Arminius = Siegfried ?

Ich weiss nicht, ob hier ebenfalls jemand den Artikel über Germanen im "Spiegel" gelesen hat. Dort geht es um die Nibelungen und den Drachentöter bzw. germanischen Helden Siegfried.
Einige Forscher und Historiker vermuten angeblich, dass Arminius, der 9. n. Chr. die Römer im Teutoburgerwald zurückschlug mit der Sagengestalt (?) Siegfried gleichzusetzten sei.

Was haltet ihr von der Theorie ?

Ich werde mich noch einmal weioter in den Artikel hereinlesen und dann nochmal etwas schreiben.

:winke:

Fenris
 
Das Thema gab es in der Tat schon mal.
Aber weil du den Spiegel erwähnst:

Das war in den vergangenen Jahren eine der Titelgeschichten, die mich am meisten verärgert haben.

1.) weil ausgerechnet eine der abstruseren Theorien als Kern des Artikels ausgewählt wurde.

2.) der ganze Artikel ein Mix aus zusammenhanglosen Forschungseindrücken, viel Populärwissenschaft und reißerischem Stil war und daher noch einige Fehler enthielt.

3.) dass man keinen Medienartikel über die Germanen schreiben kann, ohne auf die Germanentümelei und "Instrumentalisierung" des Volkes durch die Nazis hinzuweisen - von mir aus. Aber dann enthält der Artikel ein großes Bild von Hitler und Getreuen (oder bei Parade), das typische halt, ohne irgendeinen Zusammenhang zum Artikelthema. Finde ich echt unpassend, vielleicht war in dieser Ausgabe die Hitlerbild-Quote des Spiegels noch nicht erfüllt.

Ansonsten halte ich die Theorie Arminius = Siegfried für schwer belegbar und in der Auslegung, so wie sie im Spiegel geschildert wurde, für ziemlich unsinnig. Hauptsächlich fußt es darauf, dass der Drache aus der Siegfried-Legende das Varus-Heer symbolisieren soll. Meines Erachtens ein ziemlicher Humbug, derart metaphorisch erzählten sich die Leute damals die Geschichten nicht, und in der nordischen/antiken Mythologie sind Drachen dermaßen häufig, dass sie ohne weitere Belege und genauere Zuschreibungen nicht so ohne weiteres mit der Varusschlacht in Verbindung zu bringen sind.
 
Ashigaru schrieb:
...Ansonsten halte ich die Theorie Arminius = Siegfried für schwer belegbar und in der Auslegung, so wie sie im Spiegel geschildert wurde, für ziemlich unsinnig. Hauptsächlich fußt es darauf, dass der Drache aus der Siegfried-Legende das Varus-Heer symbolisieren soll. Meines Erachtens ein ziemlicher Humbug, derart metaphorisch erzählten sich die Leute damals die Geschichten nicht, und in der nordischen/antiken Mythologie sind Drachen dermaßen häufig, dass sie ohne weitere Belege und genauere Zuschreibungen nicht so ohne weiteres mit der Varusschlacht in Verbindung zu bringen sind.

Was der Spiegel schreibt ist mir ziemlich egal....

aber so abwegig ist das Thema nicht. Bereits 1978 hat Otto Höfler (Österreichische Akademie der Wissenschaften; Sitzungsberichte) die These "Siegfried, Arminius und der Nibelungenhort" aufgestellt. Er weist daraufhin, daß ein wichtiger Waffensieg als Bezwingung eines mythischen Ungeheuers (Drachen) symbolisiert werden kann. Tacitus hat mitgeteilt, daß im 1Jh. n.Chr. bei germanischen Stämmen die Taten des Arminius "besungen" wurden. Höfler weist daraufhin, daß nicht allein deutsche, sondern auch nordische Erzählungen darin übereinstimmen, daß Siegfried/Sigurd der größte Vorzeitheld war und auf einer Stufe (wenn nicht sogar "mächtiger") mit dem "Superheld" Dietrich von Bern genannt wird.
Sowohl die EDDA-Lieder und auch mittelalterliche Texte weisen das nach.

