Homer war assyrischer Kanzleischreiber

fingalo

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Hallo,
in der FAZ vom22.12.2007 ist ein mehrseitiger Artikel über Homer. Danach fand der in der Ilias geschilderte Krieg in Kilikien statt, und Homer war assyrischer Kanzleischreiber. Das, was in dem mehrseitigen Artikel sehr plausibel dargelegt wird, soll im März als Buch erscheinen: Raoul Schrott: Homers Heimat - Der Kampf um Troia und seine Hintergründe."

Aber ein paar Sätze erinnerten mich schlagartig an unsere alte Diskussion über das Nibelungenlied:
"Bei all diesen Bezügen stellt sich natürlich die Frage, ob Homer Kilikien je direkt erwähnt. Natürlich - und das bereits im Ersten Gesang, wo uns Eetion als mythischer Herrscher über das kilikische Volk begegnet, der in Troias Nachbarstadt Thebe residiert. Ein kilikisches Thebe in der Troas? Das ist auf den ersten Blick so, als würde man von einem niedersächsischen Camelot in Irland reden. [In meinem Zusammenhang: ... als würde man von Island in Sizilien reden.] Ebendies aber verrät den Projektionsmechanismus Homers, der wie jeder Dichter nach ihm seine Zeitgeschichte auf einen alten Stoff und seine ureigenste Umgebung auf die Topographie seiner Fiktion überträgt. ..."
 
Na, hoffentlich erzählt Herr Schrott keinen Schrott :pfeif:

Also, ich habe behalten:

Homer hat anscheinend Anregungen aus dem hethitischen-asyrischen Kulturkreis bekommen. Wahrscheinlich war er in Kilikien angesiedelt.
Die Kilikier haben die gleichen Vorfahren wie die Festlandgriechen.
Keiner weiss, ob die Ilias wirklich in Troja stattgefunden hat.

Wo steht, dass Homer asyrischer Kanzleischreiber war ?
Ich dachte wir wissen nichts über den Mann ?

Warum ist die Ilias und Odysee nicht in Assyrien und Kilikien und über die Hethiter bekannt geworden sondern über die Griechen ?
 
Ob Pyramiden, Bibel, Troja oder weiß Gott was.
Alljährlich wird mindestens eine neue Sau durchs Dorf getrieben, kommt womöglich auf die Bestsellerliste und verschwindet dann wieder sang- und klanglos. Also erstmal ganz ruhig...
 
Nun aus den Zeitungsartikel wird sich die These nicht erschließen bzw seine Argumentation nicht sichtbar werden. Die These ist ja sicher ganz nett, wie er sie letzendlich belegt bleibt abzuwarten, ich sehe das aber auch eher skeptisch. Gerade warum die homerische Dichtung dann auch für Griechen interessant war, was die Motivation war für die Assyrer solche Epen zu schreiben und vor allem zu welchen Zweck bleibt für Schrott zu erklären.
 
Da steht, als Aufmacher für den Artikel am nächsten Tag:
„Homer ein Lehrling der neuassyrischen Schreiber? Diese Idee wird der Diskussion um den historischen Homer neue Flügel verleihen!“
Er behauptet nicht, dass er selbst assyrischer Schreiber war.
 
Die Konnektion zwischen dem hethitischen Wilusa (der hethitische Eigenname Trojas) und der griechischen Ilias ist ja an sich nichts neues.
 
Also, bei mir steht: "Schrott zeichnet ein ganz neues Bild: Der Dichter lebte in Kilikien, heute Türkei, als griechischer Schreiber der assyrischen Machthaber."
 
Die Konnektion zwischen dem hethitischen Wilusa (der hethitische Eigenname Trojas) und der griechischen Ilias ist ja an sich nichts neues.
Es geht hier ja wohl nicht um eine Konnektion mit Hethitern. Und aus dem hethitischen Namen ergibt sich auch nicht die Lage. Er vermutet es im heutigen Karatepe.
 
Die Behauptungen des Herrn Schrott sind ziemlich absurd, da er seine "Erkenntnisse" lediglich auf literarische und sprachwissenschaftliche Vergleiche stützt. Entsprechende archäologische Funde liegen überhaupt nicht vor, geschweige denn Erkenntnisse einer archäologischen Expedition.

Dass die "Griechen" in der Ilias eigentlich "Assyrer" sind und "Troja" lediglich das Pseudonym für das kilikische bzw. südosttürkische "Karatepe", halte ich für einen verfrühten Aprilscherz.

Noch fantastischer wird es da, wo Schrott Homers Identität zu enthüllen sucht. Ob bartlos dargestellte Schreiber unbedingt als kastriert zu denken sind? Und der Esel im Kornfeld wirklich auf die biblische Bedeutung des Wortes "homer" zurückgeht, die Homer hier selbstironisch zitiere?

Auf schlichte Intuition stützt Schrott seine Behauptung von Anleihen aus dem Gilgamesch-Epos:

FAZ schrieb:
Die Übersetzungsarbeit belehrte mich eines Besseren. Ich merkte bald, dass ich es mit einem Text zu tun hatte, dessen Komplexitäten sich weniger beim Zuhören denn beim Lesen erschließen, und dass dieser Text wiederum auf anderen Texten basierte - allen voran dem Nationalepos des Ostens, dem Gilgamesh. Die vielen detaillierten Anspielungen darauf gehen weit über eine bloß diffuse Kenntnis dieses Stoffes hinaus - wobei sich nicht einmal hierfür ein mündlicher Schleichweg annehmen ließe, weil nirgendwo eine öffentliche Aufführungspraxis des Gilgamesh belegbar ist und sich dieses Epos zudem gerade zu Homers Epoche in einer neuen schriftlichen Fassung in Umlauf befand.

