Politische Justizmorde in Deutschland?

R.A.

Aktives Mitglied
Gerade habe ich die Lektüre von "Der Brautmaler" abgeschlossen (man braucht ja auch mal was Unterhaltsames ;)).

Ein ordentlich recherchiertes und flott geschriebenes Buch über den Maler Hans Holbein d.J. in London zur Zeit Heinrichs VIII. (ja, das ist der mit den sechs Frauen ...).

Und was mir da aufgefallen ist - und wohl historisch korrekt ist - das ist die Häufigkeit und Leichtigkeit, mit der ein englischer König politisch in Ungnade gefallene Personen hinrichten ließ.
Wer da in den Hofintrigen den Kürzeren zog, der lief leicht Gefahr, bei nächster Gelegenheit im Tower enthauptet zu werden, und seinen Kopf auf eine Stange gesteckt zur Zierde der London Bridge hergeben zu müssen.

Irgendeine Form von pseudo-juristischem Prozeß wird es wohl in den meisten Fällen gegeben haben - aber meist mit vagen und unbewiesenen Angaben à la Hochverrat, de facto waren das Justizmorde aus politischen Gründen.

Ähnliches ist mir aus der deutschen Geschichte eigentlich nicht bekannt.
Bei der "normalen" Kriminalität gab es natürlich auch die Todesstrafe, die wurde auch häufig angewandt.

Aber im politischen Bereich hatte ich den Eindruck, daß die Rechtstaatlichkeit normalerweise gewahrt wurde.
Auf Reichsebene war es eher umgekehrt so, daß selbst krasse Fälle von echtem Hochverrat von Fürsten gegenüber dem Kaiser bzw. dem Reich (z. B. Max II Emanuel von Bayern) nicht geahndet wurden.

Und in den Einzelstaaten war es bestimmt auch keine immer schlaue Idee, dem jeweiligen Fürsten Widerworte zu geben - aber man riskierte maximal Ungnade, nicht seinen Kopf.

Der Fall Katte liegt auf der Grenze, der war mit dem Delikt Fahnenflucht grundsätzlich rechtstaatlich korrekt - nur die Strafverschärfung durch den König war politisch motiviert.

Und dann fällt mir noch der Sonderfall mit Jud Süß Oppenheimer ein (ausgerechnet in Repos demokratischem Württemberg :winke:)


Also mal zum Wochenende die Frage an die Allgemeinheit:
Kann man sagen, daß Deutschland hier generell besser aufgestellt war als England?
Falls ja: Ist das eine deutsche Besonderheit, oder gilt das auch für andere Staaten?


Auf jeden Fall hat mich das schon überrascht, weil nun gerade England auf seine freiheitlichen und rechtstaatlichen Traditionen so stolz ist.
Aber vielleicht sind die gerade deshalb so stark, WEIL sie gegen so brutal agierende Könige erkämpft werden mußten.
 
Mir selbst sind ähnliche Justizmorde wie in England nicht bekannt, ausgenommen die Hinrichtung von Nikolaus Krell 1601. Das war aber auch aus religiös-politischen Gründen geschehen. Ähnlich wie bei Henry VIII. war ein ehemals dem Herrscher (Christian I.) nahestehender und religiös umtriebiger Mann in Ungnade gefallen. Letztlich waren daran wohl genauso die Intrigen der lutherischen Kriese am kursächsischen Hof wie die geistige Beschränktheit Christian II. daran schuld gewesen.

Und dann fällt mir noch der Sonderfall mit Jud Süß Oppenheimer ein (ausgerechnet in Repos demokratischem Württemberg )
"Repos demokratisches Württemberg" - das bringt mich auf einen anderen Gedanken. Demokratie muss ja nicht mit Gerechtigkeit zu tun haben.:grübel:
 
Mir selbst sind ähnliche Justizmorde wie in England nicht bekannt, ausgenommen die Hinrichtung von Nikolaus Krell 1601.
Verbunden mit der Fülle der weiteren Antworten hier ;-) nehme ich das jetzt als Beleg, daß die deutsche Innenpolitik im alten Reich tatsächlich viel rechtstaatlicher war als die englische.

(Und in der Tat - wenn auch der Hinweis auf Württemberg humorvoll gemeint war - demokratisch und rechtstaatlich sind unterschiedliche Aspekte).

