Brakteate

B

bender

Gast
Ich bin auf das Thema "Brakteate" durch einen wirren Offenen Brief des ja auch ansonsten sehr verwirrten Schlagersänger Christian Anders an den damaligen Bundeskanzler Schröder aufmerksam geworden. Hier die entsprechende Stelle:

Was ist denn das nun schon wieder? BRAKTEATEN? Nun,
dann werde ich es Ihnen erklären. Von 1150-1450 stand dem Markt in
Deutschland wie durch ein Wunder immer genügend Geld zur Verfügung. Dem Mittelstand, also dem Handwerk mit dem goldenen Boden, ging es so gut, dass der Adel in Briefen die Handwerker ermahnte, sie mögen feiertags doch bitte nicht so teure Seidenwänste tragen, weil man sie ja sonst gar nicht mehr vom feinen Adel unterscheiden konnte. Es war, nicht verwunderlich, ein Mann der Kirche (alle Religionen verurteilen den Zins als Werk des Teufels, was heute allerdings unter anderem dazu führt, dass DIE KIRCHEN die reichste Macht auf Erden sind...........), nämlich Erzbischof Wichmann, der die geniale Idee hatte, sogenannte BRAKTEATEN drucken zu lassen. Das sind dünne Silberblechmünzen, die nur einseitig geprägt waren und - NUN AUFGEPASST, HERR BUNDESKANZLER zweimal im Jahr umgetauscht, also "verrufen" wurden!!! Dies machte es den reichen, gierigen Pfeffersäcken unmöglich, ihr Geld in Erwartung höherer Zinsen oder niedrigerer Preise zu horten. Taten sie es dennoch, dann verloren sie ihr ganzes Barvermögen. ALLE mussten zweimal im Jahr das für ungültig erklärte Geld zum bischöflichen Münzamt tragen, um es gegen neue, gültige Münzen einzutauschen. Man legte somit den Leuten Steuern auf, denn für 4 alte gab es 3 neue Münzen. Man nannte die eingezogene Differenz von 25% Schlagschatz. Steuerhinterziehung war hier unmöglich. In dieser 300 Jahre währenden Brakteaten - Zeit konnte Geld nur durch ehrliche Arbeit verdient werden und nicht, wie es heute der Fall ist, für die
"Geldelite" durch Horten und Spekulation. Heut verdient man mit Geld Geld.
Inhaltlich mag einiges falsch sein. So weiß z.B. die Wikipedia, dass der Umtausch nicht zweimal im Jahr, sondern einmal in fünf oder sechs Jahren stattfand.

Aber wer weiß mehr zu dem Thema? Wie lief das genau ab?

Denn selbst mein bescheidenes volkwirtschaftliches Wissen sagt mir, dass es unmöglich funktionieren kann, wenn alle fünf Jahre die sich im Umlauf befindliche Geldmenge um 25% reduziert wird. Sowas führt doch zwangsläufig zu einer Deflation, oder nicht?

(Vielleicht hat ja auch jemand Literatur zu dem Thema)
 
Kennt sich keiner mit dem Thema aus oder gibt's blos kein Interesse?
 
Kennt sich keiner mit dem Thema aus oder gibt's blos kein Interesse?

Keines von beiden; ich habe das Thema bislang schlichtweg übersehen (was mindestens genauso schlimm ist :rotwerd:)... :oops:

