Danke Ostrogotha, das hast du sehr schön auf den Punkt gebracht! Ich hätte mir meinen folgenden Beitrag sparen können.. Trotzdem! Er ist fertig und wird angehängt:
In diesem Zusammenhang müssen wir zuerst einmal prinzipiell zwischen wandernden Stämmen und sesshaften Stämmen unterscheiden. Bei wandernden Stämmen müsste man nochmals zumindest zwischen föderierten, reichsangehörigen Stämmen unterscheiden und Stämmen die auf der Wanderschaft ihr Glück suchten oder suchen mussten. Das führt sonst sehr schnell zu völlig unterschiedlichen Ansätzen und damit nicht vergleichbaren Ergebnissen.
Wie bereits gesagt wurde, geht zum Beispiel H. Delbrück von einem Verhältnis von 4:1, teils auch von 5:1 zwischen Kriegern und sonstigen Stammesangehörigen bei wandernden Stämmen aus. Ostrogotha hat das dankenswerterweise ja schon im Detail erläutert. Delbrück selbst hat in seinem Werk den „Zahlen“ antiker Überlieferungen ein ganzes Kapitel gewidmet, das ich auch heute noch Jedem sehr nahe legen möchte! Im Rahmen der Persisch-Griechischen Kriege hat er beispielsweise die unglaubliche Zahl von bis zu 5 Millionen Perser kurz und bündig ad Absurdum geführt, indem er Kolonnendichte und Maßabstände von gut disziplinierten Heeren der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg anlegte. Dieser Rechnung nach hätten die letzten Perser das heimatliche Susa noch nicht verlassen, wenn die Vorhut bereits bei den Thermophylen hätte stehen müssen! Dabei dürfte dem persichen Aufgebot mit Sicherheit die Marschdisziplin gefehlt haben. In unserem Kontext ist das Kapitel „Zahlen“ beim Band über die Germanen wichtig, auch wenn Delbrücks sonstige Ansichten über die Militärverfassung der Germanen heute vielfach überholt ist – das hat aber keinen Einfluss auf die Zahlenverhältnisse.
Der zweite Punkt ist mindestens ebenso wichtig. Es ist ein Trugschluss vorauszusetzen, dass ein Krieger auch immer ein Krieger ist! Bei allen, auch den moderneren Massenheeren gibt es Unterschiede in Bewaffnung und Tauglichkeit. Die Bundeswehr kannte lange Jahre nur Feldheer, Reserve und Territorialtruppen. Das alte Heer vor dem Ersten Weltkrieg kannte aktives Feldheer, Reserve, Landwehr und Landsturm. In all diesen Fällen gibt und gab es ganz gravierende Qualitätsunterschiede in Eignung, Bewaffnung, Ausbildung und Alter der Kämpfer und nicht Anders war es auch in Antike und Frühmittelalter! Der Begriff des Kriegers aber meint unterschiedslos alle diese Kämpfer. Das muss man sich ebenfalls vor Augen führen! Natürlich kann auch mit gesundem Menschenverstand nicht jede Nuancierung erfasst werden und manches wird einen Hauch von Spekulation behalten müssen.
Wandernde Stämme:
Nimmt man an, dass die Hälfte eines Stammes aus (nicht zum Kriegsdienst herangezogenen) Frauen besteht, setzt ein Verhältnis von 4:1 voraus, dass jeder zweite Mann unter Waffen stand. Das klingt unglaublich, ist aber ein wichtiger Fakt!
Nicht jeder bewaffnete Mann war ein vollwertiger Krieger. Geschweige denn konnte jeder bewaffnete Mann über eine gute- oder auch nur ausreichende Ausrüstung verfügen. Auf den ersten Blick ist ein Verhältnis von 4:1 – und ähnlich auch von 5:1 somit schlecht möglich. Das ist aber falsch gedacht! Ein wandernder Stamm hat alles auf eine Karte gesetzt! Er muss siegen oder untergehen, also muss jeder der eine Waffe tragen kann dies auch tun. Beim Aufbruch aus der Heimat selbst blieben ohnehin viele Unwillige oder dem Unternehmen nicht gewachsene Stammesangehörige sowieso zurück. Die von Manchem in Beiträgen weiter Oben bemühte Statistik ist also in einigen Bereichen für wandernde Stämme damit gar nicht Anwendbar!
Kein ernstzunehmender Feldherr – auch nicht die Anführer eines wandernden Stammes kann erwarten, dass alle seine Kämpfer vielseitig verwendbar sind. Die Alten und schlecht bewaffneten „Krieger“ bekamen die Aufgabe den eigenen Tross und die Angehörigen zu sichern oder etwa um zu Furagieren (Lebensmittel plündern – so weit das nicht die Kavallerie tut. Ich meine hier vor allem das Abernten von fremden Feldern wie das auch Caesars Legionen in Gallien mehrfach taten). Die wertvollen und viel effektiveren Krieger wurden dagegen für die Schlacht und ernsthafte Aufträge eingeteilt. Ein Kern solcher Männer bildete natürlich auch den Rückhalt für die weniger effektiven Kämpfer die ich vorher genannt hatte.