Das wird mal Anlaß für mich sein, etwas mehr in die englische Geschichte einzusteigen.
Da wird gerne so eine tolle Traditionslinie gezogen, von der Magna Charta und dem Anfang des Parlamentarismus bis zur modernen Demokratie mit allen Bürgerrechten - und es gibt ja auch die Idee, das als welthistorischen Standard zu nehmen, um z. B. einen "Sonderweg" des trüben, reaktionären Deutschlands zu behaupten.

Da bleibt bei näherer Betrachtung wohl nicht viel übrig.
Sondern jede europäische Nation hat sich wohl mit eigenständigen Höhen und Tiefen der Moderne genähert, und da wechselte wohl ständig, wer gerade als Vorbild dienen konnte.
 
Der Fall Katte liegt auf der Grenze, der war mit dem Delikt Fahnenflucht grundsätzlich rechtstaatlich korrekt - nur die Strafverschärfung durch den König war politisch motiviert.

.

Dazu habe ich eine Frage.
Wenn der König konsquent gewesen wäre, hätte er ja seinen Sohn Friedrich auch hinrichten lassen müssen. Also doch Willkür zur Abschreckung?
 
Der paßt wohl nicht wirklich.
Erstens ist das schon deutlich nach Ende des alten Reichs, und zweitens wurde er nicht hingerichtet, weil er im Intrigenspiel bei Hofe den Kürzeren gezogen hätte, sondern weil er einen groß angelegten Aufstand angeführt hat.

So sympathisch mir dieser Aufstand inhaltlich ist - das ist natürlich juristisch korrekt als Hochverrat zu werten und die Hinrichtung durchaus kein "Justizmord".
 
Das wird mal Anlaß für mich sein, etwas mehr in die englische Geschichte einzusteigen.
Da wird gerne so eine tolle Traditionslinie gezogen, von der Magna Charta und dem Anfang des Parlamentarismus bis zur modernen Demokratie mit allen Bürgerrechten - und es gibt ja auch die Idee, das als welthistorischen Standard zu nehmen, um z. B. einen "Sonderweg" des trüben, reaktionären Deutschlands zu behaupten.

Da bleibt bei näherer Betrachtung wohl nicht viel übrig.
Sondern jede europäische Nation hat sich wohl mit eigenständigen Höhen und Tiefen der Moderne genähert, und da wechselte wohl ständig, wer gerade als Vorbild dienen konnte.
Wie Du schon sagtest, ist die Magna Charta ein Anfang, aber eben noch nicht die Rechtssicherheit, die sich später verdichtete. Mir scheint Henry VIII. noch recht mächtig. Er schaffte es ja selbst den ehemals bedeutenden Klerus, aber auch den Adel seine, wie Du schon richtig qualifiziertest, Justizmorde abzunicken.
Wenn man anschaut wie rücksichtslos schon sein Vorgänger vorgegangen war, wenn es um die Erbfolge und eventuelle andere Thronanwärter ging, waren die Engländer vielleicht an solch eine Vorgehensweise gewöhnt.

Dazu habe ich eine Frage.
Wenn der König konsquent gewesen wäre, hätte er ja seinen Sohn Friedrich auch hinrichten lassen müssen. Also doch Willkür zur Abschreckung?
Da gibt es unterschiedliche Zugänge. Grundsätzlich scheint mir die Vorgehensweise von Friedrich Wilhelm I. so oder so überzogen. Leider kenne ich nicht die genaue Rechtslage in Preußen. Die Regel war aber Hinrichtung bei Fahnenflucht, die Katte wie Kronprinz Friedrich vorgeworfen worden war, nicht. Bei Soldaten handhabte man das auch rücksichtsvoller, weil sonst die Bestrafungen erheblich den Mannschaftsbestand reduziert hätten. Fahnenflucht vor dem Feind und im Kriege wurde der Theorie nach im Kriege härter bestraft, aber auch das hatte Ausnahmen, eben da man im Kriege erst recht nicht auf die Fahnenflüchtigen verzichten konnte, und Preußen war 1730 nicht im Kriege.

Die Krux ist obendrein, dass ein Kronprinz schlicht nicht ein irgendwer ist. Selbst wenn die Todesstrafe auch im Frieden auf Fahnenflucht in Preußen stand, lag ein Urteil darüber beinahe außerhalb der Macht des Königs in Preußen. Denn dieser war als Kurfürst noch immer Untertan des Kaisers und über diese Argumentation versuchte man ja auch zu Gunsten des Kronprinzen auf den König einzuwirken, was aber Letzteren nur noch mehr aufbrachte.

