des Herodes solchen Bildungsluxus leisten?

Mein Verdacht: ein Wanderprediger im 1.Jh. in Palästina, der tatsächlich Kentnisse in griech. Philosophie hatte, musste entweder einer hellenisierten Oberschicht angehört haben oder aufgrund seiner sonstwie privilegierten Herkunft Zugang zu dieser und deren Bildungsstätten gehabt haben.

Mein zweiter Verdacht: Anklänge an bzw. Anlehnungen an griech. Philosophie(en) in den frühchristlichen Quellen sind erst später, Ende 1. und dann im 2. Jh. entstanden, als salopp gesagt die Buchreligion konstruiert und konstituiert und dabei mit Bildung aufgeladen wurde - umgekehrt bedeutet dieser Verdacht, dass der historische Jesus auf seinen Predigtwanderungen noch nicht mit griech. Philosophemen bzw. mit Variationen/Anlehnungen an solche argumentiert/gepredigt hatte (man fragt sich auch, wer im "einfachen Volk" dergleichen gekannt haben sollte und davon hätte angesprochen werden können)
Ich beschränke mich auf das Epiktet- und das Dion-Zitat (Findest Du übrigens bei Doherty genauere Werk- und Stellenangaben?):

Gute Frage.
Das Epiktet-Zitat habe ich im Handbüchlein nicht und in den Lehrgesprächen in dieser Form nicht gefunden, vielleicht sind hier Aussagen aus 1,3 und 3,24 kombiniert.

Natürlich könnte man sich fragen inwieweit diese Zitate sich auf die Lehren der Begründer des Kynismus wie z.B.: Antisthenes, Diogenes oder Krates beziehen. Leider ist von deren Schriften nichts überliefert
Die drei, vor allem Diogenes, werden in den Lehrgesprächen Epiktets einige Male erwähnt und zitiert.
Der "sorgende Vater" wird aber keinem der drei zugeschrieben.

ein paar Beiträge zuvor ging es darum, ob möglicherweise Anlehnungen an griech. kyn. Philosophen in den urchristlichen Quellen enthalten sind

Wir sprechen also über den Kynismus.

und ich habe mir daraufhin erlaubt, zu fragen, wie wahrscheinlich Kenntnisse in griech. Philosophie unter Wanderpredigern des 1. Jhs. gewesen sein können
Die Frage lautete:
- müssten die Wanderprediger nicht enorm gebildete, an Akademien studierte Denker gewesen sein, wenn sie dergleichen Philosopheme zu variieren, zu adaptieren, umzudeuten vermochten?
Die Frage beantworte ich nochmal mit einem ganz deutlichen Nein.

Der Kynismus pfiff auf jegliche formale Bildung, betrieb nie irgendwelche Akademien, hat auch nie ein philosophisches System entwickelt, das man hätte studieren können. Die frühen Kyniker haben noch nicht mal irgendwelche Schriften hinterlassen, sondern nur Anekdötchen, aus denen sich ihre Nachfolger nach Belieben bedienten.

Wie ich bereits erwähnte, wurde die kynische Lehre im Gegensatz zu anderen philosophischen Richtungen in erster Linie durch Wanderprediger (wandernde Philosophen) verbreitet. Daraus lässt sich denke ich schliessen, das nicht nur Angehörige der geistigen Eliten Zugang zu diesen Ideen hatten. Das sich einer dieser kynischen Wanderprediger allerdings bis nach Galiläa verlaufen hat, halte ich aber auch wieder für eher unwahrscheinlich. M.E. könnten aber durchaus einige dieser wandernden Philosophen ihre Lehren in den Hafenstädten der Levante verkündet haben. Dort könnten auch jüdische Händler, die ja wahrscheinlich schon aufgrund ihres Berufes ein ausreichend gutes griechisch beherrschten, einige dieser Ideen aufgeschnappt und weitergetragen haben. Auf diesem Wege könnten dann auch die urchristlichen Gemeinden mit diesen hellenistischen Ideen in Berührung gekommen sein, vermutlich sogar ohne etwas über den eigentlich Ursprung dieser Weisheiten zu wissen.

Wie ist Eure Meinung dazu?

