Friesische Freiheit

Hallo liebe Geschichtsspezialisten und -interessierte!

Ich schreibe gerade eine Geschichte, die Ende des 12. Jahrhunderts in Friesland in einem Benediktinerinnenkloster spielt. Bei der oberflächlcihen Recherche bin ich auf die "Friesische Freiheit" gestoßen. Demnach gab es in Friesland zu der Zeit keinen klassischen Feudalismus, sondern die Friesen waren direkt dem Kaiser unterstellt.
In meiner Geschichte ist eine wichtige, antagonistische Kraft ein regionaler, weltlicher Herrscher. Wie muss ich mir den denn dann vorstellen?

Freue mich über Informationen oder Links zu dem Thema!

Gruß aus Hamburg!

Jan
 
Ich schreibe gerade eine Geschichte, die Ende des 12. Jahrhunderts in Friesland in einem Benediktinerinnenkloster spielt.
Wo in Friesland?
Da gibt es ja heftige regionale Unterschiede ...

In meiner Geschichte ist eine wichtige, antagonistische Kraft ein regionaler, weltlicher Herrscher.
Meine Oma (aus einer sehr alten wurtfriesischen Familie) würde da die Raubritter von Bederkesa empfehlen, von denen hat sie uns Kindern oft erzählt.
Das wäre dann der östlichste Rand der friesischen Freiheit.
 
Danke für den Stedingerkrieg. Vielleicht bringt der mich weiter, obwohl die Geschichte tatsächlich direkt vor der Julianenflut spielen soll (und auch in dem Gebiet, der dann überschwemmt wird).

Osten der Friesischen Freiheit klingt gut. Wie gesagt, die Geschichte spielt dort, wo heute der Jadebusen ist.

"Die Ritter von Bederkesa waren bereits im fruehen 12. Jahrhundert Dienstmannen - Ministeriale - des Erzbischofs von Bremen."
Burg Bederkesa

Demnach standen sie im Dienst der Kirche. Was eigentlich nicht so schlimm wäre. Ich hatte mir gedacht, dass es neben dem Einfluss des fiktiven Nonnenklosters in der Gegend auch eine andere Macht gibt. Das könnte auch eine kirchliche sein. Wie muss ich mir denn die Raubritter von Bederkesa vorstellen? Waren das normale Ritter mit einer Burg oder sind die herumgezogen? Waren das eher Adlige oder eher Banditen?

Ich dachte ja eigentlich an einen ganz normalen Grafen. Aber dann habe ich eben festgstellt, dass es so einen zu der Zeit in Friesland gar nicht gab.
Was hätte es denn zu der Zeit dort geben können (was dann auch von der Flut überspült hätte werden können)? Oder hat jemand noch eine andere Idee?

Danke aber schon mal soweit!
 
Wie gesagt, die Geschichte spielt dort, wo heute der Jadebusen ist.
Das wäre aber die falsche Weserseite, Land Wursten und Bederkesa sind östlich der Weser.

Demnach standen sie im Dienst der Kirche.
Nur theoretisch. In ihrem eigenen Bereich und bei ihren Auseinandersetzungen mit den Friesen handelten sie meist auf eigene Faust.

Waren das normale Ritter mit einer Burg oder sind die herumgezogen? Waren das eher Adlige oder eher Banditen?
Ein "ganz normales" Rittergeschlecht mit Burg in Bederkesa und einigem Besitz im Umland.

Und ob sie nun "Raubritter" waren, ist durchaus unklar (siehe zu diesem Thema auch die generelle Raubritter-Diskussion hier im Forum http://www.geschichtsforum.de/f48/raubritter-gab-es-die-334/).
Auch sonst empfehle ich Dir noch etwas historische Hintergrundlektüre.

Aus Sicht der Friesen (also meiner Oma) waren sie Raubritter, aber aus Sicht der Ritter kann es auch um die Verteidigung ganz berechtigter Forderungen gegangen sein.
Das hat auch mit den sehr unterschiedlichen Lebensweisen oben auf der Geest (sächsische Siedler, karge Böden, im Binnenland, Feudalstruktur) und unten im Marschland (Friesen, sehr fruchtbares Land, an der Küste mit Deichpflicht, freie Bauern) zu tun.

Ich dachte ja eigentlich an einen ganz normalen Grafen. Aber dann habe ich eben festgstellt, dass es so einen zu der Zeit in Friesland gar nicht gab.
In Friesland in der Tat nicht - die Ritter von Bederkesa waren eben benachbart. Ähnliche feudale Nachbarn wird es in Ost- und Westfriesland gegeben haben.
 
"Land Wursten und Bederkesa sind östlich der Weser"
Danke für die Richtigstellung.

"Ein "ganz normales" Rittergeschlecht mit Burg in Bederkesa und einigem Besitz im Umland."
Danke auch für diese Antwort.

"Auch sonst empfehle ich Dir noch etwas historische Hintergrundlektüre."
Nur zu. Ich lausche gespannt. Ich habe hier schon einiges Grundsätzliches zum Thema Mittelalter und etwas spezieller zum Thema "Deiche", "Klosterleben" und "Frauen im Mittelalter")

"die Ritter von Bederkesa waren eben benachbart"
Das verstehe ich nicht ganz. Meinst du benachbart zur Jadebusengegend?

"Ähnliche feudale Nachbarn wird es in Ost- und Westfriesland gegeben haben."
Aber die müssen sich ja schon vom der üblichen Feudalstruktur unterscheiden. Oder heißt das, es gab Ritter aber keine Grafen?

Danke für's fleißige Antworten!
 
Aber die müssen sich ja schon vom der üblichen Feudalstruktur unterscheiden. Oder heißt das, es gab Ritter aber keine Grafen?
Da würde ich mich an Deiner Stelle mal die politische Landkarte der Gegend genauer anschauen. Mir fielen jetzt die Grafen von Oldenburg ein, die gelegentlich im Mittelalter Konflikte mit den Friesen hatten: Liste der Grafen von Oldenburg ? Wikipedia

Grafen gab es auch nicht wie Sand am Meer, v.a. nicht, wo die herzögliche Gewalt noch recht bedeutend war.

Dir geht es ja um das späte 12.Jh.. Da spielte für Norddeutschland bis 1180 natürlich noch Heinrich der Löwe eine große Rolle.
 
Nur zu. Ich lausche gespannt.
Tut mir leid, aber für ganz allgemeine Grundlagen ist ein Forum nicht das geeignete Medium, da mußt Du zu Büchern greifen.

Meinst du benachbart zur Jadebusengegend?
Nein, benachbart zu Land Wursten.

Aber die müssen sich ja schon vom der üblichen Feudalstruktur unterscheiden.
Nein.
In den Nachbargebieten des freien Frieslands (also fränkische im Westen und sächsische im Osten) gab es die normale mittelalterliche deutsche Feudalordnung, mit Adligen diverser Stufen.

Interessant wäre übrigens die Frage, wen die friesischen Klöster als Klostervogt benannten.
Friesische Adlige gab es ja nicht - sie mußte also entweder auswärtige Adlige nehmen (schönes Konfliktpotential, gerade für einen Roman) oder friesische Bauern.
 
Da muß ich noch eine Anekdote bringen (so ein bißchen als norddeutsche Replik auf Repos schwäbische Geschichten ...):

Auch wenn sich die ostfriesischen Häuptlinge später "Fürsten" nannten, gab es auch nach dem Mittelalter in Friesland keinen Adel. Und das war für Außenstehende nicht immer leicht zu verstehen ...


Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte Land Wursten zum Königreich Hannover. Und eines schönen Tages geruhte die Königin höchstselbst dem Landkreis einen Besuch abzustatten.

Urgroßonkel A. war Landrat und mußte den hohen Besuch empfangen und herumführen.
Und weil im übrigen Königreiche Landräte grundsätzlich Adlige waren, redete ihn in die Königin immer als "Herr von A." an.
Bis er schließlich die Nase voll hatte und sie korrigierte, er hieße schlicht "Herr A.".

Da war die Königen überrascht: "Ja sind sie denn nicht von Adel?"

Antwortete er: "Nein. Bei uns gibt es keine Adligen und keine Juden. Die Juden haben wir rausgeekelt und die Adligen totgeschlagen".

Gab einen Rieseneklat, die Königin ist empört abgereist und der geplante Eisenbahnanschluß nach Dorum wurde zur Strafe gestrichen.

Und die Wurster wählten ihren Landrat mit um so größerer Mehrheit wieder, das hatte ihnen doch gefallen (und überhaupt, wer braucht schon so einen neumodischen Unsinn wie Eisenbahn ...).
 
. Bei der oberflächlcihen Recherche bin ich auf die "Friesische Freiheit" gestoßen. Demnach gab es in Friesland zu der Zeit keinen klassischen Feudalismus, sondern die Friesen waren direkt dem Kaiser unterstellt.
In meiner Geschichte ist eine wichtige, antagonistische Kraft ein regionaler, weltlicher Herrscher. Wie muss ich mir den denn dann vorstellen?

So stolz die Friesen auf ihre Freiheit waren - zunächst waren die Zustände bei ihnen nicht wesentlich anders als in den übrigen Gebieten Deutschlands.