Später sollte sich zum Schein Friedrich bei seinen Unterstützern auf Reichsseite revanchieren indem er sich in die Dienste der kaiserlichen Diplomatie am Hofe des Soldatenkönigs stellte. Zumindest lässt diese Annahme die Memoiren der Prinzessin Wilhelmine zu.


Eine Glosse am Rande: auch Friedrich I., der Vater von Friedrich Wilhelm I., war als Kronprinz geflohen, kehrte aber zurück.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wobei Henrich der VIII bei weitem nicht der Einzige war, der so handelte. Fing es nicht schon mit Wilhelm dem Eroberer an, der überall Verrat vermutete, selbst bei der eigenen Familie bzw. "Halb-Familie". Er war ja nun schon auch nicht zimperlich im Aussortieren. Manch seiner Söhne war nicht viel besser.

Gerade Henry/Heinrich hatte allerdings Grund Lords und Chleriker zu fürchten, weshalb er ja die Kirche in England in Grund und Boden stampfte und sich Kirchenbesitz einverleibte, oder es großzügig an Günstlinge verteilte, die er später vielleicht hinrichten liess. Mit seinen Frauen war er auch nicht zimperlich.

Die Darcys, eine der ältesten Stammhäuser Englands, verloren einige Söhne, weil sie gegen die Abwendung von der Kirche waren, obwohl sie der Krone/dem Land immer treu ergeben waren.

Ich glaube, hier liegt auch der "Hund" begraben: Treue dem Land/Volk gegebenüber oder Treue dem König gegenüber. "Englische" Herrscher verlangten seit Wilhelm bedingungslose Ergebenheit nicht an die krone, sondern an den König. Wehe dem, der in erster Linie an das Wohl der Krone, und dann erst an das des Königs, dachte, womit er gefährlich lebte. :grübel:
 
Zuletzt bearbeitet:
Wobei Henrich der VIII bei weitem nicht der Einzige war, der so handelte.
Richtig. Das war bloß der, bei dem es mir plötzlich aufgefallen ist - generell war aber in der Tat die englische Politik deutlich brutaler als die deutsche (oder die kontinentale?)

Fing es nicht schon mit Wilhelm dem Eroberer an ...
Ja - aber der war ja noch vor der Magna Charta, nach der eine Willkürherrschaft des Königs eigentlich nicht mehr so leicht hätte möglich sein können ("Habeas Corpus" ...).

"Englische" Herrscher verlangten seit Wilhelm bedingungslose Ergebenheit nicht an die krone, sondern an den König.
Verlangt haben das die deutschen Herrscher bestimmt auch.
Nur eben im Rahmen des gültigen Rechtssystems nicht durchsetzen können.
 
Verlangt haben das die deutschen Herrscher bestimmt auch.
Nur eben im Rahmen des gültigen Rechtssystems nicht durchsetzen können.
Hm, weiß nicht. Ich denke doch, dass die Philosophie eine andere war, man bei uns eher Treue zur Krone verlangte, nicht nur einer Person gegenüber.

Erstaunlicherweise kam es ja in England, Bürgerkrieg hin oder her, nicht/nie zu einer Revolution mit russischen oder französischen Auswüchsen, sprich Mord an der gesamten Herrscherfamilie oder Hochadel.

Das impliziert doch Ehrfurcht oder Respekt vor der Person des Königs und der Monarchie. Man hat nicht genügend Kräfte gegen IHN sammeln können, ihn zu stürzen, abzusetzen oder zu ermorden.

Man hat den König oder Kaiser und damit die Monarchie anscheinend nie so gehasst, wie in Russland oder Frankreich, und sogar in Deutschland.
 
Zuletzt bearbeitet:
Fällt mir mal Agnes Bernauer ein.

Süß Oppenheimer, ein interessanter Fall. Den ich auch als Grenzfall einstufen würde, so ganz unschuldig war er nun doch nicht. Todeswürdig natürlich nicht.
Aber, und damit habt Ihr recht, Demokratie hat in dem Fall mit Recht wirklich weniger zu tun.
Dem sind eher die demokratischen Strukturen zum Verhängnis geworden.

Wäre doch einen Thread wert.
 
Hätte ich fast vergessen.

Wieland nennt in seinem "Statement" zur Franz. Rev. unter anderem die wesentlich bessere Rechtssicherheit in Deutschland gegenüber dem vorrev. Frankreich.

