Hallo,
letztens habe ich ein Zitat von Paul Carrel gelesen, wo er den Nationalsozialismus als einzige Lebensform deklariert.
Meine Frage lautet nun, wie konnte ein bekennender Nazi nach dem Kriegsende als Publizist für den "Spiegel" oder "Die Welt" arbeiten?
Irgendwie verstehe ich das nicht ganz. . .
Es ist schwer, dass hinreichend in einigen wenige Sätzen erhellen zu wollen. Ich muss daher in meiner Antwort oberflächlich bleiben.
Carell oder auch Paul Karl Schmidt war nicht der einzige ehemalige Nazi, der nach dem Krieg eine zweite Karriere gemacht hat. Da gab es selbst Staatssekretäre (Globke) und Bundeskanzler (Kiesinger), die einen ähnlichen Weg gegangen sind.
Dass dies möglich war, lag wohl an einer ganzen Gemengelage von Gründen, zu denen folgende zählen mögen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Die betr. Personen haben sich (mehr oder weniger) glaubhaft von ihrer Vergangenheit im NS-Regime distanziert und sich (ebenso mehr oder weniger) glaubhaft zu überzeugten und reumütigen Demokraten gewandelt
- Eine Kontinuität der Staatsverwaltung wie auch das Weiterbestehen anderer Organe wie z. B. der Presse wäre ohne die Mitarbeit ehemaliger Nazis nicht zu gewährleisten gewesen
- Im beginnenden Kalten Krieg trat die Vergangenheit möglicher Bündnispartner hinter deren gegenwärtiger Zuverlässigkeit zurück
- Verbreitet war auch die Ansicht, die Bevölkerung sei von Hitler "verführt" worden. Jeden, der nicht ein "120prozentiger" Nazi gewesen sei, treffe also keine wirkliche Schuld, er sei vielmehr selbst als Opfer anzusehen
Diese Widersprüchlichkeiten ziehen sich durch die Geschichte der BRD. Eine aktuelle Ausstellung beschäftigt sich übrigens mit der Rolle Axel Springers in diesem Kontext. Obgleich er als ausgesprochener Philosemit galt, beschäftigte er ausgewiesene Ex-Nazis in seinem Verlag.
Hierzu z. B.:
Ausstellung "Springer und die Juden" in Frankfurt - Bild dir dein Volk - Kultur - sueddeutsche.de
So einfach wird sich die Frage also wohl nicht klären lassen. Ich hoffe aber, ich konnte Dir trotzdem ein wenig mehr Einblick in die Materie verschaffen.