Weiterhin geht er auf den Silberschatz von Hildesheim ein, der 1868 entdeckt wurde. Dieser besteht aus ca. 54kg Silber und die Vermutung einiger Gelehrter, daß es sich hier um die Ware eines Händlers handelte, wird von Forschern abgelehnt. Welcher Händler hätte so einen Schatz sicher durch ein "feindliches" Gebiet bringen können? Und was wäre der germanische Gegenwert bei einem Tauschgeschäft gewesen?
PERNICE und WINTER gehen davon aus, daß es sich hier um einen Schatz eines römischen Feldherrn der augusteischen Zeit handelt. Es ist nicht überliefert, daß Germanen östlich des Rheins jemals so einen großen Schatz erbeutet haben (außer bei der Niederlage des Varus?). So eine Luxusausstattung führte nur ein Römer mit sich, wenn er bei einer friedlichen Expedition die Macht und den Glanz Roms darstellen wollte. Wer war denn so ein Liebhaber von Luxus? ;)
Otto Seeck (1911) vermutet, daß dieser Silberschatz der Anteil von Arminius an der Beute war und er diesen kurz vor seiner Ermordung verborgen hat. So abwegig ist das gar nicht....es kann aber auch sein, daß Angehörige diesen Schatz in den folgenden Jahrzehnten der Unruhe bei den Cheruskern vergraben haben. Hildesheim liegt mitten im Cheruskergebiet und der Fundort "Galgenberg" läßt auf ein heidnisches Areal schließen, da Hinrichtungsplätze auch auf heidnischen Kultstätten errichtet wurden. An dem Ort wurden auch Pferdeknochen, ein menschliches Skelett und eine italische Fibel entdeckt.....
Und in der damaligen Zeit war ein vergrabener Schatz unauffindbar!
In den alten Sagen wird Siegfrieds Schatz in einem Berg verborgen und nicht im Rhein versenkt. Die Ortsnamen in der Nbelungensage wurden erst viel später in die Geschichte mit eingebunden, genauso die Christianisierung der Texte. Erst dann kommt die Geschichte nach Worms und an den Rhein....

Was meine Anmerkung zur Sache betrifft:
In der EDDA und in nordischen Überlieferungen (die älteren Datums sind) wird davon berichtet, daß es ein Lindwurm war, der auf bekannten Wegen zum Wasser zog. Römische Legionen in Marschkolonne würden so symbolisch darstellbar sein. Und auch die Römer nutzten die Wasserwege (Rhein, Weser,...). Auf diesem Weg zum Wasser wurde der Lindwurm von Siegfried überrascht und besiegt. Der Lindwurm war über diese Tat sehr verwundert, da er nicht mit einem Angriff gerechnet hatte. Auch war es keine schnelle Handlung, sondern sie zog sich ziemlich in die Länge... :S
Die anderen Erzählungen mit Hagen, Brunhilde und das ganze "Fußvolk" der Burgunder ;) passen nicht mit dem ersten Teil der Nibelungensage überein. Erst wimmelt es nur von Zwergen, Zauberschwertern, Tarnkappen und Übernatürlichem und dann gibt es später in der Geschichte keine phantastischen Ereignisse mehr. Meiner Meinung nach, hat der erste Teil (Besiegung des Lindwurms) nicht für ein Heldenepos ausgereicht und so wurden mehrere Geschichten der Völkerwanderung und des frühen Mittelalters zusammengestrickt!

In einem interessanten Buch (kenne leider den Titel nicht mehr) aus der Landesbibliothek hat ein Verfasser auch diese These anhand von Beispielen "nachgewiesen". :fs:
 
Was der Spiegel schreibt ist mir ziemlich egal....

Du schreibst gerade in etwas das Gleiche wie der Spiegel ,da der Autor sich ebenfalls auf Höfler stützt . Schatz von Hildesheim ...all das steht auch im Artikel :winke:

Punkte aus dem Artikel dafür ,dass Siegfried mit Arminius gleichzusetzen ist und das Niebelungenlied ware Tatsachen in verschleierter Form wiedergibt :

  • Der Lindwurm bzw. der Drache ,könnte die Armee des Varus darstellen ,die sich ja wie wir wissen auch Kilometer lang gestreckt fortbewegte .
  • Die Tarnkappe könnte ein Hinweis auf die Art des Kampfes von Arminius sein ,der den römischen Heereszug oft aus dem Hinterhalt angriff
  • Der Nibelungenschatz könnte schlicht und einfach die Beute sein ,welche die Germanen vom Schlachtfeld mitnahmen . Die Römer zogen immerhin reich bestückt in die Schlacht .
Höfler sage, wird in dem Text geschrieben, dass der Triumph im Teutoburger Wald so zur Legende verzerrt worden sei .

