Keine Debatte über die Stasi?

Dennis

Mitglied
Hallo,

ich beschäftige mich mit mit der Frage, wie nach 1989 in der Öffentlichkeit mit dem Thema "Stasi" umgegangen wurde.
Was das Erbe des NS angeht, gab es ja durchaus öffentliche Debatten, wie damit umzugehen sei (bspw. "Goldhagen-Debatte" oder die Auseinandersetzungen um die Wehrmachtausstellung).
In Bezug auf die Stasi hat es mW nie eine größere Debatte gegeben. Warum ist das so?

Mich würde eure Meinung interessieren, vor allem wäre ich aber auch über Literaturtipps dankbar.

Vielen Dank und eine entspannte freie Zeit.
Gruß
Dennis
 
Es gibt ständig irgendwelche Debatten. Es braucht halt manchmal seine Zeit. Die ersten zwanzig Jahre nach dem Krieg hat man auch nur wenig über die Verbrechen diskutiert. Die Wehrmachtsausstellung war Ende der 90er für viele ein Schock, denn man hatte sich mit der Vorstellung einer sauberen Wehrmacht und dass die SS und ihre Unterorganisationen quasi alleinverantwortlich für die Völkermorde waren, gut arrangiert.
Und Debatten über die Stasi oder über die Verbrechen der DDR gibt es immer wieder, rund um die Mauerschützenprozesse, aber auch rund um die Stasi-Gefängnisse. So versuchen z.B. ehemalige Stasi-Leute nach wie vor ihre ehem. Opfer zu drangsalieren: Rund um die Gefängnisse Bautzen und Hohenschönhausen gibt es eine realtiv hohe Dichte von Ex-Stasi-Mitarbeitern, die in diesen Gefängnissen gearbeitet haben. Seitdem die Gefängnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht sind, hat es immer wieder Vorfälle gegeben, dass Ex-MfS-Mitarbeiter die nun dort arbeitenden ehemaligen Häftlinge angepöbelt haben, oder deren Autos angegriffen haben (zerkratzter Lack, zerstochene Reifen). Darüber gibt es natürlich auch offene Debatten.
Die Sache ist nur die: Viele Ostdeutsche wollen mit dem Komplex selber fertig werden bzw. sind noch nicht bereit dazu ihn aufzuarbeiten. Auch Leute, die distanziert oder gar oppositionell gegenüber dem DDR-Regime eingestellt waren, reagieren zum Teil sehr empfindlich auf Äußerungen von Westdeutschen über die DDR. Da wird dann ein ganz eigener Nationalstolz verletzt, was natürlich dazu führt, dass es verdammt schwierig ist, solche Debatten zu führen. Dennoch, sie sind geführt worden und sie werden geführt, wenn auch vielleicht nicht so öffentlichkeitswirksam. Am besten du fährst mal nach Leipzig und gehst dort in die Runde Ecke oder zu einem der beiden oben genannten Gefängnisse. Das dürfte sehr informativ sein.
 
Ich habe selbst auf der Insel Hiddensee, ein Mikrokosmos für sich, einige Hektoliter Bier mit jemandem der heute als IM bekannt ist gesoffen. Meine Akte habe ich nie eingefordert, will es gar nicht wissen.
 
Vielleicht noch zur Ergänzung: Es gibt ja die sogenannte Gauck-, Birthler- oder jetzt - obwohl ich das noch nicht gelesen oder gehört habe - Jahn-Behörde, offiziell die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU). Diese ist immer wieder Gegenstand der politischen Diskussion, gerade wenn es darum geht, sie fortzuführen bzw. nicht fortzuführen. Es gibt nämlich durchaus Interessen, die Stasi-Unterlagen dem normalen Archivgut zuzuführen, was u.a. mit Sperrfristen zusammenhängt.
Desweiteren wird natürlich auch eine gewisse Geschichtspolitik betrieben, wenn man Gedenkstätten Gelder zusteckt oder entzieht.
 
