Vorsicht laaaaaaaaaaaaaaang:
Was bei der Eroberung von Jerusalem passierte, gehört in eine andere Kategorie. Mit den traditionellen drei Tagen Plünderung hat es nur relativ begrenzt zu tun, wenn man den Quellen glauben kann (und das ist wieder einmal das Problem). Es wird z.B. davon berichtet, dass Menschem, die sich an sichere Orte geflüchtet hatten, dort bewußt und methodisch getötet wurden und dass noch Tage nach der Einnahme die Entscheidung getroffen wurde, die Bevölkerung vollständig zu töten. Die Quellen sind sich da relativ einig. Das bedeutet mit allergrößter Wahrscheinlichkeit, dass die Autoren das Ausmaß der Greueltat übertreiben, denn es gab ja Flüchtlinge aus Jerusalem z.B. in Baghdad. Das Interessante daran ist, dass die Quellen das bewußt tun; die Kreuzfahrer *wollten* alle Einwohner Jerusalems umgebracht haben. Für uns nur schwer verständlich, aber nach deren Vorstellung eine löbliche Tat. Das ist aber keineswegs das, was sie in jedem Fall taten - Edessa, Antiochia und jede Menge andere Städte am Wege wurden 'normal' behandelt (d.h. entweder nach Verhandlungen übernommen oder geplündert). Die Idee, alle Einwoher einer Stadt auszurotten, war nicht einzigartig, aber selten.
Das ist meiner Ansicht nach nicht ganz richtig. Erstens wurde schon bei der Eroberung Antiochias ein Großteil der Bevölkerung unterschiedslos getötet - von einer "normalen" Behandlung kann nicht die Rede sein.
Zweitens: Es ist mit Sicherheit nicht einmal in den damaligen Augen eine löbliche Tat gewesen - denn man tötete auch die Ostchristen, denen man eigentlich gegen die angebliche Unterdrückung durch die Muslime helfen wollte.
Drittens: Christliche und muslimische Quellen sind sich in Bezug auf die Ereignisse in Jerusalem relativ einig, es kann also nicht gesagt werden, die Quellen würden hier bewusst die Kreuzfahrer im guten Licht einer löblichen Tat erscheinen lassen. Klar ist, dass Leute entkamen, eine restlose Ermordung der ganzen Bevölkerung ist wohl schlecht möglich gewesen. Einige wurden auch gegen "Lösegeld" verschont und durften gehen (allerdings wurden diese zum Teil von anderen Christen doch getötet). Ein wie großer Teil der Bevölkerung getötet wurde, ist nicht ganz klar, aber das "normale (brrr - bei sowas von normal zu reden) Maß" wurde wohl überschritten.
Für das Blutbad - und ich zweifle in keiner Weise daran, dass es eines gab - gibt es mehrere mögliche Erklärungen:
- Strapazen, Härte des Kampfes, eigene Verluste (nur 1/4 bis 1/3 der Kreuzfahrer kam überhaupt nach Jerusalem), religiöser Fanatismus usw. lassen einen Blutdurst entstehen, der vor keinem Nicht-Kreuzfahrer halt machte.
- andererseits (und ich seh die Diskussion mit Timo schon wieder kommen
feif
waren viele Kreuzfahrer auch auf Beute aus. Es gibt Berichte, wonach anhand von Stadtplänen die Häuser schon vor der Eroberung neu vergeben wurden - das setzt voraus, dass die alten Eigentümer keine Ansprüche mehr haben würden.
Einige Quellen zum Schluss:
Zur Eroberung und zum "Blutrausch":
Albert von Aachen:
"Und da soll an einem Tor ein ganz fürchterliches Drängen und Drücken der Einsstürmenden gewesen sein... Durch die Bresche, die der Widder geschlagen hatte, drangen mehrere tausend Männer und Weiber in die Stadt ein. Sie scharten sich alle zusammen und liefen mit großem Geschrei zu dem Palast, brachten ihren vorausgeeilten Brüdern Hilfe und metzelten im ganzen weiten Hause die Sarazenen in grausamen Morden nieder. So ungeheuer viel Blut wurde dort vergossen, dass ganze Bäche über die Fliesen der königlichen Halle rannen und die Pilger bis zu den Knöcheln im roten Blut wateten."
Wilhelm von Tyrus:
"Schauerlich war es anzusehen, wie überall Erschlagene umher lagen und Teile von menschlichen Gliedern, und wie der Boden mit vergossenem Blut ganz bedeckt war. Und nicht nur die verstümmelten Leichname und die abgeschnittenen Köpfe waren ein furchtbarer Anblick. Den größten Schauer musste es erregen, dass die Sieger selbst vom Kopf bis zu den Füßen mit Blut bedeckt waren."