Fenris
 
Mitr scheint der Ansatz schief zu liegen.
Dieser Ansatz lautet - stark vereinfacht - hier werde eine Geschichte zweckfrei (so zur Unterhaltung) erzählt. Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Zu der Zeit, als die Dichtung verfasst wurde, hat sich niemand diese gewaltige Mühe nur zur Unterhaltung gemacht. Es gab immer eine "causa scribendi", sei es Fürstenspiegel, sei es Herrscherlob oder ähnliches. Und diese causa scribendi bezog sich auf die Gegenwart des Dichters.
Dass man seine Ziele dann mit Elementen der Vergangenheit darstellt, ist üblich. Diese Elemente dann auf ihren historischen Kern zu untersuchen, halte ich für ein ziemlich fruchtloses Unterfangen - und im übrigen auch ziemlich uninteressant.
Interessanter ist: Was wollte der Dichter seinen Zeitgenossen an Wichtigem mitteilen, dass er ein solches Epos schuf?
 
Dass die Cherusker von den Römern eine Menge Metall und Wertgegenstände eroberten, davon bin ich überzeugt. Diese/s aber mit dem mythischen Schatz Siegfrieds zwingend gleichzusetzen, halte ich für gewagt.
 
fingalo schrieb:
... Diese Elemente dann auf ihren historischen Kern zu untersuchen, halte ich für ein ziemlich fruchtloses Unterfangen - und im übrigen auch ziemlich uninteressant.
Interessanter ist: Was wollte der Dichter seinen Zeitgenossen an Wichtigem mitteilen, dass er ein solches Epos schuf?

Das sehe ich nicht so. Wenn man die EDDA zu grunde legt, dann gibt es verschiedene Erzählungen aus verschiedenen Epochen über das gleiche Thema. Es gab somit keinen einzelnen Dichter, der irgendeinen Herrscher herausloben wollte.
Die Vermutung eines Autors geht dahin, daß die Geschichte in Versform/Reime über Jahrhunderte weitergetragen worden ist, da die Germanen keine schriftlichen Aufzeichnungen vornahmen. Nur so konnte man von besonderen Ereignissen berichten. Das diese Geschichte im Laufe der Zeit sich veränderte und ergänzt wurde, das liegt dann an den jeweiligen Orten, in denen die Heldensagen erzählt wurden. Erst im Mittelalter kam es zur Popularität dieser Sage. Es wird vermutet, daß hier ein Bedürfnis nach Heldengestalten bestand. So wurde die Sage um christliche Elemente ergänzt.
Auch wurden Begebenheiten aus einzelnen Regionen beigefügt. Eine Vermutung legt nahe, daß es sich nicht um die Hunnen gehandelt haben soll, sondern um die "Hunen". So wurde die Bevölkerung im heutigen OWL genannt. Auch können einzelne Personen vom zeitlichen Rahmen niemals aufeinander getroffen sein.
Die Nibelungensage bzw. die EDDA ist eine Geschichte, die im Laufe der Zeit immer mehr ergänzt wurde. Gerade im skandinavischen Raum findet man noch sehr alte Ausführungen, die wesentlich einfacher und blutrünstiger in ihrer Darstellung sind.
 
Dass die Cherusker von den Römern eine Menge Metall und Wertgegenstände eroberten, davon bin ich überzeugt. Diese/s aber mit dem mythischen Schatz Siegfrieds zwingend gleichzusetzen, halte ich für gewagt.

Es ist ja lediglich eine Theorie. Von zwingend sollte also noch keine Rede sein. :)


Auch wurden Begebenheiten aus einzelnen Regionen beigefügt. Eine Vermutung legt nahe, daß es sich nicht um die Hunnen gehandelt haben soll, sondern um die "Hunen". So wurde die Bevölkerung im heutigen OWL genannt. Auch können einzelne Personen vom zeitlichen Rahmen niemals aufeinander getroffen sein.
Die Nibelungensage bzw. die EDDA ist eine Geschichte, die im Laufe der Zeit immer mehr ergänzt wurde. Gerade im skandinavischen Raum findet man noch sehr alte Ausführungen, die wesentlich einfacher und blutrünstiger in ihrer Darstellung sind.


Zu den Hunnen:

Der Artikel besagt, dass es schon bewiesen ist, dass "Etzel" für Attilla steht ...

Was für andere Ausführungen meinst du genau? zB solche Sachen wie "Beowulf" aus England etc.?


