Hochmittelalter - Fragen rund um ein Romanprojekt

Dion

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Im Mittelalter gab es kaum, wenn überhaupt, Landkarten, trotzdem wurde auch über weite Distanzen gereist. Ich schätze, man fragte sich durch oder hatte Führer, die sich zumindest über Teilstrecken auskannten. Aber wie war es mit den kürzeren Strecken? Wie wurden die Entfernungs- und/oder Zeitangaben im Früh- und Hochmittelalter angegeben, als es die (Turm)Uhren noch gar nicht gab und die Stunde je nach Jahreszeit mal länger und mal kürzer war?

Ich schreibe gerade an einem Roman, der im Mittelalter spielt. Da will ein Schmuggler allein eine ferne Stadt erreichen. Er geht zu Fuß vom Dorf zu Dorf, indem er sich durchfragt. Die Bauern haben vielleicht von dem Fernziel gehört, haben jedoch von Stunden und Meilen oder Ähnlichem wohl keine Ahnung. Meine Frage: Wie erklären sie ihm den Weg und den Zeitbedarf, die er für den nächsten Teilabschnitt des Weges brauchen wird?
 
Die Peutingeriana wird einem Schmuggler nicht wirklich helfen, der sich ja eher abseits der Hauptstraßen bewegen muß, da sie keine Karte in unserem Sinn ist sondern schematisch nur die Enfernungen zwischen Punkten angibt mit eventuellen Flussquerungen oä.
Und Schmuggler wird früher ohnedies ein Traditionsberuf für ortskundige Einheimische gewesen sein wo lokale Gebirgspfade benutzt worden sind, Fernschmuggel wirds nicht so gegeben haben.
 
Naja der Schmuggler kann ja auch andere Gründe haben seinen Standort ändern zu müssen. An sich muss er sich ja nur an Hauptwege halten, aber wahrscheinlich sie nicht direkt benutzen. Und an sich dürfte man in der Gegend die Entfernung zwischen Orten ungefähr in Tagesreisen angeben können. Zum Beispiel zur Stadt A braucht man ungefähr zwei Tagesreisen, Dorf B kann man aber an einem halben Tag erreichen wenn man zügig geht, bis zur Stadt C brauch man aber 4-6 Tagesreisen.
 
Die übliche Entfernungsangabe unter dem einfachen Volk war früher die "Wegstunde". Die Leuge entspricht in etwa dieser. Wenn es weitere Entfernungen waren, die Tagesreisen. Das findet man in Entwicklungsländern noch heute.
 
Vielen Dank für die schnellen Antworten.

Das mit Halb(Tagesreisen) ist klar. Aber mit der Wegstunde habe ich meine Probleme, denn die gibt es erst, seitdem es Uhren gibt. Wie bereits erwähnt, war bis dahin eine Stunde der zwölfte Teil eines Tages bzw. einer Nacht. Weil aber die Dauer des Tageslichts bzw. der Dunkelheit je nach Jahreszeit variierte, war Stunde keine feste Größe, die man in Entfernungsangabe umrechnen könnte. Es sei denn, man war sich einig über eine mittlere Länge der Stunde, die dann natürlich einer festen Entfernungsangabe entsprechen konnte.

Dass umgekehrt eine feste Entfernungsangabe - z.B. 3 km - einer Stunde entsprechen könnte, halte ich für wenig wahrscheinlich, denn die Wege konnten je nach Beschaffenheit mal mehr und mal weniger Zeit beanspruchen. Auch scheint es mir kaum wahrscheinlich, dass die einfachen Bauern für eine bestimmte Strecke je nach Jahreszeit unterschiedliche Anzahl der „Wegstunden“ im Kopf hatten oder ad hoc ausrechneten.

Andererseits wussten sie sicher genau, wie weit es bis zum nächsten Dorf oder der nächsten Stadt war. Es gab hier – oder gibt es den nur für mich/uns – offensichtlich ein Kommunikationsproblem: Wie teile ich mein Wissen einem Fremden?
 
Die übliche Entfernungsangabe unter dem einfachen Volk war früher die "Wegstunde". Das findet man in Entwicklungsländern noch heute.

Ich hab mal einen Australier getroffen, der in "Cans" gerechnet hat. Ein "Can" entsprach bei ihm 1 Stunde Fahrt auf einer halbwegs vernünftigen australischen Strasse, also etwa 60 US-Meilen oder 100 km.

Die Fahrt von seinem Heimatort im Outback nach Melbourne war ein 10-Cans-Trip, er musste also 10 Dosen Bier für die Fahrt einkalkulieren.
 
Vielen Dank für die schnellen Antworten.

Das mit Halb(Tagesreisen) ist klar. Aber mit der Wegstunde habe ich meine Probleme, denn die gibt es erst, seitdem es Uhren gibt. Wie bereits erwähnt, war bis dahin eine Stunde der zwölfte Teil eines Tages bzw. einer Nacht. Weil aber die Dauer des Tageslichts bzw. der Dunkelheit je nach Jahreszeit variierte, war Stunde keine feste Größe, die man in Entfernungsangabe umrechnen könnte. Es sei denn, man war sich einig über eine mittlere Länge der Stunde, die dann natürlich einer festen Entfernungsangabe entsprechen konnte.

Dass umgekehrt eine feste Entfernungsangabe - z.B. 3 km - einer Stunde entsprechen könnte, halte ich für wenig wahrscheinlich, denn die Wege konnten je nach Beschaffenheit mal mehr und mal weniger Zeit beanspruchen. Auch scheint es mir kaum wahrscheinlich, dass die einfachen Bauern für eine bestimmte Strecke je nach Jahreszeit unterschiedliche Anzahl der „Wegstunden“ im Kopf hatten oder ad hoc ausrechneten.

Andererseits wussten sie sicher genau, wie weit es bis zum nächsten Dorf oder der nächsten Stadt war. Es gab hier – oder gibt es den nur für mich/uns – offensichtlich ein Kommunikationsproblem: Wie teile ich mein Wissen einem Fremden?

Das ist ein guter Einwand. Die Postmeilensäulen in Sachsen haben jedoch die Entfernungen in Wegstunden angezeigt (Kursächsische Postmeilensäule ? Wikipedia). Sie sind zwar nicht mittelalterlich, wurden jedoch zu einem Zeitpunkt errichtet (ab 1695), als die große Mehrheit der Menschen weder eine Uhr besass noch ein solche öfters zu Gesicht bekam. Damals gab es nur in größeren Ortschaften Turmuhren an Ratshäusern und Kirchtürmen. Und offensichtlich war die Wegstunde damals schon ein fester Begriff.

Ich hab mal einen Australier getroffen, der in "Cans" gerechnet hat. Ein "Can" entsprach bei ihm 1 Stunde Fahrt auf einer halbwegs vernünftigen australischen Strasse, also etwa 60 US-Meilen oder 100 km.

Die Fahrt von seinem Heimatort im Outback nach Melbourne war ein 10-Cans-Trip, er musste also 10 Dosen Bier für die Fahrt einkalkulieren.
=) =) Jetzt versteht man warum deren Bier eine so dünne Plörre ist. Sie dient der Entfernungsmessung und nicht dazu sich zu besaufen.

Und wenn sie zum metrischen System übergehen... werden sie dann statt in Meilen die Entfernungen in Litern angeben?
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch im Mittelalter gab es Stunden/Horen/horae. Deren Länge differierte nur nach Sommer- und Winterzeit: Es gab zwölf Stunden zwischen Sonnenauf- und -untergang. Dementsprechend war eine Stunde im Sommer länger als im Winter.
Ich kenne aus dem Spätmittelalter aus Pilgerberichten nur Meilen- und Leugen-Angaben. Ob natürlich Bauern damit etwas anfangen konnten, ist eine andere Frage, die sich aus den Quellen nur schwer wird beantworten lassen.
Die Frage ist aber auch, ob die Geschichte "Schmuggler" im Mittelalter überhaupt tragfähig ist. Seit wann gibt es Schmuggel? Wo gibt es Schmuggel? Schmuggel gibt es doch eigentlich erst dort, wo der Staat die Wirtschaft zu regulieren versucht, wo es Zoll gibt, den man zu umgehen versucht. Wobei ich auch da wiederum sagen muss, dass der Kölner Ritter und Pilger Arnold von Harff von Zollstationen berichtet, und was man dort abliefern muss.
 
naja, da die Orte im Frühmittelalter nicht so dicht zusammenlagen, ist eine Entfernungsangaben in Tagen anzunehmen. "Wenn Du zügig gehst, bist Du Mittags/Nachmittags/zum dunkelwerden da. Die alten Orte an den Hauptverkehrswegen liegen im Abstand einer Tagesreise mit Pferd.

Was schmuggelt man im Frümittelalter? Verbotene Güter, also Güter die nicht exportiert werden dürfen, wie fränkische Schwerter nach Skandinavien, z.B.

Ansonsten , wer hätte sich für einen Schmuggler interessieren sollen? Ohne Städte und anwesende Obrigkeit gibts eben freien Warenverkehr und Räuber, die daran partizipieren ...
 
In "Die wundersamen Geschichten des Caesarius von Heisterbach" gibt es die Geschichte der drei frommen Pilger, die in Seenot gerieten.
Darin die Passage: "Für sie begann nun eine langwierige und mühselige Seefahrt, dass sie die Strecke von drei Tagen kaum in drei Wochen zurücklegten; so lange Zeit brauchten sie nämlich von der Ausfahrt aus dem Hafen Damiette bis zur Insel Zypern."
Mein Gedanke: Da man gerne viertelte, kann ich mir bei kürzeren Wegen eine viertel Tagesstrecke vorstellen. Im Winter beeilt man sich ohnehin wegen der Kälte etwas mehr und im Sommer macht man gerne mal eine Pause, so dass es trotz kürzerer oder längerer Stunden über den Daumen gepeilt hinkam.
 
Ich denk dass sie zB Salz geschmuggelt haben werden, und nicht auf gut Glück über lange Distanzen sondern auf bekannten Pfaden übers Gebirge zu einem vertrauten Abnehmer. Die legalen Fernhändler, falls sie wirklich die Peutingeriana benützt haben, haben eh die Meilenangaben gehabt.
 
Das Hochmittelalter endet so nach allgemeiner Auffassung im 13.Jhdt, also vor 1300, das Frühmittelalter fängt so ~500 an. Nun ist zwar Salz ein hochwertiges Gut, auch Fernhandelsgut und etliche Fürsten versuchten ihren Teil davon ab zu bekommen, aber da eben über Brücken und Straßenzoll. München hat seinen Ursprun darin, das Heinrich der Löwe einfach die Straße umgelegt hat.
Aber es war nicht verboten, diese "Zollstationen" zu umgehen, es war nur so schwierig,das man lieber den Brückenzoll gezahlt hat, als sich ausrauben zu lassen oder die Wagen zu riskieren durch schlechte Straßen.
 
Die Schmuggler haben eher in Säcken transportiert als in Wagen.
Ich glaube, du romantisierst den Schmuggler ein wenig zu sehr. Das er über die Berge kletterte oder durch Wälder schlich war wohl eher eine Nebenerscheinung. Viel kann er in seinem Sack außerdem nicht gehabt haben, wenn er weglose Gegenden durchquerte.
Lukrativ wird Schmuggel doch erst in größeren Mengen.
 
In Mexiko operierten die Schmugglerbanden im 18./19. Jhdt. mit Maultieren. Eine Karawane hatte dann schon ein paar Dutzend Tiere. Aber wie gesagt, Schmuggel gibt es eigentlich erst dann, wenn es Zoll, Steuern oder eine protektionistische Wirtschaftspolitik gibt.
 
Es geht um Entfernungs/Zeitangaben... So die Idee, ein Mensch oder mehrere bewegen sich so im FrüMi oder HoMi von einem Ort zu einer Stadt, um dort Waren zu verkaufen und dabei möchten sie weder am Ausgangsort noch am Bestimmungsort der wie auch immer gearteten Obrigkeit was abgeben.
Der erste Fehler im Gedankenkonstrukt, so das ganze nördlich der Alpen stattfinden soll, es gibt keine Städte. (Ausnahmen bestätigen die Regel, ein paar als Städte bezeichnete Orte gabs schon)

Der zweite Fehler, es gibt zwar Obrigkeiten, aber deren Möglichkeiten enden an Gemeindegrenzen.

Der dritte Fehler im Gedankenkonstrukt , es gab keine Waren, die wertvoll und so begehrt waren, das irgendwelche Obrigkeiten beim Durchzug darauf Abgaben erhoben. An bestimmten Orten gabs zwar eine Stapelpflicht, der Kaufmann mußte seine Waren auf dem örtlichen Markt anbieten (und vielleicht eine Standgebühr zahlen), aber das wars auch schon. Wer das nicht wollte, mußte um die Stapelplätze einen Bogen machen.

Dann noch ein böser Fehler, der Held läuft allein von Dorf zu Dorf als Fremder, und er fragt Bauern, die von Geografie keine Ahnung haben. Nun gabs in der angegebenen Zeit zwar reichlich Bauern, also Betreiber landwirtschaftlicher Betriebe in Eigenregie, aber die hatten durchaus Ahnung von der Geografie. Der König/Herzog/Graf sowieso, waren die doch die Leute mit dem größten Landbesitz, aber auch die weniger Vermögenden , die selbst auf ihren Äckern mitarbeiteten, waren durch die Wehrpflicht grob über auch große Entfernungen in der Lage, Orte und die Wege dahin zu beschreiben. Allerdings , so einen Einzelreisenden mit wertvoller Ware ließ man wohl auf den Hof, auch wieder runter , vielleicht, aber die Ware sackte man dann wohl gepflegt ein. "Für die erwiesene Gastfreundschaft"
 
Der erste Fehler im Gedankenkonstrukt, so das ganze nördlich der Alpen stattfinden soll, es gibt keine Städte. (Ausnahmen bestätigen die Regel, ein paar als Städte bezeichnete Orte gabs schon)

Stadt im MA ist etwas anders als Stadt heute. Aber das ist doch ziemlich banal.

Der zweite Fehler, es gibt zwar Obrigkeiten, aber deren Möglichkeiten enden an Gemeindegrenzen.
Ach so... =)

Der dritte Fehler im Gedankenkonstrukt: Es gab keine Waren, die wertvoll und so begehrt waren, dass irgendwelche Obrigkeiten beim Durchzug darauf Abgaben erhoben.
Auch wenn ich mir hier scheinbar selbst widerspreche: Aber wenn es keine Waren gegeben hätte, die Begehrlichkeiten weckten, dann hätte es auch keine Markt gegeben...

An bestimmten Orten gabs zwar eine Stapelpflicht, der Kaufmann mußte seine Waren auf dem örtlichen Markt anbieten (und vielleicht eine Standgebühr zahlen), aber das wars auch schon. Wer das nicht wollte, mußte um die Stapelplätze einen Bogen machen.
Leichter gesagt, als getan.

Dann noch ein böser Fehler, der Held läuft allein von Dorf zu Dorf als Fremder, und er fragt Bauern, die von Geografie keine Ahnung haben. Nun gabs in der angegebenen Zeit zwar reichlich Bauern, also Betreiber landwirtschaftlicher Betriebe in Eigenregie, aber die hatten durchaus Ahnung von der Geografie.
Und das weißt du woher genau?

Allerdings, so einen Einzelreisenden mit wertvoller Ware ließ man wohl auf den Hof, auch wieder runter, vielleicht, aber die Ware sackte man dann wohl gepflegt ein. "Für die erwiesene Gastfreundschaft"
Hier geht dann deine Phantasie mit dir durch. :fs:
 
Ganz praktisch: Wenn uns heute jemand nach dem Weg fragt, dann schätzen wir doch auch ("ja, so ca. 3 km", "etwa 40 Minuten mit dem Auto"...) Warum sollte das einem mittelalterlichen Bauern, der nie weiter als bis ins übernächste Dorf gekommen ist, anders gegangen sein?
 
Okay, das Wirtshaus im Spessart ist neuzeitlich, aber da sollen schon sehr viele Reisende verschwunden sein.

Sicher gabs genug Waren, die wertvoll und verhandelbar waren, auch im Fernhandel. Nur , das man als Obrigkeit da einen Wegezoll o.ä. erhoben hätte, das wäre mir neu.

Da war wohl doch eher der Straßenraub das Mittel der Wahl. Alleine Reisender, mit ~100 kg Salz ? Also ~3-4 Pferden , ein schwieriges Unterfangen
 
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