Consolatio ad Liviam: Wer ist mit Sueben gemeint? Sind sie archäologisch fassbar?

Hermundure

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Guten Abend,

Consolatio ad Liviam 17f.:

"Drusus zerschmetterte das kriegerische Volk der Sueben und die ungebändigten Sigambrer und schlug die Barbaren in die Flucht..."

Vgl. Vers 311 ff.:

"und der er (Drusus) wird dir (Livia) nicht erzählen können von der Vernichtung der Sigambrer und der Flucht der Sueben vor den Schwertern seiner Truppen..."

1. Wer ist mit den "Sueben" gemeint?

Diese Frage beantwortet Ptolemaeus - er nennt sie Suebi Laggobardoi (Langobarden), welche auf der anderen Seite des Rheins von Norden aus gesehen unter den kleinen Brukterern und Sigambrer wohnen. Die Römer bauten Oberaden im Zentrum der elbgermanischen Siedlungskammer.

2. Lassen sich die Langobarden archäologisch nachweisen?

Bernhard Sicherl schreibt in "Frühe Tonsitulen im Westen" folgendes:

"Die Gefäße aus Oelde und Lemgo-Hörstmar (Kr. Lippe) haben beide einen unterhalb des scharfkantigen Umbruchs angebrachten Henkel, während die Henkel an den Situlen des Elbegebietes am Rand ansetzen. Trotz der frappierenden Ornamententsprechung in Oelde scheint hier also wie in Lemgo-Hörstmar der töpfernden Person ein östliches Vorbild nicht unmittelbar vor Augen gestanden zu haben. Bemerkenswert ist an den sicher vor die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. datierten Stücken auch das Fehlen von verdickten oder facettierten Randformen, die zu dieser Zeit im Elbegebiet schon geläufig waren. "

Das ist nicht korrekt, hier sei als Beispiel die Siedlungen von Garlin/Karstädt und Oelde angeführt. Beide Orte liegen rund 330 km(!) auseinander. Die einfache schlichte Situla ohne Ornamentik aus Garlin hat ebenfalls einen unterhalb am Umbruch angebrachten Henkel (Abb. 52, S. 79). Zudem lässt sich die Winkelornamentik und die fehlenden facettierten Ränder aus Oelde auch in Garlin nachweisen (Abb. 62, S. 92).

Für mich stellt sich die Frage, warum große Teile der Langobarden am Ende von Laténe D1b zwischen 80-65 v. Chr. in das Lippe-Gebiet abgewandert sind. Als Auslöser hierfür könnte die Abwanderung der keltischen Teurier (Münzen vom Prager Typus) aus Mitteldeutschland nach Süd-Ostbayern sein. Mit deren Abwanderung und dem Verlassen der Oppida der Bojer in Nord-Böhmen bricht ein wichtiger Handelssektor weg. Münzen vom Prager Typus lassen sich bis an die untere Elbe verfolgen. Zum anderen wandern zur gleichen Zeit ostgermanische Gruppen in Mitteldeutschland und Hessen ein. Die Neuankömmlinge im Lippegebiet waren den Umgang mit Geld gewohnt. Das zeigen auch die Quinare vom "Tanzenden Männlein" in deren Siedlungen. Hier sei an erster Stelle die Siedlung in Bad Westernkotten genannt, welche mit allen 3 Typen (tanzendes, knieendes und hockendes Männlein) vertreten ist.
 

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1. Wer ist mit den "Sueben" gemeint?

Diese Frage beantwortet Ptolemaeus - er nennt sie Suebi Laggobardoi (Langobarden), welche auf der anderen Seite des Rheins von Norden aus gesehen unter den kleinen Brukterern und Sigambrer wohnen. Die Römer bauten Oberaden im Zentrum der elbgermanischen Siedlungskammer.