Alles in allem halte ich die Theorie garnicht allzu abwegig. Wie sich Geschichten über die Zeit verzerren können hat ja schon die Bibel bewiesen...
 
El Quijote schrieb:
Dass die Cherusker von den Römern eine Menge Metall und Wertgegenstände eroberten, davon bin ich überzeugt. Diese/s aber mit dem mythischen Schatz Siegfrieds zwingend gleichzusetzen, halte ich für gewagt.

Es geht auch nicht um die "zwingende" Gleichsetzung, sondern um den Fund des Hildesheimer Silberschatzes. Die Zusammensetzung des Fundes läßt darauf schließen, daß ein Teil dieses Schatzes getrennt wurde. Auch sollen Fundstücke dabei sein, die etwas später gefertigt wurden. Allerdings kann das auch keiner so genau bestimmen.
Der Besitzer dieses Silberschatzes muß eine bedeutende reiche Person gewesen sein. Die Vermutung, daß es einem Händler gehörte bzw. einer römischen Zeltgemeinschaft von Offizieren, halte ich für völlig abwegig. Was hätte der Händler dagegen in Germanien erhalten können? Das kann man mit Rindern, Fellen, Sklaven usw. gar nicht bemessen.
Und warum ist es der einzige Fund eines solchen Silberschatzes? Wenn Händler oder Offiziere sowas besitzen, dann hätte man Vergleichbares häufiger finden müssen. :grübel:
Auch würde man sich fragen, wie reich wäre dann ein Statthalter oder Legat gewesen, wenn Offiziere schon sowas besitzen?

Wer diesen Schatz (in Berlin das Original und in Hannover eine Kopie) sich angesehen hat, der fragt sich schon, was ein germanischer Fürst mit solchen Wertgegenständen im Tauschhandel vor hatte?
Die plausibleste Erklärung ist meiner Ansicht nach, daß es sich hier doch um einen Teil des Varusschatzes handelt. Den Rest werden verbündete Stämme erhalten haben (ähnlich den Legionsadlern).
Und dieser Schatz ist im Cheruskergebiet gefunden worden. Wenn man die Geschichte der Cherusker verfolgt, dann waren sie nach der erfolgreichen Abwehr von Germanicus und Marbod nur noch in Stammeszwistigkeiten verwickelt. Das ging sogar soweit, daß sie durch ihren "Bürgerkrieg" sich so sehr schwächten, sodaß sie sich nicht mehr als geschlossener Stamm zur Wehr setzen konnten und dadurch untergingen bzw. später in den Stamm der Sachsen aufgingen. Ihre Vormachtstellung hatten sie somit verloren....und größere Beutestücke konnten sie von den Römern auch nicht mehr erlangen.
Die Stücke des Silbeschatzes sind teilweise aus der augusteischen Zeit! Das ist Faktum.
 
Fenris Mjöllnir schrieb:
Was für andere Ausführungen meinst du genau? zB solche Sachen wie "Beowulf" aus England etc.?


...

Nein, in Skandinavien hat man verschiedene Versionen der EDDA gefunden. Es gibt einfache Darstellungen, die höchstwahrscheinlich die ältesten Aufzeichnungen sind. Die gleiche Geschichte gibt es dann auch wieder mit deutlich mehr Ausschmückungen. Der Kern bleibt gleich, nur die Erzählungen werden immer länger.
 
El Quijote schrieb:
Das habe ich auch nicht bezweifelt. Ich zweifele an der Verbindung zur Siegfriedsage.

Es geht hier auch nur um eine Vermutung. Natürlich ist das nicht zweifelsfrei beweisbar.
Aber nehmen wir doch den Kern der Siegfriedsage, wenn ich mich jetzt recht entsinnen kann, dann hat es folgende Handlung:
Ein Lindwurm, der einen großen Schatz besitzt, zieht immer wieder auf bekannten Wegen zum Wasser (Fluß?). Siegfried legt sich auf die Lauer und überfällt diesen Lindwurm und tötet ihn. Der Lindwurm ist darüber sehr überrascht. Siegfried nimmt den Schatz an sich und versteckt ihn in einem Berg.

