Die Etymologie von Idistaviso

Ich bin ganz grundsätzlich sehr skeptisch, was derartige etymologische Deutungen anbelangt. Was wir vorliegen haben, ist, wie ein Römer einen für ihn "barbarisch", also jedenfalls ziemlich fremdartig klingenden, germanischen Namen (höchstwahrscheinlich nur durchs Hören) verstanden und dann in lateinischer Schrift (und lateinischem Lautsystem) wiedergegeben hat. Irgendwer hat dann womöglich auch noch die Endung latinisiert, um den Namen deklinieren zu können (was bei Tacitus zwar nicht der Fall ist, bei verlorenen anderen Autoren, die er als Quelle verwendet hat, aber vielleicht schon). Also wer weiß, wie viel die uns vorliegende Form überhaupt noch mit dem germanischen Originalnamen zu tun hat.
 
Da gebe ich dir ganz grundsätzlich recht. Wo Idistaviso aber direkt an der Weser lag erscheint mir ein Hydronym im Namen nicht ganz unwahrscheinlich, wie eben das von Udolph als Hydronym beschrieben -ista. Und eine Wiese wird es zwischen Weser und der Idistaviso auf der anderen Seite begrenzenden Hügelkette auch gegeben haben.

U.U. könnte mit Idistaviso sogar eine bestimmte Eigenschaft der Weser in diesem Bereich beschrieben gewesen sein, in -viso könnte sich ja auch das *u̯eis- aus Weser verbergen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Weser#Namensherkunft
 
Sehe ich es richtig dass Idistaviso in die Wortwurzeln id-, -ista und -viso zerlegt werden kann?

Laut dem ersten Link wäre id- keine Wortwurzel, sondern ein Präfix.
Laut dem zweiten Link wäre auch -ista keine Wortwurzel, sondern -st- wäre ein Suffix.
Und wisō wäre laut Germanischem Wörterbuch ein komplettes Wort, nicht nur eine Wurzel.

U.U. könnte mit Idistaviso sogar eine bestimmte Eigenschaft der Weser in diesem Bereich beschrieben gewesen sein, in -viso könnte sich ja auch das *u̯eis- aus Weser verbergen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Weser#Namensherkunft

Das halte ich für unwahrscheinlich, dann wäre "Idistaviso" ein Gewässername. Tacitus schreibt aber von "Feld namens Idistaviso" (in campum, cui Idistaviso nomen). Dazu würde die Deutung "Wiese" (wisō) doch sehr viel besser passen.
Der germanische Name der Weser lässt sich laut dem Deutschen Gewässernamenbuch als *Wisurā bzw. *Wisurjā rekonstruieren.

Wo Idistaviso aber direkt an der Weser lag erscheint mir ein Hydronym im Namen nicht ganz unwahrscheinlich, wie eben das von Udolph als Hydronym beschrieben -ista.

Zu Idistaviso schreibt Udolph ganz deutlich (S. 230):

"... unsicher bleibt die Beurteilung der Lokalität Idistaviso."
 
Sehe ich es richtig dass Idistaviso in die Wortwurzeln id-, -ista und -viso zerlegt werden kann?
Wie @Sepiola gezeigt hat, ist die Antwort: nein.
Weder ein isoliertes "id" noch ein isoliertes "ista" sind irgendwie germanische Wörter.

Spaßeshalber aber verweise ich auf die beliebte Betrachtungsweise, aus "idista" das "t" zu eliminieren, um ein "idisavisio" zu erhalten, welches doch so schön an die Idisen*) des 2. Merseburger Zauberspruchs anklingt :) ... aber ach, wie gemein, zwischen einem tacitäischen "idis(t)a" und einem Merseburger "idis(i)" liegen einige Jahrhunderte - zu viele, um die Idisen/weisenFrauen/Walküren des Frühmittelalters ins frühe 1. Jh. zurück zu projizieren...

_____________
*) eiris sazun idisi usw.
 
Und mit dem indogermanischen Wörterbuch kämen wir auf 'dort Schaum fließen'. ;)

Da hört sich die oft vermutete Idisenwiese oder das Idisenfeld doch immer noch vertrauenerweckender an. (Das 't' war für Römer gewohnter, wahrscheinlich auch leichter auszusprechen. Denn 's' zwischen Vokalen war im Lateinischen -L39- zu 'r' geworden. Beispiel: mos, moris. Nur als Beispiel, dass man eine Verballhornung mitunter durchaus beurteilen kann. In diesem Fall müsste man natürlich annehmen, dass sich das Wort bis zu den Merseburger Zaubersprüchen erhalten hat, und das es hier zumindest plausibel ist.)