Das ist vielleicht etwas vorschnell, mit den Sueben die Langobarden zu identifizieren. Die Sueben waren ja eine größere Stammesföderation und außer Kimbern und Teutonen die ersten Germanen, mit denen die Römer militärisch aneinandergerieten, nämlich bereits einige Jahrzehnte vor Drusus, Mitte der 50er Jahre des 1. vorchristl. Jhdts. im Konflikt zwischen Caesar und Ariovist über die Suprematie über eine Region, die wir wohl mit dem Elsass identifizieren müssen. Die Sueben waren also einem römischen Publikum schon mal ein Begriff. Dass die Langobarden Teil der suebischen Föderation waren und vielleicht auch mit Drusus aneinandergerieten (im immensum bellum waren sie Kriegspartei) ist freilich möglich.
 
Was Ptolemaios zu Sueben, Langobarden und Lakkobarden schreibt, ist folgendes:

- Die Langobardischen Sueben wohnen "längs des Rheins", und zwar südlich der Kleinen Brukterer und Sugambrer und nördich der Tenkterer und Inkrionen.

- "Von den im Inneren des Landes wohnenden Völkern sind die grössten das Volk der Angilischen Sueben, die sich östlich der Langobardischen Sueben nach Norden bis zur Mitte der Elbe erstrecken, dann das Volk der Semnonischen Sueben, die jenseits der Elbe vom eben genannten Teil nach Osten bis zum Fluss Suebus reichen..."

- Die Lakkobarden gehören zu den kleineren Völkern im Landesinnern: "... zwischen den Grossen Chaukern und den Angilischen Sueben die Angrivarier, dann die Lakkobarden, südlich von ihnen die Dulgubnier..."

(Die Großen Chauker verortet Ptolemaios an der Küste zwischen Weser und Elbe.)

Zitate nach Alfred Stückelberger (Handbuch der Geographie / Klaudius Ptolemaios, Basel 2006)
 
Consolatio ad Liviam 17f.:

"Drusus zerschmetterte das kriegerische Volk der Sueben und die ungebändigten Sigambrer und schlug die Barbaren in die Flucht..."

Vgl. Vers 311 ff.:

"und der er (Drusus) wird dir (Livia) nicht erzählen können von der Vernichtung der Sigambrer und der Flucht der Sueben vor den Schwertern seiner Truppen..."

1. Wer ist mit den "Sueben" gemeint?
Poetische Texte sind als Geschichtsquellen nur mit viel Vorsicht zu gebrauchen.
Die "Consolatio ad Liviam" ist ein Gedicht in elegischen Distichen, also einem Wechsel aus Hexametern und Pentametern. Welche Namen ein Dichter verwendete, hatte u. a. ganz banal damit zu tun, welche aus metrischen Gründen überhaupt in Frage kamen, also ins Versmaß passten. (Bekanntes Beispiel: Ovid nannte sich in seinen Gedichten selbst mit seinem Familiennamen "Naso", nicht Ovidius, weil "Ovidius" metrisch problematisch war.)
Aber auch von metrischen Gründen abgesehen waren Dichter mit Bezeichnungen nicht genau, sondern wählten gerne mal Umschreibungen oder den Lesern geläufigere oder wohlklingendere Ausdrücke.
 
Hallo Hermundure,

kannst du belegen, dass die Langobarden am Ende von Laténe D1b in das Lippegebiet eingewandert sind? Mir ist davon nichts bekannt, und in den Völkertafel von Tacitus erwähnt dieser über den Chatten die Usiper und Tenkterer, neben diesen die Brukterer (Germania 32,33), die zu seiner Zeit von den Angrivariern und Chamavern besiegt und verdrängt worden seien. Die Langobarden (Germania 38 - 40) erwähnt er von Westen nach Osten fortschreitend erst an der Elbe.
Strabon zitiert die Sueven als größtes germanisches Volk ("denn ein Teil von ihnen wohnt jenseits des Albis, nämlich Hermunduren und Langobarden; jetzt aber haben sie sich in das jenseitige Land geflüchtet" (Geog.291).
Der Geschichtsschreiber V.Patercullus schrieb zum immensum bellum 5 n.Chr. „Die Macht der Langobarden wurde gebrochen, eines Stammes, der noch wilder als die germanische Wildheit ist.“ Im weiteren Verlauf des Berichtes wird beschrieben, wie die eigentlich auf dem linken (südlichen) Elbufer siedelnden Langobarden auf das rechte (nördliche) Elbufer übersiedelten. (Velleius 2, 108, 2).