In Bezug auf die Stasi hat es mW nie eine größere Debatte gegeben. Warum ist das so?
Das ist eine Frage der Wahrnehmung bzw. der Perspektive. Ich komme, wenn ich die Aufarbeitung der Geschichte des "Unterdrückungsapparats" 1933/45 (A) und 1949/89 (B) vergleiche [1], zu dieser - pauschalen - Einschätzung:

  • Ein großer Teil der Spitzenpersonals zu A wurde 1946/48 in aufsehenerregenden Prozessen der Siegermächte verurteilt.
    Die Verfahren gegen die Verantwortlichen zu B erregten weniger Aufsehen.
  • Der gesamte "Unterbau" von A blieb danach weitgehend unbehelligt und wurde nach 1949 in vielen Fällen nahtlos in den öffentlichen Dienst übernommen.
    Der Unterbau von B wurde eingehend durchleuchtet und konnte nach 1989 großenteils seine "Karriere" nicht fortsetzen.
  • Viele Aktenbestände, die der Aufarbeitung von A hätten dienen können, waren über Jahre und Jahrzehnte nicht zugänglich; das änderte sich erst seit den 60er Jahren.
    Die schon erwähnte BStU ermöglichte schon sehr bald, sich mit Struktur und Aktivitäten von B auseinanderzusetzen.
....vor allem wäre ich aber auch über Literaturtipps dankbar.
Es ist jedem größeren Katalog zu entnehmen, dass die Auseinandersetzung mit der "Stasi" seit Jahren ein wichtiges Thema ist. [2] Erst jüngst ist ein "MfS-Lexikon" erschienen, das einen umfassenden Überblick zu geben verspricht und sich bewusst an ein breites Publikum wendet.


[1] Soweit das überhaupt möglich/zulässig ist.
[2] z.B. GVK - Gemeinsamer Verbundkatalog - 2.1
 
Danke für Eure Beiträge.

Es gibt ständig irgendwelche Debatten. Es braucht halt manchmal seine Zeit. Die ersten zwanzig Jahre nach dem Krieg hat man auch nur wenig über die Verbrechen diskutiert. Die Wehrmachtsausstellung war Ende der 90er für viele ein Schock, denn man hatte sich mit der Vorstellung einer sauberen Wehrmacht und dass die SS und ihre Unterorganisationen quasi alleinverantwortlich für die Völkermorde waren, gut arrangiert.
Und Debatten über die Stasi oder über die Verbrechen der DDR gibt es immer wieder, rund um die Mauerschützenprozesse, aber auch rund um die Stasi-Gefängnisse. So versuchen z.B. ehemalige Stasi-Leute nach wie vor ihre ehem. Opfer zu drangsalieren: Rund um die Gefängnisse Bautzen und Hohenschönhausen gibt es eine realtiv hohe Dichte von Ex-Stasi-Mitarbeitern, die in diesen Gefängnissen gearbeitet haben. Seitdem die Gefängnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht sind, hat es immer wieder Vorfälle gegeben, dass Ex-MfS-Mitarbeiter die nun dort arbeitenden ehemaligen Häftlinge angepöbelt haben, oder deren Autos angegriffen haben (zerkratzter Lack, zerstochene Reifen). Darüber gibt es natürlich auch offene Debatten.
Die Sache ist nur die: Viele Ostdeutsche wollen mit dem Komplex selber fertig werden bzw. sind noch nicht bereit dazu ihn aufzuarbeiten. Auch Leute, die distanziert oder gar oppositionell gegenüber dem DDR-Regime eingestellt waren, reagieren zum Teil sehr empfindlich auf Äußerungen von Westdeutschen über die DDR. Da wird dann ein ganz eigener Nationalstolz verletzt, was natürlich dazu führt, dass es verdammt schwierig ist, solche Debatten zu führen. Dennoch, sie sind geführt worden und sie werden geführt, wenn auch vielleicht nicht so öffentlichkeitswirksam. Am besten du fährst mal nach Leipzig und gehst dort in die Runde Ecke oder zu einem der beiden oben genannten Gefängnisse. Das dürfte sehr informativ sein.

