Wieso nutzten die Germanen nicht römische Bauwerke?

Skald

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Die Frage stelle ich mir gerade, weil ich mich mit der germanischen Siedlungsweise am Ende der VWZ auseinandersetze. Es scheint ja so, dass die Germanen die eroberten römischen Siedlungen und Gehöfte mieden, wie der Teufel das Weihwasser. Anstatt die im Vergleich überlegenen und komfortableren Steinhäuser zu beziehen, baute man weiterhin seine Lang- und Fachwerkhäuser. Die Bauten der Römer wurden höchstens als Steinbrüche oder als Fundament genutzt.

Selbst Straßennetzwerke oder Wasserleitungen zerfielen. Man möchte doch meinen, dass die Rom-orientierte Oberschicht der Stämme hierfür Verwendung gefunden hätte.

Woran mag das liegen?
 
Man hat nicht grundsätzlich die römischen Städte gemieden.
In Deutschland kann man in den meisten römischen Städten und Siedlungen eine Kontinuität feststellen. Auch in Frankkreich, Spanien und Italien haben Franken, Goten und Langobarden vorhandene Strukturen genutzt, nicht zuletzt die katholische Kirche hat antikes Wissen weitervermittelt. Auch waren gerade Kirchen Kristallisationspunkte für Siedlungen.
Der Knackpunkt waren aber die Zerstörungen die vor allem im 5. Jahrhundert (Hunnen, Westgoten) angerichtet wurden.
Die Bevölkerungszahl war drastisch geschrumpft und die Infrastruktur war in weiten Gebieten zusammengebrochen. Die germanischen Neusiedler und die romanische Restbevölkerung sorgten sich also zuerst einmal um den eigenen Lebensunterhalt, sprich Landwirtschaft.
In Köln ist aber trotz allem die Glasherstellung weiterbetrieben worden, wenn auch nicht auf dem selben Niveau wie früher.

Zudem braucht man für grossräumige Anlagen wie Strassen oder Wasserleitungen zuerst einmal eine Menge Personal und dann noch das nötige know-how. Da fangen jetzt die Probleme an, ein regionaler Herrscher wie ein Graf oder ein fränkischer Kleinkönig hat nicht das nötige Personal für eine Wasserleitung, die zudem nicht unbedingt nötig ist.
Die Kölner Eifelwasserleitung war ja auch nicht zwingend notwendig, sondern ein purer Luxus weil man das gute Eifelwasser haben wollte. Im Mittelalter war Köln noch größer als zur römischen Kaiserzeit kam aber ohne äußere Wasserzufuhr aus.
Das technische Wissen wie man solche Bauwerke betreibt war dann nach wohl nach einer Generation verloren.

Auch überregionale Strassen wurden nahezu überflüssig da die Warenströme bei weiten nicht mehr dasselbe Niveau hatten wie zu Glanzzeiten des Imperiums. Der Warenverkehr spielte sich überwiegend zwischen benachbarten Dörfern ab, gelegentliche Gesandtschaften, z.B. zwischen Chlodwig und Theoderich, lohnten den Aufwand nicht lange Strassen zu unterhalten.
 
Man möchte doch meinen, dass die Rom-orientierte Oberschicht der Stämme hierfür Verwendung gefunden hätte.
Im Grunde ja. Die Oberschicht hatte weder den Wunsch noch die Fähigkeiten.
Die Römische Staat beruhte auf dem Engagement ihrer Bürger. Die Oberschicht der Provinz zahlte die Steuern traditionell aus der Portokasse und durchlief in einer politischen Laufbahn zahlreiche Ehrenämter, in denen sie sich über die Staatskasse, Wassversorgung und Feuerwehr kümmerte. In der Spätantike hat sich romanische Oberschicht nich mehr darum gekümmert. Das Imperium, das sich auf freiwillige Abgaben und Ehrenämter stützte, ging pleite. Die Folgen sind bekannt.
Was die Germanen betrifft, so scheinen sich mir doch noch sehr in den merkwürdigen Werten einer auf Landwirtschaft und Krieg basierenden Stammesgesellschaft verwurzelt, als dass sie ernsthaft über den Erhalt von Aquädukten nachdachten.
 
Mit dem allmählichen Niedergang des Römischen Reiches ging auch Wissenschaft und Technik hernieder. Man bekriegte sich faktisch epochal zurück.
 