Was lief bei der Varusschlacht ab? Der Lindwurm ist hier das Varusheer. Sie ziehen immer wieder auf bekannten Wegen an den Rhein. Arminius überfällt diesen römischen Troß und erbeutet vielleicht einen großen Schatz (der Varus gehört, der für seinen luxuriösen Lebensstil bekannt war). Varus wundert sich, daß es Arminius ist, der ihn überfällt, da er ihn als römischen Bürger und Verbündeten sieht. Wenn Arminius jetzt diesen Schatz am Galgenberg bei Hildesheim verborgen hat, dann haben wir hier das Grundgerüst.
Aber es sind alles Vermutungen!!!

Es gibt aber auch Fragen: z.B. der Lindwurm hat einen Bruder (in Menschengestalt). Dieser hilft Siegfried. Aber für den Verrat tötet Siegfried auch diesen Bruder.
Da stellt sich die Frage: hat ein Römer dem Arminius geholfen? Eher unwahrscheinlich.... :S
Es gibt also Passagen in der Siegfriedsage, die nicht so einfach zu deuten sind.
 
Cherusker schrieb:
Das sehe ich nicht so. Wenn man die EDDA zu grunde legt, dann gibt es verschiedene Erzählungen aus verschiedenen Epochen über das gleiche Thema. Es gab somit keinen einzelnen Dichter, der irgendeinen Herrscher herausloben wollte.
1. Welche Edda meinst Du? Es gibt viele Eddas.
2. Welches soll das gleiche Thema sein?
3. Gerade wenn das gleiche Thema verschieden dargestellt wird, dann beweist das, dass die Dichter eine verschiedene causa scribendi hatten.

Cherusker schrieb:
Die Vermutung eines Autors geht dahin, daß die Geschichte in Versform/Reime über Jahrhunderte weitergetragen worden ist, da die Germanen keine schriftlichen Aufzeichnungen vornahmen.
Reime gab's damals nicht in Skandinavien. der erste Reim bei den Skalden ist in der "Halslösung" Egill Skallagrimssons (10. Jh.) zu finden.

Cherusker schrieb:
Nur so konnte man von besonderen Ereignissen berichten.
Warum? Die reine Erinnerungskultur ist eine Erscheinung der jüngeren Neuzeit und entsteht parallel zu den Museen, auf die damals niemand gekommen wäre. Wenn man alte Geschichten weitererzählte hatte das immer einen Zweck für die Gegenwart. Man wollte beweisen, dass man vornehmer Abstammung war (Ahnen bis zu den Göttern), dass man zu einem bestimmten Urvolk gehörte und damit ehrwürdig war oder ähnliches. Man mag auch so Unterhaltungsgeschichten erzählt haben - aber die gaben niemals Anlass zu solchen Epen wie das Nibelungenlied. Es gab keine Geschichtsschreibung im heutigen Sinne. Jede Geschichtsschreibung hatte einen politischen Impetus. Die Saga von Håkon dem Guten, die als Geschichtsschreibung daherkommt, ist bei genauer Analyse eine Darstellung seines Untergenges, weil er das Christentum nicht entschieden genug vertreten habe, sondern die heidnischen Opferstätten verschont habe. Mahnung an die späteren: Haut die heidnischen Tempel in den Klump, sonst geht's euch wie ihm. Die Glorifizierung der christlichen Könige und die Dämonisierung der heidnischen restaurativen Zwischenherrscher verfolgt eben dieses gleiche Ziel.

Cherusker schrieb:
Es wird vermutet, daß hier ein Bedürfnis nach Heldengestalten bestand. So wurde die Sage um christliche Elemente ergänzt.
Das mag eine Rolle für die Auswahl der Versatzstücke gespielt haben, die man für seine Erzählabsicht verwendete. Mehr trägt dieses Bedürfnis nicht.

Cherusker schrieb:
Die Nibelungensage bzw. die EDDA ist eine Geschichte, die im Laufe der Zeit immer mehr ergänzt wurde. Gerade im skandinavischen Raum findet man noch sehr alte Ausführungen, die wesentlich einfacher und blutrünstiger in ihrer Darstellung sind.

Na, dann nenne mal welche.
Außerdem gibt es keinerlei Belege für diese Behauptungen bezüglich der EDDA (Welcher EDDA? Sæmundur-EDDA? Snorri-EDDA? Heldendichtung? Götterdichtung?) Gerade die EDDA wird heute als reine Intellektuellen-Dichtung ohne Sitz im Volke angesehen.

