Reiternomadischer Kulturkomplex des 4.-5. Jahrhundert n. Chr.

Witege

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Da Boiorix in dem anderen Thread nicht antworten wollte, mache ich dieses neue Thema auf:

Nb. Man findet anscheinend bei den « Frühbayern » auch die Schädeldeformation, die sonst bei Thüringrrn, Goten, Langobarden und Burgundern vorkommt (J.Werner: « Beiträge zur Archäologie des Attila-Reiches » S. 17), die aber auf dieSarmaten zurückgeht.

Naja wie schon Marbod in einem anderen Thread genannt hat, gehen die Turmschädel eher auf den "reiternomadischer Kulturkomplex des 4.-5. Jahrhundert n. Chr." zurück.
Der Brauch der künstlichen Kopfdeformation (also den zirkulären Deformationstypus mit konischer bis zylindrischer Ausprägung, der eine turmartige Verlängerung des Kopfes und den Eindruck einer hohen Stirn bewirkt) kam wohl in nachchristlicher Zeit in Zentralasien bei Pamir bei einer mongoliden Bevölkerungsgruppe auf und hat sich von hier im Laufe von 400 Jahren bis nach Mitteleuropa ausgebreitet. Da sich die Ausbreitung in Mitteleuropa zufälligerweise genau mit dem hunnischen Einflußbereich deckt (Alamannen, Bayern, Thüringer, Burgunder usw.), wird eigentlich angenommen, dass nicht die Awaren bzw. Sarmaten sondern die Hunnen für diesen Brauch verantwortlich waren.
Auch die Tatsache, dass die Trumschädel in Bayern nicht nur bei Germanen, sondern auch bei Asiaten, während der Hunnenzeit vorkamen, spricht dafür, dass evtl. Reste der Hunnen (also Flüchtlinge und versprengte Einzelpersonen und kleine Gruppen) in bajuwarischen Siedlungen eine neue Heimat gefunden haben.
(Vgl. Schröter, Peter: Zur beabsichtigten künstlichen Kopfumforumng im völkerwanderungszeitlichen Mitteleuropa, in: Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488-788, München u. Salzburg 1988.)

Oder welche Gründe hast du dafür, dass du die Sarmaten dafür verantwortlich siehst?
 
Zum neuen Thread: Reiternomaden

Hallo Witege
Ich weiss nicht, ob das eine gute Initiative war. Wir haben ja einiges schon diskutiert im Thread <<Ethnogenese und frühe Geschichte der Goten>> und meine 2 Beiträge in <<Attila und die Hunnen>>oder <<Troiamythus>> gehen in die selbe Richtung, genau so wie meine Bemerkung zu den Alanen in Portugal, von meinen diversen Äusserungen zu der Gestalt des "Siegfried" in den zwei entsprechenden Threads ganz zu schweigen.
Soll ich das wirklich Alles nochmals herbeten?
Das Thema, wie Du es gestellt hast, ist so umfangreich, dass wir uns da bestimmt an einem Detailproblem festdiskutieren werden, genau so, wie wir jetzt von den Agilolfingern zu den Reiternomaden gekommen sind, via Schädeldeformation, was für die Frage nach den Agilolfingern nun doch wirklich sekundär ist.
Allein der zentralasiatische Komplex bietet so viele Interpretationsmöglichkeiten und so wenig Material, im Verhältnis zu seiner Grösse, dass ich mich nicht für ihn interessiere.
Zudem waren wohl alle Reitervölker, die für Europa und für die Zeit bis etwa 500 eine Rolle spielen, iranophon.
Für sie interessiere ich mich, denn sie sind für unsere Vergangenheit ungleich wichtiger als unsere auf die Germanen fixierte Geschichts-Schreibung sich träumen lässt. Aber dieser Einfluss ist eben kein politik-geschichtlicher, sondern ein kulturgeschichtlicher und da gibt's Unerwartetes:
Im Languedoc-Roussilion, ehemals westgotisches Herrschaftsgebiet, wurde die Schädelverformung , wenn auch gemässigt, noch bis zum ersten Weltkrieg praktiziert. Weil es klug macht! (hohe Stirn)
Oder:
Bei Herodot findest du (IV, 5-10)findest Du die Genealogie der Skythen.
Genau das gleiche Schema gibt es in der persischen Mythologie (Shah Nameh),den angelsächsischen Genealogien der Anglosaxon Chronicle, bei dem "Maison de Monglane" der französischen Chansons de Geste, in der Thidreksaga für Thidreks Familie und bei Snorri Sturluson (Formali) für die nordischen Gôtter.
Na, erkläre mir die Parallelen.
Aber dass derartige Probleme hier keinen Menschen interessieren, das konnte ich feststellen, als ich hier Material vorstellte, das Zusammenhänge zwischen der Alanisch-ossetischen Mythologie und der Siegfriedsage belegt.Was wiederum Rückschlüsse auf historische Vorgänge erlaubt.
Was solls? Die Germanolatrie des 19. Jh ist noch lange nicht überwunden, Und deshalb sehe ich schwarz für diesen Thread. Aber Du hast ihn nun einmal eingeführt.
Wir werden ja sehen...
 