Ich habe mich schon länger gefragt, wann der antike Steinbau in Deutschland aufhörte und wann er im Mittelalter wieder aufgenommen wurde. Es hat da eine <lücke von mehreren hundert Jahren gegeben:
4. Jh. n. Chr.: z.B. St. Gereon (Köln), Kastell Boppard
5. Jh. n. Chr.: ?
6. Jh. n. Chr.: ?
7. Jh. n. Chr.: ?
8. Jh. n. Chr.: z.B. Kloster Lorsch
9. Jh. n. Chr.: z.B. Aachener Dom, Einhardsbasilika
10. Jh. n. Chr.: Ottonik
11. Jh. n. Chr.: Romanik
 

Es gibt wohl Ausnahemen,
Neben den ehemaligen römischen Gebieten.
Die Stadt Soest, obwohl heute recht klein und unbedeutend, gab es hier schon früh Steinbauten. Jedenfalls laut einer Stadtführung, ich mal mitgemacht hatte.
Eine frühe Stadt, während drumehrum noch Höfe und Dörfer waren.
Diverse Kirchen sollen auf alte „Herrenhöfe“ zurückgehen. Die reichen Funde z.B. aus der Merowingerzeit stützen, diese Sonderolle. Auch Verweise ich auch Ritter von Schaumburg Lippe, der hier sich mit der Stadt eingehend beschäftigt hat.
 
Zudem braucht man für grossräumige Anlagen wie Strassen oder Wasserleitungen zuerst einmal eine Menge Personal und dann noch das nötige know-how. Da fangen jetzt die Probleme an, ein regionaler Herrscher wie ein Graf oder ein fränkischer Kleinkönig hat nicht das nötige
Das sehe ich als einen Hauptpunkt an. Das Straßennetz der Römer war nur durch deren gute Organisation möglich gewesen. So wundert es nicht, dass das Straßenwesen und der Straßenbau erst wieder so richtig in Schwung kam, als sich eine Welle der Bürokratisierung durchsetzte und im Absolutismus die regionalen Gewalten des Adels zusehends zügeln ließen. Genau das, eine staatliche Durchdringung, ging den Reichen nach der Völkerwanderung in dem Grade ab, der für ein Ausbau des Straßennetzes oder gar nur den Erhalt notwendig gewesen wäre. Dass dennoch die alten Straßen weiterhin genutzt wurden, ist klar. Sie lagen nunmal auf den wichtigen Routen und waren vorhanden. Aber sie wurden nicht nachgebildet und ausgebaut.
 
Straßennetz und Co,
hat man versucht in Stand zu halten. Deswegen haben wir noch so viele Grabsteine und Statuen aus der Römerzeit.
Im RGM Köln sind viele der Ausstellungstücke aus Wiederentdeckungen aus Strassen und Steinbauten, welche Spätantik und VWZ anstatt neue Steine zum ausbessern verwendet wurden.
Halt ein Zeichen des wirtschaftlichen Niederganges, wo man die nahe liegenden Ruinen plünderte, weil der Transport aus der Eifel nicht mehr möglich war.
Schriftliche Quelle dürfte Gregour von Tour sein, welcher von Instandsetzungen in Köln berichtetet.
 
Ein wichtiger Aspekt noch: Die unterschiedliche Rechtsvorstellung der Germanen:

The Merovingians, on conquering Roman Gaul, brought with them the
German idea of customary law. Thus only existing bridges had the right to repairs
by the inhabitants of the region.
This conception should have inhibited
bridge construction on new sites, and throughout the Middle Ages there was
continual insistence on precedent...

In general, medieval bridges prospered during periods of strong central
government and of an expanding economy.
Merovingian and Carolingian rule
was not conducive to bridge construction and there was difficulty even in
maintaining existing spans. Still it was the tenth century that represented the
nadir in construction. The disappearance of central power meant that bridges
were appropriated by local magnates who seized other parts of the imperial
power, such as the right to collect certain taxes.

Marjorie Boyer - Medieval French Bridges (Bei Interesse, PN). Die ersten erhaltenen mittelalterlichen Steinbrücken stammen in Deutschland wie Frankreich erst wieder aus dem 11. Jh. Es gab also einen faktischen Baustopp für feste Brücken (nicht Holzbrücken) von über einem halben Jahrtausend.
 
Es gab also einen faktischen Baustopp für feste Brücken (nicht Holzbrücken) von über einem halben Jahrtausend.
Mir ist nicht ganz klar, wo hier der Knackpunkt war.
Ging es darum, daß die Einwohner von der Obrigkeit nur bei existierenden Brücken zu Instandhaltungsarbeiten verpflichtet werden konnten?
Oder gab es (analog zum Mühlenbann) einen "Konkurrenzschutz" bestehender Brücken, weil dort Mauteinnahmen erhalten werden sollten?
 
