Was musste nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches neu entwickelt werden?

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GMittelalt

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Welche kulturellen Güter gingen durch den Untergang Roms verloren?
 
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Das beobachtete Gebiet wäre auch interessant. Denn an wissenschaftlichen Entwicklungen hielt sich im oströmischen Reich zunächste mehr als im weströmischen
 
Baubereich:

Werkstoff Opus Caementicum - Zement wurde erst in der Neuzeit wieder neu erfunden.

Baukunst - erst wieder im Mittelalter wurden Großbauten errichtet. Auch Kuppelbauten wurden nach dem Ende Römerreiches im Abendland jahrhundertelang nicht mehr gebaut.

Wasserversorgung: Das Aquäduktsystem verfiel mit dem Ende des Römerreiches, die Abwasserentsorgung (sprich Kanalisation) wurde auch erst im 19. Jhdt. nach teilweise verheerenden Epidemien neu erfunden.
 
Welche kulturellen Güter gingen durch den Untergang Roms verloren?

Der kulturelle Niedergang nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reichs war in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich. Während z.B. die Schrftlichkeit in Italien erhalten blieb, verschwand sie im linksrheinischen römischen Germanien oder in den Gebieten südlich der Donau nahezu komplett. Das lag daran, dass die römische Administration nach Aufgabe der Rhein- und Donaugrenze verschwand, die Römerstädte aufgegeben wurden, römische Gutshöfe verödeten und mit dem Verschwinden des militärischen Schutzes durch römische Legionäre auch die einstigen romanisierten Eliten oder römische Beamte entweder abwanderten, unterworfen, versklavt oder sogar umgebracht wurden. Damit verschwanden alle einstigen Institutionen, Einrichtungen und Strukturen, die eine hochentwickelte Zivilisation und Kultur getragen hatten.

Wie stark der Aderlass in den Gebieten nördlich der Alpen war, kann man an den Maßnahmen Karls des Großen ermessen, die unter dem modernen Begriff der "karolingischen Renaissance" zusammengefasst werden. Auch im Frankenreich hatte sich bemerkbar gemacht, dass mit dem Untergang Westroms die meisten Römer - Beamte, Kaufleute, Gutsbesitzer, Soldaten - die Provinzen verlassen hatten. Die Römerstädte an Rhein und Donau verödeten, römische Gutshöfe verschwanden, Straßen und Brücken zerfielen. Der Untergang der römischen Zivilisation führte bei den germanischen Völkern zu einem Niedergang des Wissens und der Kultur und bewirkte einen Rückfall in barbarische Verhältnisse.

Um diesen Prozess aufzuhalten, fassten Karld der Große und seine Berater den Plan, die Bildung im Frankenreich zu heben und alle Bereiche der Wissenschaft und Kunst zu erneuern. Um dieses Ziel zu erreichen, griffen sie ganz bewusst auf Werke der römischen Antike zurück, die bei diesem Vorhaben als Vorbild dienen sollte. Wie weit das Verschwinden der Schriftlichkeit gediehen war, zeigt sich an Karl dem Großen selbst: Er war des Lesens unkundig und erlernte es auch im Verlauf seines Lebens nur unvollkommen - eine Tatsache, die bei römischen Herrschern und Kaisern undenkbar gewesen wäre.

Mittelpunkt der Bildungsreform, die vor allem von Geistlichen getragen wurde, war der königliche Hof des Frankenreichs, die so genannte "Hofkapelle", die sich zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit entwickelte. Die höhere Geistlichkeit (Bischöfe, Äbte usw.) hatte sich dem Niedergang der Bildung weitgehend entziehen können, da die katholische Kirche auf eine grundlegende Ausbildung achtete und zur Ausübung der geistlichen Tätigkeit bestimmte Fertigkeiten unabdingbar waren.

Zu den Leistungen der Hofkapelle zählten z.B.: eine Reform der Schrift, die Rückwendung zum klassischen Latein, eine Wiederbelebung der Dichtung und Geschichtsschreibung, die Erneuerung des Gottesdienstes und der Liturgie, die Einführung der Regel des hl. Benedikt zur Hebung des oftmals verfallenen Klosterlebens und schließlich eine erneuerte Fassung der Bibel. In die zahlreichen lateinischen Bibelabschriften hatten sich im Lauf der Zeit Fehler eingeschlichen, die manche Bibeltexte völlig entstellten.

Aus dem, was die fränkische Regierung erneuern wollte, lässt sich zugleich ermessen, was nach dem Untergang Roms alles in Verfall und Niedergang geraten war.
 