Habe ich hier irgendwo schon mal daraus zitiert.
 
Hätte ich fast vergessen.

Wieland nennt in seinem "Statement" zur Franz. Rev. unter anderem die wesentlich bessere Rechtssicherheit in Deutschland gegenüber dem vorrev. Frankreich.

Habe ich hier irgendwo schon mal daraus zitiert.
Worauf beruft sich Wieland? Ich kann mir vorstellen, dass es im Reich ja ziemlich unterschiedlich ausschaute. Hat der Kaiser oft eingegriffen, wenn sich Untertanen zum Beispiel von ihrer Obrigkeit schlecht behandelt fühlten?
Eine gute Frage ist auch, welche Rolle der französische Zentralismus bei der Rechtspflege spielte. Oder war da die personelle Besetzung der Gerichte wichtiger?:grübel:
 
Ich kann mir vorstellen, dass es im Reich ja ziemlich unterschiedlich ausschaute.
Schon, aber es gab zumindestens einheitliche Institutionen wie das Reichskammergericht.

Hat der Kaiser oft eingegriffen, wenn sich Untertanen zum Beispiel von ihrer Obrigkeit schlecht behandelt fühlten?
Der Kaiser nicht - aber wenn sich Untertanen vor Gericht erfolgreich gegen ihre Obrigkeit durchsetzten, wurde das schon respektiert.
Solche Prozesse waren natürlich nicht häufig, sie waren teuer, konnten oft lange dauern (das berühmte "auf die lange Bank schieben" hat seinen Ursprung in den Prozeduren der Reichtsgerichtsbarkeit), und man bekam als Kläger natürlich nicht immer Recht - aber es wurde eben auch immer wieder gegen eine Obrigkeit entschieden, und das hatte Präzedenzwirkung.

Eine gute Frage ist auch, welche Rolle der französische Zentralismus bei der Rechtspflege spielte.
Der Zentralismus ist ja eigentlich erst mit der Revolution wirklich durchgesetzt worden.
(Wie sagte einer meiner Profs: Die französische Revolution war der Abschluß eines mehrere Jahrhunderte dauernden Bürgerkriegs zwischen Paris und den Provinzen).

Vorher gab es bei der Gerichtsbarkeit im wesentlichen regionale Zuständigkeiten, und die wurden vom Feudaladel dominiert.
Es war da in der Regel wohl nicht möglich, daß Untertanen Klage gegen ihre Herren erheben konnten.

Dafür griff man in Frankreich viel häufiger als in Deutschland zur Revolte.

Sprich: Wenn in Frankreich die Steuereintreiber zu gierig waren, wurde mal einer totgeschlagen.
Natürlich wurde der Aufstand dann niedergeschlagen und einige Aufrührer hingerichtet - trotzdem war dann wieder für einige Zeit geklärt, wo die Belastungsgrenze lag und die Herrschenden hielten sich etwas zurück.
In Deutschland dagegen ging man vor Gericht.

Und letztlich wirken diese Traditionen ja bis heute.
Es gibt zwar auch in Deutschland Demos, aber die bewirken in der Regel nichts - man geht lieber vors Verwaltungs- oder Bundesverfassungsgericht.
In Frankreich dagegen sind immer noch Straßenproteste (mit einem für Deutschland schwer vorstellbaren Gewaltniveau) das Mittel der Wahl bei Unzufriedenheit mit der Regierung.
 
1.
Der Zentralismus ist ja eigentlich erst mit der Revolution wirklich durchgesetzt worden.
(Wie sagte einer meiner Profs: Die französische Revolution war der Abschluß eines mehrere Jahrhunderte dauernden Bürgerkriegs zwischen Paris und den Provinzen).

2.
In Frankreich dagegen sind immer noch Straßenproteste (mit einem für Deutschland schwer vorstellbaren Gewaltniveau) das Mittel der Wahl bei Unzufriedenheit mit der Regierung.
1. Ganz richtig, wobei wie Du selbst zugegeben hast, die Tendenz schon zuvor vorhanden war. Jetzt wäre die Frage, ob wir in diesem Unterforum über die Zeit des Sonnenkönigs sprechen dürfen. Der hatte ja die Macht zusehends auf Versailles konzentriert und den Adel vorübergehend seiner politischen Mitbestimmung über die Parlamente beraubt.