Und bevor Sepiola nicht geglaubt wird: Weser und Werra sind derselbe Name und derselbe Fluss, obwohl sie verschieden ausschauen: Nur haben sich die Niederdeutsche und die Mitteldeutsche Sprache verschieden entwickelt. Und die ehemaligen Vokale liefern uns die Römer: Wisurgis. Hier hat's mit dem 's' allerdings geklappt. Woran wir sehen, dass große Unsicherheiten den Kurs des Etymologen bedrohen.

EDIT: Der Post überschneidet sich mit dem dekumatlands.

@ Dekumatland: Wo liegt die zeitliche Grenze bei der Erhaltung von Wörtern? Und wieso können sich Weser, Elbe, Ems und Lippe erhalten, aber nicht Idisen? Gut, die Bedeutung mag sich verändert haben. Aber die Annahme, dass es sich um dasselbe Wort handelt ist doch naheliegend, da ja auch die Idisen/Disen mit der Landschaft verbunden waren. Ein Beispiel: Irrlichter werden zu Geistern, erhalten schließlich antropomorphe Eigenschaften, rufen im Märchen Wanderer. (Und werden in einem Trickfilm des 20. Jh. nicht mehr als Ortsgebunden dargestellt.) (Mir fällt nicht ein, welches Märchen es war. Für einen Hinweis wäre ich dankbar.)

Im Gegensatz zur Überzeugung früherer Zeiten, mag auch die Bedeutung von Idisen schon im Merseburger Zauberspruch vergessen sein. Darauf mag die Vergangenheitsform deuten: "Einst saßen...".
 
Zuletzt bearbeitet:
<t> oder <i>, das wird seit über 100 Jahren heiß diskutiert. Wir haben halt nur zwei unvollständige Fassungen der taciteischen Annalen und nur eine mit dieser Stelle, die auf uns gekommen sind und dementsprechend keinen Variantenapparat. Dementsprechend können wir nicht entscheiden, ob es sich um einen Verschreiber/Kopierfehler handelt oder um die taciteische Originalbuchstabenfolge. Ich schließe mich hier eher denjenigen an, welche die Grimm'sche Emendation für eine Fehlentscheidung halten und <t> lesen.
 
Schau etwas weiter unten auf der Seite. Das führt uns dann in den Kreis Segeberg.

Und lässt dann das 't' als schon germanisch vermuten. Schade für die Hexenweiber, wie Weber sie nannte.

Edit: aus Friedrich Wilhelm Weber, Dreizehnlinden, 1878:

Schlangen krochen durch die Spalten,
Schwarze Schlangen, Wurzelknoten,
Wo die greise Drude hauste,
Weltvergessen wie die Toten,

Einsam mit dem treuen Hunde,
Einsam mit den alten Göttern,
Die zu ihr in Vogelstimmen
Sprachen und in Sturmgewittern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke. Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Bestätigt sich immer wieder.

Okay, falls mit Idista- ein Hydronym vorliegt hätten wir es mit einer Wortwurzel Id- zu tun und mit einem Suffix -(i)st(a), korrekt?
Nicht allzu weit von der für Idistaviso vermuteten Lokation entfernt liegt ja der Ith (ið?), vielleicht gibt es hier noch einen Zusammenhang.
 
@Riothamus
Wenn wir schon literarisch werden, ist wohl auch ein Hinweis auf Kleists Klage der Offiziere des Varus über die germanischen Ortsnamen statthaft :devil::

Pfiffikon! Iphikon! – Was das, beim Jupiter!
Für eine Sprache ist! Als schlüg ein Stecken
An einen alten, rostzerfreßnen Helm!
Ein Greulsystem von Worten, nicht geschickt,
Zwei solche Ding, wie Tag und Nacht,
Durch einen eignen Laut zu unterscheiden.
Ich glaub, ein Tauber wars, der das Geheul erfunden,
Und an den Mäulern sehen sie sichs ab.
 
:D Und wir haben heute noch Probleme mit diesen Namen! "Die spannen, sponnten, spinnten die Germanen." (Angeblich ein verzweifelter Sprachwissenschaftler.)

Aber die Römer hatten auch seltsame Laute, wie Viktor von Scheffel, Als die Römer frech geworden zeigt:

"Schnäderetäng" z.B.. Da würde ich mal gerne die Etymologie kennen. ;)

@Topic: Wenn Du es suchen willst, warum suchst Du dann nicht erst die Ortsnamen der fraglichen Gegend, insbesondere die der Wüstungen heraus. Ich wäre nicht überrascht, wenn bei den Wüstungen noch niemand ernsthaft danach gesucht hätte.
 
Unwahrscheinlich. Die heutige Schreibung -th- in Ith dürfte für die Aspirierung des /t/ stehen. Sie ist sicher kein frühmittelalterliches Überbleibsel.