Gut, aber man kann doch schon einmal festhalten, dass es Debatten in der öffentlichen (!) Meinung niemals in dem Maße gegeben hat, wie es in Zusammenhang mit der NS-Vergangenheit geschehen ist. Ich finde das ist ein ganz wichtiger Punkt, der in deinem Beitrag fast untergeht.

Gruß
 
Gut, aber man kann doch schon einmal festhalten, dass es Debatten in der öffentlichen (!) Meinung niemals in dem Maße gegeben hat, wie es in Zusammenhang mit der NS-Vergangenheit geschehen ist.
DU darfst hier alles festhalten, was DU für richtig hältst!:winke:
Aber ernsthaft: Angenommen, wir möchten die These "dass es Debatten..." nach anerkannten wissenschaftlichen Kriterien beweisen - wie würden wir vorgehen?

  • Als erstes wäre wohl zu definieren, wer oder was "die öffentliche (!) Meinung" ist und was "zählt": Zahl der Meinungsumfragen (oder der Befragten) zum Thema? Zahl der einschlägigen Schlagzeilen in den vier größten überregionalen Tageszeitungen? Zahl der Leserbriefe zum Thema? Zahl der themenbezogenen Demonstrationen (und der Teilnehmer daran)? Zahl der Stammtischgespräche? (Achtung: Dunkelziffer!)
  • Als zweites müsste der Vergleichszeitraum definiert werden. Kann man 65 Jahre mit 25 Jahren vergleichen? Ist es methodisch zulässig, irgendein Jahr herauszugreifen, und wenn ja, welches?
Wenn Du schon einen tragfähigen Forschungsplan hast, helfe ich gern beim Auszählen. (Ob ElQ. auch mitmachen kann, weiß ich nicht, weil der noch Rummoderieren muss.)
 
@Dennis

Mein Mitdiskutant jschmidt hat es auf den Punkt gebracht, und zwar mit der implizierten Fragestellung:

"...Aber ernsthaft: Angenommen, wir möchten die These "dass es Debatten..." nach anerkannten wissenschaftlichen Kriterien beweisen - wie würden wir vorgehen?

  • Als erstes wäre wohl zu definieren, wer oder was "die öffentliche (!) Meinung" ist und was "zählt": Zahl der Meinungsumfragen (oder der Befragten) zum Thema? Zahl der einschlägigen Schlagzeilen in den vier größten überregionalen Tageszeitungen? Zahl der Leserbriefe zum Thema? Zahl der themenbezogenen Demonstrationen (und der Teilnehmer daran)? Zahl der Stammtischgespräche? (Achtung: Dunkelziffer!)
  • Als zweites müsste der Vergleichszeitraum definiert werden. Kann man 65 Jahre mit 25 Jahren vergleichen? Ist es methodisch zulässig, irgendein Jahr herauszugreifen, und wenn ja, welches?..."
Das wäre m.E. ein wissenschafts- bzw. medienhistorischer Ansatz, sollte allerdings Dein Ansatz eher inhaltlich sein, dann gilt es nicht "auszuzählen", was schon schwierig genug wäre.

Schau mal hier:

Forschungsverbund SED-Staat: Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität

Die Geschichte des MfS ist gut aufgearbeitet, die Quellen sind im Archiv (BStU) zugänglich, bis hin zu einzelnen Operativen Vorgängen, Personalakten etc.

Du hast m.E. einen falschen Ansatzpunkt. Die Stasi war ein Repressionsinstrument der DDR. Das III. Reich ein "Gesellschaftsmodell". Man kann Gesellschaftsmodelle vergleichen, hier nationalsozialistisches Modell vs. sozialistisches Modell a la DDR, oder aber auch Repressionsinstrumente innerhalb dieser Gesellschaftsausprägungen.

Ergo wäre der richtige Vergleich: Nationalsozialismus vs. Sozialismus in der DDR, und nicht NS-Vergangenheit vs. Stasi.