Diese Analyse ist kaum hinreichend, um als Basis für einen "assyrischen Schreiber" oder andere assyrische Einfärbungen zu dienen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Behauptungen des Herrn Schrott sind ziemlich absurd, da er seine "Erkenntnisse" lediglich auf literarische und sprachwissenschaftliche Vergleiche stützt. Entsprechende archäologische Funde liegen überhaupt nicht vor, geschweige denn Erkenntnisse einer archäologischen Expedition.
Und wie sollte ein archäologischer Befund für ein Epos aussehen? Hast Du eigentlich den Hauptartikel gelesen? Der ist nicht auf dem Link, sondern an den kommt man nur als angemeldeter Benutzer übers Archiv.
 
Und wie sollte ein archäologischer Befund für ein Epos aussehen? Hast Du eigentlich den Hauptartikel gelesen? Der ist nicht auf dem Link, sondern an den kommt man nur als angemeldeter Benutzer übers Archiv.

Ich habe den vollständigen Artikel gelesen, sodass sich an meiner Einschätzung der Schrott'schen "Erkenntnisse" nichts ändert. Schrott behauptet, dass das kilikische Karatepe mit Troja/Ilion identisch sei und lehnt den ergrabenen Fundort Hissarlik ab. Warum ich das für unwahrscheinlich halte, habe ich oben kurz umrissen: Lediglich sprachwissenschaftliche und literarische Analysen sind für eine solche Behauptung unzureichend.

Eines der Schrott'sches Argumente gegen Hissarlik ist u.a. die kleine Bucht, in der die Schiffe der Griechen nicht Platz gefunden hätten. Längst sind aber Archäologen der Ansicht, dass die Schiffe durchaus auf Reede, d.h. vor dem angenommenen Hafen hätten ankern können. Abgesehen davon, dass bislang keinerlei aussagefähige Funde aus Karatepe vorliegen, die eine Identität mit Troja wahrscheinlich machen, ist die weit vom Meer entfernte Lage der Burg von Karatepe eines von vielen Gegenargumenten.
 
@ Dieter: Eines der Schrott'sches Argumente gegen Hissarlik ist u.a. die kleine Bucht, in der die Schiffe der Griechen nicht Platz gefunden hätten.

...zumal sich die Küstenlinie in den letzten 3000 Jahren erheblich verändert haben dürfte. Hissarlik ist Erdbebengebiet. Volle Zustimmung, Dieter.
 
Und ich warte mal das Buch ab, das im März erscheinen wird - und die Reaktionen der Fachwelt darauf.
 
Und auch wenn ich fast keine Ahnung von dem Thema habe und mich auf gar keine Seite stellen mag und kann, gebe ich zu bedenken, dass es wohl nicht gerade leicht sein wird - wie Fingalo schon angedeutet hat - für einen literarischen Text unbedingt eindeutige archäologische Funde zu machen. Ebenso wie ich natürlich verstehe, dass allein sprachwissenschaftliche Analysen nicht unbedingt 100%ige Erkenntnisse liefern können, nach denen man Geschichtsbücher schreibt.
Beide Methoden haben ihre Legitimität, aber auch ihre Schwächen. Ich warte auch das Buch ab und bin gespannt auf die gesamte Argumentation, die, wenn sie auf sprachwissenschaftlicher Basis stattfindet, doch gerade sehr interessant sein dürfte bei einem literarischen Text und bestimmt auch aufschlussreich - wenn auch nicht unebdingt historisch aussagekräftig. Mal sehen.
 
Hier wird also, wenn ich es richtig verstanden habe, der Ansatz und die Interpretation als interessant und "horizonterweiternd" empfunden, wobei sein Buch interessant sei "und bestimmt auch aufschlussreich - wenn auch nicht unebdingt historisch aussagekräftig." (Selbstzitat, mit eignenen Hervorhebungen)

Mal sehen, wie es aussieht, wenn wir selber das Buch lesen können. ;)
 
Ja, so würde ich die Stellungnahme von Barbara Patzek auch interpretieren!

Freundliche Zustimmung, dass Schrott neue Impulse und Anstöße gegeben hat, jedoch äußerste Zurückhaltung hinsichtlich eines kilikischen Troja oder "assyrischen" Homers.
 
Richtig. Aber mir fällt folgendes auf:
Sie referiert zunächst den Forschungsstand. Der befasst sich schwerpunktmäßig mit der Entstehung der Ilias und ihrer Lokalisierung aus dem unmittelbaren Text.
Die Frage der Wiederspiegelung zeitgenössischer politischer Verhältnisse in der Dichtung unter Verwendung überlieferten Mythenmaterials wird da nicht gestellt aber von Schrott in den Vordergrund gestellt.

Und da meldet sie, hachdem sie das kurz geschildert hat, ein "Genug" an. "
Der Erzähler der „Ilias" ist nur aus dem Text der überlieferten Erzählung erschließbar, und in dieser lassen sich die Ecken und Kanten des kompilierenden Schreibers nicht finden." Natürlich nicht, denn die Kompilation kann man nur finden, wenn man das zu kompilierende, also Außertextliches daneben hält. Dass der Erzähler nuir aus seinem Text erschließbar sei, ist eine Behauptung, für die sie eine Begründung schuldig bleibt.

Die Frage, welche zeitgenössischen Verhältnisse auf das Überlieferungsmaterial eingewirkt haben, halte ich für notwendig. Ich halte es für ausgeschlossen, dass solch monumentalen Epen nur so aus dichterischem Impetus und musealem Aufbewahrungsinteresse alter Geschichten entstanden sind.
 
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