Nicht allzu weit von der für Idistaviso vermuteten Lokation entfernt liegt ja der Ith (ið?), vielleicht gibt es hier noch einen Zusammenhang.
Von dem mutmaßlichen Schlachtort Idistaviso im Raum Minden-Bückeburg bis hin zum Ith sind es noch ca. 45 km.

Bückeburg-Ith.jpg

Auch wäre bei einer Mutmaßung, dass der Ith etymologisch mit Idistaviso zusammenhänge, zugrundezulegen, dass allein die Anlautsilbe sich erhalten hätte. Zu überprüfen wäre dann noch das Verhältnis zur Benrather Linie. Südlich von dieser wäre eine Umlautung /d/ zu /t/ immerhin zu erwarten aber das ist so ziemlich das einzige Indiz, was für einen Zusammenhang sprechen könnte. Eher spricht mehr gegen einen Zusammenhang.
 
Und woher ist bekannt, dass die Schlacht dort war?
Ich schrieb "mutmaßlich".
Aber es gibt ein paar ganz gute Indizien.
Indiz 1
Wir haben den Bericht des Tacitus, wonach Germanicus am Westufer der Emsmündung ausschiffte, die Ems überquerte, um dann zur Weser zu marschieren, wo sich die Germanen und die Römer trafen. Hier fand dann der berühmte, von Tacitus so dramatisch geschilderte Disput zwischen den beiden Brüdern Flavus und Arminius statt. In der Zwischenzeit gab es eine Erhebung der Angrivarier/Ampsivarier a tergo. Im überlieferten Text steht Angrivarier. Wenn man das zu Ampsivarier ('Em[p]sleute') emendiert, ergibt das a tergo Sinn. Wenn man die Angrivarier nicht zu den Ampsivariern emendiert, ergibt das a tergo keinen Sinn. Das ist bereits im 19. Jhdt. erkannt worden, dennoch haben manche versucht, mit einer Doublettenthese zu argumentieren (also dass Tacitus Dinge der Jahre 15 und 16 durcheinandergebracht habe und dass die Flotte im zweiten Jahr (also 16) gar nicht an die Ems sondern an die Weser gefahren sei; aber diese These wirft mehr Fragen auf als dass sie Lösungen anbietet).
Im Bericht des Tacitus wird dann die Umgebung der Schlacht dergestalt beschrieben, dass das Schlachtfeld direkt an der Weser lag (welche die Römer soeben, nach dem Streit der Brüder Flavus und Arminius überschritten hatten) und dass die Berge mal etwas näher ans Weserufer heranreichten, mal etwas ferner davon abrückten. Wenn man von der Ems(mündung) zur Weser marschiert, wird man vor dem Raum Bückeburg - also Richtung Norden, weserabwärts - keine entsprechende geographische Situation finden, die dem entspricht.
Nach Tacitus' Beschreibung würde ich persönlich den Schlachtort sogar eher noch wenige Kilometer weiter südlich, nämlich ins Weserknie verorten, schließe mich aber mittlerweile Mommsens vor ca. 100 Jahren geäußerter Bückeburg-Hpyothese unter Vorbehalt an und zwar wegen des Indiz' Nr. 2:
Indiz 2 (unter Vorbehalt)
Die Münzproblematik haben wir schon häufig diskutiert. Es wird gerne behauptet, dass der Münzhorizont Varus sich vom Münzhorizont Germanicus nicht unterscheide. Der Kölner Brandhorizont von 14 n. Chr. steht dieser Behauptung entgegen.
Legt man nun die FRMD zugrunde (Funde römischer Münzen in Deutschland), so gibt es im norddeutschen Raum in der Tat wenig Fundhorizonte, die auf die tiberische Herrschaftszeit verweisen. Tiberische Fundmünzen sind in Niedersachsen selten und meist mit späteren Münzen vergesellschaftet. Einige wenige mit tiberischen Münzen als Schlussmünzen (FRMD VII, 4, Fundnummern 4069 - 4071/2) liegen aber genau hier, im Raum Bückeburg. Da sind zunächst einmal die Münzen aus germanischen Brandgrubengräbern an der Luhdener Klippe (FRMD VII, 4: 4069) zu nennen (2x Augustus, 2x Tiberius, leider nicht feindatiert, einmal unbekannt) dann undatierte Funde aus Evensen-Petzen von vor 1828 (4071), denen leider die Feindatierung fehlt (2x Augustus, 2x Tiberius). Eine griechische Münze aus dem Zeitraum 170 - 133 wurde in Schierneichen entdeckt (4072). In der FRMD ist leider nur von einem augusteisch-tiberischen Horizont die Rede. Auf diesen Fund basiert auch die Einschätzung Mommsens. Zu erwähnen ist dann noch ein Hortfund unbestimmter Größe ("großer Fund augusteischer Münzen") von 1968, der in den Akten der BD (Bahndirektion?) Hannover verzeichnet ist aus Meinsen. Gemeldet wurden diese Münzen von einem Dr. Maemcke, der könnte ja theoretisch noch leben - wobei Heimatforscher meist eher ältere Herren sind, die 48 Jahre seitdem werden wahrscheinlich also biologisch wirksam gewesen sein.
Der Vorbehalt liegt natürlich darin, dass die Schlussmünzen für die Orte mit tiberischen Münzen nicht jahrgenau datiert sind. Anhand der FRMD lässt sich nicht schlussfolgern, ob der tpq 16 n. Chr. haltbar ist. Und daran hängt nun mal, ob diese Münzen seriös in die Verortung von Idistaviso miteinbezogen werden können oder nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Um die Schlacht bei Bückeburg stattfinden zu lassen, muss man also die Angrivarier in Ampsivarier verwandeln. Ich will jetzt nicht Hilfshypothese schreien, solche Schreibfehler kommen häufiger vor als man gemeinhin denkt. Nur, wenn man es als Argument gebraucht kommt man in einen Zirkel.