Ein weiteres Mal erlaube ich mir, aus Wilhelm Volkert "Adel bis Zunft: ein Lexikon des Mittelalters" - C.H. Beck - München, 1991 zu zitieren:
Hohlpfennig schrieb:
Diese, auch Brakteaten genannten, Münzen wurden aus sehr dünnem Silberblech hergestellt und nur einseitig geprägt, so daß das Relief sichtbar wurde. Sie sind von der ersten Hälfte des 12. Jh. bis zum Ende des Mittelalters nachgewiesen. Hauptverbreitungsgebiet waren Mittel-, Nord- und Ostdeutschland; eine der ersten Brakteatenmünzstätten war Magdeburg. Grund für die Herstellung dieser Pfennigmünzen war das Bestreben der Münzer, Material einzusparen.
Eine Vorstufe der Hohlpfennige sind die Dünnpfennige, Halbbrakteaten genannt, die seit spätkarolingischer Zeit ebenfalls aus dünnem Silberblech hergestellt wurden; auch bei ihnen war das Relief der Prägung der Gegenseite sichtbar; teilweise wurden diese Prägungen dadurch unkenntlich. Halbbrakteaten wurden im Süden und im Südwesten des Reiches ebenso geprägt wie in Mittel- und Niederdeutschland. Im 12. Jh. läuft diese Art der Münzprägung (Halbbrakteaten - Anm. von mir) mit dem Aufkommen der Hohlpfennige (Brakteaten - anm. von mir) aus.
Pfennig schrieb:
Seit dem 8. Jh. nachgewiesene germanische Bezeichnung für den denarius, die wichtigste aus der Antike überkommene Münze...
Die Pfennige wurden nach der Münzstätte benannt (z.B. Regensburger, Augsburger, Kölner Pfennige); sie hatten unterschiedliches Gewicht und verschiedenen Feingehalt. Viele Pfennigprägungen hatten nur im engeren Umkreis der Münzstätte Handelswert. Weiträumige Bedeutung hatten die Regensburger Pfennige... und die Pfennigprägungen der Münzstätte Schwäbisch Hall, die im Spätmittelalter unter dem Namen Heller umliefen.
Besondere Prägeformen der Pfennige waren die Halbbrakteaten und Brakteaten (Hohlpfennige).
Geld schrieb:
...
Der Bedarf an zirkulationsfähigem Geld wuchs seit dem 11. Jh. wegen der Entwicklung der Städte, dann besonders durch die enge Verbindung des Königtums, vor allem der Staufer, mit Italien. Seit dem 13. Jh. wurden vielfach auch Grundherrschaftsabgaben, die in Naturalien zu leisten waren, mit einem Geldwertansatz versehen und dann auch mit Geld geleistet. Wie die Münzprägung kam auch der Geldverkehr seit dem 13. Jh. unter den Einfluß der fürstlichen Herrschaften in den Territorien; man nennt das Territorialisierung der Geldwirtschaft. Die Fürsten erließen häufig sogenannte Münzverrufe, wobei alte Münzen aus dem Verkehr gezogen wurden und durch Stücke geringeren Edelmetallgehaltes ersetzt wurden. Die Einkünfte aus dem Schlagschatz, dem Gewinn der Münzherstellung, wurden dadurch erhöht.
Die Geldgeschichte des Mittelalters ist (ebenso wie die der Neuzeit) durch Geldentwertung (schleichende Inflation) gekennzeichnet.
Der karolingische Denar wurde bis in das 12. Jh. in seinem Wert stark gemindert; dies führte zur Ausprägung höherwertiger Silbermünzen (Groschen, Kreuzer, Schilling); nun wurde auch wieder Gold als Münzmetall verwendet (Dukaten, Gulden).
Anm.: Unterstreichungen im Text von mir...

Bitte nochmals um Nachsicht, daß ich den Thread übersehen hatte... :sorry:
 
Konnten diese "Münzverrufe" eigentliche alle Münzen abdecken? Eigentlich nicht oder, schließlich waren in einem Herrschaftsgebiet immer unzählige Münzentypen (auch aus anderen Regionen) im Umlauf?!
 
Soviel ich weiß, gab es zur Brakteatenzeit längst noch kein einheitliches Geld- sprich Münzwesen in ganz Europa. So waren wohl auch die Brakteaten regional sehr unterschiedlich groß und gewichtig. Literatur: Tyll
Kroha. Das Recht, Münzen zu schlagen, wurde vom König erteilt ( Münzregal). Es konnte sowohl an einzelne Fürsten (Herzöge, Grafen, Bischöfe, Äbte) verliehen werden, als auch an Städte, Klöster, Abteien, Bistümer. Regional war der Geldwert sehr unterschiedlich.

Die Münzverrufung konnte tatsächlich auch zweimal jährlich stattfinden. Das war üblicherweise anlässlich des Frühlings- und des Herbstmarktes. Bei manchen Brakteaten konnte bis zu drei mal der Rand abgeschnitten werden (anstatt sie gegen andere Prägungen zu tauschen). Man könnte dies als die erste Mehrwertsteuer bezeichnen.

Wenn da oben einer schreibt, dass die Brakteaten nur in nördl.- und östlichen Landesteilen üblich waren, dann irrt er sehr. 2001 ist in Stuttgart ein Buch erschienen von Albert Raff und Ulrich Klein "Beiträge zur süddeutschen Münzengeschichte". Ganz berühmt sollen die sogenannten Bodensee-Brakteaten sein, aus St. Gallen, Reichenau, Konstanz, Lindau, Augsburg, Kempten, Ulm und auch aus Zürich und vielen anderen schweizerischen Orten und auch im Breisgau.

