Ich saz ûf eime steine

El Quijote

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Ich saz ûf eime steine

sâß.JPG

dô dahte ich bein mit beine,

bein bei beine.JPG

dar ûf sazte ich mîn ellenbogen,
ich hete in mîne hant gesmogen
daz kinne und ein mîn wange,

smiegend gesmogen.JPG

dô dâhte ich mir vil ange,
wie man zer welte solte leben,
deheinen rât kunde ich mir gegeben,
wie man driu dinc erwurbe,
der deheines niht verdurbe:
diu zwei sint êre und varnde guot,
der ietweders dem andern schaden tuot,
daz dritte ist gotes hulde,
der zweier übergulde.

Den Anfang des Liedgedichtes von Walter von der Vogelweide kennt wohl jeder, der schon mal den Namen Walter von der Vogelweide gehört hat, zumindest den ersten Vers.
430px-Codex_Manesse_Walther_von_der_Vogelweide.jpg

Und gerade deshalb ist eines verwunderlich. Denn es handelt sich bei diesem Liedgedicht um eines von vielen der politischen Lieder Walters. Trotzdem verbinden wir ihn in aller erster Linie mit dem "Minnesanc". Nicht, dass Walter nicht ein großer Minnedichter gewesen wäre ("Saget mir ieman, waz ist minne"), aber warum wird er, der sich dichterisch in den Gegensatz von Kaisern und Päpsten einmischte*, der sich über die Ordnung des Reiches seine Gedanken machte ("untriuwe ist in der sâze,/ gewalt ist ûf der strâze,") immer nur als Minnesänger gesehen?

*Ahî, wie kristenlîche nû der bâbest lachet,
swanne er sînen Walhen seit: «ich hânz alsô gemachet».
daz er dâ seit, des solt er nie mêr hân gedâht!
er gihet: «ich hân zwêne Allamân under eine krône brâht,
daz si daz rîche sulen stœren unde wasten,
ie darunder wüelen in ir kasten.
ich hân si an mînen stoc gemennet, ir guot ist allez mîn,
ir tiutschez silber vert in mînen welschen schrîn,
ir pfaffen, ezzent hüener und trinkent wîn
unde lânt die tiutschen vasten!»
 
IchDen Anfang des Liedgedichtes von Walter von der Vogelweide kennt wohl jeder, der schon mal den Namen Walter von der Vogelweide gehört hat, zumindest den ersten Vers.
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Und gerade deshalb ist eines verwunderlich. Denn es handelt sich bei diesem Liedgedicht um eines von vielen der politischen Lieder Walters. Trotzdem verbinden wir ihn in aller erster Linie mit dem "Minnesanc". Nicht, dass Walter nicht ein großer Minnedichter gewesen wäre ("Saget mir ieman, waz ist minne"), aber warum wird er, der sich dichterisch in den Gegensatz von Kaisern und Päpsten einmischte*, der sich über die Ordnung des Reiches seine Gedanken machte ("untriuwe ist in der sâze,/ gewalt ist ûf der strâze,") immer nur als Minnesänger gesehen?

In der Germanistik bzw. Mediävistik ist durchaus bekannt, welchen literarischen Stellenwert Walter inne hat - dass sich das nicht überall herumspricht, ist ein oft zu beobachtendes Phänomen: für sehr sehr viele bedeutet Mozarts Musik sowas wie eine Rokoko-Spieldose, was sie aber nicht ist.
 
In der Germanistik bzw. Mediävistik ist durchaus bekannt, welchen literarischen Stellenwert Walter inne hat

Selbstverständlich. Aber um die Fachwissenschaft geht es nicht. Die Frage lautet: Wie kann es sein, dass, obwohl einer der bekanntesten Liedanfänge Walters der Anfang zu einem politischen Liedgedicht ist, dieser kaum/nur in der Fachwissenschaft als politischer Dichter wahrgenommen und in der Allgemeinheit auf den Minnesanc reduziert wird?
 
...das sind die Wunderlichkeiten der Rezeptionsgeschichte, welche nun mal Ravel auf den Bolero, Mozart auf trillernde Niedlichkeit, Chopin auf Salonmusik und eben Walter auf Minnesang reduziert wahrnehmen will... ;) so entstehen (oftmals falsche oder zumindest sehr reduzierte) Bilder bzw. Vorstellungen
 
Selbstverständlich. Aber um die Fachwissenschaft geht es nicht. Die Frage lautet: Wie kann es sein, dass, obwohl einer der bekanntesten Liedanfänge Walters der Anfang zu einem politischen Liedgedicht ist, dieser kaum/nur in der Fachwissenschaft als politischer Dichter wahrgenommen und in der Allgemeinheit auf den Minnesanc reduziert wird?
Ich denke das liegt daran, dass man mit dem politischen Aspekt, da die Brisanz für Nachgeborene fehlt, weniger empfänglich umgeht. Die Liebesbotschaft hingegen hat eine immer währende Aktualität.

Bei anderen Dichtern ist es m.E. umgekehrt.:winke:
 
Ich denke das liegt daran, dass man mit dem politischen Aspekt, da die Brisanz für Nachgeborene fehlt, weniger empfänglich umgeht. Die Liebesbotschaft hingegen hat eine immer währende Aktualität.

Bei anderen Dichtern ist es m.E. umgekehrt.:winke:


Ich kannte den Walther jetzt "nur" als politischen Dichter.
Echt.
Die Minne war mir bisher entgangen.

Aber es gibt, wie Briso schrieb, durchaus auch den selben Fall.
Wer kennt heute Ludwig Thoma noch als Politik-Journalisten?
Er wird doch lediglich noch als bairischer Mundartdichter und "Kinder"-Buch-Autor wahrgenommen.
 
Ich denke das liegt daran, dass man mit dem politischen Aspekt, da die Brisanz für Nachgeborene fehlt, weniger empfänglich umgeht. Die Liebesbotschaft hingegen hat eine immer währende Aktualität.

Bei anderen Dichtern ist es m.E. umgekehrt.:winke:

Genau so sehe ich das auch. Mir ist Walther in meinem Studium bereits öfters "über den Weg gelaufen", und dort wurde uns natürlich das breite Spektrum seiner Tätigkeit erklärt, er schrieb ja nicht nur politische Gedichte, wie etwa den Philippston, den Reichston oder auch das bekannte Palästinalied, sondern auch Liebeslieder. Man kann die allgemeine Tätigkeit vieler Autoren des Mittelalters grob in Sangspruchdichtung und Minnesang unterteilen. Vielen Leuten ist eher der Minnesang als DIE mittelalterliche Literaturgattung bekannt, weil sie eben in den meisten Standadwerken zum Mittelalter genannt wird. Sangspruch hingegen, die Art Literatur, die sich mit Sachen außerhalb der Liebesdichtung beschäftigt, etwa zur religiösen oder moralischen Belehrung, zum Lob oder zum Tadel anderer Herren, oder zum Aufgreifen der damaligen politischen Situation, sind eher weniger darin vertreten, obwohl sie auch sehr wichtig sind. Zudem konnte sich kein Autor leisten nur von Minnesang alleine zu leben, wobei viele von ihnen nebenbei auch noch anderen Tätigkeiten nachgehen mussten um sich finanziell über Wasser zu halten. Walther von der Vogelweide hat zudem im Sangspruch viele wichtige Neuerungen eingebracht, seit ihm wurde der Sangspruch quasi als "Waffe" eingesetzt, mit der man sich gegenüber anderen hervorheben und ihre Angriffe auf einen selbst abwehren kann.
Es ist auch oft so, das Minnesang immer mit Walther wiedergegeben wird - er ist eben der bekannteste Sänger von allen, seine Miniatur aus dem Codex Manesse ist überall zu sehen. Ich selbst habe auch erst viele andere Autoren im Studium kennengelernt, deren Arbeit mindestens genau so wichtig für die deutsche Literaturgeschichte ist.
 
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