M.
 
Hallo,
vielen Dank für eure Beiträge.
Mir geht es eigentlich gar nicht so sehr um einen Vergleich, sondern nur um die Aufarbeitung der Stasi an sich. Den NS-Vergleich habe ich gemacht, um zu verdeutlichen, was ich meine. Wenn er irritiert, lassen wir das lieber außen vor.
Wenn eine Diktatur endet, lässt sich ja bspw. häufig beobachten, dass Teile der Bevölkerung Denkmäler stürzen, die repräsentativ für das alte Regime waren. Diese und ähnliche Reaktionen hat man nach 1989 mW kaum beobachten können. Vielmehr hat es lange gedauert, bis ein Großteil der nicht mehr tragbaren Straßennamen geändert worden war, bzw. Denkmäler, die stellvertretend für das SED-Regime standen, abgebaut wurden. Trotz aller Einschränkungen, Problematiken und Relativierungen erscheint es mir noch immer, - entschuldigt, dass ich das so penetrant drauf beharre, aber darum geht es mir hier - dass in keiner nennenswerten, historischen Debatte die Stasi-Vergangenheit aufgearbeitet wurde.

Viele Grüße
Dennis
 
Zuletzt bearbeitet:
...Wenn eine Diktatur endet, lässt sich ja bspw. häufig beobachten, dass Teile der Bevölkerung Denkmäler stürzen, die repräsentativ für das alte Regime waren. Diese und ähnliche Reaktionen hat man nach 1989 mW kaum beobachten können. Vielmehr hat es lange gedauert, bis ein Großteil der nicht mehr tragbaren Straßennamen geändert worden war, bzw. Denkmäler, die stellvertretend für das SED-Regime standen, abgebaut wurden.
Hallo Dennis! :winke:
Nein, das stimmt so nicht ganz, denn sofort nach der Öffnung der Mauer machten sich sogenannte "Mauerspechte" daran, kleine Stücken von diesem monumentalsten aller "Denkmäler" abzuschlagen. Es sind eben vor allem jene Bauten, die das Übel aus der Sicht des Volkes am stärksten repräsentieren, die zuerst gestürzt werden.

Trotz aller Einschränkungen, Problematiken und Relativierungen erscheint es mir noch immer, - entschuldigt, dass ich das so penetrant drauf beharre, aber darum geht es mir hier - dass in keiner nennenswerten, historischen Debatte die Stasi-Vergangenheit aufgearbeitet wurde.

So ganz unrecht hast du nicht. In Brandenburg wurde z. B. erst jetzt eine "Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur" eingesetzt - über 20 Jahre nach dem Sturz der SED-Diktatur!
Das Problem dabei ist einfach, daß bei einer nicht ausreichenden Säuberung des Staatsapparates zu viele ehemals involvierte Personen zu großen Widerstand leisten, wodurch eine Aufarbeitung der Geschehnisse verhindert oder verzögert wird. Das war in der jungen Bundesrepublik nicht anders.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn er [der NS-Vergleich] irritiert, lassen wir das lieber außen vor. [...] Wenn eine Diktatur endet, lässt sich ja bspw. häufig beobachten, dass Teile der Bevölkerung Denkmäler stürzen...
Wenn Du einen realen Vergleichspunkt (NS-Zeit) durch einen anderen anonymen ("eine Diktatur") ersetzt, ist nicht viel gewonnen...

Aber egal: Ich würde auch einen empirischen Ansatz akzeptieren, der auf die Kriterien "Zahl der Denkmäler" (D.) und "Zahl der Straßennamen" (S.) abstellt. Du müsstest die Grundgesamtheiten an D. und S. angeben, Deine Standards in Bezug auf die notwendige Zahl von Stürzungen/Unbenennungen nennen und begründen (!) und sodann aufzeigen, inwieweit die Realität hinter den Standards zurückgeblieben ist.

Oder willst Du, jenseits aller Empirie, lediglich ein Gefühl artikulieren oder ein Bekenntnis ablegen?
 
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