Halte ich im Großen und Ganzen schon für plausibel.
Die Frage ist halt nur, ob man für die Evangelien überhaupt kynische Einflüsse annehmen muss.
Für unser Thema gilt:
Da sie nie ein philosophisches Lehrgebäude entwickelt hatten, sondern sich in ihren Grundsätzen vornehmlich an der exemplarischen Lebensweise des Diogenes von Sinope und des Krates von Theben orientierten, bedeutete Kynikersein, diese beiden Autoritäten nachzuahmen. Das Fehlen eines schriftlichen Kanons brachte es mit sich, dass Epigonen die Handlungen und Verhaltensweisen der alten Kyniker oft imitierten, ohne deren Sinn zu verstehen oder zu verwirklichen. Da zudem der Kynismus durch sein Ziel der völligen Autarkie an die totale Besitzlosigkeit gebunden war und daher auch jede formale Bildung ablehnte, war er besonders geeignet, unlautere Elemente anzuziehen.
...
Da die kynische Bewegung im Gegensatz zur stoischen Schule kein schriftlich fixiertes Lehrsystem besass, konnte Epiktet für seine Darstellung des idealen Kynikers auf keine kanonischen Schriften zurückgreifen. Für die Ausarbeitung seines kynischen Leitbildes schöpfte er, sofern Diogenes und Krates als Vorbilder dienten, aus der reichen Anekdoten- und Apophthegmenüberlieferung.
Margarethe Billerbeck
Epitket. Vom Kynismus.

Es ist angenommen worden, dass in Nazareth jüdische Handwerker wohnten, die in den griechischen Städten arbeiten, aber nicht wohnen wollten. [...]
Das Judentum hatte sich damals auch schon mit der griechischen Philosophie auseinandergesetzt. Also gehörte ein gewisses Wissen hierüber auch zur jüdischen religiösen Bildung, oder diese war zumindest davon beeinflusst.


Wir gehen hier immer davon aus, dass die Beeinflussung nur in eine Richtung gegangen sei und die ist natürlich vom Kynismus zum Christentum. Warum aber eigentlich? Warum können wir keine umgekehrte Beeinflussung annehmen? Dio Chrysostomos war mit Trajan befreundet. Trajan war mit Plinius befreundet, Plinius schrieb Trajan Briefe über die Christen mit denen er sich als Prokurator Trajans herumzuschlagen hatte. Ein interessierter Mann wie der Goldmund wird sich doch sicher mal zu den Christen Roms begeben haben und deren Predigten gelauscht, und ihm gefiel eben das Wort mit den Vögel, die nicht sähen und nicht ernten und eben doch ernährt werden und er hat es in seine Philosophie übernommen, weshalb ein christliches Wort nun im kynischen Repertoire zu finden ist.
Dies ist nur eine Behauptung von mir, nicht mehr, aber sie ist chronologisch gut begründet und hat daher m.E. dieselbe Berechtigung wie die Annahme, dass in die Evangelien ein kynisches Wort eingeflossen ist, zumal Dio Chrysostomos bei der Niederschrift der synoptischen Evangelien so ca. 25 - 30 Jahre alt gewesen ist, also sicher noch nicht den Bekanntheitsgrad hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zum Thema Kynismus,
wir gehen hier immer davon aus, dass die Beeinflussung nur in eine Richtung gegangen sei und die ist natürlich vom Kynismus zum Christentum. Warum aber eigentlich?
vielleicht aus dem naiven rechnerischen Grund, dass es das Christentum erst gute vierhundert Jahre nach Antisthenes und Diogenes gab?

freilich später, Neuplatoniker usw., sieht das wieder anders aus, verkürzt gesagt gab es in der Spätantike Verschmelzungen von christl. und platonischer Moralphilosophie.
 
Aber du wirst mir sicher zustimmen, dass Epiktet und Dio Chrysostomos, deren überlieferte Sprüche sich frappierend mit Jesusworten der Evangelien decken, jüngere Zeitgenossen des Paulus und Zeitgenossen der Evangelisten waren, oder?
 
Erstmal Danke an El Q. für die Zusammensuch-Mühe.

