Stadtluft macht frei! Wirklich?!

unclejohn

Neues Mitglied
Hi!
Ich denke wir alle kennen jenen Rechtsgrundsatz, dass ein Unfreier, der in eine Stadt kommt und dort (je nach Stadt) eine bestimmte Zeit lang lebt frei wird (und die Bürgerrechte erhällt?!). Der Grundherr kann nur bis zu einem festgelegten Zeitpunkt seinen Leibeigenen zurückfordern.

Nun frage ich mich, inwiefern dies tatsächlich gelebt werden konnte und nicht nur ein theoretisches Recht war, mit dem sich die Stadt vom Land abgrenzte? Ich meine ein Unfreier musste erstmal abhauen und zwar zu Fuß in die nächste Stadt. Wenn er es bis dorthin geschafft hatte, musste er zunächst in die Stadt gelangen und dann dort auch noch irgendwo unterkommen und zwar über einen langen Zeitraum. Er konnte eigentlich nichts und war vermutlich das erste Mal in seinem Leben völlig auf sich alleine gestellt.
Wenn er dann die Zeit irgendwie hinter sich gebracht hatt, brauchte er ja noch jemanden, der bezeugte, dass er wirklich so und so lange in der Stadt gelebt hatte. Die Bürgerrechte bekam er sicherlich nicht, denn er hatte kein Geld und konnte somit Steuer nicht bezahlen. Besitz hatte er dort auch keinen, er musste also weiterhin mehr oder weniger unfrei für irgend jemanden Arbeiten, nur für wen?!

Irgendwie spricht also ziemlich viel dagegen, dass jemand, der (von Geburt aus) völlig rechtlos war plötzlich Rechte verliehen bekam. Irgendwie denke ich, dass das außer in Ausnahmesituationen nicht stattfand, zumal sicherlich kein Stadtherr mit irgend einem Grundherren wegen ein paar entlaufener Unfreier eine Fede anfangen wollte.
Wie sehr ihr das?!

cu
 
unclejohn schrieb:
Ich meine ein Unfreier musste erstmal abhauen und zwar zu Fuß in die nächste Stadt.

Ein Unfreier war kein Gefangener. Er konnte sein Leben kaum selbstbestimmt führen, aber dass hieß dennoch nicht, dass er unter permanenter Aufsicht oder Überwachung stand - eher im Gegenteil. Wie sollte denn eine dünne Schicht von Leibherren den breiten Rest an Unfreien auch intensiv kontrollieren? Zentrale Ereignisse im Leben (etwa eine Heirat) hingen an der Entscheidungsgewalt des Leibherrn, ebenso wie eine allgemeine Organisation von geschuldeten Diensten (Stichwort: Fron), aber ansonsten hatte ein Unfreier durchaus breite Möglichkeiten, seinen Alltag selbst zu bestimmen (dass dieser natürlich von den landwirtschaftlich-häuslichen Zwängen bestimmt war, steht auf einem andern Blatt als die gesellschaftliche Ungleichheit). Und dazu gehörte sicher auch bisweilen der Weg in die Stadt aus ökonomischen (Stichwort: Markt), religiösen (Stichwort: kirchliche Festkultur) oder vielen sonstigen Gründen.


unclejohn schrieb:
Wenn er es bis dorthin geschafft hatte, musste er zunächst in die Stadt gelangen

Städte konnten sich zwar im notwendigen Fall von ihrer Außenwelt abschotten, aber da sie Zentren gesellschaftlichen Lebens darstellten, die auch in hohem Maße auf den Austausch mit dem Umland angewiesen waren, war der Zugang zu ihnen natürlich nicht wirklich problematisch. Sicherlich gab es Tore mit entsprechender Besatzung, die einen Blick auf Hereinkommende hatten, aber ihre Funktion bestand wohl eher in der Verwaltung wirtschaftlichen Verkehrs (Stichwort: Akzise) und dem Heraushalten offensichtlich unerwünschter Personen (etwa Randgruppen wie beispielsweise "Zigeuner"). Der Bauer (= Unfreier) gehörte wohl kaum dazu...


unclejohn schrieb:
und dann dort auch noch irgendwo unterkommen und zwar über einen langen Zeitraum.