Meiner Ansicht nach müsste eine Einwanderung in das Lippegebiet viel später erfolgt sein, wenn das Siedeln der Langobarden am Rhein nicht nur Teil einer Wanderungssage ist. Die Münzreihen Silberquinare der tanzenden, sitzenden Männlein werden meines Wissens den Ubiern zugeschrieben,
Prägungsbeginn wahrscheinlich im Heidetränkoppidum im Vordertaunus.
https://de.wikipedia.org/wiki/Tanzendes_Männlein und hier, die letzten Beiträge: http://www.geschichtsforum.de/f32/die-ubier-germanen-oder-kelten-15261/index11.html#post776347

Das verstärkte Aufkommen der Münzreihen im Lippegebiet (Barkhausen)
könnte in der Endphase (Latène D2) für einen verstärkten Handel zwischen Ubiern und Sugambrern sprechen, nachdem für diese die linksrheinischen Handelspartner weggefallen sind (traditionelle Handelsbeziehungen archäologisch fassbar vom Lippegebiet an den Niederrhein, z.B. anhand der Glasimporte von dort)Haevernick Gruppe 3B - Überlegungen zu einem Glasarmringtyp der ausgehenden Eisenzeit. In: Frank Verse et al. (Hrsg.), Durch die Zeiten... Festschr. A. Jockenhövel zum 65. Geburtstag. Studia Honoraria 28 (Rahden/Westf.) 315-337. | Stephan Deiters -.

Unten Silbermünzen Prager Typus (Boier-Prägung?)
 

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Muss mich mal wieder korrigieren: Heidetränk ist wahrscheinlich Prägeort des Nauheimer Quniars ("Vogelmännlein"), erste Hälfte des letzten Jahrhunderts BC (D1):
Drei Prägungen bestimmen den Fundbestand des Dünsbergs (Abb. 2). Rund 50% der Münzen entfallen auf die Quinare "mit tanzendem Männlein", etwa 30% (54 Stück) auf Regenbogenschüsselchen mit Dreiwirbel aus Gold, Silber oder Kupfer und knapp 10% auf Quinare vom Nauheimer Typ. Der sog. Nauheimer Typ (dlT 9388; Forrer 352; Scheers 56) ist die dominierende Fundmünze derHeidetränke und wahrscheinlich dort auch geprägt worden. Wir dürfen diese Münze als regionale Leitform der Stufe Latène D1 ansehen. Dafür spricht schon die enge Verbindung mit der Heidetränke, deren Hauptphase dem Fibelspektrum zufolge in der Stufe Latène D1 liegt (Abb. 2). Von besonderer Bedeutung ist ein absolutchronologischer Hinweis. Das Motiv des "Vogelmännchen" läßt sich auf einen römischen Denar des M. Serveilius zurückführen (Crawf. 327), der nach M. Crawford in das Jahr 100 v.Chr. datiert. Der Nauheimer Typ gehört demnach in die erste Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts. Regionaler Schwerpunkt des Umlaufs sind Wetterau und Taunus mit Verbindungen zur süddeutschen Oppidakultur (Manching, Raum Kelheim, Stöffling) und bis nach Stradonitz (Abb. 3).
Und dann heißt der größte Fundplatz der Quinare des Tanzenden Männleins im Hellwegbereich Lünen-Beckinghausen, und nicht wie schlecht erinnert Barkenhausen:
In Lünen-Beckinghausen sind beide Horizonte vertreten. Den aktuellen Grabungen zufolge überlagern sich in Beckinghausen einheimische Siedlungsreste und das bekannte römische Uferkastell, das mit Oberaden korreliert wird. Zum zeitlichen Verhältnis einheimischer Besiedlung und römischer Spuren sowie zum Kontext der keltischen Münzen ist die Vorlage der Grabungsbefunde abzuwarten. Die Quinare der Serien I-IIIA sind sicher vorrömisch. Zahlreiche Stempelvarianten sind sowohl in Hessen als auch in Westfalen belegt. Es handelt sich offenbar um ein- und dieselben Emissionen. Am Anfang der Münzreihe von Beckinghausen stehen ein Dreiwirbelstater aus Elektron und zwei Quinare der Serie IA2. Die Funde setzen demnach erst mit dem oben umschriebenem Übergangshorizont zur Stufe Latène D2 ein. Im Gegensatz zu den hessischen Ringwällen ist im Lippegebiet eine ältere Münztradition nicht erkennbar. Goldene Regenbogenschüsselchen fallen beispielsweise aus, sofern nicht auch eine Auslese der gemeldeten Funde vorliegt. Das Fundaufkommen der Quinare in Westfalen spricht für stabile Kontakte. Einmalige Ereignisse kommen dafür kaum in Frage. Im Augenblick ist unsere Kenntnis der archäologischen Zusammenhänge noch zu neu und zu einseitig , um die Grundlage des Münzumlaufs im Lippegebiet und die auffälligen Verbindungen nach Hessen näher zu erklären.
Beide Zitate aus: Der Dünsberg und die jüngsten keltischen Münzen in Hessen | Jens Schulze-Forster - Academia.edu

