Lehensverhältnisse

Zar Alexander

Mitglied
Hallo Leute,

ihr kennt mich warscheinlich gar nicht mehr, aber ich werde mich trotzdem mal wieder mit ein paar Fragen melden. :D Wie teilten die Reichsfürsten im HRR ihre gebiete auf? Haben sie das meiste Land einfach unter die Verwaltung von Grafen gestellt oder haben sie im großen Stil Land als erbliches Lehen vergeben? Und welche Rolle hatten die Ritter? Waren sie Verwalter für den Herzog oder richtige Lehnsmänner?

LG,
Alexander
 
Hallo Leute,

ihr kennt mich warscheinlich gar nicht mehr, aber ich werde mich trotzdem mal wieder mit ein paar Fragen melden. :D Wie teilten die Reichsfürsten im HRR ihre gebiete auf? Haben sie das meiste Land einfach unter die Verwaltung von Grafen gestellt oder haben sie im großen Stil Land als erbliches Lehen vergeben? Und welche Rolle hatten die Ritter? Waren sie Verwalter für den Herzog oder richtige Lehnsmänner?

Ist doch schön, dass du dich wieder mal meldest, Alexander.

Die Reichsfürsten organisierten ihr Land ganz anders, als der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs sein Herrschaftsgebiet.

Ursprünglich waren im Mittelalter die Besitzrechte des Adels zersplittert und seine Besitzungen weit verstreut. Die Reichsfürsten bemühten sich daher, ihre Besitzungen und Herrschaftsrechte zusammenzufassen, andere Herren zu verdrängen oder zu unterwerfen und ein geschlossenes Gebiet - ein Territorium - aufzubauen.

In diesem landesfürstlichen oder landesherrlichen Territorium unterstanden nun alle Einwohner der Gewalt des Landesfürsten, der seine Regierung durch eine einheitliche Verwaltungs- und Gerichtsorganisation wirksam verstärkte. Zur Verwaltung des Landes setzte der Landesfürst keine Grafen ein, da ihm das Risiko einer Verselbständigung zu groß war. Stattdessen beauftragte er oft bürgerliche Verwaltungs- und Gerichtsbeamte, die für das in Bezirke eingeteilte Fürstentum zuständig waren. Damit entging der Landesfürst der Gefahr, dass aus Verwaltungsbezirken erbliche Lehnsherrschaften entstanden, wie das im Reich der Fall war.

Im Reichsfürstenrat des Reichstags hatten die Reichsfürsten eine Virilstimme (Einzelstimme) im Gegensatz zu den Kuriatstimmen (Gemeinschaftsstimmen) der Grafenkollegien. Die Grafen innerhalb der Reichsfürstentümer wurden auf die Stufe der Landsässigkeit herabgedrückt und konnten ihre Stimme nur noch innerhalb der Landstände zusammen mit der Ritterschaft, der Geistlichkeit und den Städten zur Geltung bringen.
 
Dann hatten also die Landesfürsten ein ziemlich geschlossenes und sicheres Machtverhältnis innerhalb ihres Terretoriums. Wenn ich es jetzt recht verstanden habe, haben die Landsherren wohl einfach eine Art System von "Regierungsbezierken" aufgebaut, in denen ein Verwalter, ähnlich den römischen Statthaltern, den Herren vertreten haben. Aber wenn das wirklich so war, dann würde doch die Lehenspyramide schon bei den Landesherren enden. Die Fürsten werden doch auch noch irgendwie Lehen vergeben haben. Wie kamen denn die Ritter und Grafen, die trotzdem noch Lehen inne hatten, zustande? Hatten die überhaupt Lehen?
 
Bei der Burg Linn, die zum Kurfürstentum Köln gehörte, gab es eine Interessante Entwicklung. Die Burg wurde von den Herren von Linn aufgebaut. Einer der Herren wollte wohl mit Barbarossa auf den Kreuzzug gehen. Um dieses zu Finanzieren soll er sein Gebiet an den Kurfürsten von Köln verkauft haben und es als Lehen zurückbekommen haben. Als er wieder vom Kreuzzug zurückkam, hat er die Burg ausgebaut, nach Erkenntnissen aus dem Morgenland. Als die Herren von Linn ausstarben kamen Verwalter auf die Kurfürstliche Burg. Sie kam Zeitweise auch zum Herzogtum Kleve. Insgesamt eine Wechselvolle Geschichte.

Apvar
 
Aber wenn das wirklich so war, dann würde doch die Lehenspyramide schon bei den Landesherren enden.

Exakt so ist es, Alexander. Was im Heiligen Römischen Reich als Lehnswesen entstand, setzten die Landesfürsten in ihren Territorien klugerweise nicht fort. Sie setzten lediglich Amtsleute für die Amtsbezirke ihrer Länder ein und an der Spitze stand eine fürstliche Kanzlei, die alle administrativen Akte im Fürstentum überwachte und steuerte.

Grafen innerhalb der Landesherrschaften hatten zwar ihren allodialen Besitz gewahrt, waren aber als Untertanen vom Fürsten abhängig. Sie hatten nur im Rahmen der Ständeversammlung der Landesherrschaft eine Stimme. Es gab also keine Lehnsverhältnisse mehr, sondern lediglich ein Untertanenverhältnis, auch wenn Grafen durch interne Hausgesetze und ihren Rang eine besonders geachtete Stellung genossen
 
War das schon im Hochmittelalter so, oder kam das erst in der typischen Zentralisierung der Landesfürsten in der frühen Neuzeit zustande?
 
Die Rechtsverhältnisse waren reichlich komplex, auch von den tatsächlichen Machtverhältnissen abhängig, sowie im Lauf der Zeit und regional unterschiedlich.
Generell kann man sagen, dass Lehensverhältnisse und landesherrliche Verwaltung nebeneinander existierten. Schon allein deshalb, weil mit der Belehnug nicht alle Herrschafts- und sonstigen Rechte auf den Lehnsmann übergingen. Z. B. verblieb die Hohe oder Blutgerichtsbarkeit beim Landesherrn.
Außerdem musste die Einhaltung der Lehnspflichten überwacht werden.
Ein beliebiges Beispiel: Laudenbach - Chronik

Zusätzlich verkompliziert wurde das Ganze dadurch, dass Lehnsleute "nebenher" auch noch als landesherrliche Amtleute tätig wurden: Riedern (Adelsgeschlecht) ? Wikipedia
 
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Aber wenn das wirklich so war, dann würde doch die Lehenspyramide schon bei den Landesherren enden. Die Fürsten werden doch auch noch irgendwie Lehen vergeben haben. Wie kamen denn die Ritter und Grafen, die trotzdem noch Lehen inne hatten, zustande? Hatten die überhaupt Lehen?
Exakt so ist es, Alexander. Was im Heiligen Römischen Reich als Lehnswesen entstand, setzten die Landesfürsten in ihren Territorien klugerweise nicht fort. Sie setzten lediglich Amtsleute für die Amtsbezirke ihrer Länder ein und an der Spitze stand eine fürstliche Kanzlei, die alle administrativen Akte im Fürstentum überwachte und steuerte.

Grafen innerhalb der Landesherrschaften hatten zwar ihren allodialen Besitz gewahrt, waren aber als Untertanen vom Fürsten abhängig. Sie hatten nur im Rahmen der Ständeversammlung der Landesherrschaft eine Stimme. Es gab also keine Lehnsverhältnisse mehr, sondern lediglich ein Untertanenverhältnis, auch wenn Grafen durch interne Hausgesetze und ihren Rang eine besonders geachtete Stellung genossen

Dem ist zu widersprechen: Natürlich endete die Lehnspyramide nicht bei den Landesfürsten (oder Kronvasallen) sondern ging noch eine Stufe weiter: Zu den Untervasallen, die meist niederen Adelsschichten entstammten.
 
Interessant, interessant, Liborius. So wie ich es jetzt von Dieter verstanden habe, hatten die meisten Ritter und Grafen gar kein Lehn?
 
Selbstverständlich! Wobei Freiwilligkeit so eine Sache ist. Nominell war es natürlich die Entscheidung des Lehnsgebers dem Lehnsnehmer ein Lehen anzuvertrauen. Aber das System besaß eine gewisse Eigendynamik. Das heißt Lehen wurden meist beim Ableben des Lehnsnehmers an dessen Erben weitergegeben, was recht zügig zu einer Vererbung der Lehen führte. Diese Lehen den Lehnsnehmern wieder zu entziehen führte also meist zu Konflikten, weil die Lehnsnehmer sich als rechtmäßige Erben des Lehen empfanden. Der Empfang des Lehens aus den Händen des Lehnsgebers wurde damit gewissermaßen zu einem pro forma-Ritual dessen lehnsrechtlicher Inhalt immer weiter ausgehöhlt wurde.

Es war natürlich auch nicht ganz unproblematisch, wenn der Kronvasall verstarb, im Prinzip waren dann nämlich auch die Untervasallen zunächst wieder in der Lage sich neu um das Lehen bewerben zu müssen. Das Problem verschärfte sich, wenn der Kronvasall erbenlos verstarb, weil dann familiäre Gefolgschaftsbande wegbrachen und neue geknüpft werden mussten.
 
Dem ist zu widersprechen: Natürlich endete die Lehnspyramide nicht bei den Landesfürsten (oder Kronvasallen) sondern ging noch eine Stufe weiter: Zu den Untervasallen, die meist niederen Adelsschichten entstammten.

In den voll ausgebildeten Territorien der Landesherren gab es seit dem späten MA bzw. dem Beginn der Neuzeit keine Lehnsverhältnisse mehr. Der Adel wurde wurde auf eine Landsässigkeit herabgedrückt, behielt seine allodialen Güter, hatte aber keine lehnsrechtlichen Bindungen zum Landesherrn; damit gab es nur noch ein Untertanenverhältnis. Das war ja gerade der Trick der Landesfürsten, dass sie auf ihrer Ebene anders verfuhren, als das im Reich der Fall war, wo das Lehnssystem bis zum Ende des Alten Reichs - zumindest formal - in Kraft blieb.

Ganz anders verlief die Entwicklung bei den Territorien, in denen sich die modernen Verwaltungsstrukturen durchsetzten. Ämterwesen und besoldete Beamte machten die Wahrnehmung der öffentlichen Funktionen durch Lehnsträger überflüssig.

(Lexikon des Mittelalters, Band V, München 2003, S. 1809)
 
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Ergo: Das Lehenswesen war anfangs auf jeder Ebene der Länder und des Reiches eine florierende und abwechslungsreiche Angelegenheit. Ein Adliger war nichts ohne sein Gut, wichtige Ämter im Lande wurden an Lehensträger und Adlige vergeben. Später aber versuchten die Kronvasallen ihre Macht immer zentralistischer zu gestalten, indem sie frei gewordenes Lehen nicht mehr, oder nur zu geringen Teilen, neu vergaben und – salopp gesagt – mit dem Hintern drauf hockten. Ausgenommen natürlich allodial gewordenes Lehen. Stattdessen organisierten sie sich eine Verwaltung, in dessen Organe sie bürgerliche Leute einsetzten, weil die Herren bei diesen nicht Gefahr liefen, in den Druck der Erblichkeit zu geraten.
Jetzt ein Gedanke von mir: Das Umschalten von Vergabe von Lehen auf Ämtervergabe kam deshalb zustande, weil sich wieder eine Geldwirtschaft entwickelte. Im Früh- bis Hochmittelalter herrschte die Naturalwirtschaft vor, also musste die Bezahlung der Amtsträger mit naturalwirtschaftlichen Waren erfolgen, also Land, was soviel wie Nahrung und Holz bedeutete. Später als dann die Geldwirtschaft aufkam, mussten die Landesherren nicht mehr mit Land bezahlen, sondern konnten sich die sicherere Variante aussuchen, indem sie sich treue, bürgerliche Untertanen herauspickten, die sie mit Geld bezahlen konnten.
Stimmt mein Ansatz da?

MfG,
Zar Alexander
 
Mag für das spätere MA gelten. Für Eike von Repgow, den Verfasser des Sachsenspiegels, der im 13. Jahrhundert lebte und schrieb, galt das alte Lehnsrecht noch. Ich will damit aber nicht ausschließen, dass seine Rechtsauffassung zu diesem Zeitpunkt von den geschaffenen Fakten her schon überholt war. Im 12. Jahrhundert jedenfalls existierte noch ein ausgeprägtes Lehnswesen.

Eike von Repgow hat lediglich das sächsische Recht aufgeschrieben. Die meisten Historiker gehen davon aus, das der Sachsenspiegel kein feststehendes Gesetzbuch sein sollte, sondern eher eine Aufzeichnung des uralten, mündlich weitergegebenen Gewohnheitsrechtes, das im niederdeutsch-sprachigem Raum galt. Es wird darum angenommen, dass es mehr als Aufzeichnung entstand, damit das geltende "Mundrecht" nicht von jedem nach seinem belieben umgeformt werden konnte.

In Anlehnung an heute (so würde ich vermuten) könnte man es verstehen wie ein Recht, für eine sache von der immer weniger gebrauch gemacht wird.

MfG,
Zar Alexander.
 
Exakt so ist es, Alexander. Was im Heiligen Römischen Reich als Lehnswesen entstand, setzten die Landesfürsten in ihren Territorien klugerweise nicht fort. Sie setzten lediglich Amtsleute für die Amtsbezirke ihrer Länder ein und an der Spitze stand eine fürstliche Kanzlei, die alle administrativen Akte im Fürstentum überwachte und steuerte.

Das kann ich so nicht bestätigen. Ich hatte in letzter Zeit viel mit kleineren Familien wie Reichsrittern, niederadligen Herren etc. zu tun, und auch diese nahmen Lehen z.B. von den hessischen Landgrafen entgegen. Es kam in diesem Rahmen auch zu ähnlichen Streitigkeiten wie auf der "großen" Reichsebene.
 
Selbstverständlich! Wobei Freiwilligkeit so eine Sache ist. Nominell war es natürlich die Entscheidung des Lehnsgebers dem Lehnsnehmer ein Lehen anzuvertrauen. Aber das System besaß eine gewisse Eigendynamik. Das heißt Lehen wurden meist beim Ableben des Lehnsnehmers an dessen Erben weitergegeben, was recht zügig zu einer Vererbung der Lehen führte. Diese Lehen den Lehnsnehmern wieder zu entziehen führte also meist zu Konflikten, weil die Lehnsnehmer sich als rechtmäßige Erben des Lehen empfanden. Der Empfang des Lehens aus den Händen des Lehnsgebers wurde damit gewissermaßen zu einem pro forma-Ritual dessen lehnsrechtlicher Inhalt immer weiter ausgehöhlt wurde.

So ist es! Örtlich setzte sich dieses "Ritual" noch bis in die 1850er/1860er Jahre fort. Natürlich wirken solche späten Lehnsbriefe, die an Familien gingen, deren Territorien im Reichsdeputationshauptschluss längst größeren Einheiten zugeschlagen wurden, reichlich anachronistisch.
 
In den voll ausgebildeten Territorien der Landesherren gab es seit dem späten MA bzw. dem Beginn der Neuzeit keine Lehnsverhältnisse mehr. Der Adel wurde wurde auf eine Landsässigkeit herabgedrückt, behielt seine allodialen Güter, hatte aber keine lehnsrechtlichen Bindungen zum Landesherrn; damit gab es nur noch ein Untertanenverhältnis. Das war ja gerade der Trick der Landesfürsten, dass sie auf ihrer Ebene anders verfuhren, als das im Reich der Fall war, wo das Lehnssystem bis zum Ende des Alten Reichs - zumindest formal - in Kraft blieb.

Diese Ansicht kann ich nicht teilen. Hier mal ein Beispiel: der zunächst hessische und später hessisch-kasselische Lehnhof wurde als Behörde erst 1518 geschaffen. Die Landgrafen vergaben Lehen an so ziemlich jede hessische Adelsfamilie:
Hessisches Archiv-Dokumentations- und -Informationsystem

Ebenso empfingen sie weiterhin Lehen, was eigentlich noch kurioser anmutet, wenn diese teilweise von vergleichsweisen "Zwergen" wie dem Stift Hersfeld vergeben wurden.

Die Lehnsbeziehungen blieben auch in der frühen Neuzeit ein wichtiges Band zwischen den Fürsten und nachrangigen adligen Familien - auch wenn sich die politische Geltung der Lehen verändert hatte. Nicht selten wurde auch um Inhalte der Lehnsverträge prozessiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
@ Ashigaru
Danke, dass Du mit konkreteren Jahreszahlen gekommen bist. :yes:

Gibt es eine Übersicht darüber, wann die Lehensverhältnisse wo verschwanden? Mir geht es natürlich ausschließlich um das Mittelalter bis zum Ende des HRR (1803/06).

Neben Hessen-Kassel scheint es mir auch andere Fürstentümer (von Reichsfürsten) gegeben zu haben, wo der Adel seine herausragende Rolle als Lehensnehmer lange behaupten konnte.
 
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