Die Möglichkeiten waren gar nicht so gering. Mittlerweile ist es in der Forschung ja weitgehend akzeptiert, dass die mittelalterliche Gesellschaft tatsächlich eine höhere vertikale Mobilität aufwies als lange angenommen. Und diese Reisenden (angefangen bei wandernden Gesellen und Kaufleuten über Tagelöhner und andere Arbeitsmigranten bis hin zu Pilgern und Klerikern) mussten irgendwo unterkommen. Für bestimmte Grupen sind da kirchliche Einrichtungen wie Hospitäler an prominenter Stelle zu nennen, für bäuerliche Unfreie eher weniger, aber dort spielt wohl eine andere Tatsache eine Rolle: Mittelalterliche Städte (bzw. deren Wirtschaftsleben) hatten einen enormen Bedarf nach Arbeitskräften und "schluckten" eine Menge Menschen. Arbeit auf Basis eines Tagelohns ernährte eine Vielzahl von Einwohnern, die sich natürlich ihre Unterkünfte innerhalb der Stadt suchten. Es versteht sich von selbst, dass gewisse städtische Viertel alles andere als sauber, sicher und ordentlich waren, aber eine einfache Schlafkammer oder sonstige Absteige konnte sich auch ein Unfreier mit solch einem Tagelohn leisten. Städtische Unterschichten bestanden aus den unterschiedlichsten Leuten, aber geflohene Unfreie werden nicht die geringste Gruppe gewesen sein. Natürlich waren das keine Bürger, dennoch aber Teil der Einwohnerschaft, auf den eine Stadt im allgemeinen auch nicht verzichten konnte und wollte.


unclejohn schrieb:
Er konnte eigentlich nichts und war vermutlich das erste Mal in seinem Leben völlig auf sich alleine gestellt.

Noch einmal: Unfreie waren keine Gefangenen und sie waren erst recht keine Sklaven. Selbstverständlich konnten sie etwas, und zwar das, was auf dem Land von Bedeutung war. In erster Linie natürlich bäuerliche Tätigkeiten mit ihrer sehr breitgefächerten Komplexität, daneben aber sicherlich auch spezialisiertere Tätigkeiten aus dem handwerklichen Bereich. Die Arbeitsteilung auf dem Land war nicht so weit fortgeschritten wie in der Stadt, aber das, was in der Stadt von Schmieden, Schneidern, Zimmerleuten, Müllern u.v.a.m. ausgeübt wurde, war sicherlich etwas, was in seinen Grundbegriffen auch dem Landbewohner nicht fremd war (natürlich nicht bei jedem alles, aber in der Gesamtheit waren wohl alle Fähigkeiten vertreten).

Und der Unfreie war auch kein tumber Depp, der ohne einen Herrn vor seiner Nase, der ihm simple Befehle gab, völlig hilflos auf sich allein gestellt war! Der Unfreie war zumeist ein Bauer (oder auch ein Landarbeiter oder -handwerker), der sein Leben in weitem Maße selbst organisierte. Wenn er das nämlich nicht geschafft hätte, dann wäre er nämlich ziemlich sicher spätestens nach der zweiten mißratenen Ernte tot gewesen...


unclejohn schrieb:
Wenn er dann die Zeit irgendwie hinter sich gebracht hatt, brauchte er ja noch jemanden, der bezeugte, dass er wirklich so und so lange in der Stadt gelebt hatte. Die Bürgerrechte bekam er sicherlich nicht, denn er hatte kein Geld und konnte somit Steuer nicht bezahlen.

Wenn der Unfreie mit seinen Tätigkeiten das Glück (des Tüchtigen) hatte, einem Arbeitgeber oder anderem Fürsprecher positiv aufzufallen, dann stand einem gewissen gesellschaftlichen Aufstieg wenig entgegen. Geregelte Arbeit, verbunden mit langsamer Integration in entsprechende gesellschaftliche Schichten (hier wohl Handwerk) - in der hochmittelalterlichen Stadt nicht unbedingt eine Ausnahme. Natürlich gelang das nicht jedem, die Masse an armen Unterschichten blieb groß, doch gesellschaftlicher Aufstieg in der Stadt war ein nennenswertes Phänomen. Relativieren muss man diese Aussage dadurch, dass Aufsteiger nur selten als Individuum den Weg nach oben schafften, als vielmehr deren Nachkommen, die ganze Sache sich also über Generationen hinzog. Bürgerrechte sind noch einmal ein spezieller Fall, zumeist war hiermit eine Verbindung mit zünftischen Genossenschaften, patrizischen Familien oder ähnlichen städtischen Eliten von Nöten, ein Fakt, der also mit erfolgreichen Karrierestrategien zusammenhängt. Die Zahl der Bürger einer Stadt (mit allen Rechten und Pflichten) war ohnehin immer nur ein Bestandteil der Summe der Einwohner einer Stadt, der stark schwanken konnte. Leben in der Stadt ohne Bürgerstatus war jedenfalls für genug mittelalterliche Menschen üblich (ohne dass es ihnen dadurch zwangsweise schlecht gehen musste).


unclejohn schrieb:
er musste also weiterhin mehr oder weniger unfrei für irgend jemanden Arbeiten, nur für wen?!

Den Zimmermann, der Hölzer zurecht gehauen haben will, den Färber, der seine Leinenstoffe gewaschen haben will, den Bäcker, der Kornsäcke geschleppt haben will, vielleicht auch für den Baumeister am Dom, der Steine gekloppt haben will, oder den Kaufmann, der einen Pferdeknecht sucht und und und... Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. (Hoch-)Mittelalterliche Städte waren keine ökonomisch (wie sozial) stagnierenden Entitäten, sondern im Gegenteil höchst dynamisch mit einem großem ökonomischen (wie sozialen) Potential. Ansonsten siehe oben.


unclejohn schrieb:
Irgendwie spricht also ziemlich viel dagegen, dass jemand, der (von Geburt aus) völlig rechtlos war plötzlich Rechte verliehen bekam.

Das Schlüsselwort ist wahrscheinlich: Leistung. Städte durchbrechen das starre mittelalterliche Gesellschaftsbild, in dem jeder an seinen Platz geboren wird und dort seine ihm von Gott auferlegte Aufgabe zu erfüllen hat bis er stirbt. In den Städten zieht der (wenn man so will: protokapitalistische) Leistungsgedanke in die europäische Geschichte ein. Natürlich kann vor diesem Hintergrund auch ein eigentlich Rechtloser sich etwas erarbeiten, Geld wie auch Rechte. Man sollte auch nicht vergessen, dass Städte der Kern des ökonomischen Systems waren, Städte erzeugten Mehrwert, eine Tatsache, der gegenüber auch kaum ein mittelalterlicher Zeitgenosse die Augen verschloss. Das nützte jedem und wog gegenüber dem Aufbrechen traditioneller Denkschemata doch schwerer!


unclejohn schrieb:
zumal sicherlich kein Stadtherr mit irgend einem Grundherren wegen ein paar entlaufener Unfreier eine Fede anfangen wollte.

Das Verhältnis zwischen Städten und Fürsten war höchst ambivalent. Natürlich gab es Spannungen, und zwar in rauhen Mengen, primär wegen Machtfragen, wegen umstrittenen Rechten, und in diesen Kontext gehört sicherlich auch die Abwanderung grundherrlicher Schutzbefohlener in die Stadt (nicht bei ein paar Entlaufenen, wohl aber bei einem steten Strom von Abwanderern). Nicht nur Fehden, ganze Kriege entzündeten sich an diesem Gegensatz. Andererseits wurden natürlich Städte von Fürsten gegründet, weil für eine erfolgreiche landesherrliche Politik die Existenz von leistungsfähigen Städten ein unvergleichlich wichtiger Faktor war. Wahrscheinlich war das Problem für die mittelalterlichen Fürsten, dass "ihre" Städte dermaßen erfolgreich waren, dass sie Potential genug hatten, sich ihrer fürstlichen Gründer (bzw. deren Nachkommen) zu entledigen und ihre eigenen Machtposition zu konsolidieren (Interessanterweise hat die städtische Elite dabei aber immer ein Leben geführt, dass sich am Adel orientierte). Erst die frühe Neuzeit bringt dann den Abstieg der Städte und die Durchsetzung des fürstlichen Machtanspruchs.
 
Die Zeit, in der der Unfreie in der Stadt bleiben musste ohne von den Schergen seines Fronherrns entdeckt zu werden entsprach meistens einem höchstens zwei Jahre.
Generell war diese Form der "Selbstbefreiung" weit verbreitet und mit etwas Glück durchaus durchsetzbar.
 