Dabei ist dieser Wechsel hier unnötig. Man muss auch nicht die Jahre wechseln oder den Bericht des Tacitus zu Fantasy erklären, wie es Delbrück über weite Strecken tat.

Germanicus wollte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu den Cheruskern. Dazu brauchte er nicht an dem Punkt, an dem er die Weser erreichte stehen zu bleiben. Er konnte erst ein Stück südwärts marschieren. Ein Fehler Tacitus ist es ja, dass er nicht alle Bewegungen eines Heeres berichtet. Dann hätten sich die Angrivarier tatsächlich im Rücken des Heeres befunden. Darüber hinaus wird eine weitere Tatsache gern übersehen. Das Stammesgebiet der Angrivarier erstreckte sich von der Weser auch nach Westen. Und damit waren auch im Raum Bückeburg Angrivarier im Rücken des Heeres. Und damit können wir aus dem 'a tergo' nicht auf den Standort des Heeres schließen.

Germanicus stieß auf die Cherusker, die an geheiligtem Ort eine Versammlung abhielten und man stellte sich auf der benachbarten Ebene zum Kampf. Dieser Ort wird im Stammesgebiet der Cherusker zu suchen sein. Aller Wahrscheinlichkeit nicht im Niemandsland zwischen den Stämmen. Gut, wenn wir die Angaben zum Angrivarierwall ernst nehmen gab es das zu dieser Zeit nicht mehr. Aber heilige Orte eines Stammes findet man normalerweise im oder direkt am Gebiet eines Stammes. Und zwar nicht in Bezug auf erst 'kürzlich' erworbene Gebiete. Damit müsste man aber weiter südlich suchen.

Doch kann man nicht viel weiter südlich suchen. Der Angrivarierwall war ja recht schnell zu erreichen. Doch ist der immer noch nicht überzeugend nachgewiesen. Es gibt ja auch die gar nicht so unwahrscheinliche Möglichkeit, dass er beim oder in der Nähe des Engpasses lag. Jedenfalls spricht Nichts dagegen, dass die Schlacht am südlichen Ausgang oder noch weiter südlich stattfand.

Was die Münzen angeht, beweisen sie alles und nichts. Die Fundumstände allerdings sind interessant. Grabfunde müssen nicht auf Schlachtfeldern liegen. Schatzfunde wären dort deplatziert. Und Beute kann in die Heimat mitgenommen werden...

Aber ja, ich gebe zu, ausschließen würde ich den Nördlichen Ausgang und sein Vorfeld nicht. Doch würde ich nicht behaupten, dass die Schlacht dort stattfand. Ich betrachte die Stelle als nördlichste Möglichkeit dafür. Um es auszuschließen sind mir die Argumente nicht sicher genug. Alles würde, hätte, könnte. Aber das gilt auch umgekehrt.

Weiß eigentlich jemand, was zum Verlauf der Weser um Christi Geburt bekannt ist? Vielleicht schlängelte sie sich damals ja noch länger die Berge entlang, was ganz andere Möglichkeiten eröffnete?

Zu den Siedlungsgebieten schreibe ich ein anderes Mal. Jetzt werde ich zu müde. Hatte die letzten Nächte wieder Schlafstörung und eben endlich Schlafmittel bekommen.
 
