Freies Geleit für Jan Hus

Nergal

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Was hat man eigentlich zur damaligen Zeit (14Jh.) darüber gesagt dass König Sigismund die Sicherheit von Jan Hus, welchem er freies Geleit für das Konzil von Konstanz zugesichert hatte, nicht durchsetzen wollte?

Hat man es als eine Art ernsten Wortbruch eines Königs empfunden, oder hat man darüber hinweggesehen?
 
Meine Güte, haben wir diese interessante Frage wirklich fünf Jahre unbeantwortet stehen gelassen?

Nun, im Sinne eines "besser spät als nie", und der Vollständigkeit halber:

Sigismund handelte unklug, als er das Hus gegebene Wort brach. Davon zeugen nicht nur die gegen seinen Anspruch auf Böhmen gerichteten Hussitenkriege, sondern auch die Ereignisse während des Reichstags zu Worms 1517, als abermals einem Reformator freies Geleit zugesagt wurde. Martin Luther begab sich nach Worms, obwohl seine Freunde ihn gemahnt hatten, an Hus' Schicksal zu denken.

Luther indes vertraute darauf, dass Karl V. sein gegebenes Wort nicht brechen wollte (oder zumindest: konnte). Umgekehrt schützte der Kaiser Luther (gegen die Stimmen mancher seiner Ratgeber), obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte, ein Exempel an ihm zu statuieren: Die drohende Kirchenspaltung stand einer habsburgischen Universalmonarchie und einem Kreuzzug gegen die Osmanen im Weg.

Daraus kann man ablesen, wie schwerwiegend Sigismunds Entscheidung war. Dafür gibt es zwei Gründe:

1. Die Gewährung freien Geleits auf der Anreise zu Gerichtsprozessen und politischen Verhandlungen war ein etablierter Grundsatz des politischen Systems und der Justiz im Reich. Indem Sigismund gegen dieses Prinzip handelte, beeinträchtigte er die Funktionsfähigkeit seiner Regierung und der Rechtspflege.

2. Ungeachtet des mitunter extremen Machtgefälles zwischen Herrschern und Beherrschten beruhte das Feudalwesen auf gegenseitigem Einverständnis. Stark vereinfachend ausgedrückt, machten beide Seiten – Lehnsnehmer wie Lehnsherr – einander Versprechungen. Ein wortbrüchiger König riskierte, dass seine Untertanen sich im Umkehrschluss ermutigt oder gar berechtigt fühlen konnten, ihm untreu zu werden.

Außerdem hatte die Eidesleistung eine religiöse Komponente. Wer sein vor Gott gegebenes Wort brach, frevelte auch gegen den Glauben. Nach damaliger Ansicht konnte nur die Kirche den Eidgeber von seiner Verpflichtung lösen, Wort zu halten. Er musste sich darauf berufen können, dass man ihn erpresst habe, oder dass er gegen Glaubensgebote verstoßen müsste, würde man ihn zwingen, sein Wort zu halten.

Im Falle Sigismunds lautete die von seinen Unterstützern vertretene Linie, ein Ketzer habe keinen Anspruch darauf, dass man ihm Wort hielt. Nach Steve Ozment ('A Mighty Fortress: A New History of the German People') teilten jedoch nur wenige der Großen im Reich diese Meinung (zumindest den konkreten Fall betreffend). Im deutschsprachigen Reichsteil überwog die Ablehnung; in Böhmen, wo Sigismund schon seit Wenzels Absetzung unbeliebt war, galt sie als Beweis seiner Treulosigkeit.

Die Kurfürsten äußerten sich doppeldeutig, lavierten zwischen Kritik und (verhaltenem) Verständnis. Im Sinne der bereits genannten Kritikpunkte pochten sie darauf, dass ein König Wort zu halten habe; als Fürsten hatten sie wenig Interesse an einer Kirchenreform durch das Volk. Andererseits kam es ihnen gelegen, wenn sich der Luxemburger in Böhmen unbeliebt machte und so seine Hausmacht schmälerte.

Was den Klerus angeht, scheinen die Konziliaristen, die das Schisma beenden wollten, Sigismunds Handeln goutiert oder zumindest toleriert zu haben. Das ist insofern interessant, als sie wie Hus auf eine Reform der Kirche "an Haupt und Gliedern" hinarbeiteten; doch natürlich teilten sie nicht dessen Radikalität, und ohnehin beanspruchten sie die Federführung bei der Reform für sich.

Die namhaftesten Kleriker, die Sigismunds Wortbruch kritisierten, waren die geistlichen Kurfürsten sowie Gegenpapst Benedikt XIII., der Hus sogar anbot, ihn unter seinen persönlichen Schutz zu stellen.

Insgesamt herrschte im Reich ein Streit, in dem der König den Kürzeren zu ziehen drohte. Wahrscheinlich wäre es falsch, zu schreiben, dass die hussitische Revolte einen Meinungsumschwung herbeiführte, mit ihren Folgen für den Herrschaftsanspruch der Großen und die Sicherheit v.a. der Städte; aber jedenfalls scheint Sigismunds Beitrag in den Hintergrund getreten zu sein.

Die Haltung der anderen europäischen Mächte ist für mich undurchsichtig.

Was Frankreich unter Karl VI. anlangt, waren laut Bart van Loo ('Burgund') die Orleanisten bemüht, das Schisma aufrechtzuerhalten, das ihnen und Frankreich nützte. Der theologische Streit mit Hus verhieß ein umso längeres und konfliktträchtigeres Konzil. Das kam ihnen entgegen, und ihre Delegation kritisierte Sigismund. Ob sich auch Johann von Burgund zu dem Wortbruch äußerte, weiß ich nicht.

In England hatte sich Heinrich V. bereits als Verfolger der Lollarden (die sich wie Hus auf Johann Wycliffe beriefen) einen Namen gemacht. Trotzdem scheint er Sigismund kritisiert zu haben, wobei Ozment es so beschreibt, als habe Heinrich eher als Ritter denn als König am Tun des Luxemburgers Anstoß genommen.

Sicherlich spielte auf der europäischen Ebene bei der Kritik an Sigismund auch die Überlegung eine Rolle, dass dieser eine römische Kirche unter der Schirmherrschaft des Reiches wiederherstellen wollte, um zum Kaiser gekrönt zu werden. Die anderen Monarchen hatten kein besonderes Interesse daran, dass Sigismund, der immerhin auch König von Ungarn war, eine sich gewogene Kirche zimmerte.
 
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