Raimund von Aguilers:
"Als sich die Unsrigen schon der Mauern und Türme bemächtigt hatten, konnte man Wunderbares erblicken. Den einen wurden, was leichter war, die Köpfe abgeschlagen, andere wurden mit Pfeilschüssen gezwungen, von den Türmen zu springen. Wieder andere wurden lange mit Feuer gequält und verbrannt. Man sah Haufen von Köpfen, Händen und Füßen in den Häusern und Gassen. Überall liefen Menschen und Pferde auf den Leichen hin und her."
Ibn al-Atir:
"In der al-Aqsa-Moschee töteten die Franken mehr als siebzigtausend Muslims, unter ihnen viele Imame, Religionsgelehrte, Fromme und Asketen, die ihr Land verlassen hatten, um an diesem geheiligten Ort zu beten."
Zum Thema, wer alles getötet wurde (eben nicht nur Muslime):
Ibn al-Qalanisi:
"Ein Teil der Bevölkerung floh zum Heiligtum, und eine große Menge wurde getötet. Die Juden versammelten sich in der Synagoge, und die Franken brannten sie über ihren Köpfen ab."
Fulcher von Chartres:
"Was soll ich sagen? Niemand wurde am Leben gelassen. Weder Frauen noch Kinder wurden verschont."
Wilhelm von Tyrus berichtet erst, dass die waffenfähigen Christen vor Beginn der Belagerung ausgewiesen wurden:
"Nachdem sie (die Muslime) dem (christlichen) Volke durch alle Arten von Foltern ihre Güter entrissen hatten, jagten sie bis auf die Alten und Kranken, die Frauen und die kleinen Kinder alle aus der Stadt, wo sie sich in kleinen Flecken verborgen hielten und täglich den Tod erwarteten."
und dann schreibt er, dass bei der Eroberung Jerusalems die "Bürger" der Stadt getötet wurden - also auch die alten und kranken Christen (?).
Zum Thema Beutegier (Timo, ich hab meine Hausaufgaben gemacht
)
Fulcher von Chartres:
"Auf dem Konzil zu Clermont... wurde mit einmütigem Beifall dekretiert, dass jede Stadt jenseits des Meeres, die den Heiden entrissen werden kann, für immer ohne Widerspruch behalten werden soll."
Wilhelm von Tyrus:
"Sie waren vor der Eroberung der Stadt miteinander übereingekommen, dass jeder seine Erwerbungen nach Eigentumsrecht ohne Widerspruch für immer besitzen solle, wenn die Stadt im Sturm genommen sei."
und:
"
Daher durchstreiften sie die Stadt sorgfältig und drängten sehr ungestüm auf die Ermordung der Bürger, erbrachen die Winkel der Stadt, auch die Verstecke und geheimen Gelasse der Bürger, brachten ein Schild oder ein andere Waffe am Eingang an. Das sollte den Nahenden ein Zeichen sein, den Schritt nicht anzuhalten, sondern weiterzugehen, weil der Ort schon von anderen besetzt sei ... Das Haus aber, das einer erbrach, nahm er sich mit allem, was darin war, für immer rechtlich in Besitz."
und an anderer Stelle:
"Der übrige Teil des Heeres zerstreute sich in der Stadt und zog die, welche sich in Todesangst in engen Winkeln und versteckten Gassen verborgen hatten, wie das Vieh hervor und stieß sie nieder. In Abteilungen aufgeteilt drangen andere in die Häuser ein, wo sie die Hausherren mit Weibern und Kindern und dem ganzen Gesinde herausrissen und entweder mit dem Schwert durchbohrten oder von den Dächern herabstürzten, so dass sie mit gebrochenen Genick starben."
Fulcher von Chartres:
"Nach dem großen Gemetzel betraten sie die Häuser und ergriffen alles, was sie vorfanden. Es geschah so, dass jeder, der zuerst ein Haus betrat, ob er reich oder arm war, nicht von einem anderen Franken bedroht wurde. Er durfte das Haus oder den Palast, oder was er fand, besetzen und besitzen, als wäre es sein eigen. So einigten sie sich gegenseitig über ihr Recht auf Besitz. Auf diese Weise wurden viele arme Leute reich"
Albert von Aachen:
"Nach dem fürchterlichen und blutigen Hinmorden der Sarazenen, von denen zehntausend erschlagen wurden, kehrten die Christen siegreich vom Palast zur Stadt zurück und machten nun viele Scharen von Heiden, die in ihrer Todesangst versprengt durch die Gassen irrten, mit dem Schwert nieder. ... Kein Alter und kein Geschlecht der Heiden wurde verschont. Wer zuerst in ein Haus oder einen Palast eindrang, behielt diesen in seinem Besitz, mit allem Gerät, mit Getreide, Gerste, Wein und Öl, Geld und Kleidern und allen Besitztümern. So wurden die Pilger Herren und Besitzer der ganzen Stadt."
Gesta Francorum:
Als jedoch unsere Pilger die Stadt betraten, verfolgten und töteten sie die Sarazenen bis hin zum Tempel des Salomon. Diejenigen, die sich dorthin zurückgezogen hatten, kämpften den ganzen Tag hart gegen die unseren, sodass ihr Blut im gesamten Tempel strömte. Als die Heiden schließlich besiegt waren, nahmen die unseren Männer und Frauen im Tempel gefangen, töteten und ließen am Leben, wie es ihnen beliebte. Auf dem Dach des Tempel des Salomon drängte sich eine große Zahl von Heiden beiderlei Geschlechts, denen Tankred [von Tarent] und Gaston von Bearn ihre Banner gaben.
Danach liefen unsere Männer durch die ganze Stadt, nahmen Gold und Silber, Pferde und Maultiere, und Häuser, die mit den verschiedensten Gütern angefüllt waren. Dann kamen die Unseren freudig und weinend durch das Übermaß an Freude zur Verehrung zum Grab unseres Heilands Jesus und erfüllten dort ihre Eide für ihn. Am nächsten Morgen begaben sie sich vorsichtig auf das Dach des Tempels, griffen die Sarazenen an, Männer wie Frauen, und enthaupteten sie mit gezogenem Schwert. Einige der Sarazenen stürzten sich kopfüber vom Tempel. Als Tankred dieses sah, war er sehr erzürnt.
Gegen die Blutgier spricht auch, dass das Morden ja drei Tage oder länger anhielt. Am dritten Tag fand eine Besprechung der Anführer des Kreuzzugs statt:
Albert von Aachen berichtet, was (angeblich) gesagt wurde:
"Heute ist die alte Stadt ihren eigenen Kindern wiedergegeben worden und aus der Hand des Königs von Babylon und vom Joch der Heiden befreit worden. Nun aber hüten wir uns wohl, dass wir sie nicht durch Habsucht und Trägheit oder Mitleid mit den Feinden wieder verlieren, indem wir die gefangenen und noch in der Stadt verbliebenen Heiden verschonen. Denn wenn wir etwa vom König von Babylon in schwerem Angriff belagert werden sollten, so würden wir bald von innen und außen bekämpft und besiegt und in ewige Verbannung und Knechtschaft weggeschleppt werden. Darum erscheint es uns als der erste und beste Rat, alle Sarazenen und Heiden, die jetzt noch gefangen gehalten sind, um vielleicht gegen Lösegeld freigelassen zu werden, unverzüglich mit dem Schwerte zu töten, damit wir nicht durch List und Betrug von ihnen Schaden nehmen."
also weder Blutdurst noch Beutegier - sondern eiskalte strategische Erwägungen.
Albert von Aachen weiter:
"Von der Hinschlachtung der übriggebliebenen Heiden: Dieser Beschluss wurde gefasst und erging am dritten Tag nach der siegreichen Eroberung als Befehl von den Fürsten an das Volk hinaus. Und siehe, alle greifen zu den Waffen und werfen sich mit fürchterlichem Morden auf das ganze heidnische Volk, das noch übrig geblieben war; die einen schleppten sie aus den Kerkern und enthaupteten sie, die anderen, die sie vorher des Geldes wegen oder aus christlichem Mitleid verschont hatten, machen sie mitten in der Stadt, in den Gassen und auf den Plätzen nieder, wo sie sie gerade finden. ... umsonst rufen sie Mitleid und Erbarmen an: so sehr hat sich die Seele der Christen der Mordlust hingegeben, dass kein saugendes Knäblein oder Mädchen, kein einjähriges Kind, lebend den Händen der Schlächter entrinnt."
Ibn al-Atir:
"Die Einwohner wurden dem Schwert überliefert, und die Franken mordeten in der Stadt eine Woche lang."
=> 3 Phasen??
a) Blutdurst
b) Beutegier
c) strategische Überlegungen bzgl. der Sicherheit der Stadt