Wie stark der Aderlass in den Gebieten nördlich der Alpen war, kann man an den Maßnahmen Karls des Großen ermessen, die unter dem modernen Begriff der "karolingischen Renaissance" zusammengefasst werden. Auch im Frankenreich hatte sich bemerkbar gemacht, dass mit dem Untergang Westroms die meisten Römer - Beamte, Kaufleute, Gutsbesitzer, Soldaten - die Provinzen verlassen hatten. Die Römerstädte an Rhein und Donau verödeten, römische Gutshöfe verschwanden, Straßen und Brücken zerfielen. Der Untergang der römischen Zivilisation führte bei den germanischen Völkern zu einem Niedergang des Wissens und der Kultur und bewirkte einen Rückfall in barbarische Verhältnisse.
Im Frankenreich war das allerdings ein sehr langfristiger Prozess, die beschriebenen Auswirkungen setzten erst im 7. Jhdt. voll ein. Die römischen Gutshöfe blieben auch unter den Merowingern noch lange in Betrieb, und in der Verwaltung stützten sie sich lange vor allem auf Romanen. Der Solidus wurde als Währung beibehalten, bis ins 7. Jhdt. hinein funktionierte die Geldwirtschaft, und auch Fernhandel gab es weiterhin. Auch die Städte, vor allem im Süden Galliens, blieben noch lange intakt und behielten ihre Rolle als Zentren der Wirtschaft und der Verwaltung. Auch als Bauherren waren die ersten Merowinger und ihre Bischöfe noch sehr aktiv.
Erst im 7. Jhdt. vollzog sich dann allmählich der Übergang zur Naturalwirtschaft, und mit dem Niedergang des Gewerbes verkamen die Städte. Nur in denjenigen, die als Sitze für geistliche oder weltliche Herren fungierten, konnte sich das lokale Gewerbe einigermaßen behaupten, allerdings unter dem Verlust der städtischen Selbstverwaltung. Die weitgehend wirtschaftlich autarken Gutshöfe blieben aber auch jetzt noch aktiv. Auf geistigem Gebiet verschwanden die römischen Schulen, und das Latein wurde immer schlechter.
 
Zur Zeit des Römischen Reichs gab es in Gallien, Britannien, dem römischen Germanien und Spanien eine geordnete Verwaltung und Rechtsprechung, ein Städtewesen, eine instandgehaltene Infrastruktur und ein Netz von Gutshöfen, die Agrarprodukte in großem Umfang zur Versorgung der Zivilbevölkerung und des Militärs produzierten.

Mi dem Zusammenbruch des Weströmischen Reichs und dem Rückzug der römischen Beamten, Kaufleute und des Militärs setzte kein Wandel, sondern ein Niedergang ein. Die Zeugnisse einer hohen Zivilisation lösten sich auf: die Römerstädte verödeten, die geordnete Zivilverwaltung und mit ihr die für Verwaltungsakte nötwendige Schriftlichkeit verschwanden, die Infrastruktur und mit ihr Brücken, Aquädukte und Straßen zerfielen, in Gallien und im ehemals römischen Germanien kehrte man zur Naturalwirtschaft zurück. In Gallien entstanden riesige autarke Domänen mit hörigen Bauern, da das Verschwinden der Städte und des Handels diese Form hervorbrachten.

Henri Pirenne schreibt dazu in einer auch heute noch lesenswerten Abhandlung:

Vom sozialen Standpunkt aus ist das bedeutendste Phänomen, das in die Zeit zwischen den muslimischen Eroberungen und der Herrschaft der Karolinger fiel, die schnelle Verminderung und das fast völlige Verschwinden der städtischen Bevölkerung. Im Römischen Reich hatten von Anfang an die Städte die Grundlage des Staates gebildet und die politische Struktur war im wesentlichen städtisch ... Die soziale und verwaltungsmäßige Struktur verlor nun ihren dem städtischen Charakter des römischen Staates entsprechenden Charakter: ein Phänomen, das in Westeuropa ganz neu war. Das Ende des städtischen Typus im frühen Mittelalter ergab sich ... daraus, dass die Eroberer des Römischen Reiches außerstande waren, dessen Institutionen in der alten Form weiterfunktionieren zu lassen ...

Daraus aber musste sich ein fast vollkommener Stillstand des Handels ergeben; auch das Gewerbe verschwand fast ganz, wenn man von einigen lokalen Erscheinungenwie der in Flandern noch aufrechterhaltenen Tuchweberei absieht. Der Umlauf von Geld hörte beinahe auf ...

In Gallien erlosch das städtische Leben so völlig, dass die Herrscher nicht mehr in den Städten residierten; denn der vollkommene Mangel eines Handelsverkehrs ermöglichte es ihnen nicht mehr, dort genügend Lebensmittel zum Unterhalt ihres Hofs zu finden. Sie verbrachten das Jahr auf ihren Domänen und zogen von einer zur anderen ...