Natürlich findet man bei der Heimskringla Snorris Ausführungen, die er seinen Vorlagen, z.B. der älteren Ågrip hinzugefügt hat. Für diese gibt es nirgendwo eine Referenz. Drum ist gerade bei ihm die Frage berechtigt, warum er diese Zusätze gemacht hat. Daraus lässt sich dann das Ziel seiner Darstellung ermitteln.
Gerade die kunstvollen Sagas stehen unter einem ganz bestimmten Leitgedanken.

Nur bei der intellektuellen Götterdichtung ist die Weitergabe eines fiktiven kulturellen Bestandes eine ausreichende Erklärung, aber im religiösen Bereich sind die Verhältnisse eh etwas anders. Das gleiche gilt für die Spruchdichtung, die Weisheitslehren im Umgang der Menschen untereinander vermitteln soll.
 
fingalo schrieb:
Reime gab's damals nicht in Skandinavien. der erste Reim bei den Skalden ist in der "Halslösung" Egill Skallagrimssons (10. Jh.) zu finden.


.

Der Autor ging davon aus, daß man eine Geschichte nur über eine Versform bzw. Reime über einen langen Zeitraum wiedergeben konnte. Ansonsten wäre die Geschichte in einer Art "Stille Post"-Spiel geendet. An den jeweiligen Herrscherhöfen konnten so die Heldensagen weitergegeben werden. Der Vortragende konnte so eine Geschichte/Sage auswendig besser vortragen.

Natürlich findet man auch in der Nibelungensage christliche Elemente die eine Belehrung darstellen sollen. Aber der usprüngliche Gedanke geht auf eine heidnische Überlieferung zurück. Wenn man bedenkt, daß in Sachsen das Christentum erst im 8.Jh. Einzug hielt und das nur mit Gewalt..., dann werden heidnische Überlieferungen auch noch einige Zeit später im Gedankengut des Volkes gewesen sein. Ansonsten hätte es für soetwas nicht die Todesstrafe gegeben.

Da ich das Buch z.Zt. nicht habe, werde ich Dir die Textquellen noch nachreichen.
 
Cherusker schrieb:
Nein, in Skandinavien hat man verschiedene Versionen der EDDA gefunden. Es gibt einfache Darstellungen, die höchstwahrscheinlich die ältesten Aufzeichnungen sind. Die gleiche Geschichte gibt es dann auch wieder mit deutlich mehr Ausschmückungen. Der Kern bleibt gleich, nur die Erzählungen werden immer länger.
Wo hast Du denn das her?
Bischof Brynjólfur aus Island schenkte die Edda-Handschriften 1662 König Friedrich III. von Dänemark. Die Zusammenstellung dieser Manuskripte heißt "Codex regius". Die erste Niederschrift wird auf das 13. Jh. angesetzt. Bei Gedichten sind Veränderungen nicht so einfach, da das Versmaß den Text einzwängt. Dann hat der Gelehrte Árni Magnusson 1663 - 1730) im Auftrag des dänischen Königs viele Manuskripte in Island gesammelt und nach Kopenhage bverbracht, wo sie zu einem grioßen Teil 1728 bei einer Feuersbrunst verbrannten. Danach wurde nix mehr "gefunden".
 
Cherusker schrieb:
Der Autor ging davon aus, daß man eine Geschichte nur über eine Versform bzw. Reime über einen langen Zeitraum wiedergeben konnte. Ansonsten wäre die Geschichte in einer Art "Stille Post"-Spiel geendet. An den jeweiligen Herrscherhöfen konnten so die Heldensagen weitergegeben werden. Der Vortragende konnte so eine Geschichte/Sage auswendig besser vortragen.
Versform ja, und gestabt haben sie auch. Aber in Skandinavien gab es nun mal den Endreim zu dieser Zeit definitiv nicht.

Cherusker schrieb:
Natürlich findet man auch in der Nibelungensage christliche Elemente die eine Belehrung darstellen sollen. Aber der usprüngliche Gedanke geht auf eine heidnische Überlieferung zurück.
Es geht nicht um "Elemente" sondern um die Absicht des Gesamtwerkes.
Und was heißt "ursprünglicher Gedanke"? Die verwendeten Elemente sind sicher alt. Wenn Olav Tryggvason und Olav der Heilige in der Saga dargestellt werden, dann greift der Dichter auf Johannes d.T. und Jesus zurück, um ihre Bedeutung für die Christianisierung Norwegens darzustellen. Und die Jugendgeschichte Olav Tryggvasons ist der Kindheitsgeschichte Jesu nachgebildet. Alles steinalte Elemente. Man kann statt der Handlungsstrukturen auch Bauwerke nehmen, wenn z.B. von Karl dem Gr erzählt wird, er habe in Aachen einen Hafen angelegt. Dann soll Aachen das 2. Konstantinopel werden. Man kann auch die handelnden Personen mit Namen belegen, die jedem Hörer aus der Geschichte bekannt sind, und sie so charakterisieren, ohne Ausführungen dazu zu machen. Und so ist der Nibelungendichter wohl auch verfahren, da er bei kritischen Ausführungen zu den Machthabern seiner Zeit wohl kaum Klartext reden konnte. Die Geschichte kommt also als harmlose Abenteuererzählung daher, die Zeitgenossen wussten aber sofort, wer und was gemeint war. Und heute nehmen die Leute das als bare Münze und forschen nach Schätzen aus der Varusschlacht o.ä.
Ich bin mir ziemlich sicher, die Zeitgenossen hätten vor Lachen in den Tisch gebissen.
 
Die Siegfriedsage umfasst einen Zeitraum von der Völkerwanderung bis ins Hochmittelalter hinein. Es nennt die Insel Island, die erst Ende des 8.Jahrhunderts von den Wikingern entdeckt wurde. Vorher sollen schon ein paar irische Mönche dagewesen sein.Ich meine, dass in dieser Sage verschiedene Zeitepochen zusammengefaßt wurden, wie sie sich aus dem Gedächtnis des Volkes ergaben.
 
heinz schrieb:
Die Siegfriedsage umfasst einen Zeitraum von der Völkerwanderung bis ins Hochmittelalter hinein. Es nennt die Insel Island, die erst Ende des 8.Jahrhunderts von den Wikingern entdeckt wurde. Vorher sollen schon ein paar irische Mönche dagewesen sein.Ich meine, dass in dieser Sage verschiedene Zeitepochen zusammengefaßt wurden, wie sie sich aus dem Gedächtnis des Volkes ergaben.
Ist ja richtig. Aber warum? Das ist doch die spannende Frage. Insbesondere, wenn man sich vor Augen führt, dass es sicher viiiiel mehr Material gab, als im Nibelungenlied verarbeitet wurde. Warum hat er gerade diese und nicht andere Versatzstücke genommen?

Alsich als Schüler das Nibelungenlied lesen musste, nahm ich auch den Texyt eindimenional flach als Schilderung von Ereignissen. Punkt.
Und da fand ich den Plott einfach idiotisch: Da hat ein Mann ein gaanz kleine verwundbare Stelle am Rücken. Und Hage forder die Ehefrau auf, da ein Kreuz drauf zu nähen. Sie hätte noch ein paar Ringe drumherum sticken sollen, und die Zielscheibe wäre fertig gewesen. Die Begründung ist hanebüchen: Er will bei der Jagd mit dem Schild die Stelle schützen. Dass bei einer Jagd ein Geschoss (Speer oder Pfeil) zufällig gerade dort trifft - das glaubt doch niemand. Und wenn das Geschoss in diese Richtung fliegt, bleibt Hagen sicher keine Zeit mehr, den Schild dazwischen zu halten. Und ein Schild ist so groß, dass es den ganzen Rücken - und damit auch die verwundbare Stelle - auf einmal schützt, so dass die genaue Stelle zu wissen gar nicht notwendig ist.
Ich empfand damals die Diskrepanz zwischen spitzenmäßiger künstlerischer Form einschließlich des enormen intellektuellen Aufwandes, solch ein riesiges Epos zu verfassen, und dem idiotischen Plott als unbegreiflich.
Heute sehe ich das anders. Wenn jemand eine völlig andere Aussageabsicht hat und bestimmte politische Zustände kritisch beleuchten will, dann ist das Idiotische eines solchen Plotts geradezu ein Wink mit dem Zaunpfahl nach Strukturparallelen in der Gegenwart zu suchen.

Ich erinnere mich ganz schwach, dass im III. Reich ein Kabarett die Siegfriedsage unter Beibehaltung der Namen und Strukturen der Eignisse ein bisschen in der Weise abgewandelt hat, dass sie auf den Röhmputsch passten. Das Publikum verstand die Anspielung, der Geheimdienst auch - und die Kabarettisten kamen ins KZ.

Das geht sogar ohne Veränderung: Wenn in einer Diktatur "Don Carlos" aufgeführt wird und das Volk bei dem Satz "Gebt Gedankenfreiheit, Sire" jubelt. Schon eine solche Aufführung genügt, um Parallelitäten zur Gegenwart bewusst werden zu lassen - sogar ohne Veränderung!

Für mich ist - wenn ich auch mangels Detailkenntnisse, die die Hörer des Nibelungenliedes damals hatten, die Anspielungen nicht kenne - sicher, dass der Dichter genauso verfahren ist. Dann spielt die Logik der Handlung in sich keine besondere Rolle, auch nicht, dass Menschen, die dem Plott nach um 500 gelebt haben sollen, nach Island ziehen, das erst Jahrhunderte später allgemein bekannt war.

Aber ich habe zu alldem im Thread "Liegt der Sagenfigur Siegfried eine historische Gestalt zu Grunde?" ab vorigem November einige Möglichkeiten von Bezügen zur Gegenwart des Dichters dargelegt. Ich will mich hier nicht wiederholen. Was daran auch richtig oder falsch sein mag: Die Herangehensweise halte ich immer noch für richtig.
 
fingalo schrieb:
Aber ich habe zu alldem im Thread "Liegt der Sagenfigur Siegfried eine historische Gestalt zu Grunde?" ab vorigem November einige Möglichkeiten von Bezügen zur Gegenwart des Dichters dargelegt. Ich will mich hier nicht wiederholen. Was daran auch richtig oder falsch sein mag: Die Herangehensweise halte ich immer noch für richtig.

Ein kleiner Denkanstoß...
Nicht nur ein Pfalzgraf wurde ermordet, sondern auch Arminius (von Verwandten).
Ferner sehe ich bei Richard Löwenherz keine Ermordung, da er bei einer Belagerung durch einen feindlichen Pfeil tödlich verwundet wurde. Und im Kriegsfall ist das kein heimtückischer Mord, sondern Tagesordnung!

Auf die Geschichte mit dem aufgenähten Kreuz würde ich nicht so herumreiten, da das auch nur als eine Ausschmückung für einen heimtückischen Mord an einer bekannten Person darstellen werden kann, die ansonsten im "ehrlichen" Kampf nicht besiegt werden konnte (aufgrund seiner Anhängerschaft).
Es soll sich bei den Römern auch ein germanischer Fürst gemeldet haben, der Arminius vergiften wollte. Das lehnten die Römer aber ab...
 
Cherusker schrieb:
Ein kleiner Denkanstoß...
Nicht nur ein Pfalzgraf wurde ermordet, sondern auch Arminius (von Verwandten).
Ferner sehe ich bei Richard Löwenherz keine Ermordung, da er bei einer Belagerung durch einen feindlichen Pfeil tödlich verwundet wurde. Und im Kriegsfall ist das kein heimtückischer Mord, sondern Tagesordnung!
kommt auf die Erzählabsicht an, worin die Parallele gesehen werden sollte. Vielleicht kam es nicht auf die genauen Umstände des Todes an, sondern (nur z.B.!), auf das abstrakte Verhältnis der Parteien zueinander, das tödlich endete, wobei das Geschoss Identifikationsmerkmal genug wäre (Ein Speer ist auch kein Pfeil und die Belagerung der Burg keine Jagd).

Cherusker schrieb:
Auf die Geschichte mit dem aufgenähten Kreuz würde ich nicht so herumreiten, da das auch nur als eine Ausschmückung für einen heimtückischen Mord an einer bekannten Person darstellen werden kann, die ansonsten im "ehrlichen" Kampf nicht besiegt werden konnte (aufgrund seiner Anhängerschaft).
Tu ich aber, weil's so offensichtlicher Schwachfug ist, dass es als "Ausschmückung" völlig untauglich ist: Die Frau näht am Mantel herum, ohne mit ihrem Mann mal drüber zu sprechen, Siegfried zieht den Mantel an und sieht das Kreuz nicht. Solche völlig lebensfremde Abläufe sind kein "Schmuck" - abgesehen davon, dass ein Mantel lose ist, die verwundbare Stelle klein, das Kreuzchen beim Bücken über der Quelle ganz sicher hochrutscht und für einen Treffer gar nicht geeignet ist - und das wussten auch der Verfasser und die Zuhörer damals.
Cherusker schrieb:
Es soll sich bei den Römern auch ein germanischer Fürst gemeldet haben, der Arminius vergiften wollte. Das lehnten die Römer aber ab...
Ja und?
 
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