Um die Schlacht bei Bückeburg stattfinden zu lassen, muss man also die Angrivarier in Ampsivarier verwandeln.
Nein, da hast du was missverstanden.
Der Text sagt:
- Germanicus landet an der Emsmündung.
- Dann überquert er die Ems, wobei einige der Hilfstruppen in Bedrängnis geraten.
- [...]
- Der Marsch zur Weser wird nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber logisch aus der Überquerung der Ems und dass man plötzlich Arminius gegenübersteht (wie schreibst du so schön? "Ein Fehler Tacitus ist es ja, dass er nicht alle Bewegungen eines Heeres berichtet." - ich sehe das weniger als einen Fehler als eine für uns ungünstige Eigenart)
- Transvisurgische Kommunikation zwischen den feindlichen Parteien
- endet angeblich damit, dass die in den feindlichen Lagern stehenden Brüder nur mit Mühe davon abgehalten werden können, in die Weser zu springen, um sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.
- Germanicus überquert die Weser
- Schlacht von Idistaviso.
- römischer Sieg, Germanen scheinen sich schon für die Flucht Richtung Elbe bereit zu machen
- Schlacht am Angrivarierwall
- Entkommen des Arminius
- Rückkehr der Römer zur Ems (ausdrücklich!)

Das ist von der Angrivarier- oder Ampsivarierfrage alles erst einmal völlig unberührt. Wenn da nicht der Einschub - oben markiert durch die [...] wäre.

Da heißt es: als Germanicus das Lager ausmaß, erfuhr er vom Abfall der Angrivarier im Rücken (metanti castra Caesari Angrivariorum defectio a tergo nuntiatur: missus ilico Stertinius cum equite et armatura levi igne et caedibus perfidiam ultus est.)
Und dieses Angrivarier im Rücken gibt Probleme auf. Aber nur so lange, wie man übersieht, das Angrivarier und Ampsivarier geschrieben fast gleich aussehen. Die Ampsivarier kommen in den Annalen sonst kein Mal vor (aber in der Germania), die Angrivarier aber schon. Sogar im gleichen Buch der Annalen. So ist es möglich, dass ein Kopist eine verderbte Stelle Axxxxivarier gutmeinend falsch korrigierte und so ist das dann auf uns gekommen. So würden wir ja wahrscheinlich auch handeln, wenn wir ein verserbtes Wort sehen und ein anderes sieht ähnlich aus.
Das kann Papyrus- der Pergamentfrass gewesen sei oder verwässerte Tinte. Whatever.
Das ist jedenfalls sehr viel wahrscheinlicher, als das Germanicus und Arminius über die Weser hinweg hin und her fangen gespielt haben. Das wäre nämlich die Konsequenz der Doublettenthese und das a tergo der Anrgivarier wäre damit auch nicht überzeugend erklärt.


Germanicus wollte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu den Cheruskern. Dazu brauchte er nicht an dem Punkt, an dem er die Weser erreichte stehen zu bleiben. Er konnte erst ein Stück südwärts marschieren. Ein Fehler Tacitus ist es ja, dass er nicht alle Bewegungen eines Heeres berichtet. Dann hätten sich die Angrivarier tatsächlich im Rücken des Heeres befunden.
Bei diesen Überlegungen lässt du unberücksichtigt, dass Germanicus die Weser überquerte, um dann plötzlich Arminius gegenüberzustehen. Dieser hätte dann auf dem Westufer gestanden, an dem - die Doublettenthese vorausgesetzt - Germanicus Flotte lag... Das wäre ein ziemliches Hin und Her gewesen... Ohen Doublettenthese hat man dieses Problem, was sich hier ergibt, einfach nicht. Ohen Doublettenthese hat man zwei Überquerungen der Weser, eine auf dem Weg nach Idistaviso und eine irgendwann zwischen Idistaviso und dem Besteigen der Flotte.
Mit Doublettenthese muss man mindestens vier Überquerungen der Weser ansetzen.

Germanicus stieß auf die Cherusker, die an geheiligtem Ort eine Versammlung abhielten und man stellte sich auf der benachbarten Ebene zum Kampf. Dieser Ort wird im Stammesgebiet der Cherusker zu suchen sein. Aller Wahrscheinlichkeit nicht im Niemandsland zwischen den Stämmen.
Eigentlich berichtet Tacitus, dass sich in der silva "Herculi" mehrere germanische Stämme zu einer Art Heeresschau getroffen hatten. Dass der Ort im Cheruskergebiet liegt, steht dort nicht, weder ex- noch implizit. Insofern ist auch nicht einzusehen, warum er unbedingt im Cheruskergebiet gelegen haben soll, wobei mir auch nicht klar ist, wie du darauf kommst, dass man weiter südlich suchen müsse.