Wenn hier gesondert über einen Einfluss vom Zynismus auf das frühe Christentum oder umgekehrt diskutiert werden soll, das aber im "Historizitäts-Faden" bisher ausschließlich auf der Grundlage der drei Zyniker-Zitate geschehen ist, die BZwo im ersten Beitrag (des hiesigen Fadens) geboten hat, so wären m. E. genauere Quellenangaben dazu jetzt schon wichtig. Denn, wenn ich das richtig sehe, sind die drei Zitate bis jetzt das einzig Vorgebrachte, was die Frage nach einer Beeinflussung (egal in welche Richtung) überhaupt rechtfertigt.

Ich hatte ja schon mal gefragt:
Findest Du übrigens bei Doherty genauere Werk- und Stellenangaben?

Und Sepiola hatte dazu bemerkt:
Gute Frage.
Das Epiktet-Zitat habe ich im Handbüchlein nicht und in den Lehrgesprächen in dieser Form nicht gefunden, vielleicht sind hier Aussagen aus 1,3 und 3,24 kombiniert.

Falls das nicht wirklich nur so kleine Satz-Fragment-Schnipsel sind, steht in den Quellen vielleicht ein Satz davor und ein Satz dahinter, die man gerne mitlesen würde, um einen Satz wie
"...betrachte die wilden Tiere dort drüben und die Vögel, wieviel sorgenfreier sie als der Mensch leben..."
besser im Kontext beurteilen zu können. Man weiß doch so gar nicht, worauf genau der Kyniker mit dieser kurzen Aussage hinaus wollte.

Also, wenn weiter auf der Grundlage jener drei Zitate debattiert werden soll, sollte man die vorher mal checken (z. B. Textzusammenhang, wenn vorhanden). Oder wir brauchen weitere Quellen und Zitate.
 
na klar stimme ich in diesem Fall nicht nur rechnerisch zu :) -- zu fragen wäre nur, ob im Falle der Beeinflussung Christentum -> Kyniker Epiktet und Dio Chrysostomos sich auf den historischen Jesus beziehen oder auf die späteren frühchristlichen Schriftquellen.
 
vielleicht aus dem naiven rechnerischen Grund, dass es das Christentum erst gute vierhundert Jahre nach Antisthenes und Diogenes gab?

freilich später, Neuplatoniker usw., sieht das wieder anders aus, verkürzt gesagt gab es in der Spätantike Verschmelzungen von christl. und platonischer Moralphilosophie.

Auch Gnosis und Manichäismus sind älter, als das Christentum. Es gab mal einen Forianer der hatte es immer mit dem Logos.

Für mich ist das aber nichts, da zu viel Spekulation. Die Diskussion ob Jesus das kleine Gräcum geschafft hätte bewegte sich für meinen Geschmack schon auf sehr dünnem Eis, obwohl sich da immerhin schriftliche Quellen anführen lassen, die dafür oder dagegen sprechen. Ich bin dann mal weg.:winke:
 
Wenn hier gesondert über einen Einfluss vom Zynismus auf das frühe Christentum oder umgekehrt diskutiert werden soll,

Ich bin dafür, dass wir uns auf den Gebrauch von Kynismus einigen, weil der Begriff Zynismus einen ja recht deutlichen Bedeutungswandel erfahren hat. Mit Kynismus würden wir uns von der Polysemie des Begriffs Zynismus besser abgrenzen.
 
Ich hatte ja schon mal gefragt:
Ich beschränke mich auf das Epiktet- und das Dion-Zitat (Findest Du übrigens bei Doherty genauere Werk- und Stellenangaben?

Falls das nicht wirklich nur so kleine Satz-Fragment-Schnipsel sind, steht in den Quellen vielleicht ein Satz davor und ein Satz dahinter, die man gerne mitlesen würde, um einen Satz wie
besser im Kontext beurteilen zu können. Man weiß doch so gar nicht, worauf genau der Kyniker mit dieser kurzen Aussage hinaus wollte.

Also, wenn weiter auf der Grundlage jener drei Zitate debattiert werden soll, sollte man die vorher mal checken (z. B. Textzusammenhang, wenn vorhanden). Oder wir brauchen weitere Quellen und Zitate.