Vor diesem Hintergrund leuchtet der extrem hohe Anteil an Kriegern gemessen an der Gesamtbevölkerung dieser Stämme ein.
Sesshafte Stämme:
Die Demoskopie kann eher angewendet werden, wenn man über die Kriegerzahlen bei Kriegen mit sesshaften Stämmen spricht. Man muss dann auch unterscheiden ob der Stamm sich in einem Angriffskrieg oder einem Verteidigungskrieg befindet. In letzterem Fall wird bei Bedarf ebenfalls rücksichtslos auch auf weniger geeignete Männer zurückgegriffen, so dass zumindest regional begrenzt fast ebenso hohe Kriegeranteile wie bei wandernden Stämmen erzielt werden konnten.
Generell der Kern germanischer Heere waren die Gefolgschaften der Adeligen und ihrer Clans. Sie konnten es sich leisten ständig Krieger unter Waffen zu halten, sie zu trainieren, gut auszurüsten und von anderen Stammesangehörigen oder Sklaven versorgen zu lassen. Hier haben wir es mit Elitekriegern zu tun. Die Sprösslinge von Adeligen und manche Freie sahen ihr Lebensziel darin zu diesen Elitekriegern zu gehören.
Zu diesen Leuten stießen jene Freien (teils auch deren Anhang), die eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit besaßen und sich Ausrüstung und Waffen leisten konnten. Unter diesen Leuten werden sich die Masse von Spezialkriegern befunden haben wie etwa Bogenschützen, Späher, Raider oder dergleichen. Also Aufgaben die eine Ausbildung und Übung erfordern aber auch eigenständiges Vorgehen – wobei Aufgaben ohne sehr hohes gesellschaftliches Ansehen natürlich weniger bei Adeligen und deren Gefolge zu suchen war.
Bewaffnete Knechte und weniger kampftaugliche Freie werden den regionalen Selbstschutz oder Verstecke der Sippen bewacht haben. Für den Zug in fremde Länder kamen naturgemäß eher die Adeligen mit ihrem Anhang und entsprechende Freie in Frage.
Über die Relation zwischen Kriegern und Stammesangehörigen kann man in diesem Fall nur noch mehr spekulieren. Kann man die Masse der Adeligen und den Kern ihrer Gefolgschaften vielleicht als Profikämpfer ansehen, schwankte die Tauglichkeit der Übrigen stark. Eine Relation kann man nicht wirklich angeben. Zur Veranschaulichung könnte man Bestenfalls auf Beispiele aus der Ära der Massenheere zurückgreifen, die nach Napoleon Bonaparte bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg die Wehrverfassung fast aller moderner Staaten bildeten, wobei zu berücksichtigen ist, das moderne Staaten ökonomisch sehr viel leistungsfähiger sind als antike Gentes!
Reichsangehörige, foederierte Stämme auf dem Boden des Römischen Reiches:
Auf den ersten Blick scheint es keinen Unterschied zu geben zwischen „wandernden Stämmen“ und solchen Foederierten. Das ist aber gänzlich Falsch! Es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen Beiden, auch wenn diese Unterschiede ab und an durch politische Konstellationen verwischt werden konnten!
Der wichtigste Punkt dabei ist, dass die bewaffneten Truppen foederierter Stämme in politisch/militärischer Hinsicht nicht länger als Barbaren galten, sondern reguläre römische Truppen mit erweiterter Selbstverwaltung. Die römische Reichsregierung behielt sich zumindest theoretisch das Recht vor die Könige dieser Stämme zu Bestätigen, die ja dann ihre Vertragspartner waren. Innerhalb des Römischen Reiches galten diese Könige damit dann auch als ein Teil des Reichsapparats! Sie mochten innerhalb ihrer Gentis Recht sprechen, für das Reich waren sie Militärkommandanten römischer Truppen. Im römischen Rahmen standen die foederierten Könige auf der gleichen gesellschaftlichen Stufe wie die Magister Militium der Feldarmeen (die Kommandanten der Regionalheere)!