Wahrscheinlich ist, dass an der Stelle des römischen Uferkastells Lünen-Beckinghausen eine einheimische Siedlung exisitierte, vielleicht ein Umschlagplatz, an dem Waren auf den Fluss (die Lippe) verladen wurden.https://www.luenen.de/medien/archiv/dok/Uferkastell.pdf
 
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Im weiteren Verlauf des Berichtes wird beschrieben, wie die eigentlich auf dem linken (südlichen) Elbufer siedelnden Langobarden auf das rechte (nördliche) Elbufer übersiedelten. (Velleius 2, 108, 2).
An der angegebenen Stelle wird der "Rückzug" des Maroboduus beschrieben. Von Langobarden und der Elbe ist da nicht die Rede.
 
An der angegebenen Stelle wird der "Rückzug" des Maroboduus beschrieben. Von Langobarden und der Elbe ist da nicht die Rede.

Stimmt, habe dummerweise nicht selbst nachgesehen, sondern mich anders als bei Strabo und Tacitus auf wikipedia verlassen.https://de.wikipedia.org/wiki/Langobarden
jetzt im Original geschaut: Die erste Stelle ist unter Buch 2, 106(2) zu finden. Jetzt muss ich suchen, ob wikipedia stimmt, bisher habe ich einen Beleg bei Velleius nicht gefunden (Rückzug der Langobarden auf das östliche Ufer der Elbe). Die Szene an der Elbe, an der auf der einen Seite die römischen Legionen mit Tiberius, auf der anderen Seite die versammelten germanischen Krieger (2,107) beschreibt die Szenerie, die an der Elbe wahrscheinlich bestanden hat, inklusive Eintreffen von Versorgungsflotten über die Nordsee. Aber von Langobarden ist dort nicht die Rede, es können ebenso die kurz vorher genannten Hermunduren und Semnonen gemeint sein.
 
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Stimmt, habe dummerweise nicht selbst nachgesehen, sondern mich anders als bei Strabo und Tacitus auf wikipedia verlassen.
Ja, das kenne ich: Da findet man einen vertrauenswürdig wirkenden Wiki-Artikel, zitiert daraus, und ausgerechnet diese Stelle ist bullshit...