Whow!
Danke für diese extrem ausfühliche Antwort! :winke:
Ich denke du hast da definitiv Recht, mit dem was du sagt!
Ich muss mich halt gerade ein wenig tiefer damit auseinandersetzten und im Unterricht haben wir eben das nur sehr knapp besprochen. (das gab es, Punkt! :grübel: ) Da ich im Internet relativ wenig dazu gefunden habe, musste mir eben eigene Gedanken machen, die wohl von einem Klischee geprägt! :rotwerd:
Danke für die Aufkläreung! :)
cu
 
Soweit ich mich erinnern kann, waren es genau ein Jahr und ein Tag, den ein Unfreier in der Stadt verbleiben musste, damit er 'frei' wurde, wobei der Rechtsstand der Herkunft, wie schon oben erwähnt, nicht für den Bürgerstandentscheidend war.
 
Na hier werden aber Äpfel mit Birnen verglichen.

1. Welche soziale Stellung sollte ein "Unfreier" auf dem Lande gehabt haben ? Ein Bauer war kein "Unfreier". Ein Bauer war ein Lehnsnehmer, stand also mit seinem Lehen in Abhängigkeit zum Lehnsherren, konnte dieses aber jederzeit an diesen zurückgeben (was natürlich praktisch sinnlos gewesen wäre, da dies seine Ernährungsgrundlage war). Sene Person selbst war aber vollkommen unabhängig. Allein der von ihm "geliehene" Besitz wurde mit
Rechten und Pflichten versehen.

2. Der massive Zuzug in die Städte erfolgte nicht im Mittelalter. Dort war die Einwohnerzahl der meisten Städte (in Mitteldeutschland zumindest) relativ konstant. Erst mit der einsetzenden Intensivierung der Produktionsmittel in der frühen Neuzeit kam es zu erhöhtem Arbeitskräfte bedarf. Dieser ging einher mit größeren Geburtenraten auf dem Lande, so daß dort nicht alle Kinder mit Land versorgt werden konnten. Somit erlernten viele Bauern-Kinder ein Handwerk. Diese Entwicklung gab es übrigens nicht nur in Städten. Die Vielzahl von sogenannten "Marktflecken", also Dörfern, die aufgrund günstiger Verkehrslage und Rohstoffvorkommen vom Landesherren mit Marktrechten ausgestattet wurden, konnten ähnliche Zahlen an Handwerkern aufweisen, wie sie in Städten nachweisbar waren.

3. Die Städte waren auch bei größter Autonomie (die in Mitteldeutschland praktisch keine Stadt hatte) immer !! dem Landesherren verpflichtet. Bei sämtlichen Steuererhebungen der Landesherren waren die Städte zur vollständigen Auflistung ihrer Einkünfte und zur entsprechenden Weiterleitung dieser an den Landesherren verpflichtet.

4. Die Frone war für ihre Zeit durchaus eine sinnvolle Einrichtung. Sonst hätte sie sich nicht so lange gehalten. Der Grundherr, der nicht allein in der Lage war, seine (nicht verlehnten) Felder allein zu bewirtschaften, teilte die in seiner Grundherrschaft gelegenen Güter zur Frone ein. Für die geleistete Fronarbeit erhielten die Fröner ausreichend (in einigen Fällen sicher auch nicht) Entschädigung in Form von Naturalien. In bestimmten Fällen wurden sogar der Bau von Schulen und anderen Gemeindeeinrichtungen durch Verzicht auf die Frohnvergütung finanziert.
Bei sicher nicht wenigen Streitfällen über unzureichend ausbezahlte Frohnleistungen, ging es in den meisten Fällen vor das landesherrliche Gericht, welches diese Fälle bearbeitete.
Die allgemein verbreitete Meinung, daß hier eine Gesetzlosigkeit seitens der Grundherren herrschte ist eine Erfindung der Romantik.

5. Auf dem Lande hatte praktisch jeder Bewohner eine mehr oder minder große landwirtschaftliche Fläche zur Nutzung zur Verfügung. Je nach Größe dieser Fläche und deren Ertrag war seine soziale Stellung innerhalb der Gemeinde. Landlose gab es bis auf Sonderfälle auf dem Lande nicht, da hier neben dem engen Geflecht aus Grundherrschaft und Lehnswesen auch ein enger familiärer Zusammenhang bestand. Es war also einer Person in der Regel gar nicht möglich sich auf dem "Lande" in einem Dorf aufzuhalten, ohne jeglichen Besitz zu haben. Um in ein Dorf zu ziehen, musste man, fast noch mehr als in der Stadt entweder eine Zuweisung einer Nutzungsfläche, oder die Einheirat in eine dort wohnende Familie vorweisen.

6. Durch erwähnte Intensivierung der Produktionsmittel gab es erhöhten Bedarf an Fachkräften innerhalb der Stadt, aber auch weniger Bedarf auf dem Lande. Daher kam es zur Verschiebung der Bevölkerungszahlen vom Dorf zur Stadt. Die Lebensbedingungen waren in der Stadt oftmals nicht besser (hygienisch sogar in der Regel schlechter) als auf dem Lande.

7. Eine Abschottung einer Stadt von der Außenwelt war faktisch nicht möglich, da 90% aller Städte vor allem !! von der Landwirtschaft lebten. Und die war nun mal ohne das Umland nicht möglich. Ein lebendiges Beispiel dafür stellen die vielerorts noch vorhandenen "Geschoßbücher" dar. Der gängige Begriff für solche Städte war "Ackerbürgerstadt". Da 90% aller Städte nur sehr klein, wenige größer als umliegende Dörfer und Marktflecken waren, war hier auch eine rechtlich sehr schwache Stellung vorausprogrammiert. Viele Städte waren sogar amtsschriftsässig, d.h. die Rechtsgeschäfte wurden durch den fürstlichen Amtmann getätigt. Nur die niedere Gerichtsbarkeit lag beim Stadtrat.

8. Die Aufnahme einer Person als Bürger einer Stadt ist sicher sehr vielschichtig. Doch ist es mit wenigen Worten auf den Punkt zu bringen. Voraussetzung war die Beantragung beim Stadtrat. Dabei musste ein untadliges Zeugnis vorliegen. Bei Fehlen mussten die Personen dieses in der Regel in einem bestimmten Zeitraum nachreichen. Hier war also kaum etwas möglich in Form eines "geflüchteten Unfreien". Kriterien waren:
- Sohn (oder später auch Tochter) eines Bürgers
- Erlernung eines Handwerks innerhalb der Stadt mit glaubhafter Versicherung, dies als selbständiges Handwerk (Meister) ausüben zu können.
- Ankauf eines Grundstückes in der Stadt und dessen Bewirtschaftung.
Wenn eines dieser Kriterien zutraf, gab es gegen Erlegung des fälligen Bürgergeldes kaum Enwände (wie es die Bürgerbücher zeigen). In der Regel wurde darauf geachtet, daß die Nachkommen von Bürgern in der Stadt gehalten wurden (günstigere Bürgergelder usw.)

9. Die Zünfte waren nicht auf die Städte beschränkt. Mitglied einer Zunft lebten in der Regel im gesamten Einzugsbereich selbiger. Dabei waren auch die umliegenden, in der Regel zum dazugehörigen Verwaltungsbezirk zählenden Dörfer eingenommen.

10. Die Intensivierung der Landwirtschaft führte erst in der frühen Neuzeit zu einer ausgeprägteren Tagelöhnerstruktur. So wurden auch durch verschiedenste Maßnahmen, aber auch durch Mißernten die Lehnsnehmer von Lehngütern gezwungen, diese an den Lehnsherren abzugeben und als Tagelöhner zu bewirtschaften. Dies betrifft aber erst die Zeit des ausgehenden 17. Jh. und vor allem des 18. Jh., was in Folge dessen, die Städte zum Platzen brachte. Hierin sind auch die großen Auswanderer Ströme des 18. u. 19. Jh. von Deutschland in die neue Welt begründet.
Mit Mittelalter hat das allerdings wenig zu tun.
 
Ich nehme an, du meinst Juden?

Nein, Juden konnten keine Vollbürger werden. Es wurde ihnen aber, gegen entsprechendes Entgelt natürlich, gestattet, in verschiedenen Städten in bestimmten Stadtbezirken zu wohnen oder sich niederzulassen. Schutzbriefe und Siedlungserlaubnisse waren befristet. Aus vielen Städten wurden Juden ausgewiesen, so dass noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts die meisten Juden auf dem Land lebten.

In vielen Städten verraten noch Straßennamen, dass dort früher Juden lebten wie in der Jüdenstraße in Göttingen.
 
Wir haben z.B. noch gelernt, dass die Bauern auch sehr darunter gelitten haben (teilweise, natürlich nun nicht alle), dass die Adligen ihr Fehden teilweise auf den Feldern der Bauern ausgetragen haben...


Hier werden Bauern als "Unfreie" teilweise bezeichnet.. Aber kann man den Begriff "Hörige" nicht auch verwenden? Denn sie mussten doch Frondienste leisten, oder nicht?
Lg
 
Hallo Maxime,

synonym lassen sich die Begriffe "Unfreie" und "Hörige" nicht verwenden. Der Begriff "Hörige" wurde für Bauern benutzt, die nicht unbedingt Leibeigene sein mussten - dementsprechend also auch privaten Besitz haben durften, allerdings keinen Grundbesitz. Unfreie konnten hingegen auch Ministeriale sein.
 
Danke :)
Soweit ich das weiß, konnten sie nur "bewegliches" Eigentum erwerben.

Also ich muss kurz noch etwas nachfragen:
Wir haben nach einem Schichtenmodell einer mittelalterlichen Stadt gelernt, dass die Ministerialen der Oberschicht angehören. Sie wurden als "kleine Adlige" bezeichnet.
Dann irritiert mich es, dass sie dann auch Unfreie gewesen sein sollten...
Wobei das natürlich nicht auf das Land unbedingt übertragbar sein muss, aber der gleiche Begriff verwundert mich. Die Übergänge von einer Stadt zum Land waren doch teilweise fließend, oder nicht?
Lg
 
@Lili
Guter Link! Allerdings scheint mir Deine Benutzung des Begriff "Unfrei" nicht die einzige mögliche zu sein:
UNFREI = HÖRIG oder LEIBEIGEN oder ?
Ich meine, man sollte das Wort "Unfreie" am besten ganz vermeoden, weil es - wie hier - leicht zu Missverständnissen führt.

Was die "Ministerialen" angeht, die später zu "Rittern" aufstiegen, in der Kirchenverwaltung hohe Positionen einnahmen, und - ja von Anfang an - "im öffentlichen Dienst" waren, ist die Wortentwicklung in England ganz erhellend:
(1) minister ist der "Geistliche" überhaupt
(2) minister ist aber auch "unser" Minister
(3) minstrel ist der "Bänkelsänger", der ursprünglich ritterliche Troubadour!
 
@Lili
Guter Link! Allerdings scheint mir Deine Benutzung des Begriff "Unfrei" nicht die einzige mögliche zu sein:
UNFREI = HÖRIG oder LEIBEIGEN oder ?
Ich meine, man sollte das Wort "Unfreie" am besten ganz vermeoden, weil es - wie hier - leicht zu Missverständnissen führt.

Sry, ich steh grad auf dem Schlauch.... Was willst du mir damit jetzt genau sagen? Ich hatte doch gerade eben unfrei von hörig abgegrenzt, meint ja auch unterschiedliche Rechtsverhältnisse. Klär mich mal auf... :grübel:
 
Gar keine Kritik!
In diesem ganzen Thread kommt nur das Wort "unfrei" in mehreren verschiedenen Bedeutungen vor. Du benutzt es als speziellen Fachbegriff und hast im Deinem letzten Beitrag einige Hinweise darauf gegeben, wie Du ihn verstanden wissen willst. Ich selbst würde aber nicht davon ausgehen, dass jeder genau weiß, was genau ein "Höriger" oder "Leibeigener" (oder auch "Kolone") in welcher Phase des Mittelalters genau ist, und wen man davon "unfrei" nennt und was das eigentlich bedeutet. Dieser Art sind ja genau die gestellten Fragen...

Wenn allerdings die Frage lautet: "Macht Stadtliuft wirklich FREI?", dann muss dieses Wort "frei" (als Fachbegriff) aber doch erst mal ganz genau definiert werden.

O.k. insoweit ist es sinnlos, wenn ich eben angeregt habe, vollständig auf das Wort "unfrei" zu verzichten, seh' ich ein!
 
Wir haben z.B. noch gelernt, dass die Bauern auch sehr darunter gelitten haben (teilweise, natürlich nun nicht alle), dass die Adligen ihr Fehden teilweise auf den Feldern der Bauern ausgetragen haben...
Das stimmt. Ähnliches dürfte auch für die Jagd zutreffen, wenngleich die ganz großen Schäden wohl erst mit der Jagdleidenschaft im Barockzeitalter anhoben. Neben den Flurschäden waren auch die Jagdfronen eine schwere Belastung für die Unfreien. Jagdfronen waren niedere Tätigkeiten bei der Jagd, so als Treiber etc. oder, was aber erst später massiv auftrat, das Arbeiten an Einzäunungen, in welche die größeren Tiere zum gezielten Töten durch die adelige Jagdgesellschaft getrieben wurden. Leider gibt es gerade aus dem Mittelalter natürlich im Vergleich zum Barock nur noch sehr wenige zeitgenössische Zeugnisse der Jagdleidenschaft und ihrer Folgen für die Untertanen.

Wenn wir beim Krieg sind und bei den Auswirkungen für die Unfreien, dann ist es natürlich auch so, dass lange Zeit noch die Grundherren ihre Bauern zu Aufgeboten aushoben, welche im Sinne des Grundherren kämpfen mussten. Mit dem Aufkommen der Söldnerheere nahm dies allerdings weitesgehend ab und blieb eine Randerscheinung in einigen Reichen. So trafen Deutsche Landsknechte noch um 1500 in Schweden auf Bauern in den gegnerischen Heeren.
 
Das stimmt. Ähnliches dürfte auch für die Jagd zutreffen, wenngleich die ganz großen Schäden wohl erst mit der Jagdleidenschaft im Barockzeitalter anhoben. Neben den Flurschäden waren auch die Jagdfronen eine schwere Belastung für die Unfreien. Jagdfronen waren niedere Tätigkeiten bei der Jagd, so als Treiber etc. oder, was aber erst später massiv auftrat, das Arbeiten an Einzäunungen, in welche die größeren Tiere zum gezielten Töten durch die adelige Jagdgesellschaft getrieben wurden. Leider gibt es gerade aus dem Mittelalter natürlich im Vergleich zum Barock nur noch sehr wenige zeitgenössische Zeugnisse der Jagdleidenschaft und ihrer Folgen für die Untertanen.

Wenn wir beim Krieg sind und bei den Auswirkungen für die Unfreien, dann ist es natürlich auch so, dass lange Zeit noch die Grundherren ihre Bauern zu Aufgeboten aushoben, welche im Sinne des Grundherren kämpfen mussten. Mit dem Aufkommen der Söldnerheere nahm dies allerdings weitesgehend ab und blieb eine Randerscheinung in einigen Reichen. So trafen Deutsche Landsknechte noch um 1500 in Schweden auf Bauern in den gegnerischen Heeren.


Fehde zu führen, lief fast immer ab wie beim Schach: "Schlägst du meine Bauern, brenne ich deine". In den Landfriedensgeboten versuchte man wenigstens bestimmte Objekte wie Mühlen von der Fehde auszunehmen.

Die Jagdleidenschaft des adels war tatsächlich eine große Belastung. Die Bauern durften keine Jagd- oder gar überhaupt keine Hunde halten und Schalenwild nur durch Rufen vertreiben. Besonders Wildschweine machten sich dann bald gar nichts mehr daraus. Jagdfron konnte auch bedeuten, dass ein Bauer einen Jagdhund halten, trainieren und füttern mußte, um ihn dann für die Jagd des Grundherrn zur Verfügung zu stellen.

Die Belastung durch die Jagd erreichte ihren Höhepunkt im Barock. besonders aufwändig war die Parforcejagd. Es mussten dazu eigens trainierte Hundemeuten und Jagdpferde aus England angeschafft werden. Für die Jagd brauchte man Piquere, die meist aus Frankreich angeorben wurden, die dafür zu sorgen hatten, dass die Reiter nicht zu dicht hinter der Meute herritten und dass die Jagdgesellschaft nicht plötzlich vor unüberwindbaren Hindernissen stand.
 
Die jahrhundertelangen Bemühen das Fehdwesen einzudämmen unterstreichen die großen Probleme die dieses für alle Bevölkerungsteile mit sich brachte.
 
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