Bei der Frage nach der kirchlichen Hierarchie des Mittelalters kommt man mit unseren heutigen Vorstellungen von Hierarchie nicht viel weiter. Als geradezu archetypische Institution des Mittelalters lässt sich die Kirche (wie annähernd vergleichbare Korporationen auch) nur sehr schwer in unser Bild einer relativ klaren Ordnung, von klaren Abgrenzungen von Kompetenzen, von Rechten, von Entscheidungsstrukturen einordnen. Wie alle mittelalterlichen Institutionen funktionierte die Kirche in einem bunten, uns gelegentlich chaotisch erscheinenden Mit-, Neben-, Unter- und Übereinander von Personen und Korporationen, die alle irgendwie die Interessen der Kirche vertraten und dabei miteinander und gegeneinander agierten, Kontakte knüpften und Feindschaften ausfochten, Machtspielchen und Intrigen nicht abgeneigt waren und dennoch in ihrer Gesamtheit irgendwie handlungsfähig waren. Auch die unvergleichliche Komplexität der Kirche und ihre nicht geringe Aufgabe in der Welt dürften dieses vielfältige Treiben nicht gerade gemildert haben.
Eine allgemeingültige Hierarchie dieser mittelalterlichen Kirche (abgesehen von der ganz groben Schablone Papst oben, Bischöfe in der Mitte, Pfarrklerus unten) wird nicht aufzustellen sein.
Werfen wir doch einmal einen Blick auf ein paar Einzelbeispiele:
Der Papst stand als Kirchenvater an der Spitze der Kirchenhierarchie, als geistliches Oberhaupt der gesamten Christenheit (in eigenem Anspruch gerne auch als universelles Oberhaupt der gesamten Christenheit). So weit, so klar. Aber selbst diese einfache Aussage ist schon problematisch. Was ist mit den Schismen? Wer war da das tatsächliche Oberhaupt, dem die Loyalität zu schulden war? Und selbst wenn man die Schismen einmal außen vorlässt, dann gab es immer noch den Konziliarismus: Keineswegs dem Papst, sondern einer allgemeinen Kirchenversammlung kam die Leitung der Christenheit zu. Und von den Kardinälen, die den Papst zu wählen hatten, was eine gewisse Abhängigkeitssituation mit sich bringt, will ich gar nicht anfangen...
So geht es dann weiter: Bischöfe waren ihren Domkapiteln verpflichtet, ohne die sie kaum handlungsfähig waren. Zwar waren sie die personelle Spitze ihres Bistums, doch im Territorium selber waren es die Archidiakone (als Träger bischöflicher Gerichtsbarkeit), die zumeist das Sagen hatten. Adelige Patronatsherren oder traditionelle Exemptionsrechte verhinderten weiterhin einen Zugriff auf den einzelnen Pfarrklerus. Und wenn ein Bischof gar einmal mehrer Bistümer in seiner Hand vereinte, dann waren es schnell seine Amtsvertreter vor Ort, die sich flugs die Rechte des woanders weilenden Bischofs anmaßten.
Auch in den Orden sah es nicht anders aus. Zwar existierte der "Gehorsam" als eine der drei mönchischen Grundtugenden, aber der bezog sich rein rechtlich gesehen in erster Linie auf den Abt und niemand anderen. Außerhalb der Klostermauern waren Hierarchien wenig geregelt und die Feindschaften bestimmter Orden untereinander sprechen da sicherlich Bände. Nimmt man jetzt noch dazu, dass manche Klöster noch einmal eine übergeordnete Organisationsform (Kongregation) entwickelten, dann wird auch hier wieder der Rahmen einer simplen Hierarchie, eines einfachen Oben-Unten, gesprengt.
Kommen dann noch Legaten, Inquisitoren, städtischer und adeliger Klerus, Landeskirchenwesen, Eigenkirchenwesen, die Unterscheidung von Amtsgewalt und Titulargewalt und all die tausend anderen Formen mittelalterlicher Kirchlichkeit dazu, dann wird das Gesamtsystem Kirche sehr schnell nahezu undurchschaubar.
Eine einfache Hierarchie lässt sich dazu einfach nicht aufstellen.
pinafore schrieb:
ergibt sich daraus nicht eine gefährliche Situation
Eine gefährliche Situation? Vielleicht. Eine typisch mittelalterliche Situation? Auf jeden Fall!
P.S.: Zur Prälatinnen-Frage: Der Begriff
praelatissa für Äbtissinen findet sich in offiziellen Schriftstücken der kirchlichen Administration. Einmalig war er daher keineswegs.