Nach ihrem 802 aufgezeichneten Volksrecht gab es Adel, Freie und Minderfreie oder Liten. In den 17 Küren ist der Adel verschwunden und die Minderfreien sind in den Stand der Freien aufgestiegen. Das bedeutet jedoch nicht Selbstverwaltung, Unabhängigkeit vom König und dessen Beauftragtem. Die Grafen übten nicht weniger Rechte aus als anderswo.

Dass die Friesen sich dieser oberherrlichen Gewalt entzogen, war das Ergebnis einer Entwicklung, die sich noch deutlicher in Stedingen verfolgen lässt, und den Anstoß gaben dort wie hier die Zugezogenen, die Siedler, die anlässlich des Deichbaus Pachthöfe erhalten hatten. Während es anfänglich nur um Geld bzw. Geldeswert ging, erwachte bald das Bestreben, in jeder Hinsicht unabhängig zu sein.

Durch gemeinsame Küstensicherung, insbesondere den Deichbau, konnten die Friesen um das Jahr 1000 die persönliche Unabhängigkeit in der später so genannten "Friesischen Freiheit" erringen. Um 1327 behaupteten die Östringer und Wangerländer gegenüber König Philipp VI. von Frankreich, sie seien keinem weltlichen Fürsten untertan, auch nicht dem deutschen König, und regierten sich selbst durch Richter, die alle acht Jahre neu gewählt würden.

Angeblich soll bereits Karl der Große den Friesen das Recht verliehen haben, keinen anderen Herrn als den Kaiser über sich zu haben. In der Tat war das Feudalsystem in Friesland kaum ausgeprägt und mit den "Häuptlingen" etablierte sich nach den "Richtern" eher ein Gefolgschaftssystem, das an germanische Zeiten erinnert.

Als die Grafen von Holland im 13. Jh. und die ostfriesischen Grafen der Dynastie Cirksena im 15. Jh. aufkamen, begann eine Zersplitterung Frieslands und die Aushöhlung der "Friesischen Freiheit", mit der es dann Ende des 15. Jh. engültig vorbei war.

Gute Informationen bringt hierzu:

Friesische Freiheit ? Wikipedia
 
Geschichte von Hadeln und Wursten ? Wikipedia scheint wohl auch nicht schlecht zu sein.
Anm.: Der Artikel ist als Lesenswerter Artikel kategorisiert; die Heimatkundigen der Region mögen Unstimmigkeiten o. dgl. ggf. korrigieren...

Im Abschnitt Hochmittelalter - für die laufende Diskussion hier relevant - gibt es auch einige Anmerkungen zu den Herren von Bederkesa.
Obgleich ich die Qualität eines anderen Artikels nicht zu beurteilen vermag, findet sich zu ihnen außerdem in Bad Bederkesa - Geschichte - Wikipedia noch etwas (wenngleich natürlich der Abschnitt 11. Jahrhundert schon einmal dahingehend unkorrekt ist, daß er eigentlich 12. Jahrhundert heißen müßte).
 
Sehe ich auch so.

Da findet man auch:
"Die Herren von Bederkesa ... beanspruchten ... die Gerichtsbarkeit im Land Wursten, aber nur in der Börde Debstedt und in Lehe setzten sie sich durch."
und
"1255 und 1256 unternahmen die Ritter von Bederkesa zwei Raubzüge nach Wursten. Der zweite misslang völlig. Einige Edelherren und viele Ritter kamen um."

Das sind wohl die historischen Grundlagen der Geschichten von den "Raubrittern von Bederkesa", die auch meine Oma erzählte.
 
Ich dachte erst, dass Wort "Häuptling" sei ein frei erfundendes Konstrukt der modernen Historiker, aber mal wieder falsch gedacht.
Laut Grimms Wöterbuch gab im altfriesischen tatsächlich so ein ähnliches Wort als Bezeichnung für einen Adeligen: hâvding oder hâvdling
 
"In der Tat war das Feudalsystem in Friesland kaum ausgeprägt und mit den "Häuptlingen" etablierte sich nach den "Richtern" eher ein Gefolgschaftssystem, das an germanische Zeiten erinnert."

"zunächst waren die Zustände bei ihnen nicht wesentlich anders als in den übrigen Gebieten Deutschlands"

Widerspricht sich das nicht?


Aber wow! Danke für die zahlreichen und hilfreichen Antworten und Wiki-Links. Die geben mir erstmal etwas Stoff zum Forschen. Vor allem muss ich mir über die komplizierten Feudalstrukturen klar werden und den Zusammenhang zum Kirchenpolitik.

"Interessant wäre übrigens die Frage, wen die friesischen Klöster als Klostervogt benannten. Friesische Adlige gab es ja nicht - sie mußte also entweder auswärtige Adlige nehmen (schönes Konfliktpotential, gerade für einen Roman) oder friesische Bauern."

Das ist wirklich schön. Vielleicht ist der Klostervogt der Antagonist. Wobei die Frage ist, ob dieser Titel vererbbar war und wie das Amt speziell bei Frauenklöstern aussah. Besteht die Möglichkeit, dass ein Klostervogt in dieser Zeit versucht, seine Macht auf Kosten des Klosters auszubauen und in den Adel aufzusteigen?


"Tut mir leid, aber für ganz allgemeine Grundlagen ist ein Forum nicht das geeignete Medium, da mußt Du zu Büchern greifen."
Das ist mir natürlich klar. Ich habe das nur so verstanden, dass Du mir Literatur empfehlen wolltest, hast aber dann keine Angaben gemacht.
 
"In der Tat war das Feudalsystem in Friesland kaum ausgeprägt und mit den "Häuptlingen" etablierte sich nach den "Richtern" eher ein Gefolgschaftssystem, das an germanische Zeiten erinnert."

"zunächst waren die Zustände bei ihnen nicht wesentlich anders als in den übrigen Gebieten Deutschlands"

Widerspricht sich das nicht?

Das widerspricht sich nicht!

Bis etwa ins Jahr 1000 gab es in Friesland eine aus dem fränkischen herrührende Grafengewalt, die sich - wie oben beschrieben - ohne große Probleme durchsetzte. Mit dem Küstenschutz, dem Deichbau und unbilligen Forderungen der Grafen setzte in Friesland jedoch ein Prozess der Unabhängigkeit ein, der in der so genannten "Friesischen Freiheit" gipfelte. Die Richter und später die Häuptlinge tangierten diese friesischen Freiheitsrechte nicht oder nur wenig.

Erst im 15. Jh. kam eine neue Grafengewalt auf, die in Ostfriesland vom Geschlecht der Cirksena getragen wurde, die dem Kaiser Ostfriesland zu Lehen auftrugen, das nunmehr zur Reichsgrafschaft erhoben wurde. Somit endete etwa um 1500 die "Friesische Freiheit".

Bezeichnend ist, dass sich die Grafengewalt in Ostfriesland niemals vollständig durchsetzen konnte und der Graf über Jahrhunderte hinweg mit unbotmäßigen Ständen sowie der nach Unabhängigkeit strebenden Stadt Emden zu kämpfen hatte. Die von den Grafen versuchte Durchsetzung einer absoluten Regierungsweise im 17. Jh. scheiterte jämmerlich. Bezeichnenderweise wurde somit auch niicht das stolze Emden zur Hauptstadt des Landes, sondern das winzige Aurich.
 
Kommt nicht der Ausspruch: Lewer düd als Slaav aus dem Zusammenhang mit der friesischen Freiheit?
 
Angeblich soll bereits Karl der Große den Friesen das Recht verliehen haben, keinen anderen Herrn als den Kaiser über sich zu haben. In der Tat war das Feudalsystem in Friesland kaum ausgeprägt und mit den "Häuptlingen" etablierte sich nach den "Richtern" eher ein Gefolgschaftssystem, das an germanische Zeiten erinnert.

Noch vor Karl d. Gr. hat es allerdings Verbitterung bei d. Friesen gegeben wegen der Verbindung von fränk. Eroberung und darauffolgender Missionierung.
Die Friesen schienen der Christianisierung nicht grundsätzlich ablehenend gegenübergestanden zu haben,aber nach Pippins Tod 714, als das Frankenreich durch Nachfolgekämpfe geschwächt war, gelang den Friesen die Rückeroberung verlorengegangener Gebiete im Süden ihres Ausdehnungsgebietes. Der aus den Nachfolgekämpfen siegreiche Karl Matell stieß dann seinerseits bis in den Norden Frieslands vor und karolingisierte damit die in d. Völkerwanderung seßhaft gebliebenen sturen Friesen.
Die friesische Mission war also karolingisch und päpstlich, da sich die Friesenmissionare den Missionsauftrag aus Rom haben absegnen lassen....sodass das "Recht" der Friesen, keinen anderen Herren , als den Kaiser von röm. Gnaden über sich zu haben, eher einer dringenden Pflicht entsprach, schließlich gab es auf das neue friesische Erzbischofsamt noch Begehrlichkeiten aus der klerikalen Ecke.....:scheinheilig:
 
Huiuiui. Ich dachte, das sei ein kleines Thema. Aber es scheint ja doch relativ kompliziert zu sein. Erstaunlich und erfreulich, dass sich hier so viel Spezialwissen zusammenfindet.

Gibt es zu dem Thema eigentlich spezifische Literatur? Oder muss man sich da durch Archive und allgemeine Literatur wühlen?
 
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