Was die Münzen angeht, beweisen sie alles und nichts. Die Fundumstände allerdings sind interessant. Grabfunde müssen nicht auf Schlachtfeldern liegen. Schatzfunde wären dort deplatziert. Und Beute kann in die Heimat mitgenommen werden...
Alles richtig. Aber es ist schon auffällig, dass wir in Niedersachsen genau hier im Raum Bückeburg die einzigen Münzfunde des Tiberius haben, die nicht mit späteren Münzen vergesellschaftet sind, an zwei Fundplätzen, die relativ nah beieinanderliegen und die genau dort zu finden sind, wo die Weser aus dem Mittelgebirge ins Flachland übergeht. Also dem nächsten gebirgigen Punkt an der Weser, egal, ob man nun von der Ems- oder nach der Doublettenhypothese von der Wesermündung misst. Dazu kommt der Fund von 1968 mit augusteischen Münzen und die griechische Münze, aus dem 2. Jhdt. v. Chr. Alle vier Fundplätze liegen in einem Radius von etwa 5 km um Bückeburg herum. Beweisen tut das noch gar nichts. Aber ich schrieb ja auch Indiz und nicht Beweis.

Weiß eigentlich jemand, was zum Verlauf der Weser um Christi Geburt bekannt ist? Vielleicht schlängelte sie sich damals ja noch länger die Berge entlang, was ganz andere Möglichkeiten eröffnete?
Bis zur Porta Westfalica (Minden-Bückeburg) ist der Verlauf der Weser durch das Gelände (Mittelgebirge!) festgelegt. Allenfalls nördlich davon könnte sie sich im Lauf der Zeit ein neues Bett gesucht haben. Aber auch das müsste dann vor dem 8. Jhdt. abgeschlossen gewesen sein. Eigentlich ist keine großartige Veränderung des Weserlaufs in den letzten 2000 Jahren - außer den menschengemachten - zu erwarten. bedeutsame Erdgeschichtliche Verwerfungen gab es in dieser Zeit nicht. Allenfalls die Ablagerung von Sedimenten und das Ausfräsen von Flußufern könnte minimalste Veränderungen im Flußlauf verursacht haben.
 
Nein, da hast du was missverstanden.
Der Text sagt:
- Germanicus landet an der Emsmündung.
- Dann überquert er die Ems, wobei einige der Hilfstruppen in Bedrängnis geraten.
- [...]
- Der Marsch zur Weser wird nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber logisch aus der Überquerung der Ems und dass man plötzlich Arminius gegenübersteht (wie schreibst du so schön? "Ein Fehler Tacitus ist es ja, dass er nicht alle Bewegungen eines Heeres berichtet." - ich sehe das weniger als einen Fehler als eine für uns ungünstige Eigenart)
- Transvisurgische Kommunikation zwischen den feindlichen Parteien
- endet angeblich damit, dass die in den feindlichen Lagern stehenden Brüder nur mit Mühe davon abgehalten werden können, in die Weser zu springen, um sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.
- Germanicus überquert die Weser
- Schlacht von Idistaviso.
- römischer Sieg, Germanen scheinen sich schon für die Flucht Richtung Elbe bereit zu machen
- Schlacht am Angrivarierwall
- Entkommen des Arminius
- Rückkehr der Römer zur Ems (ausdrücklich!)

Das ist von der Angrivarier- oder Ampsivarierfrage alles erst einmal völlig unberührt. Wenn da nicht der Einschub - oben markiert durch die [...] wäre.

Da heißt es: als Germanicus das Lager ausmaß, erfuhr er vom Abfall der Angrivarier im Rücken (metanti castra Caesari Angrivariorum defectio a tergo nuntiatur: missus ilico Stertinius cum equite et armatura levi igne et caedibus perfidiam ultus est.)
Und dieses Angrivarier im Rücken gibt Probleme auf.

Aha. Wir reden aneinander vorbei. Nun:

Die Kapiteleinteilung ist ja erst lange nach Tacitus vorgenommen worden. Und daher ist fraglich, ob das Lager an der Ems, oder ob es an der Weser abgesteckt wurde. Es ist darum nicht selbstverständlich von der Ems als Ort des Lagers auszugehen, weil Tacitus den Marsch zur Weser nicht erwähnt. Im nächsten Satz sind die Römer dort. Waren sie schon dort, als das Lager aufgeschlagen wurde, oder waren sie erst dort, als Arminius "ans Ufer trat"? Und ausdrücklich: ich lehne die Doublettentheorie ab, das hatte ich ja schon gesagt. Sie ist einfach nicht nötig.

Wie will man nun beurteilen, wo das Lager sich befand?

Wir haben nur eine einzige Angabe, die wir verwenden können. Dass sind die Angrivarier im Rücken. Meinetwegen, erst mal als Gedankenexperiment, auch die Angrivarier oder Ampsivarier.