(Henri Pirenne, Geschichte Europas, Frankfurt 1961, S. 81, 83)
 
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Pirenne schreibt ausdrücklich: "Vom sozialen Standpunkt aus ist das bedeutendste Phänomen, das in die Zeit zwischen den muslimischen Eroberungen und der Herrschaft der Karolinger fiel". Somit decken sich seine Ausführungen mit meinen eigenen, denn die muslimischen Eroberungen begannen ja erst im 7. Jhdt. und erreichten Westeuropa erst im 8.
 
Pirenne schreibt ausdrücklich: "Vom sozialen Standpunkt aus ist das bedeutendste Phänomen, das in die Zeit zwischen den muslimischen Eroberungen und der Herrschaft der Karolinger fiel". Somit decken sich seine Ausführungen mit meinen eigenen, denn die muslimischen Eroberungen begannen ja erst im 7. Jhdt. und erreichten Westeuropa erst im 8.

Zeitgenössische Quellen wie die des hl. Severin für Bayern (Vita Sancti Severini) geben ein anschauliches Bild davon, wie die Gebiete des römischen Germanien nach Abzug der Römer und der Eroberung durch Franken links des Rheins oder der Markomannen u.a. südlich der Donau völlig barbarisiert wurden, da - wie Pirenne oben schon schrieb - "die Eroberer des Römischen Reiches außerstande waren, dessen Institutionen in der alten Form weiterfunktionieren zu lassen". Dass dieser Vorgang ein Prozess war, der in den ehemaligen Provinzen Westroms mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ablief, versteht sich von selbst.
 
Wie Du selbst im ersten Absatz Deines Beitrags #5 angemerkt hast, verlief der kulturelle Niedergang in den verschiedenen Gebieten höchst unterschiedlich. Noricum war im 5. Jhdt. massiv von germanischen Einfällen und Durchzügen betroffen, weswegen schon zu Lebzeiten Severins einzelne besonders gefährdete Orte verlassen wurden. Einige Jahre nach seinem Tod wurde dann überhaupt ein größerer Teil der romanischen Bevölkerung Noricums nach Italien evakuiert.

Außerdem macht es auch einen Unterschied, ob ein Gebiet nur durchzogen und geplündert wurde (wie es meist in Noricum der Fall war) oder ob sich ein Stamm dauerhaft niederlassen wollte. Wenn ein Stamm ein festes Reich gründen wollte, war es in seinem eigenen Interesse, auf vorhandenen Verwaltungsapparaten aufzubauen und die vorhandene Wirtschaft am Laufen zu halten.
 
Welche kulturellen Güter gingen durch den Untergang Roms verloren?


Am beindruckendsten war wohl der Niedergang der antiken Trinkwasserversorgung. In diesem Punkt wurde der technologische Fortschritt und das Know How des antiken Roms erst im 19. Jahrhundert wieder eingeholt, und es war der Trinkwasservorat Roms sogar größer, als der des heutigen Berlins. Der valensaquädukt in Istanbul und die Pont du gards in der Provence, die das antike Nemausus mit Trinkwasser versorgte geben heute noch einen Eindruck vom kenntnisstand der römischen Ingeniure und dem Niveau der wasserversorgung selbst in den Provinzen.

Das endgültige Aus für die antike Wasserkultur kam mit der Belagerung während der Gotenkriege Justinians, und es wurden die Thermen des Caracalla, des Diocletian sowie die des Titus als Steinbrüche verwendet und für Stadtpaläste verwendet. Dabei verging sich ausgerechnet die Renaissance, die die Antike wiederentdeckte am besten an den erhaltenen Baudenkmälern der römischen Antike.
 
Es stimmt zwar, dass die nach Rom führenden Aquädukte von den Ostgoten unter Witigis unterbrochen wurden, als sie den Belisar in Rom belagerten, allerdings wurden sie später zumindest zum Teil wieder repariert. Ob Belisar selbst sie reparieren ließ, ist unbekannt, aber zumindest die Traiana scheint im 7. und 8. Jhdt. wieder in Gebrauch gewesen zu sein. Papst Hadrian I. (772-795) ließ weitere Leitungen reparieren. Allerdings verfielen sie bald wieder, jedenfalls ließ Papst Gregor IV. (827-844) die Traiana erneut reparieren. Papst Nikolaus I. (858-867) reparierte die Traiana und noch eine weitere erneut. Anscheinend waren die Reparaturmaßnahmen also nie von langem Erfolg gekrönt. Die nächsten Reparaturen, von denen wir wissen, erfolgten unter Papst Calixtus II. (1119-1124).
 
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