Vielleicht würde dieses Thema bei den Hilfswissenschaften eher auf Sachverständige stossen? Ich kann auch nur etwas Allgemeinwissen beitragen, weil ich mich mal mit dem o.g. Buch befassen musste (Raff/Klein). Vielleicht noch zum Schluss: bei Sammlern sollen diese Brakteaten sehr beliebt sein, allerdings sollen sie z.T. recht selten und daher weit teurer sein, als sonstige Pfennige aus jener Zeit. Der Grund ist ja eigentlich einleuchtend. Wegen der Verrufung waren die Brakteaten nicht dafür geeignet um zu sparen, sie würden ja schon bald nicht mehr gelten. Darum haben auch nicht soviele die Jahrhunderte überdauert. Und ganz besonders die besonders dünnen und dann noch aus minderwertigeren Legierungen hergestellten, sollen recht selten sein.
So, das ist schon alles was ich darüber weiß.
salu, jeanne "die Abgebrannte"
 
Die Münzverrufung konnte tatsächlich auch zweimal jährlich stattfinden. Das war üblicherweise anlässlich des Frühlings- und des Herbstmarktes. Bei manchen Brakteaten konnte bis zu drei mal der Rand abgeschnitten werden (anstatt sie gegen andere Prägungen zu tauschen). Man könnte dies als die erste Mehrwertsteuer bezeichnen.
Aber alle Münzen konnte das nicht betreffen, richtig? Man konnte doch in sagen wir Augsburg auch mit Gulden von sonstwo zahlen, oder nicht? Wenn ich mich recht entsinne ging es bei Münzen doch eh immer nur um den Materialwert (also das Gewicht).

Die These von Anders (oben) ist ja, dass Brakteate dazu führten, dass kein Mensch Reichtum horten konnte, sondern dass alle durch die immer wiederkehrenden Münzverrufe dazu gezwungen waren, ihr Geld auszugeben (da es sonst jedesmal 25% weniger wurde). Aber die Logik funktioniert ja nur, wenn jeder sein gesamtes Bargeld in Brakteaten hatte.
 
Wenn da oben einer schreibt, dass die Brakteaten nur in nördl.- und östlichen Landesteilen üblich waren, dann irrt er sehr.

Schreibt er (Volkert) doch gar nicht; er schreibt, daß sie dort besonders stark verbreitet waren ("Hauptverbreitungsgebiet" - bitte noch einmal genau das Zitat lesen ;)).

Zum Thema "Münzverruf": soweit ich es verstanden hatte, ging es dabei neben der bereits oben angesprochenen Erhöhung des Gewinns aus dem Schlagschatz ja auch um die Zirkulation, welche dadurch gefördert wurde bzw. gefördert werden sollte.
Daß solche Münzverrufe alle Münzen betroffen haben, glaube ich nicht, zumal es - vgl. wiederum das Zitat zum Geldverkehr - insbesondere alte Münzen betraf, welche auf diese Weise aus dem Verkehr gezogen wurden.

Tiefer bin ich jedoch in diese Materie auch noch nicht eingedrungen...
 
Hallo Bender,

bender schrieb:
..... mein bescheidenes volkwirtschaftliches Wissen sagt mir, dass es unmöglich funktionieren kann, wenn alle fünf Jahre die sich im Umlauf befindliche Geldmenge um 25% reduziert wird. Sowas führt doch zwangsläufig zu einer Deflation, oder nicht?.....



Nun, dass muss nicht zur Deflation führen. Deflation entsteht, wenn aus irgendeinem Grund das Geld zurückgehalten wird, so dass weniger Geld als Waren- und Dienstleistungen zur Verfügung stehen, was wiederum zu stetig günstigeren Preisen, und weiterer Zurückhaltung führt, sodass der Wirtschaft rapide ihr nötiges "Schmiermittel" entzogen wird, der Motor ergo massiv ins stocken kommen kann.


Beim Münzverruf der Brakteaten ist ehr das Gegenteil zu erwarten, da man das Geld schnell ausgeben muss, um nicht in den Münzverruf zu kommen, womit dann die Wirtschaft also geschmiert wird. Inflation hat kurzfristig dengleichen Effekt, mittelfristig aber nicht: Zwar wird das Geld dann schneller ausgegeben, aber mit explodierenden Zinsen, Preisen (und verzögert auch Löhnen) vergrössert sich die Geldmenge auch ungesund, während beim Münzverruf die Geldmenge stetig, und damit die Finanzwirtschaft, stabil bleibt.


bender schrieb:
..... Die These von Anders (oben) ist ja, dass Brakteate dazu führten, dass kein Mensch Reichtum horten konnte, sondern dass alle durch die immer wiederkehrenden Münzverrufe dazu gezwungen waren, ihr Geld auszugeben (da es sonst jedesmal 25% weniger wurde). Aber die Logik funktioniert ja nur, wenn jeder sein gesamtes Bargeld in Brakteaten hatte....


Ich vermute mal, dass bei der mittelalterliche Brakteatenausgabe mehr der Blick auf den zu erwartenden Schlagschatz gerichtet war, als auf die dahinterstehende wirtschaftliche Vernunft.

Letztere ist dagegen heutig das Argument der "Freigeldtheorie", die von Anders im offenen Brief vertreten wurde:

Geld, das ewig seinen Wert behält, hat nämlich einen intrinsischen Haken: Durch Zins und Zinsezins wachsen Vermögenswerte auf Dauer exponentiell an, während das Bruttosozialprodukt mit seinem üblichen Verbrauch kurz- und mittelfristig verfällt.
Das führt typischerweise nach 50 bis 100 Jahren dazu, dass den explodierten Vermögenswerten keine entsprechende Angebotsseite mehr zur Verfügung steht.
(So betrugen 1950 dei Aktiva der deutschen Banken etwa 40 % des BIP, 1970 durchschossen sie schon mit 106 % den BIP und heute haben wir bereits deutlich die 300 % Marke durchstossen: ca. 2200 Mrd. Euro BIP stehen über 7000 Mrd. Euro Aktiva der deutschen Finanzinstitute entgegen. In anderen Staaten der entwickelten Welt sieht es inzwischen auch nicht besser aus.)
Das "Schmiermittel" Geld wird also zunehmend "verdünnt", was dann zu den wachsenden (Finanz-)krisen führt, schliesslich oft in eine Depression und einer notwendigen Währungsreform endet.

Trotz dieser allgemein bekannten Probleme dürfte aber die neuerliche Einführung einer Brakteatenwirtschaft/Freigeldwirtschaft im Bereich der volkswirtschaftlichen Träumerei zu verweisen sein. Hr. Anders Anliegen scheitert natürlich daran, dass man ausgerechnet der gesellschaftlich stärksten und einflussreichsten Gruppe den Boden unter den Füssen weghauen müsste.

Der Preis dafür ist bekannt.


Beste Grüsse, Trajan.
 
Ui, Trajan, das hört sich ja richtig wissenschaftlich an !
Ich denke aber, dass man für das Mittelalter, bzw, die Zeit, in der die Brakteaten üblich waren, berücksichtigen muß, dass die Tauschwirtschaft noch bei Weitem überwiegte! Der "Normalbürger" oder "Landmann" verfügte nicht über geprägtes Silber und Kleinmünzen (also quasi Scheidmünzen aus billigerem Metall ) gab es ja noch nicht.

Ein Ausweichen in fremde Währungen ( oben meinte einer z.B. auch mit Gulden bezahlen zu können ) war auch nicht möglich, die Zeit der Gulden (Goldgulden) kam ja erst später.

Wer zuviel an seinen Münzen herumschnippelte oder zuviel Kupfer beimischte ( Billonmünzen), der hatte nicht lange Nutzen von seinem Geld, denn, wenn der Handel dem Geld nicht traute, dann wurde es schon auch verweigert.

Auch die Münzverrufung wurde vom Handel nicht allzulange hingenommen ( vor allem dann, wenn der Zeitpunkt der Verrufung vom Münzherren recht willkürlich festgesetzt wurde, z.B. zu seinem Amtsjubiläum oder halt sonst einem ihm wichtigen Tag ).

Als dann (z.B. Straßburg) einen nicht verrufbaren, sog. ewigen Pfennig verausgabte, trat genau das ein, was Du oben schon beschrieben hast: die Leute begannen das Geld zu horten und zu sparen und der Handel brach ein!

Ein solcher "ewiger Pfennig" war auch der schwäbische sogenannte Händleinhäller der Stadt Hall in Schwaben ( von Barbarossa eingeführt, wurde er bis weit ins 15. JH., dann auch z.B. in Frankfurt und an anderen Orten, geprägt ). So ist es z.B. nicht überraschend, daß Schatzfünde ( selbst bis im fernen China) vorkamen, mit Hunderten wenn nicht Tausenden von diesen Silberlingen.

Und übrigens, nicht alle Brakteaten waren rund. Z.B. Breisach, Freiburg, Basel und andere schweizerische Münzstätten, verausgabten viereckige
Brakteaten, wobei die Ecken wie Zipfel aussehen - daher auch der Name "Zipfelbrakteaten".

So, hab mal etwas im Lexikon von Kroha nachgelesen, weil das sicher nicht jedem zur Verfügung steht.

salu beinand, jeanne
 
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