Leider gibt Doherty zu den genannten Zitaten keine Quellen an. Das Epiktet-Zitat stammt wohl auch gar nicht aus dessen eigenen Schriften, denn Doherty leitet es mit den Worten "Von Epiktet wird überliefert, er habe gesagt:" ein.
'Tschuldigung, das hätte ich natürlich gleich dazu schreiben sollen als ich die Zitate das erste mal brachte. Muss ich irgendwie übersehen haben.
In den Anmerkungen zum entsprechenden Kapitel stehen als Quellen nur Schriften von Burton Mack und F. Gerald Downing, daher vermute ich das Doherty zu diesem Thema weniger selbst recherchiert, als vielmehr die Argumente dieser beiden Autoren übernommen hat.
In der Internet-Kurzfassung von Dohertys Buch sind die Zitate auch nicht zu finden. Im Grunde steht da zum Thema Kynismus kaum mehr als ein Verweis auf diese beiden Autoren.
Q was not a narrative Gospel, but an organized collection of sayings which included moral teachings, prophetic admonitions and controversy stories, plus a few miracles and other anecdotes. It was the product of a Jewish (or Jewish imitating) sectarian movement located in Galilee which preached a coming Kingdom of God. Scholars have concluded that Q was put together over time and in distinct stages. They have identified the earliest stratum (calling it Q1) as a set of sayings on ethics and discipleship; these contained notably unconventional ideas. Many are found in Matthew's Sermon on the Mount: the Beatitudes, turn the other cheek, love your enemies. A close similarity has been noted (see F. Gerald Downing, "Cynics and Christians," NTS 1984, p.584-93; Burton Mack, A Myth of Innocence, p.67-9, 73-4) between these maxims and those of the Greek philosophical school known as Cynicism, a counterculture movement of the time spread by wandering Cynic preachers. (Mack has declared that Jesus was a Cynic-style sage, whose connection with things Jewish was rather tenuous.) Perhaps the Q sect at its beginnings adopted a Greek source, with some recasting, one they saw as a suitable ethic for the kingdom they were preaching. In any case, there is no need to impute such sayings to a Jesus; they seem more the product of a school or lifestyle, formulated over time and hardly the sudden invention of a single mind.
und etwas später im Text:
Having just written that Jerusalem is the city that murders the prophets sent to her, how could the Q compiler have resisted putting in a reference to the greatest murder of all? As for the saying in Luke 14:27 about disciples "taking up their cross" and following Jesus, this is recognized as a Cynic-Stoic expression, possibly of the Jewish Zealots as well, not a reference to Jesus' own cross. (See R. Bultmann, History of the Synoptic Tradition, p.161; Burton Mack, The Lost Gospel, p.138-9; Robert Funk, Honest to Jesus, p.235.) David Seeley ("Jesus' Death in Q," NTS 38, p.223f) summarizes the situation: "[N]ot one of the passages in which prophets are mentioned refers to Jesus' death. Such a reference must be assumed."
The Jesus Puzzle--Doherty

Desweiteren schreibt Doherty noch, das die Weisheitssprüche aus Q in ihrer Struktur oft der Form eines typisch kynischen Chrie ähneln. Das bedeutet, das die Logien immer durch eine Frage eines Schülers/Jüngers oder auch einer anderen Person eingeleitet werden, worauf dann z.B. Diogenes (oder ein anderer Kyniker) bzw. Jesus ihre Weisheit zum Besten geben.

Wobei ich vermute, das man ähnlich strukturierte Sprüche bestimmt auch bei anderen Lehren/Religion finden könnte.
 
Leider gibt Doherty zu den genannten Zitaten keine Quellen an. Das Epiktet-Zitat stammt wohl auch gar nicht aus dessen eigenen Schriften, denn Doherty leitet es mit den Worten "Von Epiktet wird überliefert, er habe gesagt:" ein.
Genaugenommen gibt es von Epiktet überhaupt keine "eigenen Schriften". Wenn man "Epiktet" sagt, meint man die vier erhaltenen Kapitel der Unterredungen und das Handbüchlein, die sein Schüler Arrian verfasst hat. Die kann man aber auch mit Quellenangabe zitieren, wenn man will.

In den Anmerkungen zum entsprechenden Kapitel stehen als Quellen nur Schriften von Burton Mack und F. Gerald Downing
Zu Downing schreibe ich vielleicht bei Gelegenheit noch ein paar Sätze.

Desweiteren schreibt Doherty noch, das die Weisheitssprüche aus Q in ihrer Struktur oft der Form eines typisch kynischen Chrie ähneln. Das bedeutet, das die Logien immer durch eine Frage eines Schülers/Jüngers oder auch einer anderen Person eingeleitet werden, worauf dann z.B. Diogenes (oder ein anderer Kyniker) bzw. Jesus ihre Weisheit zum Besten geben.
Wer sich Q mal kurz durchblättert*, wird schnell feststellen, dass das "oft" nicht stimmt. Es sind nur wenige Logien, die mit einer Frage eines Schülers/Jüngers eingeleitet werden.

Wobei ich vermute, das man ähnlich strukturierte Sprüche bestimmt auch bei anderen Lehren/Religion finden könnte.
Ja z. B. in den Unterredungen des Konfuzius.

Mit denen hat Epiktet diesbezüglich mehr Ähnlichkeit als mit Q.


* Ich benutze im Moment:
Die Spruchquelle Q
Studienausgabe Griechisch und Deutsch
Herausgegeben und eingeleitet von Paul Hoffmann und Christoph Heil
Darmstadt/Leuven 2002
 
Zuletzt bearbeitet:
Leider gibt Doherty zu den genannten Zitaten keine Quellen an. Das Epiktet-Zitat stammt wohl auch gar nicht aus dessen eigenen Schriften, denn Doherty leitet es mit den Worten "Von Epiktet wird überliefert, er habe gesagt:" ein.
'Tschuldigung, das hätte ich natürlich gleich dazu schreiben sollen als ich die Zitate das erste mal brachte. Muss ich irgendwie übersehen haben.
In den Anmerkungen zum entsprechenden Kapitel stehen als Quellen nur Schriften von Burton Mack und F. Gerald Downing, daher vermute ich das Doherty zu diesem Thema weniger selbst recherchiert, als vielmehr die Argumente dieser beiden Autoren übernommen hat.
In der Internet-Kurzfassung von Dohertys Buch sind die Zitate auch nicht zu finden. Im Grunde steht da zum Thema Kynismus kaum mehr als ein Verweis auf diese beiden Autoren.
Danke für die Klärungs-Bemühungen.
 
Zu Downings These hat sich Hans Dieter Betz* geäußert; zwei Punkte halte ich für bedenkenswert:

Even when Q sayings have parallels in the Cynic tradition, it does not follow that these Q sayings are necessarily Cynic. In each case one will have to determine whether a given Q saying shares a specific Cynic position, or a more common philosophical position, or whether it may even be anti-Cynic.
(Sogar wenn Sprüche aus Q Parallelen in der kynischen Tradition haben, folgt daraus nicht, dass diese Q-Sprüche zwangsläufig kynisch sein müssen. In jedem Fall wird zu entscheiden sein, ob ein bestimmter Q-Spruch einen speziell kynischen Standpunkt oder einen eher allgemeinen philosophischen Standpunkt vertritt oder ob er sogar anti-kynisch sein könnte.)
Ancient sources leave no doubt about why someone is called a Cynic, either by himself or by others. It seems that calling the historical Jesus a Cynic would be justified only if he shared modes of conduct, external appearance, forms of speech, and points of doctrine specific and central to Cynicism. A case in point is Philo: he quotes extensively and with approval from Cynic tradition, but does this make him a Cynic? Certainly not.
(Antike Quellen lassen keinen Zweifel darüber, warum jemand sich Kyniker nennt oder von anderen genannt wird. Den historischen Jesus einen Kyniker zu nennen, wäre anscheinend nur dann gerechtfertigt, wenn er Lebensweise, äußere Erscheinung, Redeformen und Punkte der Lehre, die für den Kynismus spezifisch und zentral sind, teilen würde. Ein Beispiel dafür ist Philo: er zitiert ausgiebig und zustimmend aus der kynischen Tradition, aber macht ihn das zu einem Kyniker? Sicherlich nicht.)
*Jesus and the Cynics: Survey and Analysis of a Hypothesis (The Journal of Religion Vol. 74, No. 4, Oct. 1994)
 
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