2.
Das wäre so wie in England mit seinen Ausnahmezuständen bei manchen Wahlen in der Frühen Neuzeit.

Grundsätzlich gebe ich Dir aber Recht, die Revolten waren im HRR weniger und wenn dann regional begrenzter, was aber wiederum mit dem föderativen Charakter des HRR zusammenhängen mag.



Interessant wäre für diese Diskussion wie hoch der Prozentsatz von Fällen war, die innerhalb des HRR ans Reichskammergericht gelangten im Vergleich zu der Tätigkeit der landesherrlichen Gerichte. Wir haben doch hier einige geschickte Statistiker, vielleicht können die was dazu liefern. Für mich wäre es zumindest einleuchtend, dass wohl mit Zunahme der Partikulargewalten sich auch hier die Gewichtungen weiter gegen eine Reichsgerichtsbarkeit verschoben.
 
1. Ganz richtig, wobei wie Du selbst zugegeben hast, die Tendenz schon zuvor vorhanden war.
Zugeben hieße ja, ich wüßte es ;-)

Ich habe hier aber nur Vermutungen (weil eben Frankreich einen so zentralistischen Ruf hat), kann aber für die vorrevolutionäre Zeit nicht sagen, ob es da im Gerichtswesen schon Zentralismus gab.

Jetzt wäre die Frage, ob wir in diesem Unterforum über die Zeit des Sonnenkönigs sprechen dürfen.
Wenns dem Vergleich mit Deutschland dient, wäre das bei diesem Thema wohl sehr sinnvoll und damit erlaubt.

Der hatte ja die Macht zusehends auf Versailles konzentriert und den Adel vorübergehend seiner politischen Mitbestimmung über die Parlamente beraubt.
Politisch - ja.
Aber betraf das auch das Gerichtswesen?

Konkret: Hätte irgendeine französische Prozeßpartei an eine Instanz in Paris appellieren dürfen, wenn sie mit dem Urteil des regionalen Gerichts unzufrieden war?

Interessant wäre für diese Diskussion wie hoch der Prozentsatz von Fällen war, die innerhalb des HRR ans Reichskammergericht gelangten im Vergleich zu der Tätigkeit der landesherrlichen Gerichte.
Würde ich gar nicht für so relevant halten.
Denn auch bei den Landesgerichten konnten sich ja Untertanen gegen ihre Obrigkeit durchsetzen - wenn auch nur in Ausnahmefällen gegen den Landesherrn selber.
Ich wäre aber auch im Zweifel, ob sich eine Dorfgemeinschaft vor dem RKG gegen einen Kurfürsten hätte durchsetzen können - in der Theorie wäre es wohl möglich gewesen, aber in der Praxis hätte man sich das doch wohl nicht getraut.

Solange aber sonst nicht befürchtet werden muß, daß die Landesgerichte tendenziell "Untertanen-unfreundlicher" richteten als das RKG (und dafür hätte ich keinerlei Indizien), ist die Quote nicht wirklich wichtig.

Man könnte eine abnehmende Quote auch damit erklären, daß sich die RKG-Rechtsprechung beispielgebend auch in den Territorien durchsetze.
 
Worauf beruft sich Wieland? Ich kann mir vorstellen, dass es im Reich ja ziemlich unterschiedlich ausschaute. Hat der Kaiser oft eingegriffen, wenn sich Untertanen zum Beispiel von ihrer Obrigkeit schlecht behandelt fühlten?
Eine gute Frage ist auch, welche Rolle der französische Zentralismus bei der Rechtspflege spielte. Oder war da die personelle Besetzung der Gerichte wichtiger?:grübel:

Wenn ich mich richtig erinnere meint Wieland insbesondere die Hofgerichte die wohl von "Jedermann" angerufen werden konnten.
Die "Lokal-Despoten" insofern keineswegs schalten und walten konnten, wie es ihnen passte.

Ich lese heute Abend mal nach. Ist schon eine Weile her.
 
Ich wäre aber auch im Zweifel, ob sich eine Dorfgemeinschaft vor dem RKG gegen einen Kurfürsten hätte durchsetzen können - in der Theorie wäre es wohl möglich gewesen, aber in der Praxis hätte man sich das doch wohl nicht getraut.

Solange aber sonst nicht befürchtet werden muß, daß die Landesgerichte tendenziell "Untertanen-unfreundlicher" richteten als das RKG (und dafür hätte ich keinerlei Indizien), ist die Quote nicht wirklich wichtig.

Man könnte eine abnehmende Quote auch damit erklären, daß sich die RKG-Rechtsprechung beispielgebend auch in den Territorien durchsetze.

Kann ich aus der Regional-Geschichte aber aus der Hand 2 Beispiele aufzählen, einmal die "Freipürschler" in der Schw. Alb, zum anderen die "Nichthuldiger" in der Grafschaft Hohenzollern-Hechingen, die Prozesse zogen sich über diverse Vergleiche und Jahrzehnte hin, aber in beiden Fällen haben sich die "Untertanen" letztlich durchgesetzt.
 
Wenn ich mich richtig erinnere meint Wieland insbesondere die Hofgerichte die wohl von "Jedermann" angerufen werden konnten.
Die "Lokal-Despoten" insofern keineswegs schalten und walten konnten, wie es ihnen passte.

Ich lese heute Abend mal nach. Ist schon eine Weile her.

Dazu einmal folgende Erklärung.

"Dieses Reich mit seiner lockeren föderativen Struktur und seinem Kaisertum mit wenigen Kompetenzen stellte vor allem einen Raum mit einer allgemein gültigen, durch die höchsten Reichsgerichte und den Reichstag gewährleisteten Rechtsordnung dar, ein Mitteleuropa der Regionen, in dem im Allgemeinen eine Reichsfriedensordnung galt in der bei allen Ausnahmen doch im Wesentlichen der Grundsatz "Recht vor Macht" im Gegensatz zur Umbruchzeit der Revolutionskriege und Napoleons hochgehalten wurde."
*

"Gleichzeitig schützten die Reichsgerichte aber auch die Untertanen der verschiedenen Reichsstände, d.h. der Reichsterritorien und Reichsstädte, gegen Willkür und Despotismus. Dies geschah vielfach schon allein durch die Existenz der obersten Reichsgerichte, die angerufen werden konnten, auch wenn sie in der Praxis oft nicht genügend eingriffen. ...
Die höchsten Reichsgerichte sind somit als oberstes gerichtliches Refugium für die Untertanen, die Landstände und die Reichsstände nicht zu unterschätzen. Obwohl das den Kurfürsten und im Laufe der Jahrhunderte immer mehr Reichsständen zustehende privilegium de non appellando (Verbot, sich nach Urteilen der obersten Gerichte des jeweiligen Territoriums an die Reichsgerichte zu wenden), dem entgegenzustehen schien, gab es bestimmte Umstände, unter denen auch trotz des Privilegiums des entsprechenden Landesherren ein Reichsgericht anberufen werden konnte: bei behaupteter Justizverweigerung und unheilbarer Nichtigkeit eines Urteils. Immerhin machte diese Art von Klage etwa 60 % der Fälle bei den Reichsgerichten aus."
**

So erreichte der Reichshofrat immerhin, wenn auch typisch langsam arbeitend, nach sechs Jahren die Entlassung des vom württembergischen Herzog streng inhaftierten Staatsrechtlers Johann Jacob Moser(1701-1785).

*
Peter Claus Hartmann: "Das Heilige Römische Reich in der Neuzeit 1486 - 1806" Reclam, Stuttgart, 2007
hier: "Verfassung" - "Grundzüge der Verfassungsentwicklung"
S. 16-17
**
ebenda
unter "Verfassung" - "Gemeinsame Institutionen" - "Reichsgerichte"
S. 84-85
 
Zuletzt bearbeitet:
Schmeisst doch mal die Suchmaschine an. Dann findet ihr auch die entsprechenden Justizmorde aus den deutschen Ländern - bspw.:

1495 Agnes Bernauer (Bayern)
http://de.wikipedia.org/wiki/Agnes_Bernauer

1516 Sebastian Breuning aus Württemberg http://de.wikipedia.org/wiki/Festung_Hohenasperg#Heiliges_R.C3.B6misches_Reich

1757 Andreas Faulhaber (preußisches Opfer): Andreas Faulhaber – Wikipedia

1885 Julius Lieske (Frankfurt a M.) umstr.: http://www.fau-mat.de/assets/s2dmain.html?http://www.fau-mat.de/50334395ef0e0faa0/index_2.html

1921 Leonhard Siefert (Heidelberg)
http://www.justiz.sachsen.de/download/Schnepf.pdf

etc. etc.

Wer suchet, der findet!
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben