Nach Vouillé: Ostgotische Suprematie über die Westgoten

Ja, auf S. 309. Leider macht auch Wolfram keine Angaben dazu, auf welche Quellen er sich stützt. Auf welche antiken Schriften, Briefe, Urkunden, was auch immer, geht die Annahme zurück, Theoderich habe die westgotische Königswürde für sich selbst beansprucht und sich als westgotischer König bezeichnet?
 
Auch Wolfram nennt Theoderich "König der Westgoten" und schreibt nicht von der Vormundschaft.

Walter Pohl schreibt dazu folgendes:

Der bei Vouillé umgekommene Westgotenkönig Alarich II. war seit 493 mit Theoderichs Tochter Thiudigoto verheiratet gewesen; die Thronrechte ihres minderjährigen Sohnes Amalarich nützte der Ostgotenkönig, um sich in die westgotischen Thronfolgekämpfe einzuschalten. 511 setzte er sich gegen einigen Widerstand durch und ließ sich selbst von den Westgoten zum König erheben ...

In Wirklichkeit wurde die Herrschaft der Goten aus Italien im Westgotenreich wohl von vielen als Fremdherrschaft empfunden. Doch hielt sich das ostgotische Regime bis zum Tod Theoderichs und dann regierten Amalarich und danach der langjährige ostgotische Statthalter Theudis noch bis 548.

(Walter Pohl, Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration, Stuttgart 2002/2005, S. 144 f.)
Folgt man dieser Schilderung, hat Theoderich nicht als Vormund regiert, sondern die westgotische Königswürde unter Umgehung der Ansprüche Amalarichs usurpiert. Ob auch andere Historiker dieser Meinung folgen, müsste man anhand weiterer Sekundärquellen klären.
 
Der besseren Verständlichkeit halber und um mich nicht wiederholen zu müssen, zitiere ich einmal, was ich bislang zu diesem Thema geschrieben habe:
Eine Legitimität als Herrscher der Westgoten brauchte er nicht, da er nicht ihr König war. Um als Regent für Amalarich fungieren zu können, reichten die Verwandtschaft und seine tatsächliche Macht.
Amalarich war der legitime Sohn von Alarich II., Gesalech der illegitime. Aber Du hast schon recht, unproblematisch war es nicht, Amalarich als König durchzusetzen. Dazu musste Theoderich ein Heer schicken, das den Gesalech schlug und Amalarich mit Waffengewalt durchsetzte. Also nix mit Anerkennung wegen Legitimität durch (angeblich) gefälschten Stammbaum.
Toll, dass Du Wikipedia den Quellen vorziehst ...
Aber gut, bleiben wir bei Wikipedia: In der englischen Version des Artikels Gesalec - Wikipedia, the free encyclopedia heißt es: "Theodoric acted as regent for Gesalic's half-brother, Amalaric, until Amalaric was old enough to take the throne."

Aber widmen wir uns lieber den Quellen. Prokopios (Kriegsgeschichte 5,12) schreibt: "Nachdem Giselich aus dem Weg geschafft war, übertrug er die Herrschaft der Visigoten seinem Tochtersohne Amalarich, über welchen er die Vormundschaft führte, weil er noch ein Knabe war, nahm alle Schätze, welche in der Stadt Carcassonne lagen, mit sich und ging eiligst nach Ravenna zurück."
Auch Iordanes schreibt in der Getica 58 lediglich davon, dass Theoderich für Amalarich gesorgt und ihn beschützt habe - dabei hätte doch Iordanes noch am ehesten Grund gehabt, Theoderich zum Westgotenkönig zu deklarieren, um ihn zu verherrlichen.