Also A die Lokalisierungsmöglichkeit an der Ems:

1. An der Ems gibt es weit und breit keine Angrivarier.
2. Dafür gibt es irgendwo südlich der fraglichen Stelle, die ja noch im Bereich von Ebbe und Flut liegen würde, Ampsivarier. Im Gegensatz zur Himmelsrichtung ist die genaue Verortung uninteressant. Die Frage ist nun, ob sie 'a tergo', 'vom Rücken her' einen Aufstand anzetteln konnten. Was befand sich im Rücken des Germanicus, der tiefer nach Germanien eindringen wollte? Sinnvolle Stoßrichtungen wären Südosten oder Süden. Meinetwegen auch Osten, wie Tacitus angibt. Angesichts seiner Vorstellungen vom Verlauf der Ems mag hier auch Südosten gemeint sein.:

Blickte er nach Osten lag seine Flotte im Rücken. Oder die Friesen.
Blickte er nach Süden, war es die Nordsee.
Blickte er Richtung Südosten, mag man alles 3 angeben.
(Blickte er nach Westen, was möglich wäre, wenn er auf die Nachhuttruppen wartete, wären da Chauken, keine Ampsivarier.
Für den Blick nach Norden finde ich keinen Grund.)
-----------
Also können es, wenn er an der Ems stand auch keine Ampsivarier gewesen sein. Sonst hätten sie den Aufstand a fronte, von vorne beginnen müssen. (Gut, oder von der Flanke her.)

Ich sagte 'blickte'. Worauf soll sich das beziehen? Auf die Ausrichtung des Lagers oder die Stoßrichtung des Germanicus? Bei der Stoßrichtung muss ich nichts weiter erläutern. Die ging nicht nach Norden.

Die Ausrichtung des Lagers ist schwieriger zu beurteilen. Aber es gibt doch Hinweise. Tacitus spricht von Osten. Und er spricht von Brückenbau wegen der zurückgebliebenen Nachhut. Dazu kennen wir das Grundschema römischer Lager. Das Haupttor war entweder im Osten oder im Westen, der Brücke zugewandt. Also auch hier im Rücken keine Ampsivarier.

B Lokalisierung an, oder nahe bei der Weser:
Schauen wir uns die mögliche Lage an der Weser an. Schaute er nach Osten, Süden oder Westen waren die Angrivarier hinter ihm. Nach Osten blickend auch die Ampsivarier. Aber es kann auch anders gemeint sein. Er kam von der Emsmündung, war wahrscheinlich durch das Gebiet der Angrivarier marschiert. Da würde jeder Militär sagen, dass sie in seinem Rücken waren.

Damit muss aber das Lager an der Weser gewesen sein. (Oder in der Nähe.)

Also ganz einfach: Germanicus landet an der Emsmündung, setzt über, marschiert durch das Gebiet der Angrivarier Richtung Weser und erfährt, nachdem er ihr Gebiet durchquert hat, dass sie sich feindlich zeigen.

Wieso wird immer wieder angenommen, dass es sich bei dem fraglichen Lager um einen Brückenkopf an der Ems handelte?

Weil Tacitus den Bericht vom Aufstand der Angrivarier mit "Römer und Cherusker wurden durch die Weser getrennt." absetzt. Etwas neues beginnt, und der kurze Absatz wird schon zum Vorigen gehören, den Problemen bei der Landung an der Ems. Aber das ist, wie gezeigt eine falsche Annahme.

Handelt es sich um ein Lager an der Weser? Vielleicht um das Lager, wo Arminius erscheint, seinen Bruder zu sprechen? Wahrscheinlich nicht, da Tacitus es als einzelne Episode berichtet. Es lag jedenfalls südlich des Gebiets der Angrivarier. Hier müssten wir den Weg kennen, den das Heer nahm. Dies wird aber kaum rekonstruierbar sein.

Oder schummelt Tacitus hier? Germanicus schickt die Reiter weg, die Arminius vielleicht hätten stellen können. Er berichtet ja zuvor, wie leicht die Bataver über einen Fluss kommen können. Vielleicht nur, um die Kundigen an diesen Fehler zu erinnern, während es dem Rest verborgen bleibt? Gut, dass lehne ich als Spekulation ab. Außerdem ist Stertinius beim Zwiegespräch der Brüder, II,10 wieder anwesend. Aber es muss auch zwischen der Landung und der Schilderung der Ereignisse beim fraglichen Lager eine Cäsur gesetzt werden, was bei Tacitus - und ja, ungünstige Eigenart ist der besserer Ausdruck- ja immer überprüft werden muss. Das Lager kann, egal ob Angrivarier oder Ampsivarier, ganz einfach nicht an der Emsmündung gelegen haben. Damit schildern die Kapitel 8 bis 10, um es deutlich zu sagen, 3, nicht 2 Episoden.

Aber nur so lange, wie man übersieht, das Angrivarier und Ampsivarier geschrieben fast gleich aussehen. Die Ampsivarier kommen in den Annalen sonst kein Mal vor (aber in der Germania), die Angrivarier aber schon. Sogar im gleichen Buch der Annalen. So ist es möglich, dass ein Kopist eine verderbte Stelle Axxxxivarier gutmeinend falsch korrigierte und so ist das dann auf uns gekommen. So würden wir ja wahrscheinlich auch handeln, wenn wir ein verserbtes Wort sehen und ein anderes sieht ähnlich aus.
Das kann Papyrus- der Pergamentfrass gewesen sei oder verwässerte Tinte. Whatever.

Nur, dass eine Emendation hier unnötig, und damit auch unzulässig ist. Könnte das Lager an der Ems verortet werden, dann stimmte ich ihr wahrscheinlich zu, obwohl die Angabe 'a tergo' statt 'a fronte' rätselhaft bliebe. Nur das ist hier eben nicht der Fall.

Das ist jedenfalls sehr viel wahrscheinlicher, als das Germanicus und Arminius über die Weser hinweg hin und her fangen gespielt haben. Das wäre nämlich die Konsequenz der Doublettenthese und das a tergo der Anrgivarier wäre damit auch nicht überzeugend erklärt.

Die Doublettenthese habe ich doch ganz deutlich abgelehnt. Nochmal: Landung an der Ems, Marsch durch das Angrivariergebiet, Aufstandsmeldung im bewussten Lager kurz vor oder an der Weser. Das 'hasch mich'-Spiel hin und her über die Weser habe ich nicht vertreten. Lediglich gezeigt, dass nicht der Brückenkopf an der Ems gemeint war.


Das ist zu lang, es gibt noch einen Post.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei diesen Überlegungen lässt du unberücksichtigt, dass Germanicus die Weser überquerte, um dann plötzlich Arminius gegenüberzustehen. Dieser hätte dann auf dem Westufer gestanden, an dem - die Doublettenthese vorausgesetzt - Germanicus Flotte lag... Das wäre ein ziemliches Hin und Her gewesen... Ohen Doublettenthese hat man dieses Problem, was sich hier ergibt, einfach nicht. Ohen Doublettenthese hat man zwei Überquerungen der Weser, eine auf dem Weg nach Idistaviso und eine irgendwann zwischen Idistaviso und dem Besteigen der Flotte.
Mit Doublettenthese muss man mindestens vier Überquerungen der Weser ansetzen.

Wie gesagt, die Doublettenthese liegt mir fern.

Ich lasse Germanicus und Arminius nicht hüpfen, sage nur, dass Germanicus erst entlang der Weser, oder in der Nähe des Flusses parallel zu ihm oder auf ihn zu nach Süden marschiert sein könnte, bevor er das bewusste Lager errichtete.


(...) Alle vier Fundplätze liegen in einem Radius von etwa 5 km um Bückeburg herum. Beweisen tut das noch gar nichts. Aber ich schrieb ja auch Indiz und nicht Beweis.

Tud mir Leid, das mit dem Indiz hatte ich beim Lesen glatt vergessen. Aber -als Beispiel- dank des Lagers Barkhausen, und der Notwendigkeit, dass Römer hier vorbeigekommen sind, gibt es weitere Erklärungen für eine Konzentration von Münzfunden. Je nach Situation war außerdem auch ein Lager nördlich des Engpasses sinnvoll.


Bis zur Porta Westfalica (Minden-Bückeburg) ist der Verlauf der Weser durch das Gelände (Mittelgebirge!) festgelegt. (...)

Selbst in der Porta Westfalica ist genügend Platz für eine Änderung, wie man hier sieht. Die Legende von 'gerade Platz für Autobahn und Eisenbahn' beruht nur darauf, dass man auf die Seite festgelegt war, wie man am verlinkten Bild erkennt. Und südlich des Engpasses ist deutlich mehr Platz. Da das Phänomen bei den meisten Flüssen selbstverständlich ist, kommt mir das Fehlen an der Weser seltsam vor. Westlich von Paderborn gibt es z.B. das Saatental. Nicht mit so hohen Bergen, aber enger als das Wesertal. Dort war die Alme, wesentlich wasserärmer als die Weser, auch nicht immer ihrem Bett treu. (Und einst, bei den Dinosauriern, soll gar der Rhein dort geflossen sein.)

Hinweis: Link zum Bild wird noch eingefügt, meine Verbindung ist gerade zu langsam. (Erledigt.)

Da die Zeit knapp wird, muss ich später etwas zur 'silva herculi' schreiben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben