Die Religion der Kelten - eine Naturreligion?

Biturigos

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Wenn einem nichts mehr einfällt ist es ein keltischer Kultort? Leider habe ich manchmal diesen Eindruck. Man lässt ein bischen Nebel wallen, eine Eule fliegt durch Bild, macht buhu, und ein Druide steht im weißen Kleid über einem Opferstein. Ein bischen gruselt es, finster ist es im Wald, während man selbst gerade einen Cognac Vieille Reserve von Geffard Henri schlürft, und sich Gedanken um die (polnische) Weihnachtsgans macht.

"Naturreligion" - damit ist dann alles geklärt - Steine, Quellen, Sonne, Mond und Sterne - ja, so hätten "man" es gerne..... und genau deswegen verkleiden sich auch heute noch Erwachsene sich selbst in eine gute heile Zeit projezierend wie Waldschrate und halten sich für Druiden, oder wie in wiki schön formuliert -
„Ältere Darstellungen stellen `Naturreligionen´ oft den `Kulturreligionen´ gegenüber. Bei diesem Begriffspaar schwingen Wertvorstellungen mit: Natur, Primitivität und Zivilisationslosigkeit werden in krassen Gegensatz zu Kultur gestellt. Die Begriffe Naturreligionen und Naturvölker verweisen außerdem auf einen vermeintlich idealen Urzustand, auf den Traum von der Ganzheitlichkeit des Lebens. […] Dies sind wichtige Bestandteile dieser idealisierten Naturauffassung, welche die Verwendung des Ausdrucks Naturreligion problematisch macht.“ Peter J. Bräunlein konstatiert in diesem Zusammenhang im Wörterbuch der Religionen: „Solche Begriffe [Natur-, Stammes-, Primitivreligionen, archaische oder animistische Religionen u.ä.] transportieren einseitige Reduktionen (auf `Stamm´, `Natur´, das […] `Archaische´), ungenaue und abwertende Urteile (`primitiv´) oder Relikte überholter Theorien (`Animismus´).“ Vor diesem Hintergrund wird die Bezeichnung „Naturreligion“ von den meisten Autoren abgelehnt.
Auch Auslegungen wie „Religion der Naturverehrung“ oder „Religionen, die in engem Zusammenhang mit den Erscheinungen der Natur stehen“ gelten als problematisch. Zum einen übertrügen sie das eurozentisch geprägte Verständnis von "Natur" unreflektiert auf andere Kulturen. Zum anderen werde suggeriert, dass die eng mit den natürlichen Bedingungen verknüpften Lebensweisen den (direkten) Glauben an eine „ganzheitlich gottgleiche Natur“ bedingen." (wikipedia, Naturreligion)

War die Religionen der Keltike eine "Naturreligion"?
Zuerst grundsätzlich: „Wo explizite Beschreibungen des religiösen Systems und seiner Glaubensinhalte nicht vorliegen oder dieses System sich nicht in literarischen Zeugnissen selbst manifestiert (wie in der griechisch-römischen oder der nordgermanischen Überlieferung), ist es sehr schwer, wenn nicht unmöglich, aus den äußerlichen Manifestationen – aus Kultstätten, Altären, Opfern, Weihgaben, Götterstatuen und Götternamen –, die ihrerseits erst der Interpretation bedürfen, auf den wesentlichen Inhalt und den inneren Zusammenhang des Systems zu schließen.“
(Wolfgang Meid)
"Für eine Gesamtdarstellung keltischer Relgionsgeschichte ergeben sich daraus drei Konsequenzen. Zum ersten sind alle vorhandenen Quellen in gleicher Weise zu berücksichtigen, damit nicht eine bevorzugte Behandlung besonders aussagekräftiger oder leicht deutbarer Zeugnisse ein verzerrtes Bild des Gesamtbefundes entsteht...
Zum zweiten ist bei der Präsentation der Quellen stets die Problematik der Überlieferung und der Forschungslage zu berücksichtigen...
Zum dritten schließlich ist davon auszugehen, daß nicht alle der im folgenden behandelnden Quellen über eine zeitliche und räumliche Distanz von mehrere tausend Kilometern und vielen hundert Jahren hinweg Bestandteile ein und desselben Symbolsystems anzusehen sind." (Bernhard Maier, die Religion der Kelten)

Meiner Ansicht nach war die keltische Religion eine Weltreligion, damit meine ich ein Welterklärungssystem, das eine eigenständige gesellschaftliche Entwicklung und Veränderung machte, und gleichzeitig von vielfältigen kulturellen Einflüssen und Austauschsprozessen profitierte, und keine selbstgenügsame, statische, und quasi in Kontinuität ideologisch erstarrte selbstreferentielle und ahistorische schematische "Ordnung". Sie war auf die gesellschaftlichen Akteure und ihre Lebenswirklichkeit bezogen, ethisch (für den Krieger Virtus, den Prinzeps Gerechtigkeit, den Bauer richtiges Tun) , um Antworten und Regelungen, Trost, Hoffnung, und Lebensphilosophie angesichts existentieller Bedrohungen (Krieg, Tod, Krankheit, Hunger) und den Mühen und Sorgen des Alltags (Geschäft, Liebe, Diebstahl, Mißernte) zu geben - die Religon war daher für die Menschen und von ihnen gemacht.
 
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Wenn einem nichts mehr einfällt ist es ein keltischer Kultort? Leider habe ich manchmal diesen Eindruck. Man lässt ein bischen Nebel wallen, eine Eule fliegt durch Bild, macht buhu, und ein Druide steht im weißen Kleid über einem Opferstein. Ein bischen gruselt es, finster ist es im Wald, während man selbst gerade einen Cognac Vieille Reserve von Geffard Henri schlürft, und sich Gedanken um die (polnische) Weihnachtsgans macht.

=)

Zuerst grundsätzlich: „Wo explizite Beschreibungen des religiösen Systems und seiner Glaubensinhalte nicht vorliegen oder dieses System sich nicht in literarischen Zeugnissen selbst manifestiert (wie in der griechisch-römischen oder der nordgermanischen Überlieferung), ist es sehr schwer, wenn nicht unmöglich, aus den äußerlichen Manifestationen – aus Kultstätten, Altären, Opfern, Weihgaben, Götterstatuen und Götternamen –, die ihrerseits erst der Interpretation bedürfen, auf den wesentlichen Inhalt und den inneren Zusammenhang des Systems zu schließen.“
(Wolfgang Meid)
Das ist natürlich richtig.

"Naturreligion" - damit ist dann alles geklärt - Steine, Quellen, Sonne, Mond und Sterne - ja, so hätten "man" es gerne.....
Hmm... also ohne den problematischen und polemischen Charakter des Begriffs »Naturreligion« infrage stellen zu wollen: die Kelten, Germanen und Slawen verehrten nachweislich ihnen heilige Elemente und Orte, darunter eben auch Haine, Steine, Bäume, usw., das kann man bei Tacitus, Lucanus und etlichen anderen nachlesen; dieser Umstand ist auch bezeugt durch den (mehr oder minder) reichhaltigen Korpus an Legenden und Mythen, in welchen Fluß-, Wald- oder Berggeister bzw. Zwerge und Riesen eine Rolle spielen. Über die genaue Art und Weise dieser Verehrung und die Form, die sie annahm, kann man allerdings nur spekulieren.

Mit allem anderen, was du schreibst, bin ich zu 100% einverstanden.
 
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Hmm... also ohne den problematischen und polemischen Charakter des Begriffs »Naturreligion« infrage stellen zu wollen: die Kelten, Germanen und Slawen verehrten nachweislich ihnen heilige Elemente und Orte, darunter eben auch Haine, Steine, Bäume, usw., das kann man bei Tacitus, Lucanus und etlichen anderen nachlesen; dieser Umstand ist auch bezeugt durch den (mehr oder minder) reichhaltigen Korpus an Legenden und Mythen, in welchen Fluß-, Wald- oder Berggeister bzw. Zwerge und Riesen eine Rolle spielen. Über die genaue Art und Weise dieser Verehrung und die Form, die sie annahm, kann man allerdings nur spekulieren.

Mit allem anderen, was du schreibst, bin ich zu 100% einverstanden.

Ist das denn so? Verehrten "die Kelten" Haine, Steine, Bäume?
Oder machen sie Haine zu heiligen Bezirken, zum Nemeton, in Abgrenzung zum profanen Wald, der vielfältig genutzt wird, von der Schweinemast bis zum Laubheuschnitt, von Brenn - und Bauholznutzung bis zum Zeidlern?
Das Nemeton als Ort der Kontemplation und des Zwiegesprächs mit "den Göttern", des Opfers, der Versammlung, auch des Friedens und des Tabus (Schutzorte, in denen die Feldzeichen und Schätze verwahrt sind, deren Raub ein Frevel wäre). Also wieder von Menschen für ihre Interessen und gesellschaftlichen Bedürfnisse gemacht, und keine gottgleiche Natur?
Der Menhir kann auch nichts dafür, dass er Menschen an ihren Phallus erinnert ("Ein gutes Beispiel ist der Stein von Penmarc`h (Dep.Finistère).Der ihm ähnliche Fál oder Lía Fáil genannte heilige Stein in Tara wurde wohl ursprünglich als Penis (Ferp Cluche) verehrt (vergl. seinen Namen "Glied des Fergus") Birkhan, Gesamtdarstellung keltischer Kultur, Seite 779.
Zusätzlich markierten Steinpfeiler Grenzen, waren Begräbnisorte wichtiger Persönlichkeiten oder wurden nach einem wichtigen Ereignis errichtet (Birkhan, ebenda) -> wieder hatte der Stein eine gesellschaftliche Funktion, man verehrte ihn nicht selbst als göttlich oder heilig, er wurde zum Heiligtum gemacht. Die selbst gestalteten Stelen wie die Latenesäule von Pfalzfeld (5./4.Jahrhundert BC) ersetzten die Findlinge als Produkt geologischer Prozesse, und übernahmen deren Funktion und Bedeutung.
Nun kann man spekulieren, inwiefern ein Kult um männliche Potenz, Fruchtbarkeit, Kraft oder eine Heilige Hochzeit ausgesehen hätte, dies würde jedoch ohne schriftliche Quellen wahrscheinlich nur fantastische Rückprojektionen ergeben. Aus Irland haben wir da folgendes (wikipedia):
"Fergus ist nach Thurneysen eine bretonische Bezeichnung in der Aremorica für einen kultischen Repräsentanten der Potenz.<sup id="cite_ref-1" class="reference">[1]</sup> Er wird mit „auserwählte Männlichkeit“ übersetzt (altirisch: *uiro-gustus, altkymrisch: gurgust). Ein interessantes germanisches Etymon ist der Name der Göttin Vagda-vercustis („Ruhm - auserwählte - Kraft [virtus]“). Bei Fergus mac Róich wird der Hinweis auf seine Potenz noch durch seinen Vaternamen „Großes Pferd“ verstärkt, da ja das Pferd auch als Fruchtbarkeitstier gesehen wird. Sein Phallus hat die Länge von sieben Zoll, sein Hodensack gleicht einem Mehlsack. Der Königsstein Lia Fáil bei Tara wurde bis ins 19. Jahrhundert im Volksmund noch bod Fheraghais („Glied des Fergus“) genannt. Von einem anderen Träger dieses Namens, Fergus mac Léite, wird traditionell gesungen, dass sein Penis sieben Männerfäuste lang sei.<sup id="cite_ref-HB_2-0" class="reference">[2]</sup><sup id="cite_ref-HB_2-0" class="reference">
</sup>
Der von dir angeführte Beleg im bello civili des Lucanus, als Gewährsstelle eines original keltischen Hains ist insofern schon eine solche Rückprojektion, weil seine literarische Schilderung dem Vorbild von Vergils Aeneis und seiner Beschreibung des Avernerhains verpflichtet ist (die Aeneis wiederum besonders altertümlich erscheinend eben die Reise des Aeneas schildert).

Zu den schriftlichen Quellen:
1.http://www.academia.edu/889149/Die_...torischen_Kommission_der_ÖAW_Bd._59_Wien_2005
2.Die Religion der Kelten in den antiken literarischen Zeugnissen. Sammlung, Übersetzung und Kommentierung, Bd. II: Von Cicero bis Florus (= Mitteilungen der Prähistorischen Kommission der ÖAW, Bd. 66), Wien 2008 | Andreas Hofeneder - Academia.edu

Unten ein moderner pfälzischer Kelte vor der Replik der Pfalzfelder Säule,
im Hintergrund typologisch das sogenannte freistehende Einfamilienhaus.
 

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@ Biturigos: vielen Dank für deine Erläuterungen. Das ist alles hochinteressant.

Gleichwohl bleibt offen, ob und wenn ja, inwiefern, die Religion der Kelten bzw. Germanen und Slawen als »Naturreligion« bezeichnet werden kann. In den beiden letzteren Fällen scheint diese Möglichkeit weit weniger diskutabel als bei deiner Darstellung.

Was meinst du? Wenn es Elemente einer »Naturreligion« bei den germanischen und slawischen Nachbarn der Kelten gab, können wir dann entsprechende Hinweise auch bei den Kelten auf ähnliche Weise deuten?
 
@ Biturigos: vielen Dank für deine Erläuterungen. Das ist alles hochinteressant.

Gleichwohl bleibt offen, ob und wenn ja, inwiefern, die Religion der Kelten bzw. Germanen und Slawen als »Naturreligion« bezeichnet werden kann. In den beiden letzteren Fällen scheint diese Möglichkeit weit weniger diskutabel als bei deiner Darstellung.

Was meinst du? Wenn es Elemente einer »Naturreligion« bei den germanischen und slawischen Nachbarn der Kelten gab, können wir dann entsprechende Hinweise auch bei den Kelten auf ähnliche Weise deuten?

Zu Germanen und Slawen möchte ich mich nicht äußern, dazu ist mein Wissen nicht ausreichend.
Ich will dir aber gerne an einem Beispiel verdeutlichen, mit was man und frau zu kämpfen hat, wenn die keltische Religion unter Naturreligion subsumiert wird, beziehungsweise wie fern die heutige Forschung ist, wie Wolfgang Meid (siehe oben) sagt, den inneren Zusammenhang des symbolischen Bedeutungssystems zu erschließen.
Bei der Körpergrabstätte des "Fürstengrabes" von Hochdorf (dazu auch T.Capelle O.H.Frey,M.Gebühr,H.Steuer, Henrik Thrane: Fürstengräber. In: (RGA). 2. Auflage. Band 10) fiel den Archäologen auf der Totenliege eine aus Dachsfellen und Dachswolle bestehende Auflage auf. Diese Auflage war besonders kunstvoll gestaltet, sogar die Fäden waren aus Dachswolle versponnen. So lag es nahe, da die Dachse nach archäobotanischen Analysen auch in weiter entfernten Landesteilen (Südschwarzwald, Ellwanger Berge) erlegt wurden (ein Motiv, dass sich übrigens am Glaubberger "Fürstengrab" wiederholt, dort stammte der Honig für den Met aus verschiedenen Gegenden), anzunehmen, dass der Dachs selbst eine hohe symbolische Bedeutung für den hier reich Bestatteten und/oder die Bestatter hat (Biel 1985, Körber-Grohne 1985). Da es keine Vergleichfunde aus anderen Gräbern (bisher) gibt, die literarischen antiken Quellen keine Hinweise liefern, auch nicht die vorrömische und gallorömische Ikonographie, die keltischen Literaturen des Mittelalters und auch die volkskundlichen Aufzeichnungen keinen Fingerzeig geben, konnte diese Bedeutung nicht näher präzisiert werden, und blieb bisher eine Vermutung (siehe auch oben die drei Konsequenzen von B.Maier).
Maier macht nun in seinem Kapitel Vergleiche als Hilfsmittel der Interpretation beispielhaft einen Versuch über Analogiebildung der Bedeutung (immer noch hypothetisch) näher zu kommen. In späteren Gräbern der Eisenzeit in Mittel - und Noreuropa fanden sich kalzinierte Bärenkrallen. Diese bei reich ausgestatteren Brandbestattungen von Männern gefundenen Krallen waren Hinweise, dass im germanischen und keltischen Bereich Tote öfters in Bärenfelle eingewickelt wurden. Maier schließt durch Analogiebildung auf eine Gemeinsamkeit und mögliche Bedeutungsparallelität: Bären und Dachse halten Winterschlaf (eigentlich Winterruhe), beide könnten mit ihrer Wiederkehr im Frühling den Beginn des neuen Lebens verkörpert haben (Maier, S.51/52), oder die Fortdauer des Lebens symbolisiert haben. Diese Analogiebildung steht auf, nach seinen eigenen Kriterien, wackeligen Füßen: es liegen mehrere hundert Jahre zwischen dem "Fürstengrab" von Hochdorf (550 BC)und den spätlatenezeitlichen Funden 0 - 150 BC - das hallstattzeitliche
Fürstengrab von Hochdorf ist insofern singulär, da es das mit Gold am reichhaltigsten ausgestattete Grab des Westhallstattkreises ist, mit Gold jedoch aus iberischen Quellen, einer Bronzekline wahrscheinlich aus italischer Werkstatt, mit stark etruskischen oder griechischen Bezügen auch aus vergleichbaren Gräbern herausragt - die gesamte Grabaustattung erinnert an ein griechisches Symposion (siehe unten zum Bronzekessel) - und war ein Körpergrab in einem der größten Hügelgräber Mitteleuropas (nach jetzigem Foschungsstand) - ist dies tatsächlich mit anderen reichen Männerbestattungen aus Scheiterhaufenbrandbestattungen (religiöser Wandel?) zu vergleichen?
Ich will eine eigene Hypothese anschließen: der Dachs ist das europäische Säugetier, dass die tiefsten und umfangreichsten Erdhöhlensysteme anlegt, die zum Teil jahrhundertelang bewohnt werden. Jede Generation dehnt sie weiter aus und fügt weitere Wohnkammern hinzu. Ein in England untersuchter Dachsbau umfasste 50 Kammern und 178 Eingänge, die durch insgesamt 879 Meter Tunnel miteinander verbunden waren. Dem Dachs konnte daher als besonderes Attribut ein exklusiver Zugang zur Unterwelt angeheftet werden - der dem Toten die Reise in die Totenwelt erleichtern sollte? Wahrscheinlich ist, dass Grimbart (so ein Name des Dachses in der Fabel, oder Goethes Epos Reineke Fuchs) eine magische Bedeutung zugeschrieben wurde. In Maier (Religion der Kelten) steht eine Geschichte aus dem Cormacs Glossar, in dem Cormac von seinem Vater Tadhg mac Céin verflucht wird, weil er Dachse tötete und sie bei einem Festmahl zur Schau stellt - augenscheinlich ist, dass der Familienname Tadhg ursprünglich den Dachs bezeichnete, ein familäres Totemtier - die Dachse verlassen in der Erzählung den Bau, weil sie darauf vertrauen, dass ihnen von ihrem Namensgenossen nichts geschehen wird.
Ich finde das kleine Beispiel "Dachs" zeigt, wieviele Möglichkeiten es gibt, aus den Funden zu Deutungen oder besser Hypothesen über das religiöse System zu kommen, ohne diese endgültig beweisen zu können. Dass Tiere als Helfer, als Träger magischer Attribute eine Rolle spielten, steht nach den inzwischen umfangreichen Funden außer Frage. Dabei sind die Tiere nicht unbedingt die Götter selbst, sondern Götter haben Tierattribute (oder können sich in Tiere verwandeln, Rabe-Lugus?, Pferd-Epona), haben eine Tierverwandschaft/Sympathie - beispielsweise der Gott Cerunnos "der Behornte". Insgesamt sind jedoch die Nachweise von direkten Tiergottheiten (wie Andarta, die den Bären in sich hat, oder anderen bärengestaltigen oder ihren Namen führenden Gottheiten Artio, Artaius) eher selten und unsicher. Der häufig vorkommende Personenname mit *artos bezeichnet Birkhan als poetische Namen für den Krieger. In Irland hielt sich dagegen eine Überlieferung eines Lachsgottes, der Lachs als ältestes Wesen der Erde, mit besonderer Weisheit ausgestattet, nach Birkhan gehört dieser "Lachs des Wissens" in einen gut bezeugten Typus des "Fluß-Alten" aus zirkumpolaren Kulturen. Dieser altertümliche Göttertyp so interpretiere ich es, reicht tatsächlich noch in schamanistische Jagdmagie zurück - alle anderen Fische sind seine Kinder, er muss erst versöhnt werden, wenn der Fischfang erfolgreich sein soll. Eine solche Jagdmagie spielte für die keltischen Agrargesellschaften keine (oder kaum eine) Rolle mehr.
Unten die Rekonstruktion des "Fürstengrabs" in Hochdorf (Museum Hochdorf)
Auch ausführlich zum Grab "Die Kelten in Deutschland", 2001, Biel, Riekhoff
und noch ein link: http://www.academia.edu/1828722/Der_Bronzekessel_aus_dem_sp%C3%A4thallstattzeitlichen_F%C3%BCrstengrab_von_Eberdingen-Hochdorf_Kr._Ludwigsburg_._Griechische_Stabdreif%C3%BC%C3%9Fe_und_Bronzekessel_der_archaischen_Zeit_mit_fig%C3%BCrlichem_Schmuck
 

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Ist das denn so? Verehrten "die Kelten" Haine, Steine, Bäume?

Typisch war, dass die Kelten (wie auch Germanen oder Slawen) in jeder Naturerscheinung etwas Wesenhaftes sahem. Im Feuer wie im Wasser, in der Luft wie in der Erde, in Sonne, Mond und Sternen. In jeder Quelle war ein Wesen, das durch sein Murmeln sprach. In jedem Fkuss war ein anderes Wesen, in jedem besonderen Baum.

Heilig waren den Kelten die Haine als Orte für die Verehrung ihrer Götter, als Stätte ihres Kultes. Niemand durfte daher Hand an einen Baum legen, der unverletzlich war. Auch die Berge waren Wesen mit Herzen, die ein Kundiger schlagen hörte. Es gab den Fall, dass irgendwo in Irland Arbeiter sich weigerten, einen Hügel für einen Flugplatz einzuebenen, weil Feen darin wären.

Verehrt wurde also nicht der Stein, die Quelle der Baum an sich, sondern das Wesen, das damit verbunden war.
 
augenscheinlich ist, dass der Familienname Tadhg ursprünglich den Dachs bezeichnete
Neben Familien- gab es auch Stammesnamen, die sich auf (totemisch verehrte?) Tiere oder Pflanzen bezogen: Eburones (die Eiben), Tarbelli (die Stiere?), Matugenos (Sohn des Bären), Boduognatus (Sohn der Krähe), Brannogenos (Sohn des Raben). Darüber hinaus findet man ja auf gallischen Münzen vermehrt verschiedene Vogelarten, Pferde und Wildschweine. Letztere schmückten auch nicht selten die Feldstandarten. Das allein reicht natürlich nicht aus, um auf einen (wie auch immer gearteten) »Naturkult« zu schließen, aber es spricht doch dafür, daß Tiere und Bäume zumindest symbolisch eine Rolle spielten.

In südfranzösischen Oppida aus vorrömischer Zeit (II. und III. Jhd.) finden sich allerdings vermehrt Hinweise in Heiligtümern, die auf eine Assoziation von Tieren wie Pferden, aber auch Raubtieren wie der »Taraske«, sowie Vögeln, Schlangen und Fischen, mit dem gallischen Pantheon schließen lassen. Es dürfte sich dabei nicht um Götter, aber doch um Diener der Götter handeln.

Quelle : Paul Duval, Les dieux de la Gaule, Payot, 2002.
 

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Typisch war, dass die Kelten (wie auch Germanen oder Slawen) in jeder Naturerscheinung etwas Wesenhaftes sahem. Im Feuer wie im Wasser, in der Luft wie in der Erde, in Sonne, Mond und Sternen. In jeder Quelle war ein Wesen, das durch sein Murmeln sprach. In jedem Fkuss war ein anderes Wesen, in jedem besonderen Baum.

Heilig waren den Kelten die Haine als Orte für die Verehrung ihrer Götter, als Stätte ihres Kultes. Niemand durfte daher Hand an einen Baum legen, der unverletzlich war. Auch die Berge waren Wesen mit Herzen, die ein Kundiger schlagen hörte. Es gab den Fall, dass irgendwo in Irland Arbeiter sich weigerten, einen Hügel für einen Flugplatz einzuebenen, weil Feen darin wären.

Verehrt wurde also nicht der Stein, die Quelle der Baum an sich, sondern das Wesen, das damit verbunden war.

Schön die Anekdote mit den irischen Arbeitern, die Feen als Grund angaben, um die Arbeit zu verweigern. Leider kaum für mich übertragbar, unter Spülbergen verstecken sich kaum Elben und andere Wesen aus der Anderswelt. :heul:
Jetzt wieder ernst: das Problem ist, dass sich sagen wir im 19.Jahrhundert in Irland wahrscheinlich nur noch das erhalten hat, was Birkhahn niedere Mythologie von Monstern und Ungeheuer nennt, hier bei uns entsprechend Sagen, Fabeln und Märchen. Die inselkeltische Anderswelt als Parallelwelt der Geister hat eine weit zurückreichende Tradition, die sich mit den Túatha Dé Danann aus dem sog. mythologischen Zyklus verbinden ("die Geschichte der Schlacht von Mag Tuired (Cath maire Tuired), zusätzlich in "Das Buch der Landnahmen Irlands" (Lebor Gabála Érenn aus dem 11.Jahrhundert). Durch die Niederlage gegen die Milesier waren die Túatha Dé Danann gezwungen, sich unter der Führung von Dagda in die Sidhe-Hügel zurückziehen. Zuerst wurden nur die Hügel Sidhe genannt, später wurden auch die Tuatha De Danann Aes Sídhe genannt, Leute aus den Hügeln.
Die menschenweltähnliche otherworld aus der inselkeltischen Überlieferung hat aber nicht sehr viel mit der festland - und altkeltischen Jenseitsvorstellung als Ort der Toten zu tun.
Meiner Ansicht nach gab es sicher magische oder totemische Besetzungen, was du als Geister hinter den Naturerscheinungen (Bäume, Steine, Tiere, Quellen) bezeichnet hast, wesentlicher ist jedoch, inwiefern sie sich mit den religiösen Weltvorstellungen der Keltike verbinden ließen - ohne eine Zuordnung der Totengötter zur Unterwelt hätte der oben interpretierte Dachs keine Funktion - erst eine Vorstellung des Symbolsystems gibt uns einen Hinweis über eine symbolische Bedeutung, die wie im Detail am Dachs beschrieben, nur äußerst schwer rückwärts zu erschließen ist.
Dazu meiner Ansicht nach ein erhellendes Zitat, dass in der Allgemeinheit sicher wieder zu wenig komplex ist und zu (leicht romantisch) idealisiert, aber eine Denkweise vorschlägt, um überhaupt einen Zugang zu keltischen Religionsvorstellungen zu bekommen.
"Dazu gehörte die unwiederbringliche Überantwortung des Opfers, ob Sache oder Mensch, an eines der vier Elemente durch Vergraben (Erde), Versenken (Wasser), Verbrennen (Feuer) oder Verwesen (Luft), um die Materie der menschlichen Sphäre zu entziehen und damit den Göttern zugänglich zu machen. Durch jeden dieser Transformationsprozesse, das heißt durch den Akt als solchen wurde aus profaner Materie eine sakrale Gabe und aus dem Opfer eine Botschaft - aus der schlichten Fibel das Gebet einer schwangeren Frau, aus dem Bronzering ein Liebeszauber, aus dem verbogenen Schwert das Gelübde eines Kriegers. Je nachdem, ob man die Götter eher dem Oben oder Unten zuordnete, den ätherischen Höhen der Berge oder dem chthonsichen Schoß der Erde, ob ihre Erscheinung verortet oder allgegenwärtig war, änderten sich das Opfer und die Umstände seiner Niederlegung". (Biel, Riekhoff, 2001, S.261)
Dahinter steht eine Weltvorstellung, dreigeteilt, terra wie lateinisch "das Trockene", die Erde, der feuchten Unterwelt, der Quellen und Gewässer zugeordnet sind, und dann jedoch einer wesentlich wenger klaren und belegten Himmelsvorstellung. Der Himmel spielt jedoch in eschatologischen Vorstellungen vom Weltende eine Rolle (Maier, S.56). Die Quelle oder der Felsspalt ist kein Heiligtum oder heiliger Platz an sich, sondern als Zugang zur Unterwelt und zu den Unterweltgottheiten (Cäsar nennt den Glauben an einen Stammvater des Menschengeschlechts, den Unterweltgott Pater Dis, b.G. VI,18,1) erfüllt er eine Funktion in den Glaubensvorstellungen der Keltike. Kritisch, damit es nicht zu einfach ist, zur Interpretation von Opfern, am Beispiel von Skelettfunden in Höhlen, die auch als Zweit - oder Erstbestattungen interpretiert werden können, bisher als Menschenopfer iterpretiert wurden, folgender Text.
http://www.vfg.uni-wuerzburg.de/fil.../Mitarbeiter/Peter-Roecher_2003__Hoehlen_.pdf
Unten das sogenannte Kultbäumchen aus dem Manchinger Heiligtum (3.Jahrhundert BC, vergoldeter Stamm mit Efeublättern und Eicheln in Blattgold)
 

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Neben Familien- gab es auch Stammesnamen, die sich auf (totemisch verehrte?) Tiere oder Pflanzen bezogen: Eburones (die Eiben), Tarbelli (die Stiere?), Matugenos (Sohn des Bären), Boduognatus (Sohn der Krähe), Brannogenos (Sohn des Raben). Darüber hinaus findet man ja auf gallischen Münzen vermehrt verschiedene Vogelarten, Pferde und Wildschweine. Letztere schmückten auch nicht selten die Feldstandarten. Das allein reicht natürlich nicht aus, um auf einen (wie auch immer gearteten) »Naturkult« zu schließen, aber es spricht doch dafür, daß Tiere und Bäume zumindest symbolisch eine Rolle spielten.

In südfranzösischen Oppida aus vorrömischer Zeit (II. und III. Jhd.) finden sich allerdings vermehrt Hinweise in Heiligtümern, die auf eine Assoziation von Tieren wie Pferden, aber auch Raubtieren wie der »Taraske«, sowie Vögeln, Schlangen und Fischen, mit dem gallischen Pantheon schließen lassen. Es dürfte sich dabei nicht um Götter, aber doch um Diener der Götter handeln.

Quelle : Paul Duval, Les dieux de la Gaule, Payot, 2002.

Nur kurz, du hast richtig gesagt, als den bekannten Ikonographien kann eine symbolische Bedeutung nicht nur vermutet werden. Als Antwort auf Dieter habe ich oben mehr gesagt, wie eine Bedeutung eventuell erschlossen werden kann. Ich hänge einfachheitshalber als Beispiel einer solchen Erschließung eine Arbeit von Lisa Deutscher an, in der sie vorbildlich im Ausschlußverfahren, Beurteilung aller hinzugezogenen Quellen, mit Messungen und experimentieller Archäologie die symbolische Bedeutung von Schlagmarken auf latenzeitlichen Lang - und Kurzschwertern zu entschlüsseln versucht - sie entscheidet sich letztlich dafür, die Stempelmarken als apotropäische (schützende, Unheil abwendende) und siegbeschwörende Zeichen zu deuten, und nicht als Hersteller - oder Besitzermarken. Auch hier fallen wieder Tiersymboliken auf, besonders Eber, Pferde, Vögel (Greifvögel), und einmal ein Stier, zweimal Steinböcke, Tiere, die einen wehrhaften Charakter haben, deren "magische" Kraft der Schwerträger eventuell beschwört. Auch hier tauchen Tiersymboliken wieder als Helfer (als Funktion) diesmal in zugespitzten, angstbesetzten Kampfsituationen auf - einleuchtend daher auch, dass die anscheinend eher für kultische Zwecke genutzten Kurzschwerter mit astralen Motiven beschlagen waren (Halb-Sichelmond, Vollmond oder Sonne). https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/jahrb-rgzm/article/view/15322/9196
 
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Dank für die interessante Einführung ins Thema und für die illustrativen Beispiele!

... Vor diesem Hintergrund wird die Bezeichnung „Naturreligion“ von den meisten Autoren abgelehnt... Auch Auslegungen wie „Religion der Naturverehrung“ oder „Religionen, die in engem Zusammenhang mit den Erscheinungen der Natur stehen“ gelten als problematisch.
Eine Hauptschwierigkeit liegt bekanntermaßen bereits im Begriff "Religion" und seiner Abgrenzung (zu "Weltanschauung" usw.).

Rückfrage: Dass "Naturreligion" eine problematische Kategorie ist [1], insbesondere mit der Gegenüberstellung von Natur und Kultur, hast Du bereits herausgearbeitet. Aber wie sähe denn eine bessere und plausiblere Klassifikation aus – gibt es überhaupt eine? Wenn ja: lässt sie sich auf den Kelten-Fall anwenden?

Meiner Ansicht nach war die keltische Religion ... ein Welterklärungssystem,... und keine selbstgenügsame, statische, und quasi in Kontinuität ideologisch erstarrte selbstreferentielle und ahistorische schematische "Ordnung".
Bei "-system" stutzte ich zunächst, weil dieser Begriff überwiegend auf etwas Geschlossenes (Hermetisches) gemünzt wird, etwa in Bezug auf die drei abrahamitischen (Buch-) Religionen.

Aus dem mit "und" eingeleiteten Satz entnehme ich, dass gerade das nicht gemeint ist. Kann man daraus schließen, dass die Kelten eine freiere, flexiblere Vorstellung von dem hatten, "was die Welt im Innersten zusammenhält"? Oder stellte sich diese Frage in dieser Form gar nicht?

Typisch war, dass die Kelten (wie auch Germanen oder Slawen) in jeder Naturerscheinung etwas Wesenhaftes sahen.
Wesen im Sinne von Lebewesen?! Worin läge dann der entscheidende Unterschied zum Animismus, der als wissenschaftlich überholte Kategorie gilt?


[1] Kein Zufall: Sowohl https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Naturreligion als auch https://en.wikipedia.org/wiki/Natural_religion sind als überarbeitungsbedürftig gekennzeichnet.
 
Eine Hauptschwierigkeit liegt bekanntermaßen bereits im Begriff "Religion" und seiner Abgrenzung (zu "Weltanschauung" usw.).

Eine Religion ist der Glaube an eine oder mehrere, verkörperte oder nicht verkörperte übernatürliche Wesen. Alles andere ist falscher Sprachgebrauch...
 
Ich will bevor ich auf die guten, aber auch sehr herausfordernden Fragen von jschmidt eingehe, einen Exkurs vorwegschicken, eher ergänzend zu den bisherigen Statements.

Ich erwecke mit den Texten oben eventuell bei LeserInnen den Eindruck, dass die Menschen in der Keltike ständig von sakralen und religiösen Gegenständen und magischen Symbolen umgeben sind, und völlig - aus unserer Sicht - mit religiösen Gebräuchen und Riten beschäftigt waren.

Dies findet sich so dann auch bei Julius Cäsar in seiner ethnographischen Notiz bestätigt wieder (VI, 16,1): Natio est omnis Gallorum admodum dedita religionibus("die gesamte gallische Nation ist überaus den religiösen Dingen ergeben").
Wolfgang Meid betont den Plural religiones, weil er "alle religiöse Observanzen, Bräuche, Praktiken, den Glauben einschließlich aller Arten des Aberglaubens - einschließt." (Wolfgang Meid, die Kelten, 2007)

Nur schildert Cäsar nicht, mit welchen inneren Einstellung und Haltung die Gallier ihre religiösen Praktiken ausübten, er selbst, der auch aus Karrieregründen pontifex maximus geworden ist, stand der Religion distanziert gegenüber. Mich erinnert sein skeptischer ethnographischer Blick an eine moderne Erzählung Ryszard Kapuscinskis "Meine Reise mit Herodot", in der er, so meine Erinnerung, als junger polnischer Auslandkorrespondent in den 50er Jahren nach Indien gekommen, beeindruckt und erstaunt über die überall vorhandenen öffentlichen Altäre und fremden Gebräuche und Gerüche von Räucherwerk auf den Straßen und in den Häusern gewesen ist.

Genauso sind die LeserInnen wahrscheinlich von der uns archaischen Tiersymbolik befremdet, oder auch fasziniert. Es kann jedoch sein, dass den Gallierinnen und Galliern diese symbolischen Handlungen so alltäglich waren, dass sie ihnen als besonders "religiöse,sakrale" gar nicht mehr aufgefallen sind.
"Uns", ich nehme an, das folgende trifft mindestens auf Mitteleuropa zu, ohne eurozentristisch zu sein, fallen tierische/pflanzliche Glücksbringer (Marienkäfer, Glücksschwein, Vierblättriges Kleeblatt) nicht als religiös auf, und wir würden diejenigen, die sie nutzen, nicht als religiös einordnen (eventuell als abergläubig leichten Grades).
Bei Fussballvereinen sind Maskottchen beliebt, die einerseits glücksbringend sein sollen, oder witzig, aber meistens diesem kämpferischen Sport entsprechend starke Tiere sind. Bären (Bayern München, Hertha), Adler (Eintracht, Preußen Münster), Löwen (1860 München, Eintracht Braunschweig)Stiere, Elch, Wolf, Dinosaurier uvm.
Bei Eishockeymannschaften finden sich im Namen des Clubs fast ausschließlich starke Tiersymboliken: Haie, Eisbären, Löwen, Tiger, Huskies, Grizzlys etc. Es ist anzunehmen, dass eine Eishockeymannschaft, die mit dem Namen zum Beispiel Marienkäfer Mainz antreten würde, von den eigenen Fans und auch den Gegnern nicht besonders ernst genommen würde. Aus diesen alltäglichen Gebrauch von Tiersymboliken würde man jedoch nicht rückschließen, dass das 21.Jahrhundert in Europa naturreligiös geprägt ist. Und in "unserer" Selbstwahrnehmung sind "wir" es auch nicht.

Mir geht es darum, dass die Lesenden die "naturreligiösen Gallier" nicht als rückprojeziert ganzheitliche, spirituelle Wesen fantasieren, als ganz Andere überhöhen beziehungsweise "idealiseren", als Geheimwissende, und nicht mehr als durchaus ähnliche Menschen mit oft ähnlichen Sorgen, Problemen und Ängsten.

Ich möchte zwei Beispiele herausgreifen, die mich berührt haben.
Fluchtafeln (lat.defixionum tabellae) sind ein gallorömischer Brauch, der mediterran beeinflusst eine magische Praxis, das Fluchen und Verfluchen als druidische Kunst (der Barden?) privat fortsetzt.
Auf einer Inschrift fand sich folgender Inhalt (Birkhan, 928):
" Möge der, der mir Vibia entführt hat, flüssig werden wie Wasser; möge die, die sie auf so schamlose Weise zugrundegerichtet hat, die Sprache verlieren! Ob die oder der Schuldige nun Velvinna, Exupereus, Severinus, Augustalis, Comitianus, Catusminianus, Germinilla oder Iovana ist!"
Das persönliche Drama ist spürbar, Schmerz, Verletztheit, Wut, jedoch gibt die Tragödie Rätsel auf: schreibt hier ein "gehörnter" Ehemann aus Eifersucht? Warum dann jedoch die zahlreichen Namen? Verführung oder Entführung -ein Verbrechen oder einfach eine schmerzhafte Trennung?

Mein zweites Beispiel sind die Gräber von Menschen mit Beeinträchtigungen.
Sie sind mehrdeutig, und daraus lässt sich nicht schließen, ob sie als Mitglieder der Gesellschaft akzeptiert wurden, ausgegrenzt, oder wie in anderen archaischen Völkern besondere Heiligkeit zugestanden bekommen haben.
Die Gräber waren auf der einen Seite nicht außerhalb der Friedhöfe angelegt, jedoch war zum Beispiel eine 16 - 20 Jährige unter vier anderen Skeletten "verkehrt herum" beerdigt worden (Dep.Marne, StJean-sur Tourbe). Die junge Frau hatte eine pathologische Schädeldeformation.
Diese Gräber zeigen die umfangreichsten bisher gefundenen Amulettsammlungen Mitteleuropas, zum Beispiel Bernsteinketten. Ob diese magische Praxis die Betroffenen schützen, oder man sich vor ihnen schützen wollte? Bei einem kleinwüchsigen Kind konnte anhand der Perlengrößen vermutet werden, dass es schon zu Lebzeiten die Amulette trug (Dürrnberg, Grab 71/2).