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Gegenwartsliteratur und Wikipedia-Artikel zu diesem Thema hatten wir jetzt schon so einige, aber meine Frage bleibt bestehen: Worauf stützt sich die Annahme, Theoderich wäre offizieller Westgotenkönig gewesen und nicht bloß faktischer Herrscher aufgrund seiner Regentschaft für Amalarich, wie das Prokopios und Iordanes sagen bzw. nahelegen? Mich interessiert jetzt nicht noch ein heutiges Buch, sondern der Beleg, auf den sich die heutigen Historiker stützen. Erst wenn wir den kennen, können wir uns Gedanken darüber machen, ob er mehr Wert hat als Prokopios und Iordanes. Andernfalls sollten wir in Betracht ziehen, dass einfach ein Historiker vom anderen abschreibt, wie das bei so manchen Wissenschaftsmythen (Stichwort Jugend von Arminius) der Fall ist.
 
Gregor von Tours schreibt in 2,37 auch nur davon, dass Amalarich die Herrschaft seines Vaters übernommen habe.

Und um auch einmal ein Zitat aus der heutigen Literatur zu bringen:
In Band 9 der "Fischer Weltgeschichte" heißt es auf S. 202:
"Im Namen des unmündigen Westgotenkönigs Amalarich, für den er die Regentschaft führte, eroberte Theoderich anschließend Septimanien für die Westgoten zurück und stürzte in Spanien den Gegenkönig. Während der Regentschaft über Spanien stärkte Theoderich seine Position durch Bündnisse mit den Thüringern, einem mächtigen germanischen Stamm im Rücken der Franken, und mit den Herulern an der Donau."
 
eventuell liegt auch einfach nur ein kleiner Flüchtigkeitfehler vor? Da wird dann ganz schnell aus einem Regenten ein König. Ich habe auch einmal die Variae von Cassiodor überflogen und nichts von einer Königserhebung gefunden, allerdings auch nichts über die Amtsgeschäfte als Regent im Westgotenreich.
Eventuell steht allerdings mehr bei Iordanes oder Isiodor.
Die Verbindung mit den Thüringern und den Herulern ist doch noch aus der Zeit vor 507 um eben eine Schlacht und ein Ausgreifen der Franken zu verhindern.
 
Bei Ensslin heißt es, dass seit 511 n. Chr. nicht mehr die gebräuchliche Datierung nach den Konsuln fortgeführt wurde, sondern nach den Regierungsjahren Theoderichs.

Vor Beginn der Regierung Amalarichs beanspruchte Theoderich d. Gr. das Verfügungsrecht über die spanischen Steuereinkünfte. Und ein Teil des westgotischen Königsschatzes war nach Ravenna überführt worden. Dieser wurde dann zurückgegeben.

Das sagt nun natürlich nicht konkret etwas über eine westgotische Königswürde aus, aber doch über eine komplette Verfügungsmacht. Ensslin benutzt den Begriff „Personalunion“.
 
Vor Beginn der Regierung Amalarichs beanspruchte Theoderich d. Gr. das Verfügungsrecht über die spanischen Steuereinkünfte. Und ein Teil des westgotischen Königsschatzes war nach Ravenna überführt worden. Dieser wurde dann zurückgegeben.
Ja, das steht auch bei Prokopios so. Allerdings machte Theoderich den Westgoten im Gegenzug jährlich ein "Geschenk".
 
Ensslin benutzt den Begriff „Personalunion“.

Ja, der moderne Begriff "Personalunion" scheint mir die etwas verworrenen Verhältnisse der westgotischen Thronfolge nach Alarich II. am besten zu chrakterisieren. Vermutlich war selbst den Zeitgenossen nicht ganz klar, ob sie mit Theoderich nun einen westgotischen König oder lediglich einen Regenten vor sich hatten.

Bedenklich muss stimmen, dass Theoderich - wie Pohl schreibt (s.o.) - auch nach Amalarichs Volljährigkeit weiterhin als Westgotenkönig regierte, was erst mit seinem Tod endete. Da war Amalarich immerhin bereits 26 Jahre alt. Das könnte darauf hinweisen, dass Theoderich tatsächlich als westgotischer König amtierte.
 
Ich denke, das sich das nur durch Quellen lösen läßt. Wie gesagt, beim Überfliegen der Variae habe ich keine Briefe gefunden, die auf eine große Einflußnahme von Seiten Theoderichs hindeuten. Ob er das nun direkt oder über einen Statthalter vollzogen hat, ist eigentlich egal. Denn bei der Fülle an Informationen die Cassiodor aufzeigt und auch bei dem weiten Themenspektrum hätte ich erwartet, dass dazu immerhin einzelne Briefe zu finden sind.
Zur "Regentschaft" Theoderichs bis zum Tod: Ich denke das spiegelt einfach den Einfluß den Theoderich hatte, bzw. sich selbst zugeschrieben hat, wieder. In einigen Briefen gerade um die Jahre des Fränkisch/Westgotischen Konflikts herum zeigt sich ja auch wie Theoderich mehr oder weniger direkt das Vorgehen der mit den Ostgoten verbündeten Stämme diktiert. Mit der Vormundschaft über den anfangs noch nicht volljährigen Amalarich hat er da ja eine starke Position inne, die er dann wohl als "Väterlicher Berater" (so könnte ich ihn mir vorstellen) einfach weiter ausfüllt. Aber wie gesagt, Quellen wären wohl das, was uns da weiter bringt, wobei mir eigentlich keine Quellen einfallen die dieses Thema genauer beleuchten.
 
Ja, der moderne Begriff "Personalunion" scheint mir die etwas verworrenen Verhältnisse der westgotischen Thronfolge nach Alarich II. am besten zu chrakterisieren. Vermutlich war selbst den Zeitgenossen nicht ganz klar, ob sie mit Theoderich nun einen westgotischen König oder lediglich einen Regenten vor sich hatten.

Bedenklich muss stimmen, dass Theoderich - wie Pohl schreibt (s.o.) - auch nach Amalarichs Volljährigkeit weiterhin als Westgotenkönig regierte, was erst mit seinem Tod endete. Da war Amalarich immerhin bereits 26 Jahre alt. Das könnte darauf hinweisen, dass Theoderich tatsächlich als westgotischer König amtierte.

Theudis war ab 507 Regent in Spanien, als Statthalter Theoderichs, Amalrich war ab 522 der offizielle König, also schon vor Theoderichs Tod. Nachdem er ermordet wurde - er hatte wohl aus der Sicht seiner Soldaten sein Königsheil verloren, als er einen Feldzug gegen die Franken einfach abbrach - übernahm wiederum Theudis, der ja schon zuvor die Geschicke der Westgoten geleitet hatte, die Königswürde.
 
Ja, der moderne Begriff "Personalunion" scheint mir die etwas verworrenen Verhältnisse der westgotischen Thronfolge nach Alarich II. am besten zu chrakterisieren.
Der Begriff "Personalunion" ist aber nur dann angebracht, wenn jemand rechtlich (also nicht bloß faktisch) König zweier Königreiche ist, also z. B. Jakob I. von England und Schottland, diese aber ansonsten über getrennte Verwaltungsapparate etc. verfügen. (Bei intensiverer Integration spricht man von einer "Realunion".) Auf Ost- und Westgoten passt der Begriff also nur, wenn Theoderich tatsächlich hier wie dort offizieller König war.

Vermutlich war selbst den Zeitgenossen nicht ganz klar, ob sie mit Theoderich nun einen westgotischen König oder lediglich einen Regenten vor sich hatten.
Die Frage ist doch: Wurde Theoderich jemals offiziell zum König der Westgoten proklamiert? (Oder hat er sich zumindest selbst dazu proklamiert?) Falls er sich lediglich in für die Westgoten verfassten Schriftstücken als "rex" bezeichnet hat, ohne näheren Zusatz, dann kann damit auch bloß seine Funktion als König der Ostgoten bzw. Rex Italiae gemeint sein, um nicht den Westgoten gegenüber titellos zu erscheinen.