Was Skalds Ausgangsfrage betrifft:
Zu den großen öffentlichen Bauten à la Straßen und Wasserleitungen wurde schon das Nötige gesagt.

Aber es bleibt noch die Frage, warum die Germanen lieber die gewohnten Holzhäuser bauten als bestehende Steinhäuser bezogen.

Wobei das wohl nur teilweise stimmt, in einer Reihe von Siedlungen gab es ja wohl Kontinuität.

Aber es gab wohl wirklich eine Abneigung gegen die römischen Bauten. Die Angelsachsen errichteten z. B. lieber eine neue Siedlung neben dem altrömischen Stadtkern von London und ließen die alte Stadt größtenteils verfallen.

Eine mögliche Erklärung könnte sein, daß Steinhäuser nach römischer Art aufwendiger zu bewirtschaften waren.
D.h. man brauchte Sklaven und mehr Feuerholz, um es gemütlich zu haben.
 
Mir ist nicht ganz klar, wo hier der Knackpunkt war.
Ging es darum, daß die Einwohner von der Obrigkeit nur bei existierenden Brücken zu Instandhaltungsarbeiten verpflichtet werden konnten?
Oder gab es (analog zum Mühlenbann) einen "Konkurrenzschutz" bestehender Brücken, weil dort Mauteinnahmen erhalten werden sollten?

Letzteres gab es sicherlich auch, aber ersteres ist hier gemeint.
 
Es scheint ja so, dass die Germanen die eroberten römischen Siedlungen und Gehöfte mieden, wie der Teufel das Weihwasser. Anstatt die im Vergleich überlegenen und komfortableren Steinhäuser zu beziehen, baute man weiterhin seine Lang- und Fachwerkhäuser. Die Bauten der Römer wurden höchstens als Steinbrüche oder als Fundament genutzt

Ich kann dir zu diesem Thema ein sehr informatives Buch empfehlen, das nicht nur das zivile und militärische Leben im römischen Rheinland darstellt, sondern in einem über 300 Seiten starken Abschnitt nahezu alle Ausgrabungen und archäologischen Denkmäler sowie deren nachrömisches Schicksal unter Einbezug von Grund- und Aufrissen, Rekonstruktionszeichnungen und aktuellen Fotos zeigt:

Die Römer in Nordrhein-Westfalen, hrsg. v. Heinz Günter Horn mit zahlreichen fachwissenschaftlichen Beiträgen, Stuttgart 1987, 693 Seiten, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart

Wie du bereits festgestellt hast, mieden die Germanen die steinernen Überreste der Römer. Am Kölner Beispiel lässt sich das gut feststellen, wo sich die Germanen außerhalb des römischen Stadtkerns ansiedelten und dort ihre bescheidenen Fachwerk- bzw. Holzhäuser errichteten. Lediglich der Bischof hielt die Stellung im Stadtinnern! Mit zunehmendem Verfall der römischen Bausubstanz drangen die germanischen Siedler allmählich ins Stadtinnere vor, wobei man sich einen Zeitraum denken muss, der sich über mehrere Jahrhunderte oder zumindest eine lange Zeit hinzog.

Das Schicksal der römischen Gutshöfe (villae rusticae) hat mich stets genauso so fasziniert wie dich. Der Aspekt der Kontinuität wird ja seit jeher vehement und auch kontrovers diskutiert.

Tatsache ist, dass zahlreiche römische Gutshäuser bereits im 4. Jahrhundert aufgegeben wurden, als es zu fränkischen Vorstößen und Plünderungszügen kam. Bei einem Gutshof in Euskirchen-Kreuzweingarten heißt es z.B.:

"Die Zeitstellung einzelner Baukörper ist nicht mehr zu ermitteln. Die Münzen reichen von Trajan bis Konstantin, doch ist denkbar, dass die Villa von Kreuzweingarten bis in die Mitte des 4. Jh. bestand."

Beim römischen Gutshof Blankenheim-Hülchrath heißt es:

"... In dieser Form bestand das Gebäude bis in das 4. Jh. Das Ende des Herrenhauses kündigte sich an. Die Heizungsanlagen verfieln und die Türen und Fenster wurden teilweise vermauert. Offensichtlich nutzte man zu dem Zeitpunkt das Herrenhaus nicht mehr zu Wohnzwecken. Der Münzspiegel, der mit mehreren Exemplaren des Magnentius (351/353) abbricht, zeigt, dass das Gebäude kurz nach der Mitte des 4. Jh. aufgelassen wurde. Der Grund für die Aufgabe mag in den Ereignissen von 355/356 [verheerender Einbruch der Franken] zu sehen sein. Allerdings gibt es keine Hinweise für eine gewaltsame Zerstörung.

Viele andere Beispiele zeigen ähnliche Schicksale römischer Gutshöfe im Rheinland. Wo sie den Abzug der Römer überdauerten, verfielen sie oder wurden gelegentlich als Steinbruch genutzt.

Warum nur ist ein oller Germane nicht gekommen und hat es sich in einer luxuriösen villa rustica so richtig gemütlich gemacht? Diese Frage habe ich mir oft gestellt. - Ist nach allem, was wir wissen, aber nicht vorgekommen. Anscheinen waren den Germanen die toten Steinhäuser und fremden Innereien der Villen allzu fremd oder gar unheimlich. Anders kann man sich das nicht vorstellen, jedenfalls bin ich im Verlauf meiner Recherchen über römische Kontinuitäten zu diesem Schluss gelangt.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Dieter: Auch in Regensburg bauten die Bajuwaren ihre Holzhäuser am Stadtrand. In England gibt es auch zahlreiche Beispiele dafür, dass die Germanen die römischen Bauten nicht nutzten, ja quasi ihre Langhäuser mitten in die Ruinen bauten.
Auch aus dem Siedlungsgebiet der Alamannen sind mir Beispiele bekannt, wo germanische Langhäuser direkt auf römischen Ruinen errichtet wurden.
 
Steinwände sind im Winter schwer warm zu bekommen und zu halten. Zudem geht ein Holzhaus schneller zu bauen.
Die warme Mittelmeerkultur stiess eben weiter nördlich in Europa an ihre Grenzen.
 
Steinwände sind im Winter schwer warm zu bekommen und zu halten. Zudem geht ein Holzhaus schneller zu bauen.
Die warme Mittelmeerkultur stiess eben weiter nördlich in Europa an ihre Grenzen.

Das allein kann sicher nicht der Grund gewesen sein. Die Römer hätten folglich ja auch eher Holzbauten errichtet.
 


Was Köln betrifft…
Warum mieden diese die Stadt?
Ist man da sicher?
Instandsetzungen etc sind belegt.
Die germanischen Gräberfelder die heute IN Köln liegen, waren damals Dörfer im Umfeld von Köln und hatten nicht direkt was mit der Stadt zu tun, dies ist wichtig zur Unterscheidung.

Die Nutzung der Stadt ist auch anhand der Gräber unter dem Dom zu belegen, wie es auch heißt, das hier auch ein Palast eines merow. Kleinkönigs war.

Allerdings gehe ich bei den Germanen/Franken von einer eher familiären, land- und Viehwirtschaft betreibende Lebensart aus, wo die Stadt natürlich weniger reizvoll ist.

Reizvoller ist eine Stadt für Handwerker und in den höheren Sippen als Verwaltungsstandort.
Diese Bereiche sind bei der angenommen german. Sozialpyramide weniger ausgeprägt, als bei der römischen Pyramide.
Soweit ich die Vorträge im RGM verstanden habe ist Köln kontinuierlich besiedelt worden, allerdings nicht nur gewachsen… Am Rheinufer hat man aber durchgängige städtische Besiedlung!
Schaut mal hier die meisten Vorträge werden ein, zweimal im Jahr gehalten Anfang März war halt auch einer zur Übergangszeit der röm. /fränk. Phase.:
http://www.museenkoeln.de/roemisch-germanisches-museum/default.asp?s=212&tid=120&kontrast=&schrift=
 
Das allein kann sicher nicht der Grund gewesen sein. Die Römer hätten folglich ja auch eher Holzbauten errichtet.
Nicht unbedingt.
Die Römer haben in jeder Ecke des Imperiums gleich gebaut - und zwar das, was sie von zu Hause kannten.
Sie haben nicht einheimische Bauweisen übernommen, selbst wenn diese vielleicht besser ans Klima angepaßt waren.

Kann also sein, daß es recht vernünftig von den Germanen war, die römischen Bau-Importe zu ignorieren.
 
Es gibt ein AiD Sonderheft zur Völkerwanderungszeit in dem insbesondere der Aspekt der Siedlungskontinuität behandelt wird.
Es werden auch etliche Beispiele wo diese nachgewiesen ist, aufgeführt.

Aber eben durch Provinzialrömische Bevölkerung die "sitzenblieb".

Der "Verfall" des Baustils bereits vor der Völkerwanderung und selbst in Italien wird genannt, es dadurch sehr schwer ist Gebäudereste zeitlich zuzuordnen, und dass auch die gallorömische Bevölkerung Innergalliens zum Holzbau überging, die Villa Rusticis auch dort ab ca. 250 verfielen
 
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