Aber von Langobarden ist dort nicht die Rede, es können ebenso die kurz vorher genannten Hermunduren und Semnonen gemeint sein.
Es sind höchstwahrscheinlich die Hermunduren und Semnonen gemeint. Die Langobarden eher nicht, die wurden ja eben erst "zerbrochen"
 
Mit der Festlegung, Drusus habe die Langobarden besiegt und der Verortung der Langobarden an der Lippe gibt es zwei Probleme:
1.) die Mobilität der Germanenstämme
2.) der generelle Umgang mit Claudios Ptolemaios als zuverlässiger Quelle

Was die Mobilität der Germanen angeht, so haben wir ja diverse Stellen, die zeigen, wie leicht diese ihre Siedlungsgebiete verlagerten. Da ist zum einen der Kimbern- und Teutonenzug, mutmaßlich durch eine Serie von heftigen Sturmfluten ausgelöst. Dann die Sueben Ariovists, die ins Keltengebiet einfallen und Caesar Konkurrenz machen bzw. ihm Gelegenheit geben, sich als Schutzherr der Häduer zu geben. Einige Jahrzehnte später wandert Marbod unter römischem Druck nach Böhmen ab und - auch wenn ich diese Stelle für nur mäßig glaubwürdig halte - so sollen die Germanen 16 n. Chr. nach der Schlacht von Idistaviso kurz davor gewesen sein, über die Elbe abzuwandern. Von den Brukterern und anderen wissen wir, dass sie von den jeweiligen Nachbarstämmen aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben wurden.
Die Bewegungs"freude" der Sueben führte sogar dazu, dass man ihren Namen in der Vergangenheit gerne als "die (Umher)Schweifenden" interpretierte. Diese Interpretation, ich weiß nicht ob sie jemals tatsächlich allgemein anerkannt war, wird heute allerdings nicht mehr vertreten.

Von der Völkerwanderung spreche ich jetzt explizit nicht, weil es sich hierbei ja u.a. auch um ein Hineindrängen ins römische Reich, teils zwar unter hunnischem Druck, teils aber eben auch an den römischen Luxus heran handelte.

Was Claudios Ptolemaios angeht, so sollten wir bei ihm zwei Dinge nicht aus den Augen verlieren. Seine Geographie entstand ca. 160 Jahre nach Drusus' Tod. Wir wissen, dass sie Irrtümer und Verzerrungen durch unterschiedliche Koordinatensysteme beinhaltet. Sie stellt die Welt dar, wie sie sich Marinus von Tyrus um 110 darstellte bzw. Claudios Ptolemaios um 140. Wir haben hier also eine fehlerbehaftete geographische Darstellung, die eine Situation darstellt, die eine andere ist, als zur Zeit Drusus', eine Zeit 120 - 160 Jahre später. Insofern ist die Geographike Hyphegesis in zweifacher Hinsicht mit der gebotenen Vorsicht zu verwenden.



Poetische Texte sind als Geschichtsquellen nur mit viel Vorsicht zu gebrauchen.
Die "Consolatio ad Liviam" ist ein Gedicht in elegischen Distichen, also einem Wechsel aus Hexametern und Pentametern. Welche Namen ein Dichter verwendete, hatte u. a. ganz banal damit zu tun, welche aus metrischen Gründen überhaupt in Frage kamen, also ins Versmaß passten. (Bekanntes Beispiel: Ovid nannte sich in seinen Gedichten selbst mit seinem Familiennamen "Naso", nicht Ovidius, weil "Ovidius" metrisch problematisch war.)
Aber auch von metrischen Gründen abgesehen waren Dichter mit Bezeichnungen nicht genau, sondern wählten gerne mal Umschreibungen oder den Lesern geläufigere oder wohlklingendere Ausdrücke.

Grundsätzlich hast du Recht, allerdings könnte das leicht in Hyperkritik ausarten.
Sicher werden den Gesetzen von Reim und Metrik oft Inhalte unterworfen. Was ich bzgl. der Consolatio als viel wichtiger empfinde, ist die offene Datierungsfrage. So gibt es ja durchaus Altphilologen/Historiker, die sich für eine Datierung der Schrift etwa 40+ Jahre nach dem Tod Drusus' aussprechen (etwa der Latinist Ulrich Schlegelmilch 33 - 38 n. Chr.), da sie offenbar Seneca zitiert.
Schlegelmilch hält das Gedicht zudem für eine "Übungsrede". Wenn er damit Recht hätte, wäre das wohl ausschlaggebender für die Bewertung des Gedichtes als ereignishistorisch relevante Quelle.
 
Wenn die Heimat überflutet ist, oder der Feind die eigenen Stellungen überrennt, verlagert jedes Volk die Siedlungsgebiete recht leicht.

Im Fall der Langobarden sind die gemeinten Stellen Velleius II 106 und 109 sowie Strabon VII, 1, 3. Strabon erwähnt den Umzug der Langobarden auf die andere Seite des Flusses aufgrund einer Flucht. Den Zusammenhang gibt er nicht an. Das wurde und wird häufig mit dem Bericht zum Brechen der Langobarden während des Immensum Bellum bei Velleius II 106 ("Fracti Langobardi, gens etiam Germana feritate ferocior; ..." "Gebrochen [sind] die Langobarden, ein Stamm noch wilder als die Germanische Wildheit; ...") und der Angabe der Flucht unter den Schutz Marbods bei Velleius II 109 ("Gentibus hominibusque a nobis desciscentibus erat apud eum perfugium ..." "Von uns abgefallenen Stämmen und Männern war er [Marbod] selbst [ wörtlich bei ihm] eine Zuflucht ...") in Verbindung gebracht. (Z.B. Schmidt, Die Ostgermanen, S. 570f.)

Auf der Lacus Curtius-Seite kommt man durch Anklicken der Vatikanischen Flagge zum Lateinischen Text. Beim Perseus Projekt muss man rechts auf das "focus load" hinter "Greek (1877)" klicken, um zum Griechischen Text zu kommen.
 
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Ich werde daraus nicht ganz schlau, daher fällt es mir schwer zu reagieren: Stimmst du mir zu? Widersprichst du mir? Sowohl als auch? Teils-teils?
 
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Da bin ich mir nicht sicher, da ich nicht weiß, ob Du mit der leichten Verlagerung der Siedlungsgebiete die antike Ethnographie wiedergibst und bestätigen willst, in der das aber gleichsam ein Topos aufgrund der Entwicklungslehre ist, oder ob Du Dich lediglich auf die Häufigkeit entsprechender Ereignisse beziehst. In diesem Thread reicht mir aber die Feststellung, dass es Gründe für die Verlagerung der Wohnsitze gab.

Der Rest bezieht sich auf die Diskussion davor. Es ist ja nicht so, dass da immer wieder Autoren an der selben Wahnvorstellung leiden. Sie können nur nicht richtig zitieren. Wenn man sich die Fußnoten zum Langobarden-Artikel bei Wikipedia anschaut, scheint da noch ein Bisschen mehr durcheinander gegangen zu sein.
 
Da bin ich mir nicht sicher, da ich nicht weiß, ob Du mit der leichten Verlagerung der Siedlungsgebiete die antike Ethnographie wiedergibst und bestätigen willst, in der das aber gleichsam ein Topos aufgrund der Entwicklungslehre ist, oder ob Du Dich lediglich auf die Häufigkeit entsprechender Ereignisse beziehst.
Mir ging es in erster Linie um die Häufigkeit der literarisch belegten Umsiedlungen von der Germanenstämmen, die aber freilich auch Topos sein können. Jedoch ist es doch interessant, dass die Langobarden nach Strabo, etwa 30 Jahre nach Drusus' Tod, aus römischer Sicht jenseits der Elbe lebten (wobei Strabos Germanienkenntnisse ja auch eher mäßig bis mangelhaft waren, da dürfen wir uns nichts vormachen) und eben nicht entlang des Rheins, wie zu Ptolemaios Zeiten mehr als 100 Jahre später.
 
Dann Stimme ich mit Dir überein.

Auch Tacitus verortet die Langobarden in der Germania, 39 und 40, wo sie zwischen Semnonen auf der einen Seite und den Reudignern und Angeln auf der anderen Seite siedeln sollen, noch an der Elbe. Man geht zudem meist davon aus, dass sie sich nur kurzzeitig hinter die Elbe zurückzogen.

Dazu passt auch Ptolemaios II, 11, 17. Seine Nachricht II, 11, 9 mit den Langobarden am Rhein bezeichnet Ludwig Schmidt als völlig wertlos. Zu Rademacher, Mannus 14 (1922), S. 240ff., der einen Zug der Langobarden an den Rhein annimmt, sagt er: "Ich brauche auf diese Phantasien hier nicht näher einzugehen." (Schmidt, Die Ostgermanen, S.571 und S.571, Anm. 4.)

Nun, Strabon erwähnt VII, 1, 4 bei Chatten, Chattuariern und Tubanten die Landon, was mitunter zu Marson verbessert wird. (Vgl. Schmidt, Ostgermanen, S.571, Anm. 1) Mag Ptolemaios hier Langobarden verbessert habe? Und ist ein Schelm wer da eher an Hessen, Lahn, Lognai (evt. "Lonjai"? Sprach Bonifatius Latein noch so aus?) und Bonifatius denkt?

Die Langobarden, die 166 oder 167 in Pannonien einfallen, werden von 'Obiern' begleitet, die oft mit einem Teil der Ubier erklärt werden, die vor den Römern ins 'Innere' Germaniens zurückgewichen wären oder der Ursprung der an den Rhein gezogenen Ubier gebildet hätten. Dazu gibt Schmidt, wie oben, Anm. 5 an: "vgl. Much in Germanistische Forschungen, S. 62." Auch die Ubier wohnten südlich der Sugambrer und Ptolemaios kann die sonst unbekannten Obier damit verwechselt haben, die natürlich nicht unbedingt etwas mit den Ubiern zu tun haben müssen. Das könnte auch das seltsame Sueben Langobarden erklären.
 
Zuletzt bearbeitet:
Grundsätzlich hast du Recht, allerdings könnte das leicht in Hyperkritik ausarten.
Sicher werden den Gesetzen von Reim und Metrik oft Inhalte unterworfen. Was ich bzgl. der Consolatio als viel wichtiger empfinde, ist die offene Datierungsfrage. So gibt es ja durchaus Altphilologen/Historiker, die sich für eine Datierung der Schrift etwa 40+ Jahre nach dem Tod Drusus' aussprechen (etwa der Latinist Ulrich Schlegelmilch 33 - 38 n. Chr.), da sie offenbar Seneca zitiert.
Schlegelmilch hält das Gedicht zudem für eine "Übungsrede". Wenn er damit Recht hätte, wäre das wohl ausschlaggebender für die Bewertung des Gedichtes als ereignishistorisch relevante Quelle.
Ich will poetische Texte als historische Quellen auch keineswegs komplett verwerfen, meine aber, dass man beim Umgang mit ihnen viel vorsichtiger sein muss als bei richtigen Geschichtswerken. Dem Dichter geht es primär um die künstlerische, literarisch anspruchsvolle und ansprechende Gestaltung des Stoffes, wobei er obendrein gewissen Konventionen unterworfen ist, von denen nur wenige abweichen.

Wie das Ergebnis ausfallen kann, sieht man an den beiden großen erhaltenen lateinischen Epen, die historische Stoffe behandelten: Während sich Lucanus in seinem Bürgerkriegsepos weitgehend an die historischen Fakten hält und auf die Einmischung von Göttern verzichtet (nicht aber auf Vorzeichen und Orakel), steht das Epos "Punica" von Silius Italicus über den 2. Punischen Krieg ganz in der literarischen Tradition von Homer bis Vergil und ist zu guten Teilen eindeutig an diese angelehnt: Nicht nur tummeln sich massig Götter, sondern Schlachten werden meist im homerischen Stil (also als Ansammlung von Einzelkämpfen zwischen Helden) geschildert, es darf auch eine ausführliche Beschreibung von Hannibals Schild (eindeutig angelehnt an ähnliche Beschreibungen bei Homer und Vergil) nicht fehlen, und es gibt sogar eine überdeutlich an die Camilla aus der Aeneis angelehnte (fiktive) karthagische Heldin. Als historische Quelle ist das Epos leider wenig brauchbar.