Bedenklich muss stimmen, dass Theoderich - wie Pohl schreibt (s.o.) - auch nach Amalarichs Volljährigkeit weiterhin als Westgotenkönig regierte, was erst mit seinem Tod endete. Da war Amalarich immerhin bereits 26 Jahre alt. Das könnte darauf hinweisen, dass Theoderich tatsächlich als westgotischer König amtierte.
Möglich, aber nicht zwingend. Es gibt in der Geschichte auch anderweitig Beispiele, dass auch volljährige Monarchen von den wahren Machthabern von der Macht ferngehalten wurden.
 
Falls er sich lediglich in für die Westgoten verfassten Schriftstücken als "rex" bezeichnet hat, ohne näheren Zusatz, dann kann damit auch bloß seine Funktion als König der Ostgoten bzw. Rex Italiae gemeint sein, um nicht den Westgoten gegenüber titellos zu erscheinen.

Und deshalb sollten wir Sheiks Vorschlag folgen und uns, anstatt hier wenig fruchtbringend Thesen zu diskutieren, ad fontes begeben.
 
Darum habe ich ja auch schon in meinen Beiträgen #2 und #5 gefragt, auf welche spätantiken Quellen sich die Behauptung mancher moderner Autoren stützt, Theoderich sei Westgotenkönig gewesen. Ich habe bisher nur Aussagen von Prokopios und Iordanes gefunden, die das Gegenteil sagen bzw. zumindest nahelegen. Marcellinus Comes und der Anonymus Valesianus gehen leider nicht auf Theoderichs Aktivitäten im Westgotenreich ein.
 
Laut Gregor von Tours war Amalrich selbst König:
Porro rex, cum, fugatis Gothis, Alaricum regem interfecisset, [...] De hac pugna Amalaricus, filius Alarici, in Spaniam fugit regnumque patris sagaciter occupavit.
Allerdings ist die Glaubwürdigkeit von Gregor hier anzuzweifeln, denn wie ein gerademal Fünfjähriger die Herrschaft seines Vaters "sagaciter" (scharfsinnig, klug) besetzen kann, will mir nicht ganz klar werden.
 
Ich weiß ja nun nicht, ob es von sooo entscheidender Bedeutung ist, ob der Knirps nun als "rex" tituliert wurde oder nicht. Die Macht lag definitiv in den Händen Theoderichs und seiner Ostgoten, der westgotische Adel war weitestgehend ausgeschaltet
 
Jordanes schreibt, Theoderich habe Theudis als Beschützer oder Vormund (tutorem) Amalrichs eingesetzt:
Nam et Thiudem suum armigerum post mortem Alarici generi tutorem in Spaniae regno Amalarici nepotis constituit. qui Amalaricus in ipsa aduliscentia Francorum fraudibus inretitus regnum cum vita amisit. post quem Thiudis tutor eodem regno ipse invadens, Francorum insidiosam calumniam de Spaniis pepulit, et usque dum viveret, Vesegothas contenuit.
Nach dem Tod seines Schwiegersohnes (generi) Alarich bestimmte er seinen Waffenträger Theudis als Vormund seines Enkels Amalrich im Königreich Spanien.
Amalrich sei aber trotzdem in seiner Jugend von den Franken betrogen und seines Lebens verlustig geworden, wonach Theudis sie vertrieb und solange er lebte die Westgoten zusammenhielt.
 
Das bestreitet auch niemand.

Die Ausgangsfrage war allerdings gewesen, ob es Theoderich wichtig war, sich gegenüber dem westgotischen Adel als besonders ruhmreicher und traditionsbeladener König darzustellen. Sozusagen als natürlicher Herrscher über alle Goten. Und das kann man angesichts der politischen Situation sicherlich bejahen.
 
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