Latene als Wirtschaftsraum

Biturigos

Aktives Mitglied
Ich habe mich jetzt entschlossen meine Thesen aus dem Thread "Wie weit sind die Kelten nach Norden vorgestoßen?" herauszunehmen und als eigenes Thema zur Diskussion freizugeben, da es eigentlich nicht nur um die Nordgrenze von Lateneeinfluss geht, sondern um eine Definition davon, welche Qualität Latene als Wirtschaftsmodell und Wirtschaftsraum hat.
Ich hoffe auf euer Interesse und eure Kritik.

Mir fällt auf, dass die Diskussion hier immer wieder auf die ethnische Dimension zurückkommt, um sich eine gesellschaftliche Veränderung, die wir in der Kontaktzone im Norden Mitteleuropas spätestens im 3.Jahrhundert BC feststellen, zu erklären - zuletzt die Diskussion der Nordwestblocktheorie.
Ich möchte, um die Diskussion anzuregen, vorschlagen die Latenisierung in einer ökonomischen Dimension zu diskutieren (bin kein Profi, falls wissenschaftlich nicht uptodate, dann sorry).
1.Voraussetzung von differenzierter Arbeitsteilung, Intensivierung des Austauschs und der Difersifikation der Waren ist eine landwirtschaftliche Überschussproduktion. Dies setzt eine funktionierende, gut organisierte Landwirtschaft voraus. Dies könnte ein Grund sein, dass es im Norden in einem Gebiet eine stärkere Latenisierung als in einem anderen Gebiet gegeben hat (in den Niederlanden z.B. in der Rhein/Meuse - Region, aber nicht in der Küstenregion).
2. In Latene setzt eine ausgehend von der neuen Technologie der Erzverhüttung und Eisenproduktion - über die Zwischenstadien Import / Experimentierphase / Herstellung als Luxusartikel für eine schmale Herrschaftsschicht zur protoindustriellen Überschussproduktion für einen breiten (überegionalen) Markt (angenommen 10 - 20 kg Eisen Bedarf pro Hof und Jahr) - eine gezielte, organisierte Bodenprospektion, Ausbau von Produktionsstätten, von Marktbeziehungen und Technologietransfers ein.
Dabei bestehen Subistenzwirtschaften und Eigenbedarfherstellung weiter.
Viele der neuen nördlichen Mittelgebirgs - Ansiedelungen mit Ringwall (Mittellatene 3.Jahrhundert BC) haben Bezüge zu Eisenerzvorkommen (Lahn - Dill, Siegerland, Minden /Wittekindsburg, Marsberg/ Eresburg, Battenberg / Ederbergland). Diese Stufe erreichte das Norddeutsche Tiefland erst in der römischen Eisenzeit.
3. Die Wirtschaftsregion Latene hatte eine Ausstrahlungskraft und Eigendynamik jenseits direkter politischer Herrschaft, und ließ regionale Märkte, kulturelle Eigenformen und lokale Kulturen bestehen, während gleichzeitig eine Normierung und Rationalisierung der Exportproduktion einsetzte, die sich an übergreifenden Marktbedürfnissen (z.B. nach Rohstoffen Metalle, Salz, Holz, Textilien, Geräte) und kulturellen, sozialen und politischen Bedürfnissen (Ess -und Trinksitten, Statussymbole, Moden, Waffen usw) orientierte.
4. Ein Teil der Anziehungskraft von Latene war der ökonomische Erfolg / Aufstiegchancen von Produktionsgemeinschaften, ein anderer die Vertiefung / Demokratisierung des Konsums und der Marktbeteiligung - ein Umbruch zur Hallstattkultur? Von der Produktion spezialisierter Handwerkerkünstler für Eliten zur "vorindustriellen" Produktion von Rasiermessern und Pinzetten für (fast) alle? und die technologische Überlegenheit der Produkte (Mühlen, Wagen, Metall)
5. Latene prägte eine erste mitteleuropäische Geldwirtschaft aus, analog zur Normierung / Rationalisierung vergleichbarer (messbarer) Produkte -
daher erste Gewichte, Masstäbe, Waagen, Münzgewichte.
6. Auch wenn die Durchsetzung im zentralen keltischen Raum begann, vielleicht war das Keltische im Mitteleuropa vergleichbar mit dem Koine - Griechisch im Mittelmeerraum die allgemeine Verkehrssprache in Mitteleuropa (Cäsar ist erstaunt, dass der Suebe Ariovist gallisch /keltisch versteht) - waren verschiedene ethnische Sprachgruppen daran beteiligt und involviert.
7. Dies heißt nicht, dass es nicht auch eine militärische / politische Expansion von politischen Gruppen zum Beispiel in den Norden gegeben hat - welche Rolle sie gespielt hat, bei nachweisbarer Bevölkerungs und Kulturkontinuität (Grabsitten, Hausbauweisen, Technische Traditionen), bleibt offen.
 
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Ich habe Deinen interessanten Beitrag erst jetzt bemerkt, daher die spate Antwort.
Neuere Untersuchungen der TU München an keltischer Keramik erlaubenes, den Wirtschaftsraum La Tene geographisch klarer zu fassen.
Mit Neutronen auf den Spuren der Kelten
Die Forscher haben mittels spurenanalytischer Methoden bestimmte Typen keltischer Keramik ihren Produktionstätten (genauer gesagt, Tonlagerstätten) zugeordnet, und auf dieser Basis Verbreitungskarten erstellt. Untersucht wurde zum einen rot-weiß bemalte Keramik aus Manching, zum anderen schwarze, hitzebeständige böhmische Drehscheibenware. Die Verteilungskarten (leider zu groß zum Hochladen, bitte direkt im Link betrachten) erlauben eine Abschätzung der wirtschaftlichen Ausstrahlung von Manching und der bohemischen Bojer:

Manchinger Keramik findet sich bis zum Mittelrhein, Pariser Becken, Toulouse und Marseile, und nach Osten hin in ganz Böhmen, am Oberlauf der Weichsel, und die Donau entlang bis in den Belgrader Raum. Die schwarze böhmische Keramik ist über ein geschlossenes Gebiet von der mittleren Oder bis Siebebürgen und Zentralserbien verbreitet, daneben entlang der Bernsteinstraße durch Transdanubien und Slovenien bis Venezien, und im Raum zwischen Rhein, Oberweser, Bayrischem Wald und den Alpen.

Die starke Überlappung beider Verteilungsbereiche in Süddeutschland, Böhmen und im Donauraum deutet an, dass die Ware nicht konkurrierte, sondern regional gemeinsam vertrieben wurde. Manching kam offensichtlich für die böhmische Ware eine wesentliche Verteilungsfunktion in den süddeutschen und hessischen Raum zu, Oppida der Boji (z.b. Bratislava,) scheinen im Gegenzug Manchinger Ware im Donauraum, Böhmen und Ostschlesien vertrieben zu haben.

Die Analyse umfasst nur einen Teil der keltischen Keramik. Insbesondere rheinländische Keramik (Aldenhover Ware wurde schon im 5. Jahrtausend v. Chr. gegen Bernstein nach Holstein verhandelt) ist nicht erfasst, und dürfte einige der "weissen Stellen" in Norddeutschland, den Niederlanden und Nordfrankreich schließen. Dies deutet auf einen integrierten Wirtschaftsraum hin, der, bedient von verschiedenen Produktionszentren, sich über einen Großteil des nordalpinen Europas zwischen Pyrenäen und Nordserbien / Siebenbürgen/ Schlesien erstreckte (vor dem 2. Punischen Krieg vermutlich auch über die Alpen bis in die Poebene).

Die Voraussetzungen hierzu (landwirtschaftliche Überschussproduktion, Massenkonsum, Technologieschübe, Herausbildung einer Verkehrssprache, vermutlich keltisch) hast Du schön umrissen. Ergänzen möchte ich hier noch die Existenz eines gangbaren und ausreichend gesicherten Verkehrsnetzes einschließlich lokaler/ regionaler Handelszentren (oppida). Zur Geldwirtschaft sei angemerkt, dass eine solche sich vermutlich in Ansätzen schon in der frühen Bronzezeit herausbildete, wo sogenannte Ösenringe aus Kupfer, und wohl auch Bernstein, Zahlungsmittelfunktionen im überregionalen Handel übernahmen.
Die Quelle dieser Ösenringe, nämlich nordtiroler und slowakisches Kupfer, und ihr Verbreitungsmuster (vgl. Karte 2 in nachfolgendem Link) weisen wohl nicht nur zufällig Parallelen mit keltischen Machtzentren und ihren Distributionsgebieten auf.
Goethe-Universität ? Kupferdistributionssysteme in den Alpen und den Westkarpaten

Es braucht wenig Phantasie, sich auszumalen, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Zerstörung dieses schon in der Bronzezeit entstandenen integrierten Wirtschaftsraums durch die Römer für die Gebiete jenseits des "nassen Vorhangs" an Rhein und Donau hatte....
 
Hallo Biturigos,

ich habe das Thema gefunden und möchte ein paar erste Bemerkungen machen. (Bin ein wenig "eingerostet" was den "Gesamtüberblick" angeht - aber kann mich wieder einlesen (habe ja bald Urlaub - Daheim)).

Im Prinzip stimme ich dir zu, dass die Latènekultur ein großer Wirtschaftsraum war, in dem - zumindest in der Spätlatènezeit (Oppidakultur) Wirtschaftsgüter kreuz und quer durch Mitteleuropa verhandelt wurden. Die Kerngebiete in der Spätlatènezeit liegen meiner Einschätzung nach von Böhmen/Mähren im Osten bis etwa zur französischen Atlantikküste und (wenn man das 2. Jh. BC betrachtet als Oberitalien bereits "römisch" war) mindestens von den Alpen bis eventuell an den Nordrand der Mittelgebirge (wobei man in den Mittelgebirgen wahrscheinlich in jeder Region genauer hinschauen muss.)
Das gibt in etwa den angenommen Kernwirtschaftsraum im 2 Jh. BC an. (Klar kommen Güter auch in Regionen darüber hinaus, aber dann ist das nicht mehr der "Kern".)

Deinen 7 Punkten kann ich weitgehend zustimmen - über Details von Voraussetzungen oder Folgerungen können wir diskutieren.
Aber sie sind unvollständig.
Was - meiner Einschätzung nach - absolut notwendig war, dass eine Region in diesen Wirtschaftsraum integriert werden konnte, ist eine regionale Oberschicht (also eine soziale Differenzierung in einer Region), die zumindest die Macht (Im Sinne Max Webers) hatte, über die Ressourcen zu verfügen, sie zu verhandeln oder zumindest (als Mindestforderung), die Sicherheit des Handels (auch von Auswärtigen) in der entsprechenden Region zu ermöglichen. - Und diese Oberschicht musste sich erst einmal etablieren können.

Um einen Wirtschaftsraum in der Spätlatènezeit zu verstehen, müssen wir viel, viel früher anfangen und fragen, wie und durch welche Einflüsse die Späthallstattkultur entstanden ist - wie das mit dem Wandel hin zur Frühlatènekultur war und was uns das alles über die "keltische" Latènekultur sagt.
Ich habe mich einige Zeit mit einigen dieser Fragen beschäftigt. Das lege ich gerne mal dar. Aber nicht heute.

Heute nur so viel: Kennst Du die Theorie der "konkurrierenden Handelswege" als Erklärungsversuch zum Wandel von der Hallstatt- zur Latènekultur? U.a. Rieckhoff/Biel stellen sie in ihrem Buch "Die Kelten in Deutschland" kurz vor. Ich habe da noch andere Artikel dazu gelesen und wir haben da an der Uni ziemlich viel drüber diskutiert.

Heute nur so viel - das Privatleben ruft.
Aber ich stelle die Überlegungen gerne später mal vor.

VG
Nemetona
 
@Nemetona? was meinst Du mit "konkurrierenden Handelswegen"? Ich kenne die These von der Re-orientierung des Handels weg von der Themse-Elbe- (i) Brenner-Adria bzw. (ii) March-Donau-Achse (Hallstatt) hin zur Bretagne-Loire/Seine-Rhone-Achse (La Tene), ausgelöst durch die Gründung Massilias bzw. griechische Handelsexpansion ins westliche Mittelmeer. Dazu kommt aber sicher noch zunehmende Verdrängung der Bronze durch Eisen (mit Auswirkung auch auf Zypern/ Griechenland als wesentliche Kupferproduzenten), und die Entstehung eines zweiten keltischen Eisenverarbeitungszentrums (neben Noricum) im Mosel-Saar-Raum. Die Skytheneinfälle aus dem Osten haben sicher auch ihre Rolle gespielt.

Als Beitrag zur "Wiederbelebung" des Threads hier eine sehr schöne Analyse des "Wirtschaftsraums La Tene" ab dem 3. Jhd. v. Chr., und seines Zerfalls. Aus der Zusammenfassung:
http://www.bibracte.fr/fic_bdd/coll_detail_en_fichier/1146059157_Sievers_WEB.pdf
Die Oppida, z.T. gleichzeitig Produktionsorte, dürften in erster Linie als Marktplätze oder Zentralorte fungiert haben, von wo aus der Fernhandel und das Netzwerk des mehr regionalen Handels kontrolliert werden konnte. Ausschließlich in den Oppida und in ihren unbefestigten Vorgängern finden wir Marktgewichte (Manching), Schreibgriffel (Manching, Bern, Stradonice) und Siegel (Altenburg, Staré Hradisko); vor allem in den Oppida bzw. ihren unbefestigten Vorläufern wurden Münzen geprägt.​
Die Veränderungen im Fernhandel der Spätlatènezeit, der von einer relativ friedlichen Zeit und Handelszonen in Kombination mit einem hierarchischen sozialen System (dem Clientelsystem) profitierte, hatten einen ganz unterschiedlichen Hintergrund: Konkurrenz und Katastrophen, die von der Natur oder von Menschen verursacht worden sind. Hieraus ergeben sich auch die Abhängigkeiten von Fernhandel. Im Westen wurde die Eroberung durch die Römer in Form von Handel und diplomatischen Kontakten vorbereitet. Das überlegene wirtschaftliche System profitierte von der Übernahme der entwickelten keltischen Infrastruktur; die keltische Elite war weiterhin in den römischen Handel einbezogen, allerdings ohne im gleichen Maß Gewinne zu erzielen wie zuvor. Im Osten waren die germanischen Stämme, die zuvor vom keltischen Handel und anderen Einflüssen profitiert hatten, nicht fähig, das komplexe System, das zunehmend unter Raubzügen und der Unsicherheit der Wege litt, zu übernehmen oder sie waren daran nicht interessiert. Insbesondere an den Grenzen der römischen Welt wurden die Konsequenzen der römischen Eroberung Galliens offensichtlich.
Als wirtschaftliche Gründe werden u.a. die zunehmende Erschöpfung der Salinen in Halle/Saale (zum zeitweiligen Nutzen Bad Nauheims und Schwäbisch Halls) genannt, die (dies deutet die Studie nur an) wohl auch wirtschaftliche Auswirkung auf die Germanen an Nord- und Ostsee hatte und dort Migrationen in Gang setzte. Kimbern und Teutonen, die sicher erhebliche Störungen der Handelsnetze mit sich brachten, werden nicht explizit erwähnt, dafür aber zunehmende Probleme Manchings bei der für die Keramikproduktion wichtigen Graphitbeschaffung aus der Region um Passau, und das Versiegen des Goldnachschubs zur Dünsberger Münzprägung (was in der Folge dort natürlich Deflation, Niedergang des Fernhandels und wirtschaftliche Kontraktion bedeutete). Ariovists Sueben, vielleicht angetrieben durch die offensichtliche nord-/ostdeutsche Wirtschaftskrise, blockierten schließlich den Handel mit südwestgallischem Wein (teilweise auch iberische und narbonnensische Produktion), was Manchings Wirtschaft wohl den endgültigen Todesstoß versetzte. Schon vorher scheint gallischer Wein neue und aufnahmefähige Märkte in Britannien gefunden zu haben.​

 
Hallo Augusto,

danke für deine Antwort und vor allem für den Link. Ich werde ihn mir die Tage in einer ruhigen Stunde genau durchlesen.

Beim ersten Überfliegen fiel mir auf, dass es in erster Linie um die Spätlatènezeit geht. Die ist absolut wichtig, wenn es um die Frage, ob die (späte) Latènekultur eigentlich durch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum "zusammengehalten" wurde. (Ich denke, ja!).
Aber zum Verständnis, wie es vielleicht dazu kam, dass sich, was in den letzten beiden Jahrhunderten vor der Zeitenwende zu beobachten ist, entwickelt hat, möchte ich viel früher ansetzen - nämlich in der Hallstattzeit und in einer Phase als Bronze für die mediterranen Kulturen noch Werkstoff Nummer 1 war.

Da setzt die Theorie der "konkurrierenden Handelswege" an und es geht vor allem um die Frage, wie die verschiedenen mediterranen Kulturen der frühen und mittleren Eisenzeit ihren Zugang zu Zinn (als zweiter Bestandteil von Bronze neben Kupfer) organisierten.
Während Kupfer in vielen Regionen der damals bekannten Welt vorkommt, lagen die wichtigsten Zinnvorkommen im äußersten Westen am Atlantik - z.B. in der Bretagne, aber vor allem auch in Cornwall (also auf den britischen Inseln).
Die Idee der These ist, dass damals alle wichtigen "Kulturen" im Mittelmeerraum sich einen Zugang zu den atlantischen Zinnvorkommen sichern wollten und dementsprechend wohl Handelsbeziehungen zu den Bevölkerungsgruppen, die ihnen dabei behilflich sein konnten, aufzubauen versuchten.
Als mediterrane Kulturen werden genannt: Phönizer (mit ihrer strategisch günstigen "Kolonie" Karthago - Seefahrer ), Griechen (mit Kolonien im westlichen Mittelmeerraum - insbesondere Massilia (Marseille)- ebenfalls größtenteils Seefahrer) und Etrusker, eigentlich strategisch günstig im Oberitalien siedelten und eigentlich nur Beziehungen über die Alpenpässe in den "Süd-West-Deutschen" oder "Schweizer-Ostfranzösichen" Raum hätten aufbauen müssen um Zugang zu den Flußsystemen zum Atlantik nördlich der Alpen zu bekommen. (Sie hätten es über dem Landweg probieren müssen.)

Aufgrund dieser Ausgangsfrage werden vor allem die Entwicklungen im westliche Teil Mitteleuropas (so ab dem heutigen Süddeutschland Richtung Westen) untersucht, soweit die Archäologie das hergibt. Ausgangszeitraum ist in etwa das späte 7. und vor allem das 6. Jh. v. Chr.

Von den von dir genannten vorgeschichtlichen Handelsrouten wird die westliche betrachtet (du nennst sie Bretagne-Loire/Seine-Rhone-Achse (La Tene)) - und sie ist eben nicht als ausschließlich latènezeitlich (sondern in Teilen späthallstattzeitlich) identifiziert.

Es waren auf der Westroute wahrscheinlich unterschiedliche Handelsrouten, die wahrscheinlich durch die konkurrierenden mediterranen Kulturen zu unterschiedlichen Zeiten (unter Berücksichtigung der politischen bzw. Machtverhältnisse im westlichen Mittelmeerraum) unterschiedlich genutzt und ausgebaut wurden - mit erheblichen (auch wirtschaftlichen) Auswirkungen auf die einheimischen Gesellschaften, die dort siedelten.

Der Kern der Theorie der "konkurrierenden Handelsrouten" ist: Es gab mindestens zwei, evt. drei, geographisch annehmbare Wege für die mediterranen Kulturen der frühen Eisenzeit in Mittel- und dem westlichen Mitteleuropa über Flüsse und über Land (je kürzer die Landstrecke, desto besser) das Flusssystem, das zu den Zinnvorkommen in der Bretagne und auf den britischen Inseln führt zu erreichen. Je besser ich die Kontakte zu den einheimischen "Verantwortlichen" aufbaue, desto sicherer sind meine Handelsrouten (über die ich das Zinn für meine einheimische Wirtschaft importiere.)

Da gibt es tatsächlich Unterschiede zwischen der Späthallstattzeit und der Frühlatènezeit - halt die konkurrierenden Handelsrouten - die wohl genau durch diese konkurrierenden mediterranen Kulturen unterschiedlich genutzt und die Kulturentwicklung nördlich der Alpen entscheidend mitbestimmt haben.

Ich denke, das reicht für heute. Zu viel Input ist oft nicht so gut.
Lege das aber gerne noch genauer auseinander.
 
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Weinhandel wird von Sievers ausführlich ab S.3 diskutiert, einschließlich Verweis auf die Amphorennutzung in Iberien (Ausnahme Lusitanien, dort auch Fässer).
Explizit steht im Text nichts davon, daß La Tene auch iberische/ narbonnensische Weine verhandelte, aber die Amphorenkartierung auf S.4 legt dies nahe. Sie zeigt schraffiert zwei "zones de concentration", einmal an der mittleren/oberen Garonne (besondere Häufung um Toulouse), die zweite, als geographische Fortführung der Route interpretierbar, im Beaujolais und im Burgund. Das Verbreitungsnetz zeigt (unter Einbeziehung auch der in Karte 2 kartierten Karaffenfunde) auf die Versorgung ganz Galliens, sowie des Rheinlands, der Elbe (Funde um Hamburg und in Böhmen) und der oberen Donau.
Vertiefend staht auf S.6:
Es existierten nicht nur die Haupt-Verkehrsrouten, ausgehend von Massilia oder Narbo, sondern auch eine ganze Anzahl regionaler und sekundärer Handelswege. In diesem Fall ist das Bild des römischen Kaufmanns wenig überzeugend. Offensichtlich wurde nicht alles von den Römern kontrolliert, weshalb F. Olmer sogar einen innerkeltischen Weinhandel für möglich hält (Olmer 2003, S. 221-226; Gruat, Izac-Lambert 2002, S. 78-84, fig. 13; Bats 1992). G. Wieland kommt zu ähnlichen Ergebnissen für Süddeutschland. Demnach saßen die Weinkonsumenten nicht nur in den Oppida Heidengraben und Manching, sondern auch in den sog. Viereckschanzen, die sich demnach im Besitz der Aristokratie befanden, geht man davon aus, dass der Weingenuss nicht jedermann zustand und auch nichts Alltägliches war (Poux 2004, S. 192-212). Die Viereckschanzen, in denen Reste von Weinamphoren gefunden wurden, „kontrollierten“ die Wege zu den Oppida (Wieland 2002, Abb. 1). Dies könnte ein komplexes Zollsystem andeuten.
Zur nord/-ostdeutschen Wirtschaftskrise u.a. (S.9)
Die Produktion in Halle/Saale ließ nach, und es wird vermutet, dass Schwäbisch Hall und Bad Nauheim den Platz von Halle/Saale einnahmen, das nunmehr sein Salz wohl von Bad Nauheim bezog, was aus der Verbreitung spezieller Glasarmring-Reihen geschlossen wird. Später – während der Spät-Latènezeit – verfügte Halle/Saale kaum mehr über
Glas; zu diesem Zeitpunkt kamen immer mehr germanische Gruppen nach Nord-Thüringen.​

Über Manching schreibt sie (S.12f)​
Das oft kommentierte Ende des Amphorenimports (Stöckli 1979, S. 196-200; Will 1987) ist allerdings nur eines von mehreren Anzeichen für den Niedergang des Oppidums. Offensichtlich traten auch Probleme beim Import von Graphit aus der Gegend von Passau auf, das östlich von Manching liegt. Grundsätzlich enthält die Graphitware der spätesten Latènezeit nur noch wenig Graphit. Nach 80/70 v. Chr. nahm die Einwohnerzahl in Manching ab, während die Wiederaufbereitung von Bronze und Eisen ihren Höhepunkt erreichte. Es ist zu diskutieren, ob dies Anzeichen für den Niedergang des ostkeltischen Handelssystems sind. Der Markt existierte noch, und auch die Aristokratie war präsent, bis das Währungssystem um die Mitte des Jahrhunderts kollabierte (Sievers 2004).(..)​
Die Zerstörung des Graphithandels ist gleichzusetzen mit der Zerstörung des Netzwerks des keltischen Handels östlich des Rheins, der von den Regenbogenschüsselchen und dem Quinarsystem einschließlich des sog. Kleinsilbers dominiert wurde. Das Ende des Weinhandels war sehr viel leichter herbeizuführen. Die Römer mussten nur ihre Grenzen schließen. Dies lässt allerdings die Frage nach dem Profit offen, und wir müssen nach einer Erklärung suchen, warum der Weinhandel mit dem Osten ausgerechnet um ca. 80/70 v. Chr. abreißt.​
An dieser Stelle berühren wir die Verbindung zwischen dem regionalen keltischen Netzwerk und dem internationalen System in der Bedeutung von Außen- und Binnenhandel. Beide Systeme wurden nahezu gleichzeitig zerstört. Der Hintergrund könnte in der Einwanderung germanischer Gruppen, aber auch keltischer Stammesteile zu suchen sein. Wie wir durch die Strontium-Isotopen-Analyse an menschlichen Skeletten Süddeutschlands, u.a. Manching, wissen, gab es einen ständigen Zustrom aus Böhmen nach Süddeutschland, und zwar seit La Tène B bis in die Spätlatènezeit (Eggl 2003, 528-531). (..) Dies ist als Zeichen für die große Mobilität der keltischen Stämme zu werten, für die der Auszug der Helvetier das sprechendste Beispiel ist. Diese Art von Mobilität konnte allerdings für das wirtschaftliche System gefährlich werden. Fernhandel benötigte Sicherheit und Frieden. Ariovist und seine Germanen repräsentierten in dieser Hinsicht während der 70er und 60er Jahre hingegen Krieg, Raubzüge und unsichere Wege.​
Meine Interpretation:

  1. Das Netzwerk beginnt von Osten her (Halle) infolge von Ressourcenerschöpfung zu bröckeln. Parallel dazu nimmt die Vernetzung mit Britannien zu, wodurch sich die wirtschaftlichen Schwerpunkte weiter nach Westen verlagern.
    [Hier müsste man eigentlich auch die Auswirkungen der Punischen Kriege intensiver beleuchten, d.h. keltischer Einflußverlust in Norditalien, und zunächst Destabilisierung, dann Re-Stabilisierung des Seehandels im westlichen Mittelmeerraum. Die römische Expansion ins östl. Mittelmeer dürfte das danubische La Tene-Netz geschwächt haben, und so von Südosten weitere Kontraktionseffekte gesetzt haben].
  2. Die von (Nord-)Osten her einsetzende Wirtschaftskrise trifft auch und v.a. die germanische Peripherie, die durch Migrationen (Jastorff-Expansion, Kimbern & Teutonen, Sueben etc.) reagiert, und damit Domino-Effekte bei der betroffenen La Tene-Bevölkerung (Westfalen, Böhmen, Schlesien) auslöst [Daker/ Geten wären hier ebenfalls betrachtenswert].
  3. Die Kombination von Verlust östlicher Absatzmärkte, Migrationsdruck, zunehmender Unsicherheit der Verkehrswege und Versorgungsproblemen erodiert das ostrheinische Fernhandelsnetz. Die Zentren (Manching, Dünsberg, [Böhmen, Krakau]) können sich über Regionalisierung noch eine Zeitlang halten, brechen leztendlich aber wirtschaftlich und monetär zusammen.
  4. Invasionen (Römer, Chatten, Markomannen etc.) versetzen dem Netz dann den Todesstoß. Den Römern gelingt es, den gallischen Teil in ihr Handelsnetz zu integrieren. Die Germanen kommen über regionale Ansätze (Markomannen, Goten) nicht hinweg bzw. können die Abkopplung von "West- Latene" (Gallien/ Britannien/ Rheinland) nur teilweise (Bernsteinstraße) auffangen.
@Nemetona: Also habe ich den Begriff der "konkurrierenden Handelsrouten" offenbar richtig verstanden. Ein sehr spannender Ansatz, für mich als gelernten Wirtschaftsgeographen allemal.
Zu Bronzezeit etc. findest Du schon etwas Diskussion (ausbaufähig) hier
http://www.geschichtsforum.de/f34/bernsteinhandel-709/index3.html
In Zinn- und Kupferlagerstätten habe ich mich, auch weil meine Frau Mineralogin ist, ein bißchen eingelesen. Da sollte man das Erzgebirge nicht vergessen. Beim Blick über den mitteleuropäischen Tellerrand geraten auch Kauakasus (hier eher Arsen und Antimon), Zentralasien (Zinnhandel gekoppelt mit Lapis Lazuli) sowie, in der Anfangsphase der nahöstlichen Bronzeverarbeitung, das östliche Taurusgebirge in den Blickpunkt.
Zu Verkehrswegen insgesamt finde ich folgende Präsentation immer noch unschlagbar:
ArchAtlas: Portages
Dort enthalten sind auch schöne Darstellungen für die Bronzezeit, und "konkurrierende Handelsrouten" in England.

Wenig Kenntnis habe ich davon, wie sich die Handelsrouten in Raum und Zeit konkret ab dem 7./6. Jhd. v. Chr. in Gallien verschoben, und wie solche Verschiebungen mit der generellen "La-Tene-isierung" der Region in Verbindung stehen. Da reden wir übrigens im Endeffekt wohl neben Elbe->Donau und Elbe/Weser>Brenner von mindestens 5 Routen:

  1. Cornwall - Bretagne-Garonne-Toulouse-Narbonne
  2. Cornwall - Bretagne -Loire (Bourges)- Lyon-Marseille (Rhone)
  3. Cornwall - Wessex (Stonehenge) - Seine - Saone- Lyon-Marseille (Rhone)
  4. Cornwall - Themse - Maas - Saone- Lyon-Marseille (Rhone)
  5. Cornwall - Themse - Rhein - St. Gotthard - Po
Dazu kommen Querverbindungen (Seine-Loire, Burgund. Pforte etc.) für den Übergang von einer zur anderen Route.
Wenn Du Zeit und Lust hast, diesbezüglich ins Detail zu gehen, findest Du in mir einen hoch interessierten Leser. Macht nichts, wenn Du zu einigen der o.g. Routen nichts zu berichten weißt. Ich bin in die westrheinische Eisenzeit noch kaum eingedrungen, alles Neue ist willkommen.
 
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Ich freue mich natürlich einerseits über die Diskussion, die interessanten links, aber kann mich derzeit nicht so intensiv beteiligen wie ich mir selber es wünschen würde.
Trotzdem juckte es mir in den Fingern, und daher versuche ich es in Kurzform:
Grundsätzlich bin ich zuerst dafür, das Latenewirtschaftssystem zu diskutieren,
darin ist der intensivere Fernhandel (auch innerhalb der Keltike) ein Faktor, der uns neue Vorstellungen von der mittel und westeuropäischen Lebenswelt vermittelt,
bevor wir jetzt eventuell zur Ursachenforschung der Krise bzw. des Zusammenbruchs des Latenewirtschaftsraums schreiten. Auch die römische Besetzung Galliens muss nicht zwangsläufig einen rechtsrheinischen Niedergang verursachen, sondern könnte hypothetisch einen neugestalteten prosperierenden Wirtschaftsraum und seine Außenbeziehungen installieren. Das wäre einen eigenen Thread wert.
Zur sozialen Schichtung und Differenzierung:
ich bin einverstanden, dass es eine Schicht geben muss, die einmal einen Tauschwert garantiert, Preise kontrolliert, Verkehrswege unterhält, Zölle erhebt usw., meiner Ansicht nach muss dies jedoch nicht eine hallstattzeitliche Oberschicht sein, sondern kann durch eine Protostaatlichkeit / bzw. Verfasstheit einer Gesellschaft auch anders organisiert werden. Durch die historischen Quellen kennen wir verschiedene Herrschaftmodelle außer einem Stammeskönigtum, z. B. die jährliche Vergobretwahl der Häduer (vergleichbar mit den römischen Konsuln, immer zwei gewählte Berufsbeamte, übersetzt "Rechtswirker"), was nicht republikanisch war, sondern eine Form der Adelsherrschaft. Eine wesentliche Unterscheidung zur Hallstattzeit wäre jedoch das Entstehen einer breiteren besitzenden Schicht, in der großen Ausstellung 2012/13 in Stuttgart die "mittleren Zehntausend" genannt, die als Produzenten, Dienstleister (Händler, Transporteur, Beamte) und Konsumenten für den breiteren Massenmarkt in Frage kommen. Dabei geht es nicht um ein Prestigeprodukt wie Wein, dass wahrscheinlich immer noch ein Luxusgut war, sondern von Keramik, Mühlstein bis Bartrasierer und Kosmetik auch um ein differenziertes Angebot für den Alltagsbedarf (okay, Zalandos war der erste Schuhhändler aus Bibracte, den hatte ich ganz vergessen..).
Zum System der konkurrierenden Handelswege, bin ich noch gespannt auf weiteren Input, auch wenn ich vielleicht erst wieder im September schreiben werde. Zum Weinhandel kurz, ich habe vor kurzem eine wirkliche Fleissarbeit der Amphorenfunde in Basel (Gasfabrik und Münsterhügel) gelesen, anscheinend wurde tatsächlich über die Burgundische Pforte der Wein weiterverhandelt bis Manching. Sievers schlägt ja auch vor, dass der Wein auch in anderen Zwischenstationen in Fässer umgefüllt wurde. In der Ausgrabung Mardorf (bei Marburg) wurde aus der Spätlatenezeit Weißtanne gefunden, was nach der Archäobotanikerin Angela Kreuz als Weinfass dorthin gelangt sein könnte (kein natürliches Vorkommen) - interessant sind auch Funde von Feigennüsschen, auch in Bad Nauheim in der Saline, und diverse Kräutersamen wie Dill, Petersilie und Fenchel. Auch Gewürze oder Färbepflanzen könnten verhandelt worden sein, die Feige ist ein sicheres Zeichen von Fernhandel, während die anderen Samen auf einen frühen Gartenbau hinweisen könnten.
@Augusto, zur Karte, welche meinst du oben? Seite 8 bei Sievers lese ich so, dass Olmer 2003 vermutet, dass es möglicherweise verschiedene Produktionszentren italischer Gemeinden gab, die in Gallien als Absatzmarkt gegeneinander konkurrierten.
Iberische Weine oder Weine aus Narbo werden in Spätlatene noch keine Rolle gespielt haben, oder habe ich das überlesen?
Folgenden Band werde ich als nächstes lesen, wenn ich damit fertig bin, hoffe ich etwa auf dem neuesten Stand zu sein:
Hornung (Hrsg.) Produktion -Distribution -konomie (PDF Download Available)

Ein Beispiel eines innerkeltischen Handels mit Drehmühlen aus Mayen aus diesem Band stelle ich wieder ein, war schon einmal in einem anderen Thread, aber hier passt er sehr gut. Die Autorin hat ein Buch zum Thema herausgegeben.
Hornung (Hrsg.) Produktion -Distribution -konomie (PDF Download Available)
 
Das spätlatènezeitliche Wirtschaftssystem ist - meiner Einschätzung nach - nicht ohne seine Entwicklung seit der Späthallstattzeit heraus zu verstehen.
Klar gab es einen zusätzlichen "Schub" als - wohl ab Mitte/Ende des 3. Jh. v. Chr. und wohl von Osten her (?) die Oppida gegründet wurden. Aber ohne die wirtschaflichen und gesellschaftlichen Entwicklungen seit dem 6. Jh. v. Chr. wäre wahrscheinlich Einiges anders gelaufen. Daher muss - meiner Meinung nach - die Entwicklung von Anfang an betrachtet werden.

Ich bin dabei, einen Text zur Theorie der "konkurrierenden Handelswege" zu schreiben - das braucht ein wenig - noch ein paar Tage. Ich habe ja nur ein wenig Zeit zwischen Arbeit und Privatleben.

Vg
Nemetona
 
Zuletzt bearbeitet:
Zum Weinhandel
Hallo Augusto, ich habe jetzt erst deine Antwort auf Ravenik (und damit auch auf meine Frage nach dem Weinhandel iberischer Weine) gelesen (Posting 7).
Der Text von Sievers ist vielleicht etwas missverständlich, sie zitiert das iberische Beispiel um zu zeigen, dass die Verwendung von Fässern im Weinhandel wahrscheinlich ist, und dass ein Raum, in dem keine Amphoren gefunden werden, nicht Rückschlüsse auf einen fehlenden Weinhandel zulässt (was in Lusitanien bewiesen ist).
Sievers Kartierung auf Seite 4 der Funde der Amphoren Dressel 1, was die häufigste in spätlatenezeitlichen Oppida gefundene Amphore ist, sind jedoch süditalische Weinamphoren. Hierzu ein ich finde kurzer prägnanter Überblick zur Amphore im antiken Fernhandel https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/nbdpfbw/article/viewFile/15600/9467 Die These von Olmer lautet nach Sievers, dass es nicht ausschließlich römische Kaufleute sind (dazu gibt es ein bekanntes Cicero-Zitat, Pro Fonteio 11), die in Gallien den Weinhandel betrieben, sondern dass auch viel für einen innerkeltischen Handel spricht. Dies schließt die Konkurrenz süditalischer Produktionszentren in Gallien nicht aus, die offensichtlich priviligierte Beziehungen zu einzelnen Gentes in Gallien suchten.
 
Huhu Biturigos,

danke für die Literaturtipps. Ich denke ich werde mal in meinem kommenden Urlaub (daheim), den einen oder anderen Vormittag in Bibliotheken verbringen - mit aufgeladener Kopierkarte.
Noch eineinhalb Wochen bis da hin. :)
Und Zeit für Ausflüge usw. bleibt dann auch noch. (Der nächste Winter kommt bestimmt, mit dunklen Abenden, an denen man zur Entspannung auch mal den einen oder anderen Fachartikel lesen kann. :))

Vg
Nemetona
 
Theorie der Konkurrierenden Handelswege # 1 - Quellenlage u. a.im Linksrheinischen

Hallo Augusto,

die Stellen von S. Sievers, die du gepostet hast, sind für die Spatlatènezeit hoch interessant.

Aber ich bleibe jetzt erst mal bei den früheren Jahrhunderten und eher im Westen.

Ich mache das jetzt mal in Teilen- Das ist jetzt Teil 1 – Die Quellen und der Forschungsstand in den linksrheinischen bzw. rheinnahen Regionen.

Ein paar Vorbemerkungen dazu sind notwendig

Auch wenn ich regional „vorbelastet“ sein sollte (ich komme ursprünglich aus dem Linksrheinischen und lebe heute im Rhein-Main-Gebiet), denke ich, dass eine Beschäftigung mit der Eisenzeit in diesen Regionen, sehr viel zum Verständnis der Entwicklungen beitragen kann..
Diese rheinnahen Regionen (links wie rechts des Mittelrheins) dürften seit der späten Hallstattzeit das Bindeglied für den Austausch (wirtschaftlich wie kulturell) zwischen „Innergallien“ (wie man die Regionen Frankreichs in der Spätlatènezeit nennen darf) und den rechtsrheinischen Latèneregionen (bis Böhmen/Mähren) gewesen sein.
Was hinzu kommt ist, dass der Forschungsstand in diesen Regionen vergleichsweise gut ist (auch wenn es noch Lücken gibt). Es gibt – anders als in anderen Regionen – ziemlich durchgängig seit der Hallstattzeit sehr viele Gräber (und teilweise ganze Gräberfelder) und auch eine Reihe von Siedlungen (also beide wichtige Quellenarten). Es kann aufgrund der Funde und Befunde zwar kein vollständiges Puzzle rekonstruiert werden, aber ein Grundgerüst, in dem so viele Puzzleteile vorhanden sind, dass man daraus ein paar Theorien zum möglichen Gesamtbild entwickeln kann.

Zum Vergleich:
- In Manching hat man vor allem die Siedlungsgrabung (von Ausschnitten) eines spätlatènezeitlichen Oppidums, aber keine großen zeitgleichen Gräberfelder. Das gleiche gilt für andere Oppida (Spätlatène).
- Es gibt in Süddeutschland verstreut die Viereckschanzen, von denen aber nur wenige archäologisch untersucht sind.
- Größere „keltische“ Gräberfelder aus der Zeit nach den hallstattzeitlichen Großgrabhügeln sind mir in Süddeutschland keine bekannt. (Leider, denn das ist eine ganz wichtige Quelle.)

- Im Linksrheinischen (in der Spätlatènezeit als Treverergebiet zu bezeichnen, vorher Hunsrück-Eifel-Kultur) haben wir Teilgrabungen oder Funde aus fünf Oppida (Spätlatène), aus mind. zwei Dutzend kleineren Höhenbefestigungen (Späthallstatt und Spätlatène), aus zu den Oppida gehörenden Gräberfeldern, sowie aus mehrere große Gräberfelder, die von der frühen Latènezeit über Jahrhunderte durchgängig belegt waren (z. B. in Wederath und Horath), sehr viele über die gesamte Region verteilte kleinere Fund- und Befundkomplexe (meist Gräber) seit der Hallstattzeit bis in die frühe gallo-römische Zeit und wohl noch Tausendende nicht untersuchter noch sichtbarer Bodendenkmäler (vor allem Grabhügel und auch Grabgärten – das größte nicht untersuchte Hügelgräberfeld in den Wäldern des Hunsrücks umfasst noch mindestens 120 Hügel.)

- Im weiteren Rhein-Main-Gebiet mit der Wetterau und dem Taunus gibt es ebenfalls Gräber und Gräberfelder seit der Hallstattzeit – bzw. seit lange davor, aber mit (Forschungs- (?)) Lücken oder regionalen Verlegungen einigermaßen durchgängig bis zur Spätlatènezeit. Dazu kommen Siedlungen der gesamten Eisenzeit – Flachsiedlungen (v. a. Bad Nauheim) und Hinweise auf Siedlungen (z. B. im Stadtwald Frankfurt a. M.). Außerdem gibt es auf den Taunushöhen seit dem Neolithikum befestigte Höhensiedlungen (oder „ Befestigung auf Höhen“) - Z. B. war der „Altkönig“ in keltischer Zeit befestigt und besiedelt. Daneben ist das spätkeltische Oppidum „Heidetränke“ bei Oberursel „outstanding“ und auf Deutsch: „groß und großartig“. (Es gibt sogar ein paar Gräber, die klar zuzuordnen sind.)
Bei weiter nördlichen stadtähnlichen Befestigungen der späten Eisenzeit bin ich bei der Zuordnung zu einem Kulturkreis (z. B. dem Dünsberg) etwas vorsichtiger (ich meine damit die Einordnung nach der materiellen „Kultur“.) – Ich persönlich nenne keine materiellen Hinterlassenschaften „keltisch“, wenn sie für mich nicht genug materiell dem „keltischen“ Kulturkreis zuzuordnende Funde bringen. Ich habe bisher keine Veröffentlichungen von Grabungsberichten zum Dünsberg gelesen. (Die mag es geben. - Ich bin ca. 10 Jahre aus der aktiven Archäologie und den Diskussionen um aktuelle Funde und Befunde raus. – Aber ich bezweifele, dass ich so viel verpasst haben könnte.) Mein letzter Stand war, dass am Dünsberg Römer gegen eine Verteidigung, die zwar eine keltische, aber auch germanische Komponente hatte, gekämpft haben.

So viel um den Forschungstand im Westen (u. a. Linksrheinisch) kurz zu beleuchten und um Augusto (und anderen) vielleicht Lust zu machen, sich mit diesen Regionen auseinanderzusetzen.

Um die Theorie der „konkurrierenden Handelswege“ auseinanderzulegen ist zum einen ein kurzer Blick auf die Rhein-Main-Region in der Hallstattzeit und eine ziemlich ausführliche Beschreibung der Verhältnisse und der Entwicklung im Linksrheinischen (Mittelrhein-Mosel-Nahe-Region) seit der Hallstattzeit notwendig.


VG
Nemetona
 
Theorie der konkurrierenden Handelswege Teil 2 – Die Grundtheorie

Theorie der konkurrierenden Handelswege Teil 2 – Die Grundtheorie

Ausgangspunkt der Theorie ist, dass die mediterranen Kulturen der frühen Eisenzeit Zinn als wichtigen Bestandteil des Werkstoffes Bronze brauchten, um ihre Wirtschaft aufrecht zu erhalten. (Das wird heute auch schon mal plakativ mit dem Spruch „Damals Zinn, heute Öl“ umschrieben – trifft aber genau den Kern der Überlegungen.) Während Kupfer in vielen Regionen Europas vorkommt, sind die Zinnvorkommen auf ganz wenige Regionen, die für die mediterranen Kulturen außerdem „Jwd“ („Janz weit draußen“) also ganz am Rande der damals bekannten Welt lagen - beschränkt. U. a. gab es reiche Zinnvorkommen in Cornwall und wohl einiges Zinn in der Bretagne.
Für die mediterranen Kulturen im Westen des Mittelmeerraums ging es also darum, an dieses Zinn im atlantischen Bereich zu kommen.

Die mediterranen „Protagonisten“ sind die Phönizier mit Karthago und Gadir (Cadiz) als wichtigste Kolonien im Westen , Griechenland bzw. die griechischen Kolonien im westlichen Mittelmeerraum (mit Massilia/ Marseille als wohl wichtigste Kolonie) und die Etrusker in Italien.

Die „unabhängige“ Handelsroute für alle drei wäre eigentlich die Seeroute nach Westen durch die Straße von Gibraltar und entlang der Küsten des heutigen Portugals und Spaniens bis zu der heutigen französischen Atlantikküste und evt. mit Überfahrt direkt nach Cornwall gewesen. Diese Route wurde bald von den Phöniziern bzw. Karthago und Gadir kontrolliert. Im 7. und der ersten Hälfte des 6. Jh. v. Chr. spielten die griechischen Kolonien wohl noch keine große Rolle im Handel, aber die Etrusker erschlossen sich ausgehend vom Rhône-Saône-Korridor aus die innergallischen Flusssysteme, um an das begehrte Metall aus dem Westen zu gelangen.
Dazu war es nötig, Beziehungen zu den in Mittel- und Westeuropa ansässigen Bevölkerungsgruppen auf dem Weg dahin aufzubauen und zu sichern, damit die beabsichtigten Zinnlieferungen auch tatsächlich, wie geplant, ankommen. Der Beziehungs- und Vertrauensaufbau funktionierte über „diplomatische Geschenke“ – Luxuswaren für die regionalen und örtlichen Oberschichten, die wohl als Zwischenstationen dienten. (Heute würde man „Bestechung“ dazu sagen.)
Tatsächlich kommen im 7. Jh. und zu Beginn des 6 Jh. v. Chr. etruskische Bronzegefäße, Keramik, Möbel und wohl auch Wein in erheblichen Mengen nach Südfrankreich (auch in die griechische Kolonie Massalia) und von dort weiter zu den Eliten im Hinterland.

(Übrigens scheinen diese begehrten Gaben , die gleichzeitigen Hallstatteliten östlich des Rheins, die scheinbar für keinen wirtschaftsstrategischen Nutzen für die Etrusker waren, dazu bewogen haben, von sich aus Kontakte nach Westen (zum Wein, der zu den „französischen“ Nachbarn gelangt) und über die Donau nach Osten zu knüpfen. Gerade die Westverbindungen scheinen attraktiv gewesen zu sein und könnten wohl auch durch familiäre Verbindungen vertieft worden sein. – So die Überlegungen.) Im Vergleich zu den hallstattzeitlichen mediterranen Importen in Innergallien kam insgesamt nur ein Bruchteil davon in Süddeutschland an. Die Donau-Route der Hallstattzeit wird damit eher zur „Randbemerkung“ der damaligen Handelsbeziehungen zwischen mediterraner Welt und Mitteleuropa – trotz Heuneburg und anderer „Fürstensitze“.

Noch dominierten die etruskischen Interessen den Zinnhandel über die innergallischen Flusssysteme. Das änderte sich um die Mitte des 6. Jh. v. Chr. – Als Gründe werden diskutiert, dass es durch die Eroberungen durch Babylonier und Perser in der Levante zu einem Flüchtlingsstrom der griechischen Bewohner dieser Gebiete Richtung westlichem Mittelmeer und zu einem Bevölkerungswachstum der dortigen griechischen Kolonien kam. Außerdem war nach der Schlacht von Alalia der Seeweg im Westen endgültig durch Karthago blockiert. Die Etrusker hatten auf Seiten der Karthager gegen die griechischen Kolonisten gekämpft. Nun wurde ihr Einfluss Gallien nach und nach zurückgedrängt.

Ausgehend von Massalia übernehmen nun die Griechen nach und nach die Handelsrouten über den Rhône-Sâone-Korridor und die Seine Richtung Atlantik. Der Vertrauens- und Beziehungsaufbau funktioniert auf dem gleichen Weg, den vorher die Etrusker gegangen sind – durch Luxusgüter als diplomatische Geschenke für die Oberschicht. Aber die Griechen scheinen den Handel (wohl auch mit Wein und Keramik) deutlich intensiver betrieben zu haben als die Etrusker vor ihnen.
Umschlagplätze für den Handel entstehen an den Flüssen in Ostfrankreich. Der wichtigste, obwohl wenig bekannte - dürfte bei Bragny in Burgund an dem Zusammenfluss von Sâone und Doubs gelegen haben. Ab dort wurden die Waren über Land Richtung Loire und Seine (und wahrscheinlich auch nach Osten Richtung südwestdeutschen Hallstatteliten) transportiert. Metallverarbeitung und Umfüllen von Weinlieferungen im großen Stil ist dort archäologisch nachgewiesen.
Ziel- und Umschlagort an der oberen Seine scheint der Mont Lassoix gewesen zu sein. Ab dort ist die Seine schiffbar und dort entstand in den letzten Jahrzehnten vor 500 v. Chr. nicht nur eine Höhenbefestigung (wohl mit zentralörtlichem u. evt. religiösen Charakter), zu ihm gehört auch das exorbitant reiche Frauengrab der „Fürstin von Vix“ (um 500 v. Chr.) (Allerdings ist dem Mont Lassoix – anders als Bragny - nur eine kurze Existenz beschieden. Um 480 v. Chr. wird die Siedlung aufgegeben – Bragny besteht weiter.)

Es ist klar, dass aufgrund dieser Entwicklung die Etrusker ein Problem bekommen haben. – Wie kommen sie an Zinn? Und in dieser Situation bauen sie nach und nach Handelsrouten über die Alpen in Richtung Mittelrhein auf. Ab dem Mittelrhein wird entweder die Mosel oder der Landweg über den Hunsrück Richtung Westen bis zur Aisne und Marne benutzt und dadurch den Anschluss an die innergallischen Flusssysteme Richtung Atlantik erschlossen. (Die Hunsrückrouten können ziemlich klar umrissen werden, wie das mit der Nutzung des Wasserweges über die Mosel aussah, ist noch nicht zu sagen.) Erste klare archäologische Belege dafür finden sich in den letzten vielleicht zwei Jahrzehnten des 6. Jh. v. Chr. oder spätestens um 500 v. Chr.
Ab etwa dieser Zeit sind die zuletzt griechisch beeinflussten Routen und die Hallstattkultur im Niedergang, während sich etwas kulturell Neues anbahnt. Bezüglich des Fernhandels mit dem mediterranen Raum äußert sich das Neue (die Frühlatènekultur) dadurch, dass der fluss- und landgebundene Zinnhandel wieder von den Etruskern bestimmt, aber über den Mittelrhein, Hunsrück/Mosel und Champagne (Aisne-Marne) zum innergallischen Flusssystem geführt wird.

So viel zum 2. Teil. – Ich möchte aber noch mal genauer auf die Entwicklungen in der Mittelrhein-Hunsrück/Mosel (und teilweise Marne) Region eingehen. Das ist wichtig, um eine Idee zu bekommen, welche Voraussetzungen für den Aufbau von Handelsbeziehungen eigentlich gegeben sein müssen.
 
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So viel zum 2. Teil. – Ich möchte aber noch mal genauer auf die Entwicklungen in der Mittelrhein-Hunsrück/Mosel (und teilweise Marne) Region eingehen. Das ist wichtig, um eine Idee zu bekommen, welche Voraussetzungen für den Aufbau von Handelsbeziehungen eigentlich gegeben sein müssen.
Danke - sehr schön und informativ. Tu Dir keinen Zwang an, was Hunsrück-Mosel angeht. Zum einen habe ich ein anderes "Langzeit-Projekt" am Start, für das Deine Ausführungen ebenfalls hilfreich sein können:
Römerzeitliche Verkehrsgeographie in der Germania und östlichen Gallia
Zum zweiten studiert Töchti 1 seit letztem Jahr in Saarbrücken, und wir werden uns in den nächsten Jahren vermutlich öfter in der Ecke rumtreiben, die mir, von Luxemburg, Trier, und Besuchen in KH zur Federweißen-Zeit abgesehen, bislang weitgehend unbekannt war. Da schadet etwas mehr Hintergrund keinesfalls.

Zu Deinen Ausführungen ist anzumerken, daß Zinnabbau im Erzgebirge ebenfalls indirekt (häufige Funde von Pfeilspitzen aus Zinn) bronzezeitlich belegt ist. Wenn das gute Zinn für Pfeilspitzen genutzt wurde, herrschte dort offenbar alles andere als Mangel. Abbau ist dort nicht belegt, dies liegt aber u.a. daran, daß bis ins 14. Jhd. n.Chr. Zinnerz dort v.a. aus Flußseifen gewonnen wurde. Kassiterit läßt sich bei ausreichendem Reinheitsgrad direkt in der Bronzeherstellung verwenden, so daß aus dem bisherigen Fehlen archäologisch gesicherter Verhüttungseinrichtungen kein Rückschluß auf Fehlen oder nur minimalen Umfang einer Zinnförderung im Erz- oder Fichtelgebirge getroffen werden kann. Von daher war die Donauroute vielleicht nicht ganz so eine "Randbemerkung", wie es den Anschein hat. Irgendwas hat La Tene ja auch nach Böhmen und die Donau hinab gezogen...
Als weiteren großen "Player", gerade für Hallstatt, darf man die Veneter am Südende der Brennerroute nicht vergessen. Die wurden von Griechen und Etruskern für bretonisches/ britisches Zinn natürlich aus dem Verkehr genommen, aber Erz- und Fichtelgebirge blieben ihre Route, und Manching lag mitten drauf.
 
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Nachtrag zu Teil 2 - Konkurrierende Handelsrouten

Huhu,

Noch ein Nachtrag zu Teil 2:



Mir ist – trotz jahrelanger Beschäftigung mit der Thematik – erst jetzt aufgefallen, dass eine wichtige Route vom Rhein Richtung Westen der Wasserweg über die Nahe gewesen sein muss. Eigentlich liegt das aufgrund der Befunde und Funde entlang der Nahe auf der Hand, aber das wurde meines Wissens noch nie geschrieben. Mit dieser Route hätte man auch das Binger Loch und die schwierige Passage bis zur Loreley sowie die vielen zeitraubenden Kurven der Mosel als auch viele Kilometer Landweg über den Hunsrück umgehen können. (Die Routen über den Hunsrück wurden genutzt, genauso wie wohl die Wasserwege den Mittelrhein entlang bis zur Moselmündung (und wohl darüber hinaus) sowie die Mosel aufwärts. Aber vielleicht sind viele "Handelsreisenden" schon bei Bingen in die Nahe eingebogen. Das wäre eine spannende Frage, die archäologisch zu untersuchen wäre.)



Wie weit die Nahe in vorgeschichtlicher Zeit schiffbar war, ist mir nicht bekannt. Ein Ort, der aber sowohl für die Spätthallstatt/Frühlatènezeit als auch bis in der Spätlatènezeit immer wieder Befunde und Funde einer (mindestens) lokalen Oberschicht gebracht hat, ist Hoppstädten-Weiersbach. Möglich, dass die Nahe tatsächlich bis dahin schiffbar war (was ich schon erstaunlich finde) – weiter flussaufwärts halte ich das kaum noch für möglich. – Aber ich bin dafür keine Spezialistin.
Von Hoppstädten-Weiersbach aus ist der Landweg Richtung Flussläufe von Blies, Saar und Mosel (und damit auch Richtung Marne und Aisne) gegenüber dem Mittelrhein deutlich verkürzt.


Nur eine Überlegung von mir.
Mehr zum Thema Späthallstatt/Frühlatène im weiteren Mittelrhein-Mosel-Gebiet im Bezug auf die Theorie der konkurrierenden Handelsrouten kommt demnächst.

VG
Nemetona
 
Zum Thema konkurrierende Handelsrouten in der Hallstattzeit

Meiner Ansicht nach ist es überlegenswert, dazu einen eigenen Thread aufzumachen. Sicher hat es mit dem Ursprungsthema zu tun, jedoch steht es auch unabhängig davon für ein vertiefbare Reflektion und Auseinandersetzung.
Diese Kulturkontakte aus dem mediterranen Raum nach Mitteleuropa waren nicht nur Handelsrouten, sondern auch Beziehungen, über die Wissen, Technologien, Ideen und Produktionsgüter vermittelt wurden - beispielhaft die Einführung der Töpferdrehscheibe
C. Tappert, Der Beginn der Drehscheibenkeramik im östlichen Frühlatènekreis und ihre Entwicklung bis zum Ende der Stufe Lt A | Claudia Tappert - Academia.edu
oder des Huhns (erster mitteleuropäischer Nachweis auf der Heuneburg).
Gerade anhand der Einführung der Drehscheibe kann die Voraussetzung eines spezialisierten Handwerks gesehen werden: gedrehte Töpferware ist vergleichsweise hochwertiger, da sie härter gebrannt wurde, im Wechsel von reduzierender und oxidierender Brennweise (Regulation der Sauerstoffzufuhr) als die oft lockere, weichere handaufgebaute Ware, die anscheinend oft in einem Erdgruben -oder Schwelbrandverfahren gebrannt wurde - gedrehte Töferware wurde feiner gemagert (Anreicherung des Tons mit feinem Sand) und sorgfältiger unter Verwendung von ausgiebig Wasser geglättet: von derTonvorbereitung, der Auswahl der Materialien, des Zeitaufwands bis zur Technikbeherrschung des Drehens, Glättens, Polierens, Trocknens und Brennens bis zur Verzierung erfordert dies mehr Können, Erfahrung und Arbeits - und Zeitaufwand, der schwieriger nebenberuflich oder saisonal neben der Landwirtschaft leistbar war.
Insofern schufen diese Kulturkontakte auch die Voraussetzungen für einen latenzeitlichen Prozess der Spezialisierung auf qualitätsvolle, konkurrenzfähige und begehrte Produkte durch spezialisierte Handwerkerfamilien, die für einen lokalen , regionalen oder überregionalen Markt und Nachfrage arbeiteten.
Was veränderte sich mit dem Frühlatene? Eine sehr greifbare Veränderung ist, dass keltische Gentes mit Oberitalien etruskisches Gebiet erreichten, in Südosteueropa direkte Nachbarn des hellenenischen Bereichs wurden, und damit direkteren Zugang zum mediterranen Raum hatten. Söldnerdienste waren nur eine Form, wie sich dieser direktere Kulturkontakt auswirkte, es gibt durchaus auch einen umgekehrten Technologieaustausch zum Beispiel im militärischen Bereich; die frühen Münzprägungen der Kelten (310 - 250 v.Chr.) hatten hellenische Münzen zum Vorbild, wie den Goldstater und die Silbertetradrachme Philipp des II., für Zentralkelten der Goldstater Alexanders, im Westen auch Vorbilder der griechischen Kolonien (Drachmen von Rhoda, Massalia). Wir wissen nicht direkt, wie sich diese Vorrücken direkt ans Mittelmeer im innerkeltischen Handel ausgewirkt hat, jedoch spricht vieles dafür, dass ähnlich wie in der Geldwirtschaft oder in der Keramikproduktion eine Verselbstständigung eintritt, die nicht mehr auf die Vorbilder angewiesen ist. Mit dem Potin erfand die keltische Geldwirtschaft in Spätlatene eine Technik der Kleingeldproduktion, die völlig eigenständig war, und dem römischen Kleingeld nach Auffassung von Wissenschaftlern auch überlegen war (gegossene Legierung aus Kupfer, Zinn und Blei, versetzt mit Antimon, sehr harte und stabile Münze in der Größe eines 2 Centstücks, im Reihengussverfahren in Sandkästen hergestellt).( Kritisch zur marktwirtschaftlichen Betrachtung der keltischen Geldwirtschaft:
http://www.muenzfunde.ch/downloads/artikel/nick_sfa_20.pdf )
Es ist daher durchaus möglich, dass es in manchen Bereichen auch im Handel einen direkten innerkeltischen Austausch vom Mediterranen Raum nach Mitteleuropa gegeben hat (auf die Funde von verschiedenen mediterranen Pflanzenresten habe ich schon hingewiesen (Feigen und andere): zur Überraschung der Archäobotanik fand sich im Metrest aus dem Glauberggrab Pollen des Walnussbaums - bisher nahm man eine Einführung erst in gallorömischer Zeit an - eine weitere Ausbreitung wird auch erst für das 1.-3.Jahrhundert n.Chr. archäobotanisch bestätigt. Vielleicht ein frühes Pflanzexperiment in der Wetterau im Frühlatene?) - Allerdings wurde interessanterweise der Weinanbau nicht übernommen, obwohl der Bedarf vorhanden war, eventuell aus klimatischen Gründen, nach heutigem Wissen war es bis 100 BC kühler und regnerischer als heute, aber auch ob die oberitalienischen Kelten Wein erzeugten, ist mir nicht bekannt, obwohl die klimatischen Voraussetzungen vorhanden waren (mehr ankedotisch und vergesst die Überschrift : Know-how aus Italien: Franzosen lernten Weinbau von Etruskern - SPIEGEL ONLINE )
 
Exkurs zum südgallischen Weinhandel
Beim Lesen zur Situation in Südgallien im 3. und 2. Jahrhundert BC, eigentlich für den Thread Hannibals Alpendurchquerung, der diesen Raum durchquerte, stieß ich auf ein interessantes Buch, dass wirtschaftsgeschichtlich das Vordringen römischen Handels in Gallien zeigt,https://books.google.de/books?id=DNhFcQwOrCQC&pg=PA242&lpg=PA242&dq=S%C3%BCdgallien+im+1&source=bl&ots=tP0gmjM-GI&sig=7NBPy89qNSGYxy0XAx0plNxZ5sQ&hl=de&sa=X&ved=0CC0Q6AEwAmoVChMIzN3-pOTxxwIVSZEsCh3fAQz3#v=onepage&q=S%C3%BCdgallien%20im%201&f=false . Freyberger beschreibt darin (Kapitel am Vorabend der römischen Eroberung), dass Massalia im Frühlatene in Südgallien Wein anbaute, und nicht nur importierten griechischen Wein verhandelte. Ab der Mitte des dritten Jahrhunderts BC begann zuerst ein Handel mit italischen (campanischen) Produkten, Massalia öffnete seine Märkte, und es gab wohl Gemeinschaftsunternehmen römischer und massaliotischer Händler. Dies spiegelt sich im archäologischen Fundmaterial, in dem ab der Mitte des 3.Jahrhunderts immer mehr graecoitalische Keramik (Amphoren) auftauchen, diese findet sich nicht nur im eigentlichen massaliotischen Einzugsgebiet, sondern auch in der Bourgogne, der Auvergne und dem "gallischen Isthmus", verstärkt ab 125 BC. Massaliotische Feinkeramik und Amphoren gingen drastisch zurück, so dominant wurde besonders dann im 1.Jahrhundert dann die römische Konkurrenz. Insofern war die Eroberung Massalias während des Bürgerkriegs 49 v.Chr.. durch Julius Cäsar nur politischer Nachvollzug eines obsolet gewordenen Bündnisses, dass sich auch ökonomisch überlebt hatte.
 
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Zur Bedeutung der Etrusker in den hallstattzeitlichen Handelsbeziehungen
mit der Keltike
ich habe einen ganz interessanten Text gefunden, der meiner Meinung zwar tendenziell die Bedeutung Etruriens überhöht, und fast selbstverständlich von einem einseitigen Kulturaustausch ausgeht (von Süden nach Norden), aber einen guten Überblick aus der Perspektive Etruriens gibt.
Die Beziehungen zwischen dem Mittelmeerraum und Europa. Die Rolle der Etrusker, in Im Licht des Suedens (Ausstellung, Munchen 2011), Munchen 2011. | Giuseppe Sassatelli - Academia.edu

Sassatellis Standpunkt zu der Ablösung und Konkurrenz der verschiedenen Handelsrouten ist auch interessant: er fordert dazu auf, dies dynamischer zu betrachten, die Handelsrouten hätten gleichzeitig bestanden und funktioniert. Er begreift dann jedoch gegen die archäologischen Funde, dass mit der Invasion der Kelten nach Norditalien der oben erwähnte Kulturaustausch zusammengebrochen sei - das ist eine recht einseitige Sicht der Geschichte, und wie ich oben anhand der Münzwirtschaft oder der Drehscheibenkeramik andeutete, auch nicht richtig, nur Etrurien verlor als selbstständige Kraft seine Bedeutung. Da campanische und toskanische Produkte wie Keramik und Wein in der römischen Ökonomie weiter bedeutsam waren, lebt eine etruskische Wirtschaftsgeschichte unter römischer Ägidel kräftig weiter - auch die Eisenverhüttung der Etrusker in Populonia / Elba wurde von den Römern fortgeführt.
Auch zeigen viele Funde, dass eingewanderte Kelten und Etrusker zusammenlebten und einen engen auch kulturellen Austausch hatten - die keltischen Gentes waren im 4. und 3. Jahrhundert BC oft Bündnispartner im Kampf gegen das expandierende Rom https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_am_Vadimonischen_See_%28283_v._Chr.%29.
 
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In den Kontext (der weitläufige Weinhandel wurde erwähnt) passt die neue Untersuchung zu Heuneburg.


Der frühkeltische Standort der Heuneburg (Baden-Württemberg, Deutschland) wird seit langem als Beispielfall der frühen Urbanisierung in Mitteleuropa verstanden.

Die reiche Sammlung mediterraner Importe, die aus der Siedlung archäologisch erhalten blieben, die Elitebestattungen in der Umgebung und die mediterran inspirierte Lehmziegelmauer verdeutlichen die Bedeutung der interkulturellen Beziehungen zum Mittelmeer als entscheidender Faktor für den Wandel der Gesellschaften der frühen Eisenzeit.

Wir beschreiben eine neue Facette dieses Prozesses, indem wir die Transformation von Konsumpraktiken, insbesondere von Trinkgewohnheiten, untersuchen, die durch interkulturelle Begegnungen vom späten 7. bis 5. Jahrhundert v. Chr. durch die Analyse von organischen Überresten in 133 Keramikgefäßen, die in der Heuneburg mit Hilfe der Organischen Rückstandsanalyse (ORA) gefunden wurden. Während der Ha D1-Phase wurden fermentierte Getränke, einschließlich mediterraner Traubenweine, identifiziert und scheinen aus lokaler handgefertigter Keramik konsumiert worden zu sein. Letztere wurden aus verschiedenen statusbezogenen Kontexten innerhalb der Heuneburg gewonnen, was auf ein frühzeitiges und gut etabliertes Handels- und Austauschsystem für dieses Mittelmeerprodukt hindeutet. Dies steht im Gegensatz zu den untersuchten Ergebnissen für die Trink- und Serviergefäße aus der Ha D3-Phase. Der Konsum von fermentierten Getränken (Wein und insbesondere bakteriofermentierte Produkte) scheint sich auf dem Plateau konzentriert zu haben.

Die hier vorgestellten ORA-Analysen scheinen darauf hinzudeuten, dass Traubenwein in dieser Zeit hauptsächlich von importierten Gefäßen und seltener von lokalen, feinen, radmodellierten Gefäßen getrunken wurde. Neben importiertem Wein zeigen wir den Konsum einer Vielzahl von Lebensmitteln, wie z.B. tierische Fette (insbesondere Milchprodukte), Hirse, Pflanzenöle und Wachspflanzen, Obst- und Bienenstockprodukte sowie ein oder mehrere andere fermentierte Getränke, die wahrscheinlich lokal hergestellt wurden. Durch diese diachrone Studie über die Gefäßfunktion aus verschiedenen Kontexten innerhalb des Standorts informieren wir über veränderte und statusbezogene Praktiken der Lebensmittelverarbeitung und des Konsums.

(~ deepL)

The Early Celtic site of the Heuneburg (Baden-Wuerttemberg, Germany) has long been understood as a hallmark of early urbanization in Central Europe. The rich collection of Mediterranean imports recovered from the settlement, the elite burials in its surroundings and the Mediterranean-inspired mudbrick fortification wall further point to the importance of intercultural connections with the Mediterranean as a crucial factor in the transformation of Early Iron Age societies. We describe a new facet of this process by studying the transformation of consumption practices, especially drinking habits, brought about by intercultural encounters from the late 7th to the 5th century BC through the analysis of organic remains in 133 ceramic vessels found at the Heuneburg using Organic Residue Analysis (ORA). During the Ha D1 phase, fermented beverages, including Mediterranean grape wine, were identified in and appear to have been consumed from local handmade ceramics. The latter were recovered from different status-related contexts within the Heuneburg, suggesting an early and well-established trade/exchange system of this Mediterranean product. This contrasts with the results obtained for the drinking and serving vessels from the Ha D3 phase that were studied. The consumption of fermented beverages (wine and especially bacteriofermented products) appears to have been concentrated on the plateau. The ORA analyses presented here seem to indicate that during this time, grape wine was consumed primarily from imported vessels, and more rarely from local prestigious fine wheel-made vessels. In addition to imported wine, we demonstrate the consumption of a wide variety of foodstuffs, such as animal fats (especially dairy products), millet, plant oils and waxy plants, fruit and beehive products as well as one or several other fermented beverage(s) that were probably locally produced. Through this diachronic study of vessel function from different intra-site contexts, we inform on changing and status-related practices of food processing and consumption.



Publikation PLOS/one, open access, Autoren Uni Tübingen und München
The dynamics of Early Celtic consumption practices: A case study of the pottery from the Heuneburg
 
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