Unten Keltische Scheibe aus "Auvers Sur Oise" , Gold auf Bronze, Anfang 4. Jahrhundert v. Chr., heute im Cabinet des Médailles der Bibliothéque Nationale Paris - einfach nur schön oder doch numinös?
 

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Dank für die interessante Einführung ins Thema und für die illustrativen Beispiele!....

Bei "-system" stutzte ich zunächst, weil dieser Begriff überwiegend auf etwas Geschlossenes (Hermetisches) gemünzt wird, etwa in Bezug auf die drei abrahamitischen (Buch-) Religionen.

Aus dem mit "und" eingeleiteten Satz entnehme ich, dass gerade das nicht gemeint ist. Kann man daraus schließen, dass die Kelten eine freiere, flexiblere Vorstellung von dem hatten, "was die Welt im Innersten zusammenhält"? Oder stellte sich diese Frage in dieser Form gar nicht?

Ich habe mir den Teil deiner Frage herausgesucht, der mir "einfacher" zu beantworten scheint, da ich nicht in der Strenge wie oben zu den drei Konsequenzen von Bernhard Maier zur keltischen Religionsgeschichte sehr vorsichtig agieren muss, um nicht falsche Rückschlüsse oder Fehlurteile zu verursachen.

Ich habe deine Frage so verstanden, ob die keltische Religion wandelbar gewesen ist, beziehugsweise Wandlungen mitmachte, oder ob sie quasi eine den Buchreligionen entsprechende Orthodoxie entwickelt hat.

Ich gehe daher zuerst einmal auf den gesellschaftlichen Wandel mehr skizzenhaft und etwas freihändig ein, versuche aber Texte zur Vertiefung immer dazu zu stellen.

Einen Wandel, der allerdings für den Zeitraum, auf den wir blicken, wenn man von den historischen Kelten spricht, Hallstatt D - Latene D, länger zurückliegt, ist die Strukturierung als Agrargesellschaft. Die Jagd als Versorgung hatte kaum eine Bedeutung mehr für die alltägliche Fleischversorgung (raumdifferenziert zu betrachten). -> http://www.fuerstensitze.de/dna_media/www3-Biel+445f0383a228c.pdf

Die Jagd hatte selbstverständlich noch einen Prestigecharakter, die Kleintierjagd zum Beispiel mit dem Wurfholz wird alltäglich für Hirten und Bauern gewesen sein, die Großwildjagd war sicherlich eine Mutprobe für Jungmannschaften (siehe Tacitus Schilderung der Jagd auf den Auerochsen, die häufigen antiken Erzählungen der Wildschweinjagd), vielleicht wurde auch zu bestimmten Anlässen gemeinsam gejagt,und vielleicht gab es auch Berufsjäger, die schwierig zu erjagende Tiere (Dachse, Biber) wegen ihres Pelzes, oder zur Medizingewinnung (Bibergeil, Dachsfett) gejagt haben.
Die Ernährung mit Fleisch stand jedoch seit dem Neolithikum immer mehr auf den drei Säulen Schwein - Schaf/Ziege - Rind, für die Keltike kann eine differenzierte Weidewirtschaft und Viehhaltung konstatiert werden.
Die Bedeutung von Jagdmagie als zentralen Ritus früherer Gesellschaften und schamanistischer Praktiken ist zurückgetreten, ein Gott, der noch mit diesem "vergangenen Tradition" in Verbindung gebracht wird, ist Cernunnos ( RIG II/1*L-14 ), übersetzt der Gehörnte, mit Geweih dargestellt, im Lotussitz sitzend, begleitet von Tieren - daher auch eine Assoziation dieser Gottheit mit dem "Herren der Tiere". Herausragend in der Darstellung ist der Gundestrupkessel. https://de.wikipedia.org/wiki/Cernunnos
Fast alle Götter des keltischen Pantheon nehmen menschliche Gestalt an,
haben ein Geschlecht, oft treten sie als Paare auf, manchmal sind Eltern-Kindbeziehungen nachweisbar. Die Phase, in der ein Flußgott in der Gestalt eines uralten Lachses (siehe oben) oder eines Baumgottes in Form eines alten Baumes (Baum als Zeuge vom Beginn der Welt?) hatte die keltische Religion hinter sich gelassen - im heiligen Hain,heiligen Bäumen, eventuell auch im Eichenmistelkult spiegelt sich jedoch diese Tradierung. Ein keltisches Wort für Eiche ist dru, dass sich in *druwids wiederfindet, als Zusammensetzung der Wörter Eiche und Wissen, übersetzt etwa "Eichenkundiger" (andere Möglichkeiten - Sehr Kundiger, oder Der mit dem stärksten Wissen Kundige - weil der Eiche das Attribut Stärke/Kraft zugerechnet wird). Der Versammlungsort der Galater ist das drunemeton (Strabon, 12,5,1), über den Zusammenhang Druiden zur Eiche auch Plinius (h.n. 16,249-251).
Es erscheint mir ein Phänomen der Wandelbarkeit der keltischen Religion und der anderen polytheistischen Religionen gewesen zu sein, dass sie "alte Gottheiten" weiter tradierten und in ihre religiöse Welten integrierten.
Die zweite Generation in diesem Pantheon, die bronzezeitlichen Götter, sind vielleicht die chthonischen Götter der Unterwelt und Fruchtbarkeit (siehe auch oben Cäsar zu Dis Pater).

"Heiß" diskutiert ist der Wandel oder Kulturbruch zwischen Hallstatt und Frühlatene, über dessen präzisen Zeitpunkt jedoch in der Forschung keine Einigkeit besteht, auch nicht über die Tiefe der Veränderung und die Ursachen. Einig ist man sich jedoch inzwischen, dass die Veränderungen regional differenziert betrachtet werden müssen, und nicht unbedingt revolutionär oder kriegerisch gewesen sind, sondern vielleicht nur der Verlagerung von Verkehrswegen und Handelsrouten und neu entstehenden "Industirezentren" (Eisen, Salz) geschuldet sind.

Zu dieser Diskussion gehört auch, in welcher Weise sich religiöse Instanzen verändert haben könnten, und in welcher Weise sich dies auf die keltische Religion ausgewirkt hat.
Dass es in der Hallstattzeit/Frühlatene Personen gegeben hat, die alleine wegen der Monumentalität und Struktur der Grabstätte eine sakrale Legitimation beanspruchten, demonstriert insbesondere die Anlage bei Glauberg. Eine 350 m lange Prozessionsstraße lief (entsprechend der astronomischen Konstellation der großen Mondwende) auf einen Grabhügel zu, auf und um (?) den vier lebensgroße Sandsteinskulpturen aufgestellt waren. Doch handelt es sich wie vielfach gemutmaßt um den Ahnenkult von "Priesterkönigen"?
Zuletzt zeigt die Auseinandersetzung um die "Fürstensitze" in Südwestdeutschland, dass die Wissenschaft zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen ist, wie die früheisenzeitliche Gesellschaft strukturiert war.-> Axel G. Posluschny, ?Fürstensitze?, Zentralität und Hinterland ? Erste Aspekte einer Projektsynthese aus Sicht des Projektes ?Fürstensitze? & Umland | Axel G Posluschny - Academia.edu

Überraschend ist jedenfalls der "Aufstieg" der Druiden, von denen Birkhan annimmt, dass sie wenn auch unter anderem Namen in ganz Mittel - und Westeuropa vermutet werden können, älter sind, als ihr Auftauchen in griechischen Quellen des 3.Jahrhunderts BC. Ob es einen Zusammenhang mit einer Aufgabe des Sakralkönigtums bei vielen gentes gegeben hat, kann durch literarische Quellen nicht nachvollzogen werden, jedenfalls findet Poseidonos schon im 2./Anfang 1.Jahrhundert BC Verhältnisse vor, in der die Druiden zentrale Rechtspositionen einnehmen, und nicht nur auf den sakralen Bereich beschränkt sind. Vom ursprünglichen sakralen Kultpersonal müssen sie sich in eine mächtige und einflussreiche gesellschaftliche Postion vorgearbeitet haben. In einer der ersten bekannten Schriftquellen bei Diogenes Laertios über die Anfänge der Philosophie vergleicht er sie mit den persischen Magiern, indischen Gymnosophisten, damit zitiert er Aristoteles (Pseude-Aristoteles) und Sotion. Bruneaux bezieht diese Kenntnisse auf eine frühe Phase und erwähnt noch ein älteres Werk aus dem 4.Jahrhundert im Zusammenhang mit Phytagoras, dass die Druiden erwähnt (Druiden, die Weisheit der Kelten; Jean Louis Bruneaux ist Archäologe beim CNRS und Ausgrabungsleiter vieler Fundstätten in Frankreich). Eine wesentlich spätere Quelle, Dion von Prusa (2.Hälfte 1.Jahrhhundert AD) nimmt diese ersten Meldungen auf:" da die mächtigsten Völker nun...nicht fortwährend von Philosophen regiert werden können, gaben sie im allgemeinen Interesse den Königen Philosophen an die Seite: die Perser glaube ich, die bei ihnen Magier hießen....die Ägypter die Priester, die Inder die Brahmanen; die Kelten die bei ihnen Druiden genannten Männer, auch sie der Seherkunst und der übrigen Weisheit mächtig. Ohne diese Leute durfte kein König etwas unternehmen und beschließen, so dass in Wahrheit sie regierten und die Könige nur ihre Diener und ausführenden Organe waren..."
Diese Quelle wird wahrscheinlich vom Stoiker Dion in einem aktuellen Interesse so formuliert sein, um eine goldene Zeit guter Amtführung zu beschreiben - im Kern gibt sie voraussichtlich eine ursprüngliche Stellung von Druiden als juristische und politische Berater der Prinzeps wieder.
Im Frühlatene wurde langsam, sich in Gallien durchsetzend, bis Süddeutschland und darüberhinaus die Körperbestattung unter Hügelgräbern abgelöst durch Brandbestattungen mit flachen Überhügelungen, ab dem Mittellatene wurden die Urnen mit den Überresten in Flachgräbern beerdigt. Ab dem 4./3.Jahrhundert BC, etwas später einsetzend zu dieser Entwicklung, entstanden in Gallien (sanctuaire picardie), aber auch in Süddeutschland (einzelne Viereckschanzen -die meisten Vs sind Gutshöfe) neue Formen des heiligen Bezirks, durch Gräben umgrenzte viereckige Bereiche mit Palisaden umschlossen, zentral ein Opferschacht (Altar?), und oft als Rest des Heiligen Hains ein Baum oder mehrere Bäume. Ribemont-sur-Ancre (DNP Addenda & Corrigenda) | Jonas Scherr - Academia.edu
Diese Orte scheinen, genau wie die im Spätlatene erfolgten Errichtungen von Kultbezirken in Oppida, Orte von öffentlichen Versammlungen und offiziellen Kulten gewesen zu sein. Fernández-Götz bringt dies in den Zusammenhang der Begründung einer neuen kollektiven Identität der gallischen Civitates. Diese offiziellen Kulte fanden unter Aufsicht der Druiden statt, so ist es tatsächlich hypothetisch möglich, dass sich politische Veränderungen auch parallel im religiösen Bereich abbilden. -> PDF online:
Die Rolle der Heiligtümer bei der Konstruktion kollektiver Identitäten: das Beispiel der treverischen Oppida
Heft 42,4 / 2012: Artikel von Manuel Fernández-Götz, RGZM

Die jährlichen Synoden der Druiden im Carnutenwald dienten vielleicht
einem relgiös-kulturellen, gallischen Gemeinschaftsgefühl über den tatsächlich vorhandenen politischen und religiösen Partikuarismus hinweg, vergleichbar mit der Amphiktyonie griechischer Polis um ein Heiligtum wie Delphi, oder um die regelmäßigen Olympiaden. Bruneaux vergleicht den Audruck von "Keltizität" (besser Gallizität) mit dem Hellenismus, der sich in der großen gerichtlichen, politischen und religiösen Versammlung manifestiert hat.
Ob die Durchsetzung der Brandbestattung tatsächlich mit einem "neuen" Inkarnationsglauben / Seelenwanderung der Druiden zusammenhängt, so dass im Rauch die *anation (altkeltisch der "Lebenshauch") zu den Himmel entweicht, während der sterbliche Körper zu den Totengöttern in die Unterwelt geht? Altkeltisch Mensch ist *xdonios, der Irdische, charakterisiert aber auch als der Sterbliche. (Zitate zur Seelenwanderung aus Diodor, Cäsar, Valerius Maximus, wahrscheinlich auf Poseidonios zrückzuführen)

Ich hoffe, ich habe die Wandlungsfähigkeit komprimiert und trotzdem verkürzt eingiermaßen umfassend wiedergegeben, und damit deine leichtere Frage beantwortet.

unten Rekonstruktion vom Sanctuaire Gournay sur Aronde (Frankreich)
 

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Uih..............

Zuletzt zeigt die Auseinandersetzung um die "Fürstensitze" in Südwestdeutschland, dass die Wissenschaft zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen ist, wie die früheisenzeitliche Gesellschaft strukturiert war.-> Axel G. Posluschny, ?Fürstensitze?, Zentralität und Hinterland ? Erste Aspekte einer Projektsynthese aus Sicht des Projektes ?Fürstensitze? & Umland | Axel G Posluschny - Academia.edu

den kenne ich lach, so mache Flasche Bier und ein oder zwei .... auf dem Hohenfels mit Ihm getrunken. Macht jetzt den Glauberg unsicher. Im Dez. besuch ich Ihn.

:winke:
 
Typisch war, dass die Kelten (wie auch Germanen oder Slawen) in jeder Naturerscheinung etwas Wesenhaftes sahem. Im Feuer wie im Wasser, in der Luft wie in der Erde, in Sonne, Mond und Sternen. In jeder Quelle war ein Wesen, das durch sein Murmeln sprach. In jedem Fkuss war ein anderes Wesen, in jedem besonderen Baum.....
Verehrt wurde also nicht der Stein, die Quelle der Baum an sich, sondern das Wesen, das damit verbunden war.

ich möchte noch einmal auf Dieters Anmerkung zurückgehen, da ich mit meiner Antwort nicht zufrieden bin; Dieter spricht indirekt etwas Richtiges an, dies möchte ich versuchen zu erhellen.

Ich hatte mich in meiner ersten Reaktion in erster Linie auf die Funktion des Symbols im Symbolsystem bezogen. Wie am Dachs beschrieben, bei dem ich jetzt praktischerweise bleibe, kann jedoch ein Objekt nur zum Symbol werden, wenn es eine Bedeutung verkörpert, sich charakteristisch auszeichnet, wie weiter oben beschrieben, wenn es ein Attribut hat.
Nach Maiers Interpretation, dass der Dachs aufgrund der Winterruhe ein Symbol des wiederkehrenden Lebens im Frühjahr sein könnte, zeichnet den Dachs dieses Merkmal (Rückzug-Wiederkehr) besonders aus: ich wende dagegen ein, dass der Dachs ein meist nachtaktives Tier ist, dass sich vorwiegend in Laubwäldern und an Waldrändern mit angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen aufhält.
Die Begegnung mit dem Menschen, als besonderes Zeichen des Frühlings, ist meiner Ansicht nach eher unwahrscheinlich, es gibt wesentlich sichtbarere Zeichen der Rückkehr des Lebens. Die im März geborenen Jungtiere der Clans halten sich bis spät im Mai im Höhlensystem auf, sind daher auch kaum "Boten des wiederkehrenden Lebens".
Ich halte meine hypothetische Interpretation für die bessere: nicht nur die Tiefe seines Höhlensystems (bis fünf Meter, mehrere Etagen), das Clanleben darin, seine Vorliebe für Regenwürmer (50 % der Nahrungsgrundlage im Frühjahr), den Würmern aus der Erde, seine besondere Angwohnheit, seine Losung in kleine zu diesem Anlass gegrabene Erdlöcher abzusondern, machen ihn zu einem "heißen Kandidaten" für einen Boten zur Unterwelt (siehe posting 19.10.).
Warum so ein ausführlicher Versuch der Erschließung einer Attributtieres?
Ob es um Schlagmarken geht, die Sympathietiere der Gottheiten, den Symbolträgern wird eine besondere Kraft zugeschrieben. Wolfgang Meid vermutet dahinter die druidische Vorstellung einer kosmischen Allkraft, altkeltisch*nertio (irisch nert, kymrisch nerth) die einen nicht-spezifischen, universalen Charakter hat (vergl. auch die Kraft der Natur verkörpernden germanische Gottheit Nerthus). Meid leitet dies aus der Herausarbeitung "druidischer" Weltanschauung aus älteren irischen Gedichten und Gebeten ab, die der Form nach zu den magischen Wappnungen (lorica) gehören, Anrufungen zum Schutz vor Feinden und Gefahren. Diese Texte sind interessante Beispiele der Verwebung "älterer" Anschauungen mit christlichen Segensformeln, Anrufung von Gottes Kraft, Rettung durch Gottes Heerscharen, und mitten im Gedicht - (angeblich vom hl.Patrick, Des Rotwilds Schrei betitelt, weil der im Hinterhalt liegende König Loegaire durch die wie ein Zauberspruch wirkende Apostrophierungen Patrick und seine Begleiter für Rotwild hielt) -
werden nach Aposteln Elemente der Natur beschworen:
"Ich wappne mich heute
mit der Kraft des Himmel,
dem Licht der Sonne,
dem Glanz des Mondes,
dem Leuchten des Feuers,
der Geschwindigkeit des Blitzes,
dem Sausen des Windes,
der Tiefe des Meeres,
der Festigkeit der Erde,
der Härte der Felsen."
dazu Wolfgang Meid (S.182, Die Kelten, 2007, Reclam):
"Die Anrufung der Elemente und Naturkräfte, wie sie in der oben zitierten Stelle zum Ausdruck gekommen ist, dokumentiert den Glauben an eine Weltordnung, in der der Mensch durch sein Denken, Sprechen und Handeln eingebunden ist und in der menschliches und natürliches Handeln in einem Kausalzusammenhang stehen. Die Elemente werden als Garanten der "Wahrheit", d.h. der natürlichen Ordnung des Weltganzen angerufen, der auch der Mensch unterworfen ist."
Noch einmal zum Dachs, auf ihn übertragen: er ist, falls er ein Symboltier ist, in eine bestimmte keltische Kosmologie eingebunden, übernimmt darin nach diesem Konzept besondere Funktionen, und seine spezifischen Eigenschaften sind Ausdruck der *nertio.

Ich bin mir bewusst, dass dieser Versuch von Meid, Professor für vergleichende Sprachwissenschaften von 1965 bis 1998, einer Koriphäe auf seinem Gebiet, er studierte Indogermanistik, Indologie, klassische Philologie in Mainz, Frankfurt und Tübingen und später Keltologie in Irland, ein sehr weitreichender Versuch ist, die druidische oder altkeltische Weltanschauung modern und wissenschaftlich zu erschließen.
Interessant ist da auch Maiers Versuch, mehr aus religionswissenschaftlicher Sicht, an einem mythologischen Vergleich des Themas Entführung - Befreiung - Rückkehr (Inselkeltische Mythologie, die Gefangennahme Mabons mit dem griechischen Mythos Demeter und Persephone, der den periodischen Wechsel des Blühens und Absterbens in der Natur mit einer Erzählung von der Entführung, Abwesenheit und Rückehr eines Vegetationsgottes verband - siehe auch den germanischen Nerthus-Kult, demzufolge die Göttin den Winter auf einer Insel vor der Küste verbrachte, und zu Beginn des Frühlings aufs Festland gebracht wurde) zu intepretieren. Dazu auch Strabon, wonach Artemidoros von Ephesos um 100 v.Chr. eine Insel vor Britannien erwähnte, auf der ein Kult ähnlich der der Demeter auf Samothrake bestanden habe (Geo IV, 4,6), dazu Plutarch, wonach auf einer Insel vor Britannien der Gott Kronos gefangengehalten würde (de defectu oraculorum 18, FHRC). Maier ist sich der Möglichkeit, dass das beliebte Motiv märchenhafter Inseln in antiken Reisebeschreibungen (Odyssee als Vorbild) in diesen Berichten eine Rolle spielen können, im Vergleich mit der inselkeltischen Mythologie findet er jedoch einige Hinweise, dass es sich um authentische Überlieferungen autochthoner Glaubensvorstellungen handeln könnte (Die Relgion der Kelten, S.94-99). Die Gefangenschaft - Befreiung - Rückkehr der Lebenskraft *nerto könnte sich danach verbunden haben mit einer mythischen Vorstellung einer winterlichen Verbannung oder Gefangenschaft (Kronos ist im Schlaf gefangen) einer Gottheit auf einer (fernen) Insel - der Avallonmythos könnte dann eine damit verwandte, mittelalterliche Tradierung (Vita merlini Geoffrey of Monmouth, ca. 1150) sein. Somit sind es zwar keine Geister, Feen, Nixen oder Elben, die sich hinter den Naturerscheinungen wie in den modernen inselkeltischen Sagen und Märchen verbergen, sondern in altkeltischer Kosmologie eine universale Lebenskraft, die sich mit allen Naturerscheinungen verband. Vielleicht gehörte die Kosmologie zum Bildungskanon in der Ausbildung der Druiden, der nur mündlich tradiert wurde (zu den Fächern spekulativ Birkhan, S.912).
PDF auf Anfrage: http://www.academia.edu/11969095/He...ltrealität_versus_literarischer_Barbarentopik
 
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Eine Hauptschwierigkeit liegt bekanntermaßen bereits im Begriff "Religion" und seiner Abgrenzung (zu "Weltanschauung" usw.). ...
Rückfrage: Dass "Naturreligion" eine problematische Kategorie ist [1], insbesondere mit der Gegenüberstellung von Natur und Kultur, hast Du bereits herausgearbeitet. Aber wie sähe denn eine bessere und plausiblere Klassifikation aus – gibt es überhaupt eine? Wenn ja: lässt sie sich auf den Kelten-Fall anwenden?

Die Frage treibt mich jetzt die letzten Tage um, natürlich bringt sie es auf den Punkt: wie kann man die druidische "Weltanschauung" und keltische Religion definieren?

Ich neige jetzt ,einleitend einmal ohne permanente Quellenarbeit, dazu,
eine Trinität von (proto)wissenschaftlicher Weltanschauung, Moralphilosophie (Ethik) und polytheistischer Religiösität als Charakteristikum der druidischen Orthodoxie anzunehmen - dies aber nur für den Zeitraum, der sich überhaupt durch schriftliche Quellen erschließen lässt, vermutlich vom vierten bis ersten Jahrhundert vor Chr. Im Prinizip müsste man dann annehmen, dass es parallel wie in Griechenland eine Veränderung im Denken gegeben hat, das vernunftgeleitetes Denken und Handeln und theoretische Reflektion in der druidischen Schule im Vordergrund standen, und sich einem in Konventionen und Traditionen befangenen Handeln und Denken entgegenstellte. Bruneaux spricht überspitzt der druidischen Lehre einen zivilisierenden Charakter für die keltische Gesellschaft zu, die intellektuelle Kaste habe den alten religiösen Glauben nur benutzt, um in der Gesellschaft Einfluss auszuüben. Ein solches rein instrumentelles Verhältnis zur Theologie kann ich nach meinem Wissen nicht teilen. Das Beispiel der kosmischen Allkraft ist dafür vielleicht treffend - angenommen, in den druidischen Diskussionen und Reflektionen würde hinter den Naturbeobachtungen des Jahreszeitenwechsels, der generativen Vermehrung und Fortpfanzung, dem vegetativem Wachstum und den Lebenszyklen in der Natur ein physikalisches Naturgesetz vermutet (heute die jahreszeitlichen Schwankungen der Solarkonstante beziehungsweise Sonneneinstrahlung als grundlegend für Lebensexistenz), dann floss diese Reflektion jedoch im Resultat meiner Meinung nach in eine ältere kosmologische Weltvorstellung mit ein beziehungsweise wurde darin integriert. Man kann die Mythologisierung in zum Beispiel religiöse Vorstellungen noch für ein probates Mittel halten, um den "einfachen Leuten" Naturgesetze zu verbildlichen - die Rückkehr des Frühlings in Form eines jugendlichen Gottes (vergleichbar dem Dionysos) - Wolfgang Meid nimmt jedoch recht schlüssig an, dass das "wahre Handeln und Sprechen" der Einzelnen einbezogen bleibt in einen harmonischen Kosmos und eine "natürliche" Weltordnung, der er unterworfen ist - insofern ist dies eher eine theologische Ethik (die Druiden werden auch in schriftlichen Quellen als Theologen bezeichnet), die nicht beabsichtigt die Götterwelt oder die religiösen Traditionen zu stürzen - hypothetisch könnte man jedoch eine mögliche ständige dialektische Erweiterung und Fortentwicklung der Traditionen unter Einbeziehung aller anderen wissenschaftlichen Sachgebiete annehmen, vergleichbar den Kommentierungen im Talmud.
Erhellend ist das Zitat von Diogenes Laertius (3.Jahrhundert BC) aus seinem Werk Von den Leben und den Meinungen berühmter Philosophen (I,6) zum Ursprung der Philosophie bei den Barbaren (Nichtgriechen):
"die Verfechter des barbarischen Ursprungs der Philosophie weisen auf die besonderen Formen der Philosophie bei jedem einzelnen dieser Völker hin. Sie behaupten, die Gymnosophisten und die Druiden wollten in einer kryptischen Sprache vermitteln, man solle die Götter ehren, nichts Böses tun und sich der Tapferkeit befleißigen."
Auch wenn es eine nur allgemeine Aussage ist, die Aufgabe der Druiden als moralische Instanzen, die umfassend für den Krieger (Tapferkeit - irisch fir ngaiscid - "Wahrheit der Waffen") für die Regierung (Gerechtigkeit - irisch fir flatha "Wahrheit der Herrschaft") und alle Freien die Götter zu ehren ("wahres Tun") lehrten, wird bündig definiert.
Ich fand einen von Meid zitierten irischen Rechtstext des 7.Jahrhundert für den Herrscher exemplarisch, wieder in dichterischer Prosa (S.183):
Er soll die Wahrheit hochhalten, sie wird ihn hochhalten.
Er soll die Wahrheit schützen, sie wird ihn schützen.
Der wahre Herrscher und die Wahrheit mehren, stärken sich gegenseitig, kämpfen füreinander, erbauen sich gegenseitig.
Der wahre Herrscher nimmt von niemanden, niemand nimmt von ihm....
Dieses archaische Lehrgedicht könnte ein Beispiel sein für das, was Diogenes mit kryptischer Sprache bezeichnet, eine Sprache der Denksprüche (Apophthegmeta), die möglicherweise in der Ausbildung der Druiden eine Rolle gespielt haben könnte. Dass sie dies jedoch nicht nur beratend und belehrend getan haben, möglicherweise im Zeitraum zwischen dem 3.-1.Jahrhundert BC, belegen die bekannten Texstellen bei Cäsar, Strabon und Diodor. Ihre zentrale Stellung beruhte darauf, dass sie nicht nur in sakralrechtlichen Fragen, wofür z.B. der ponitfex maximus in Rom ausschließlich oberste Instanz war, sondern in allen Rechtsfragen zuständig waren :
"Die Druiden stehen bei den Galliern in großen Ehren. Sie entscheiden in der Regel in allen staatliche und privaten Streitfällen. Wenn ein Verbrechen begangen worden oder ein Mord geschehen ist, wenn der Streit um Erbschaften oder den Verlauf der Grenze geht, fällen auch sie hier das Urteil und setzen Belohnungen und Strafen fest" (Cäsar,b.g., VI 13, 4-7)
. Die Druiden waren zusätzlich im sakralen Bereich oberste Instanz, überwachten jedoch nur noch die priesterlichen Handlungen, offizielle Opfer, die die Vaten ausführten.
(Strabon Geo IV, 4,4): Bei allen Galliern gab es drei Stände, die besonderes Ansehen genießen, die Barden, die Vaten und die Druiden. Die Barden sind Sänger und Dichter, die Vaten Priester und Naturphilosophen, und die Druiden beschäftigen sich mit Natur - und Moralphilosophie. Sie gelten als besonders rechtschaffen, und deswegen betraut man sie mit der Schlichtung privater und öffentlicher Streitigkeiten, so dass sie früher sogar Kriege entschieden und Gegner, die sich schon zum Kampf anschickten, davon abhielten. Vor allem sprach man ihnen die Entscheidungsgewalt bei Tötungsdelikten zu.
Den Druiden kam eine machtvolle Stellung zu, die sie natürlich auch umgekehrt zum Objekt politischer Interessen gemacht haben könnte. Cäsars Verweis, dass die Wahl des obersten Druiden auf der jährlichen Synode manchmal mit Waffengewalt ausgetragen wurde, oder der mit ihm befreundete Druide Diviacus, der als Mitglied einer führenden häduischen Familie neben seinem Amt als Druide gleichzeitig politische Interessenpolitik betreibt, in der man keine Rücksprache in einer druidischen Organisation erkennt (oder war er in diesem Auftrag in Rom 61.v.Chr.?) sind dafür mögliche Hinweise. Vielleicht waren die großen politischen Konflikte innerhalb Galliens, der verschiedenen gallischen Parteiungen (pro - und antirömisch) auch die Ursache für den Niedergang der druidischen Machtstellung in der spätgallischen Gesellschaft, deren Ursache Bruneaux jedoch hauptsächlich auf den römischen Einfluss in der gallia comata vor Cäsars gallischem Krieg zurückführt. Was meiner Meinung nach zu kurz gegriffen ist.
http://www.academia.edu/5105902/Die...ng._Gedanken_zur_römischen_Druidenverfolgung_
Unten der keltische Kalender von Coligny, 2.Jahrhundert AD, wahrscheinlich Werk von Druiden
 

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Ich neige jetzt ,einleitend einmal ohne permanente Quellenarbeit, dazu,
eine Trinität von (proto)wissenschaftlicher Weltanschauung, Moralphilosophie (Ethik) und polytheistischer Religiösität als Charakteristikum der druidischen Orthodoxie anzunehmen - dies aber nur für den Zeitraum, der sich überhaupt durch schriftliche Quellen erschließen lässt, vermutlich vom vierten bis ersten Jahrhundert vor Chr.

Der Begriff "Orthodoxie" impliziert doch eigentlich, dass es verschiedene Lehrmeinungen gibt, von denen eine als die einzig "richtige" angesehen wird - zumindest von ihren Anhängern.


Die jährlichen Synoden der Druiden im Carnutenwald dienten vielleicht
einem relgiös-kulturellen, gallischen Gemeinschaftsgefühl über den tatsächlich vorhandenen politischen und religiösen Partikuarismus hinweg
Wenn wir es aber tatsächlich mit einem religiösen Partikularismus zu tun haben, was ist dann mit "Orthodoxie" gemeint?


Apropos Carnutenwald: Von einem Wald schreibt Caesar eigentlich nichts. Bei Wiki heißt es, der Wald sei eine Erfindung der Asterix-Autoren. (Was natürlich nichts heißen muss...)
 
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Der Begriff "Orthodoxie" impliziert doch eigentlich, dass es verschiedene Lehrmeinungen gibt, von denen eine als die einzig "richtige" angesehen wird - zumindest von ihren Anhängern.


Wenn wir es aber tatsächlich mit einem religiösen Partikularismus zu tun haben, was ist dann mit "Orthodoxie" gemeint?


Apropos Carnutenwald: Von einem Wald schreibt Caesar eigentlich nichts. Bei Wiki heißt es, der Wald sei eine Erfindung der Asterix-Autoren. (Was natürlich nichts heißen muss...)

Zum Carnutenwald, du hast recht, da spielt meine Asterixlektüre mir anscheinend einen Streich, Cäsar schreibt (B:G.VI,13, 8-14,4)
"An er Spitze der Druiden steht ein Mann,der unter ihnen das höchste Ansehen genießt. Nach seinem Tod folgt ihm entweder der, welcher unter den übrigen an Würde herausragt, oder es wird ein Bewerber unter mehreren gleichen durch eine Abstimmung der Druiden ausgewählt. Manchmal kämpfen sie auch mit Waffen um den Vorrang. Zu einer bestimmten Jahreszeit versammeln sie sich alle im Gebiet der Carnuten, das man für die Mitte ganz Galliens hält, an einem geweihten Ort. Von überallher kommen dorthin alle, die im Streit miteinander liegen, zusammen, und beugen sich ihren Anordnungen und Entscheidungen."

Mir gefällt die Idee, dass die gefundenen Statuen und Bronzen vom trésor de Neuvy-en-Sullias mit diesem Ort der Synoden und politischen Versammlungen in Verbindung gestanden haben. Man erinnere sich, Orleans, damals Cenabum ist das Hauptoppidum der Carnuten gewesen, von dem der Aufstand des Vercingetorix ausging, meiner Ansicht nach nicht zufällig, sondern für jeden Gallier und jede Gallierin sofort als "pangallisches"Zeichen zu verstehen
http://musees.regioncentre.fr/sites/default/files/fichiers/tresor_corrige_2013.pdf
Zum religiösen Partikularismus - gute Frage, er zeigt sich besonders darin, dass alle Gentes ihre eigenen Stammesgötter hatten, und dass es nicht gelungen ist das keltische Pantheon zu hierarchisieren. Das führte zum Beispiel dazu, dass Mircea Eliade, ein Anhänger Dumézils (Ideologie der Dreifunktionalität), die besondere Verbreitung des Mercurius (nach Cäsar, eventuell Abschreibung aus Poseidonios) in Gallien darauf zurückführen wollte, dass sich die Bewohner der Oppida von den bei der Landbevölkerung weiter vorherrschenden Trinität und einem obersten Himmelsgott abgewandt hätten.
Der Mercurius in der römischen Interpretation war ein intellektueller Gott, der Handwerker, des Handels, der Wege. Eine Verbindung mit dem eigentlichen altkeltischen "Handwerkergott" Lugus, der als Gott der Verbindungen und Bindungen (damit des Eides, aber auch des Vertrags) und als Versammlungsgott charakterisiert wird (Birkhan 593 ff), ist jedoch überhaupt nicht hinreichend belegt, bei einzelnen Gentes ist Mercurius in gallorömischer Zeit mit Namenszusatz als zentraler Stammesgott auf Berghöhen verehrt worden (Averner - Mercurius Dumiatis auf dem Puy de Dome, auf dem Donongipfel im Gebiet der Mediomatriker, Triboker und Leuker in den Vogesen). Mercuriuskulte scheinen in gallorömischer Zeit besonders in friedlicheren Gebieten verbreitet gewesen zu sein, seine Bedeutung scheint jedoch partikular und multifunktional gewesen zu sein. Daher ist die berühmte Aufzählung Julius Cäsars (VI,17
)"Von den Göttern verehren sie hauptsächlich Mercurius. Er hat die meisten Bilder, gilt als Erfinder aller Handwerke und Künste, als Führer auf Steg und Weg und hat nach ihren Glauben den stärksten Einfluss auf Gelderwerb und Handel. Nach ihm verehren sie Apollo, Mars, Juppiter und Minerva."
eine interpretatio romana, die sich mit der Archäologie, Sprachwissenschaft und Religions - und Geschichtswissenschaft nur schwer aufklären lässt.
Die "Orthodoxie" kann sich nur auf die übergreifende Weltanschauung beziehen, d.h. dass es eine Anschauung von Abstammung gibt, eine gelehrte mythologisierte Geschichtsschreibung, eine geteilte Eschatologie und Kosmologie, eine gemeinsame Rechtauffassung und Moralphilosophie.

Unten Reste des Mercuriustempels auf dem Puy de Dome aus gallorömischer Zeit, nach Plinius stand dort die damals größte Götterstatue (der Welt), an der der Bildhauer Zenodor im Auftrag der Arverner-Civitas 10 Jahre gearbeit hat (Plin nat XXXIV, 18).
 

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Die "Orthodoxie" kann sich nur auf die übergreifende Weltanschauung beziehen, d.h. dass es eine Anschauung von Abstammung gibt, eine gelehrte mythologisierte Geschichtsschreibung, eine geteilte Eschatologie und Kosmologie, eine gemeinsame Rechtauffassung und Moralphilosophie.

Irre ich mich, oder sind das gerade die Aspekte, die am wenigsten greifbar sind - falls sie überhaupt existiert haben ("gelehrte mythologisierte Geschichtsschreibung")?

Zuerst grundsätzlich: „Wo explizite Beschreibungen des religiösen Systems und seiner Glaubensinhalte nicht vorliegen oder dieses System sich nicht in literarischen Zeugnissen selbst manifestiert (wie in der griechisch-römischen oder der nordgermanischen Überlieferung), ist es sehr schwer, wenn nicht unmöglich, aus den äußerlichen Manifestationen – aus Kultstätten, Altären, Opfern, Weihgaben, Götterstatuen und Götternamen –, die ihrerseits erst der Interpretation bedürfen, auf den wesentlichen Inhalt und den inneren Zusammenhang des Systems zu schließen.“
(Wolfgang Meid)
 
Interessante Diskussion...

Ich möchte an dieser Stelle nochmal Das Buch celtic curses von bernard mees nahelegen, in welchem er gallische Zaubertafeln und Inschriften analysiert und mit Zaubern aus der "inselkeltischen" Sagen- und Folkloretradition vergleicht und zu sehr ernüchternden Ergebnissen kommt... ;-)

Bezüge zwischen altirischen Sagen und Mythen und festlandkeltischer Religion herstellen? Besser einfach nicht machen! Jedenfalls nicht ohne weiteres... es taugt nicht mehr zum Vergleich als die eddische Dichtung oder die altindischen Veden.

Ich würde die keltische Religion als Stammesreligion definieren, keine Urbane Polisreligion wie die der Griechen aber nahe dran. Und die römische und altgriechische Religion würden wir doch auch nicht als Naturreligion bezeichnen oder? Und warum? Genau! Weil Römer und Griechen nicht dazu taugen unser Bedürfnis nach edlen Wilden zu befriedigen... deshalb machen wir die Kelten zu unseren "europäischen Indianern", denen wir grosse Spiritualität, Schamanismus und allen sonstigen Unfug andichten (und denen wir damit ebenso Unrecht tun!).

Was allerdings stimmt ist ,dass die Kelten Wesenheiten verehrt haben die teilweise Landschaften und Naturvorgänge verkörpert haben, das lässt sich sowohl etymologisch als auch anhand von antiken Berichten und archäologischen Funden als auch als reste keltischer Opferpraktiken in der späteren Provinzialrömischen Kultur Galliens und Britanniens nachweisen. Macht das ihre Religion zur Naturreligion? Kaum. Sie waren ja auch kein "Naturvolk" mehr (und mir ist bewusst dass auch dies eine überkommene Kategorie ist die die Ethnologie nicht mehr verwendet. Zudem passt auf viele andere keltische Gottheiten die Beschreibung von Numina oder Verkörperungen vergöttlichter Ideale besser als eine Kategorisierung als "Naturkräfte". Ja, sie haben Landschaften verehrt und Kultplätze an Quellen, Thermalbädern, Bergen und heiligen Hainen angelegt... die Götter die sie dort verehrten gingen aber bereits über reine vermenschlichte Naturkräfte hinaus.

CELTIC RELIGION
WHAT INFORMATION DO WE REALLY HAVE?
http://draeconin.com/database/celtreli.htm

von Raimund KARL, er distanziert sich zwar mittlerweile soweit ich weiss in Teilen von diesem bereits etwas älteren Text, aber ich habe nichts gefunden was offensichtlich falsch oder mittlerweile widerlegt ist... vermutlich würde er was die Viereckschanzen angeht, sich mittlerweile vorsichtiger äussern und nicht mehr so stark Bezüge zu den mittelalterlich-irischen Jahresfesten herstellen...
 
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