Urbanisierungsgrad von al-Andalus

hjwien

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In Teilen Nordafrikas, zum Beispiel in der Kyrenaika, brach die städtische Kultur nach der islamischen Eroberung ziemlich schnell zusammen. Deswegen hat man in Nordafrika noch einige sehr schön erhaltene römische Städte, die verlasen wurden und nciht überbaut oder abgetragen. Das machte aber auch die Konzentration auf Bischöfssitze schwierig. Wie war denn die städtische Situation im mittelalterlichen Spanien?
 
Das römische Corduba (Córdoba) war unter den Westgoten ziemlich verfallen, als die Araber es eroberten, war die Stadtmauer in einem desolaten Zustand. Die ehemalige Metropole Gades (Cádiz) war quasi bedeutungslos, wurde es auch unter der Herrschaft des Islam nicht wieder. Erst mit der Entdeckung Amerikas wurde Cádiz dann im 18. Jhdt. zu einer der bedeutensten Städte Spaniens. In Astigi (Écija) war das Stadtgebiet in der Spätantike auch ziemlich zusammengeschrumpft. Von vielen römischen Städten wissen wir gar nicht mal mehr genau, wo sie sich tatsächlich befanden und im Falle der Konzilsstadt Iliberris (Konzile von Elvira) streitet man, ob die Stadt die antike Entsprechung Granadas ist, oder nicht doch eher das bei Atarfe gelegene Sierra Elvira (13 km von Granada entfernt).
 
Kann man sich im mittelalterlichen Spanien denn eine nomadische Kultur denken? Oder eher kleine dörfliche Siedlungen?
 
Es gibt in Spanien zwar bis heute Transhumanz, aber von nomadisierenden Kulturen in Spanien während der muslimischen Phase wüsste ich nichts. Viele Ortsnamen gehen ja auf das Arabische bzw. Berberische zurück, etwa die ganzen auf Beni- beginnenden Ortsnamen worin die andalusische Form des hocharabischen Banū (Familie, Clan, Stamm) steckt. Aufgrund dieser Ortsnamen wissen wir häufig, welche arabischen oder berberischen Clans hier siedelten.
Wir wissen auch von Konflikten zwischen Arabern und Berbern bzw. zwischen Nordarabern und Südarabern auf der iberischen Halbinsel; die zwischen Nord- und Südarabern sind importierte Stammeskonflikte, die zwischen Arabern und Berbern ganz konkret darum, dass die Berber sich als Muslime zweiter Klasse fühlten und das unfruchtbare Land im Gebirge zugewiesen bekamen, wohingegen die Araber das fruchtbare Land in den Tälern okkupierten.
Im Übrigen gibt es mehrere spansiche Wörter für Dorf:
villa - vom lateinischen Gutshof villa.
alquería - von arab. al-qarīya, 'Dorf'
aldea - von arab. aḍ-ḍay'a, 'Gutshof'
 
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Mir drängt sich nun die Frage nach dem urbanisierungsgrad des muslimischen Spanien auf. Erlebten Städte einen Aufschwung oder wurden gar neue Städte in nennenswertem Maße gegründet? Das Córdoba ein blühendes Zentrum wurde und auch Sevilla durch seine politische Zentralfunktion profitierte ist mir bekannt. Wenn ich mich nicht irre blieb die alte westgotische Königsstadt Toledo ebenfalls bedeutend für ein Teilreich. Die vielen muslimischen Teilreiche hatten wohl alle ein entsprechendes Zentrum, wogegen die Westgoten mit "nur einer Königsstadt" wohl etwas zurückstanden?


http://de.wikipedia.org/wiki/Dhun-Nuniden
http://de.wikipedia.org/wiki/Taifa-Königreich
 
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Mir spontan einfallende Neugründungen der islamischen Epoche:
- Granada
- Badajoz
- Almería
- Valladolid

Bei Granada gibt es, wie schon ausgeführt, den Disput, ob die Stadt mit dem antiken Iliberris gleichzusetzen ist, oder nicht. Der Ortsname (arab. Ġarnāṭa) selbst wird auf das romanische Farbadjektiv rot zurückgeführt, bezeichnenderweise haben arabische Geographen den Ortsnamen auch ins Arabische übersetzt: Ḥiṣn ar-Rummān - Burg der Granatäpfel.
Badajoz bzw. arab. Baṭalyaus wurde am Guadiana gegründet, es ersetzte die Bischofsstadt Augusta Emerita (Mérida).
Almería - al-Mariyya al-Baḥri - 'Spiegel des Meeres', gegründet als Hafenstadt unter den Emiren bzw. Kalifen von Córdoba.
Valladolid - baladu Walīd - Länder des Walīd.
Córdoba selbst verdoppelte mal eben seine Größe. Die zweite Karte ist zwar ein moderner Stadtplan, aber auf ihm sieht man das römische Corduba in blau und die islamischen Erweiterungen Qurṭubas in gelb.
 

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Was die "Teil"-Reiche angeht, da wäre ich mit dem Ausdruck des "Teilreichs" etwas zurückhaltend. Die Taifa-Königreiche sind eigenständige Königreiche, die nach dem Zerfall des Kalifats von Córdoba entstanden sind. Ihre ersten Könige waren Richter (Sevilla), Heerführer (Denia, Granada, Almería), lokale Adelige (Silves, Zaragoza) oder Verwaltungsbeamte (Valencia). Einige dieser Könige waren sogar zuvor hochrangige Sklaven in der kalifalen Hierarchie gewesen (Valencia, Denia, Almería), was auch ein Nachfolgeproblem bedeutete: Während z.B. der Herrscher von Denia, der im Übrigen mit einer Christin verheiratet war, Kinder zeugen konnte, waren die Herrscher von Valencia und Almería Kastraten.
 
Kann man sich im mittelalterlichen Spanien denn eine nomadische Kultur denken? Oder eher kleine dörfliche Siedlungen?
Da stellt sich aber im Vorhinein die Frage, wie so eine Kultur überhaupt aussehen könnte, denn, wie es A. M. Khazanov in einem Standardwerk prägnant formuliert hat, »[a]ll types of nomadism are non-autarkic and cannot, therefore, function in isolation« (1994. Nomads and the outside world (2. Aufl.). Madison und London: University of Wisconsin Press, S. 198). Weil der Austausch mit Sesshaften für Nomaden essentiell ist, müsste man solche Verknüpfungen bei einer Beschreibung von nomadischen Lebensformen auch notwendigerweise beachten. Pastoralismus scheint ohnehin keine bestimmende Wirtschaftsform im muslimischen Spanien gewesen zu sein, auch wenn es anscheinend vorkam.
Zu dem ganzen Themenkomplex Gesellschaft und Ökonomie ist sicherlich nach wie vor interessant: Glick, T. F. (1979). Islamic and Christian Spain in the early Middle Ages : Comparative perspectives on social and cultural formation. Princeton: Princeton University Press. Das Buch findet sich auch hier frei einsehbar. Das zweite Kapitel behandelt Wirtschaftsformen, das dritte Urbanisation, wonach tejason gefragt hat.
 
Wie war denn die städtische Situation im mittelalterlichen Spanien?

Bis zur Besetzung des Südens der Iberischen Halbinsel durch die christlichen Königreiche 1190 war das Kultur- und Bevölkerungsbild Südspaniens durch die Entfaltung des städtischen Lebens in der alten römischen Zone bestimmt. Die für die Hauptstadt Cordoba angegebene Zahl der Häuser (60 000 der Vornehmen, 80 000 der Händler) ist vermutlich übertrieben und eine Bedarfsdeckung für angeblich 200 000 Einwohner um das Jahr 1000 kaum denkbar. Nach der Ausdehnung der bebauten Fläche wird für Cordoba eine Einwohnerzahl von 60 000, für Sevilla von 80 000, für Toledo von 35 000, von Valencia und Malaga über 15 000 geschätzt.

Die Zugehörigkeit zu den nordafrikanischen Reichen der Almoraviden (seit 1090), dann der Almohaden (ab 1145/50) änderte am Bevölkerungsbild des Landes nichts. Schätzungen der Gesamteinwohnerzahl des maurischen Spaniens auf seinem Höhepunkt unter Kalif Abdarrachman III. (912-961) aufgrund eines Steuerertrags von 13 Millionen Dukaten kommen zu keinen belastbaren Zahlen. Für das christliche Spanien ist jedenfalls eine wesentlich geringere Bevölkerungsdichte anzunehmen als für Andalusien, dessen städtische Bevölkerung um 1150 durch die Schilderung des Geografen Idrisi deutlich wird, der an der Universität von Cordoba studierte. al-Idrisi ? Wikipedia

Zu berücksichtigen ist, dass die von Norden ausgehende christliche Reconquista in einigen Rändern der Wiedereroberungsphase eine Entvölkerungszone schaffte; insbesondere verfiel zunächst die Bewässerungskultur der maurischen Gebiete. Festzuhalten ist aber, dass weder mit der Landnahme des Islam - hauptsächlich nordafrikanische Berber - noch mit der Reconquista selbst eine Ausrottung der Bevölkerung bzw. eine wesentliche Änderung der Bevölkerungszahl verbunden war.

Die Reconquista gestaltete das Siedlungsbild vor allem in Andalusien völlig um. Viele Siedlungen gehen völlig ein, womit eine grundlegende Umwälzung der Besitz- und Siedlungsverhältnisse verbunden war. Das Land fiel vor allem an die Krone, den Klerus und den Adel, der die Ländereien meist an Gefolgsleute gab oder verpachtete. Die Wiederbevölkerung erfolgte vorwiegend in geschlossenen Siedlungen, da das Land selbst nach der Eroberung der Städte noch lange umkämpft blieb. In den entvölkerten Gebieten, den "Despoblados", entstanden Siedlungen, die meist mit den früheren nicht in Verbindung standen. Oft wurde das entvölkerte Gebiet später von Gutshöfen bebaut, sodass es zu ausgedehnten Streusiedlungen kam.

Ein weiterer Einschnitt war die Pest, die 1348-50, 1394-96 und 1490 die spanischen Städte entvölkert.
 
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