Was bedeutete das für den Stamm? Er war Teil des Reiches und dieses hatte sich verpflichtet ihn mittels Jahrgelder und auch ökonomisch zu versorgen. Anfangs mochte ein foederierter Stamm auf römischen Boden sich wenig von gewöhnlichen „Wandervölkern“ unterscheiden, aber das änderte sich im Laufe der Zeit. Wie nun im Einzelnen die Konditionen waren (sie änderten sich sowieso mehr oder weniger ständig) ist schwer zu erfahren. Immer wieder ist die Rede von Siedelland oder der „Militärunterbringung“, was beides auf mehr oder weniger provisorische Aufenthalte der Foederierten hin zugeschnitten war. Die Westgoten etwa „wanderten“ 40 Jahre auf römischem Reichsboden herum, ehe sie das Tolosanische Reich gründeten. Niemand kann erwarten dass eine solch lange Zeit ohne Folgen für den Stamm blieb. Gewiss blieben Unterwegs Teile des Stammes zurück, wenn dies auch Überwiegend die „Fußkranken der Völkerwanderung“ waren, so schlossen sich ihnen auch gleichzeitig neue Kräfte an. Sie hatten eine große Anziehungskraft auf römische Unterschichten, insbesondere auf militärdienstpflichtige, barbarische Kolonen. Es war im Interesse ihres Königs ein möglichst wehrhaftes Volk anzuführen, denn nach ihrem militärischen Potential waren sie für die Römer interessant. Es ist daher konsequent gedacht, wenn ich davon ausgehe das unter diesen Bedingungen die Foederiertenheere zunehmend professioneller wurden – sowohl was ihre Ausrüstung als auch ihre Ausbildung betraf! Der Landsuchende westgotische Bauer etwa blieb in der Regel spätestens in Gallien zurück, als Chlodwig ihren Stamm über die Pyrenäen nach Spanien abdrängte, während Leute von Stand und mit Einfluss auf dem westgotischen Hof lieber in Spanien ihre Zukunft in die Hand nahmen.
Vor dem Hintergrund zunehmender Professionalisierung foederierter Heere kann ich mir sehr gut vorstellen, dass bei diesen Stämmen das Verhältnis zwischen Kriegern zu Reststamm ebenfalls deutlich militaristischer war als bei den meisten außerhalb des Römischen Reiches siedelnden Germanenstämmen – ob es dabei die Relationen wie bei „Wanderstämmen“ erreichte oder gar überschritt wird sehr stark geschwankt haben.
Beispiel:
Wer sich nun fragt wie ich zu solchen Ansichten komme, sollte sich ein wenig mit der Geschichte etwa der Westgoten befassen. Als sie noch fest nördlich der Donau siedelten, stellten die damaligen Terwingen dem Procopius bei seiner versuchten Ursupation gegen Valens im Jahre 366 etwa 3000 hochgerüstete, vermutlich adelige Elitekrieger. Während des Vergeltungszuges Kaiser Valens in die Stammsitze der Goten stellten sich diese nie zu einer Entscheidungsschlacht, ja boten auch kein klassisches Ziel etwa indem sie das komplette Volk mobilisierten. Das obwohl Valens ihr Land drei Jahre lang fürchterlich verheerte um sie zur Entscheidung zu stellen!
Mit dem Einbruch der Hunnen nur wenige Jahre später änderte sich alles! Fast das komplette Volk verließ nun seine Heimat und suchte Schutz südlich der Donau, wo Valens sie aufnehmen wollte. Nicht zuletzt durch die Schuld römischer Funktionäre griff das Volk dort schließlich gegen die Römer die Waffen und war zum Wandervolk geworden. Der gleiche Kaiser, der sie vor nicht einmal 10 Jahren drei Jahre lang gejagt hatte stellte sich ihnen bei Adrianopel 378 zur Schlacht mit seinem kaiserlichen Hofheer und dem thrakischen Regionalheer. Valens verlor sein Leben in einer vernichtenden Niederlage, obwohl sein Heer aus bis zu 30000 Mann bestanden haben soll – Die Goten müssen also über eine Armee verfügt haben die dieser gewachsen war. Wie arm teils die westgotischen Volkskrieger gewesen sein müssen wird aus einem überlieferten Vorgeplänkel deutlich, in dem mit in Feuer gehärteten Wurfkeulen bewaffnete Goten römische Soldaten angegriffen hatten. Unzweifelhaft brachte nicht so ein „Volksaufgebot“ die Entscheidung zugunsten der Goten, sondern ihre effektive, schnelle Reiterei! Im weiteren Verlauf der westgotischen Geschichte als römische Foederaten wird diese Reiterei ihr Markenzeichen. Von ärmlich bewaffneten Volkskriegern liest man nicht mehr: Die Westgoten „verreitern“ und von nun an wird fast nur noch von ihrer Kavallerie berichtet, denn das ist das Ziel der westgotischen Krieger: Als Reiterkrieger Dienst tun zu können unter eigener Führung. Ihre Siege und Niederlagen hängen von dort an zunehmend von der Leistungsfähigkeit ihrer Reiterei ab.