Auch die Consolatio ad Liviam ist nicht frei von den literarischen Konventionen. Die Beschreibung von Drusus' Begräbnis mag grundsätzlich historisch korrekt sein, ist aber zumindest verwoben mit Auftritten des Flussgottes Tiberinus und des Mars. Auch die Parcen werden genannt. Dazu kommen Vergleiche mit der Trauer bestimmter mythischer Gestalten, die in der antiken Literatur standardmäßig bei derartigen Gelegenheiten angeführt wurden. Ansonsten werden Drusus, Tiberius, Livia und Drusus' Witwe Antonia gepriesen.
Die einzige knappe, dichterisch formulierte, Angabe direkt zu Drusus' Tod in Vers 235 ("periit arma inter et enses" - "starb zwischen Waffen und Schwertern") könnte man, wenn man es nicht besser wüsste, glatt so missverstehen als sei Drusus im Kampfgetümmel gefallen.
 
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Die einzige knappe, dichterisch formulierte, Angabe direkt zu Drusus' Tod in Vers 235 ("periit arma inter et enses" - "starb zwischen Waffen und Schwertern") könnte man, wenn man es nicht besser wüsste, glatt so missverstehen als sei Drusus im Kampfgetümmel gefallen.
Das war ja womöglich auch so intendiert.
 
Es sind höchstwahrscheinlich die Hermunduren und Semnonen gemeint. Die Langobarden eher nicht, die wurden ja eben erst "zerbrochen"
Klaus Peter Johne weist darauf hin, dass es möglicherweise ein Klientelverhältnis zwischen Langobarden und Semnonen gegeben haben könnte:

So könnte der in seiner Frühzeit noch kleine Stamm der Langobarden an der unteren Elbe in einem Klientelverhältnis zu dem benachbarten großen Stamm der Semnonen gestanden haben. Beide Stämme verließen im Jahre 17 n. Chr. gemeinsam die Allianz des Marbod und wechselten in die Koalition des Arminius über, beide Stämme kämpften später auch gemeinsam in den Markomannenkriegen
http://edocs.fu-berlin.de/docs/serv...UDOCS_derivate_000000005179/Seiten225_242.pdf

Auch bei Klaus Tausend, Im Inneren Germaniens, S.139-140, 2009
 
Zuletzt bearbeitet:
Da die Langobarden hier erwähnt sind (soweit ich sehe, ohne dass für sie eine besonderes Thema existiert), hier die neuste Studie zum Übergang von Spätantike zum Mittelalter.

Zusammenfassung:
Understanding 6th-century barbarian social organization and migration through paleogenomics

"This research provides the clearest picture yet of the lives and population movements of communities associated with the Longobards, a barbarian people that ruled most of Italy for more than two hundred years after invading from the Roman Province of Pannonia (modern-day Hungary) in 568 C.E. The team's data from the Hungarian cemetery, Szólád, almost doubles the number of ancient genomes obtained from a single ancient site to date. This in-depth genomic characterization allowed the team to examine the relationship between the genetic background of the community and the archaeological material left behind.
Professor Patrick Geary, of the Institute for Advanced Study, a senior author of the paper said, "Prior to this study, we would not have expected to observe such a strong relationship between genetic background and material culture. This appears to suggest that these particular communities contained a mix of individuals with different genetic backgrounds, that they were aware of these differences, and that it likely influenced their social identity."


Artikel in der Nature, im open access:
Understanding 6th-century barbarian social organization and migration through paleogenomics
 
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