Allein der zentralasiatische Komplex bietet so viele Interpretationsmöglichkeiten und so wenig Material, im Verhältnis zu seiner Grösse, dass ich mich nicht für ihn interessiere.
Zudem waren wohl alle Reitervölker, die für Europa und für die Zeit bis etwa 500 eine Rolle spielen, iranophon.
Auch wenn du nicht an die Hunnen als Volk glaubst, mußt du zugeben, dass zu den Hunnen auch asiatische Menschen gehörten. Um jetzt auf den Ursprung der Hunnen und auch der Turmschädel schließen zu können, muß man wohl "leider" den zentralasiatischen Komplex betrachten.

Im Languedoc-Roussilion, ehemals westgotisches Herrschaftsgebiet, wurde die Schädelverformung , wenn auch gemässigt, noch bis zum ersten Weltkrieg praktiziert. Weil es klug macht! (hohe Stirn)
Auch die Alanen und Teile der Franken standen unter Einfluß der Hunnen...

Aber dass derartige Probleme hier keinen Menschen interessieren, das konnte ich feststellen, als ich hier Material vorstellte, das Zusammenhänge zwischen der Alanisch-ossetischen Mythologie und der Siegfriedsage belegt.
Es hat ja niemand mit dir diskutiert, oder? Ich fand es sogar erst einmal interessant, aber eben nicht überzeugend. Aber dazu (und auch zu Snorri und der Thidriksaga) wurde schon genug geschrieben...

Was wiederum Rückschlüsse auf historische Vorgänge erlaubt.
Was solls? Die Germanolatrie des 19. Jh ist noch lange nicht überwunden, Und deshalb sehe ich schwarz für diesen Thread. Aber Du hast ihn nun einmal eingeführt.
Hast wohl recht...
Ich hatte die Hoffnung, dass du wirkliche Belege hast, die du durch neuere Literatur belegen kannst (immerhin ist der von mir angegebene Aufsatz auch schon fast 20 Jahre alt).
 
Hallo WITEGE

Du schreibst
Zitat//Auch wenn du nicht an die Hunnen als Volk glaubst, mußt du zugeben, dass zu den Hunnen auch asiatische Menschen gehörten. Um jetzt auf den Ursprung der Hunnen und auch der Turmschädel schließen zu können, muß man wohl "leider" den zentralasiatischen Komplex betrachten.//
“Asien” war im Altertum und Mittelalter alles was östlich des Don lag. Also waren die Hunnen “Asiaten”. Aber auch dass zentralasiatische Elemente unter den Hunnen waren, das bezweifle ich nicht. Einzelne Individuen, Kleingruppen. Jedenfalls kam weder die Masse der Hunnen, noch ihre herrschende Schicht aus Zentralasien, wie alle Welt will.
Es gab Vandalen in Kleinasien, von den Byzantinern deportiert, Kaukasier in Ägypten, die Mameluken, von den Osmanen dorthin geschickt und der bayrische Ritter Schiltberger diente in Tamerlans Heer, mit anderen Europäern. Also warum nicht ein Türke oder Mongole unter den Hunnen, oder mehrere?
Das macht aus den Hunnen keine Türken, Mongolen oder irgendwelche Zentralasiaten. Allerdings bin ich von einem starken Einfluss eines sibirisch-zentralasiatischen Schamanismus überzeugt. Aber das macht die Hunnen so wenig zu “Asiaten”, wie die arbiträre Don-Grenze.
Priscus erzählt von einem römischen Offizier ( um 467), der von sich sagt, er sei Hunne, und stolz darauf. Der Mann heisst <Chelchal> und der Hunnenspezialist Maenchen-Helfen erwägt die Oguren und Kirgisen als Paten, ehe er aufgiebt.
Die Selbstbezeichnung der autochthonen kaukasischen Inguschen ist “Khelkhay”.
“Zentralasiaten” sind sie nicht.


Ich habe zur Schädeldeformation den Westgotischen Einfluss im Roussilion erwähnt. Du verweist auf Alanen und Franken. Ja, und?
Für die Alanen ist es bekannt und auf den hunnischen Einfluss bei den Franken weise ich in meinem Beitrag “Troiasage” hin. Immerhin ist aber gerade diese Sitte bei ihnen nicht nachgewiesen. Kulturelle Einflüsse bestreite ich ja nicht, ich gehe ihnen nach.
Willst Du sagen, ohne zentralasiatische Herkunft hätten die Hunnen gar keinen Einfluss ausüben können?


Was ich an Antworten zu meinen Osseten/Alanen-Hinweisen bekommen habe, das zeigte, dass auch niemand an dieser Spur interessiert ist. Statt dessen diskutiert man über die Kopfschuss-Idee “Arminius=Siegfried”. Wie Cato mich kommentierte “Jetzt sollen die armen Sarmaten auch noch für die Siegfriedsage verantwortlich sein.”
Was ich da an Material vorgestellt habe, das hat Dich nicht überzeugt? Warum hast Du nicht gefragt, oder Deine Zweifel geäussert?


Du meinst, ob ich zu dem Fragenkomplex neues Material habe? Allerdings klassifiziere ich die iranophonen Nomaden nicht global als Zentralasiaten.

Allerdings, aber das wird den Germanenfans kaum lieb sein. Das geht nämlich an ihr Glaubensbekenntnis.
Und es bezieht sich auch nicht auf Zentralasien.

Tatsächlich ist vieles an diesen Fragen einProblem des Referenzrahmens, der Definition/Klassifikation (Inguschen? Europäer? Asiaten?).




Gruss
BOIORIX
 
Ich habe zur Schädeldeformation den Westgotischen Einfluss im Roussilion erwähnt. Du verweist auf Alanen und Franken. Ja, und?
Was macht dich so sicher, dass der Einfluß nicht auf die Alanen zurückgeht?

Für die Alanen ist es bekannt und auf den hunnischen Einfluss bei den Franken weise ich in meinem Beitrag “Troiasage” hin. Immerhin ist aber gerade diese Sitte bei ihnen nicht nachgewiesen.
Naja es gibt schon Turmschädel in fränkischem Gebiet (am Rhein), aber du hast in so weit recht, dass sie wohl nicht für diese Sitte in dem von dir genannten Gebiet verantwortlich sein können (viel zu wenige).

Trotzdem ist es aber komisch, dass nicht einmal die hunnischen Merowinger ein paar Getreue mitTurmschädel in ihr Gebiet brachten, oder nicht??? Wahrscheinlich kommen sie doch aus Troja...


Willst Du sagen, ohne zentralasiatische Herkunft hätten die Hunnen gar keinen Einfluss ausüben können?
Nein. Ich möchte damit sagen, dass sie es auch damit möglich ist und deine Theorie immer noch nichts dagegen aussagt. Das einzige was du machst, ist irgendwelche Vermutungen über irgendwelche "falsche Interpretationen" der Germanenliebhaber aufzuzählen, ohne auch nur in einem Punkt entscheidend die mongolide Herkunft (du hast asiatisch ja verstanden...) widerlegen zu können.

Natürlich waren auch Sarmaten und andere europide Nomaden bei den Hunnen (so wie auch Sarmaten zu den Goten gehören), aber das heißt nicht, dass die mongoliden Hunnen als Ausgangspunkt für die Turmschädel widerlegt werden können oder diese "asiatischen" Menschen die Herrscherschicht bildete.


Was ich an Antworten zu meinen Osseten/Alanen-Hinweisen bekommen habe, das zeigte, dass auch niemand an dieser Spur interessiert ist. Statt dessen diskutiert man über die Kopfschuss-Idee “Arminius=Siegfried”. Wie Cato mich kommentierte “Jetzt sollen die armen Sarmaten auch noch für die Siegfriedsage verantwortlich sein.”
Evtl. ist dir aufgefallen, dass ich und auch andere auch diese Theorie für unwahrscheinlich halte...


Was ich da an Material vorgestellt habe, das hat Dich nicht überzeugt? Warum hast Du nicht gefragt, oder Deine Zweifel geäussert?
Habe ich nicht? Oder hat sonst niemand?


Du meinst, ob ich zu dem Fragenkomplex neues Material habe? Allerdings klassifiziere ich die iranophonen Nomaden nicht global als Zentralasiaten.
Und die wären? Welche neuen Funde sollen den Forschern, die sich wissenschaftlich damit beschäftigen, von deiner Meinung überzeugen? Oder geht es hier einfach um die allgemeinen Sachen, zu denen auch das Nibelungenlied zählt?
Außerdem ging es mir darum, dass meine Literaturangabe schon 20 jahre alt ist und deine sogar ein halbes Jahrhundert.


Allerdings, aber das wird den Germanenfans kaum lieb sein. Das geht nämlich an ihr Glaubensbekenntnis.
Und es bezieht sich auch nicht auf Zentralasien.
Es kommt halt immer darauf an. Wenn ich ein Germanenfan bin, wenn ich glaube, dass die Juthungen Semnonen und keine Jazygen waren, dann hast du wohl recht. Ich bin trotzdem immer für alles offen, wenn es realistisch ist. Aber viele Dinge, die du bisher vertreten hast sind einfach unrealistisch.
 
Das hier ist der jetztige Forschungsstand zur Schädeldeformation (laut dem neuen Hunnenkatalog):

Der Ausgangspunkt lag wohl im Tiensan-Gebiet Kirgistans "bei einer zum Verband der Hunnen gehörigen Gruppe (Kenkol)". Bei ihnen kam die Schädeldeformation bei fast jedem vor. Ob diese Gruppe jetzt aber eher zu den Saken/Skythen oder den "asiatischen Hunnen (Xiongnu)" zählten, kann ich nicht beurteilen. Wahrscheinlich waren sie wie auch die Hunnen ein Völkergemisch aus iranischen und asiatischen (protomongolischen?/prototürkischen?/hunnischen?) Menschen.

Die Alanen und Sarmaten scheinen diese Sitte dann gegen Ende des 2. Jh. übernommen zu haben. Über den Vorstoß der Hunnen oder indirekt durch ostgermanische Völker wurden die Turmschädel dann im 5. Jh. nach Mitteleuropa gebracht. Im 6. Jh. wurden sie dann wie gesagt bereits seltener, obwohl sie in Gebieten Türkeis, Frankreichs und Belgiens bis ins 19. Jh. erhalten blieben.


@Boiorix:
Anfangs hatte ich dich falsch verstanden. Ich dachte erst nicht, dass du die Hunnen mit den Sarmaten gleich setzt, sondern dass du von einer seperaten Verbreitung ausgegangen bist.

Zumindest für die Verbreitung der Schädeldeformation kann man also nicht auf die alleinige Rolle der Verbreitung durch die Sarmaten schließen, da die Sitte östlich von ihnen entstanden ist. Allerdings hatten sie trotzdem einen Anteil daran, da sie sowohl bei der Ethnogenese der Goten als auch bei dem Völkergemisch der Hunnen eine Rolle spielten. Und daran ändert auch nichts daran, ob man jetzt der Lehrmeinung folgt und die Sarmaten als Teil der Bevölkerung sieht, die nicht die Oberschicht stellte, oder eben wie du meinst, dass sie bei den meisten europäischen Völkern die Herrscherschicht ausmachte (Goten, Franken, Alamannen?, Hunnen, Wikinger usw.?).
 
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