Ausverkauf in Tschechien

Daniel

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So, ich bin jetzt frisch aus Doksy zurück und ich weiß nicht ob es anderen auch schon aufgefallen ist: Gibt es eigentlich irgendein rein tschechisches Großunternehmen, das nicht vollständig oder teilweise deutschen oder österreichischen Geldgebern gehört. Einige Beispiele: In meiner tschechischen Nachbarstadt gehen wir Deutsche im Plus einkaufen. Im Urlaub kann man sein Geld bei der Cesky Sparkasse abheben. Skoda, das tschechische Vorzeigeunternehmen, ist eine 100 prozentige Tochter von Volkswagen. Im Riesengebirge stehen Liftanlagen, in die kein Tscheche, sondern ein Österreicher investiert hat. Wenn man nach Böhmisch Leipa fährt, kommt man am Real und Kaufland vorbei.
Ich habe das Gefühl, dass der deutschen Wirtschaft nach dem Fall des Eisernen Vorhanges dies gelungen ist, was den Deutschen Militärs nicht gelang: Tschechien zu erobern.

Die letzte These soll um Gottes willen nicht als Fremdenfeindlich angesehen werden und kann und soll von mir aus gerne wiederlegt werden, schließlich befinden wir uns in einer Diskussion.
 
Ich denke, du hast Recht mit deinen Beobachtungen und Schlussfolgerungen. Mir ist das auch schon aufgefallen, allerdings nicht nur in Tschechien, sondern in weiten Teilen des ehemaligen Ostblocks. Überall haben Firmen und Konzerne aus dem Westen, vornehmlich aus Deutschland, Investitionen vorgenommen und bei dieser Gelegenheit entweder die Kontrolle über einheimische Betriebe übernommen oder gleich eigene Namen eingeführt.

Die gleiche "Kapitalinvasion" wie in Tschechien, allerdings in noch weitaus höherem Maße, lässt sich übrigens in Ostdeutschland beobachten. Gegen den Einwand, das sei schließlich Bundesrepublik, lässt sich entgegnen: Auch diese fünf Bundesländer bildeten in Form der DDR jahrzehntelang einen eigenen Staat mit eigener Wirtschaft und Konzernen. Fast nichts davon ist übrig geblieben, die meisten Betriebe wurden liquidiert oder von Westkonzernen übernommen und in der Regel umbenannt. Die Beispiele aus der Automobilindustrie und dem Lebensmittelhandel, die sich auf Tschechien beziehen, lassen sich im deutschen Osten in Massen wiederfinden.

Es sollte mich wundern, wenn nun, nach dem EU-Beitritt Polens, dort nicht dasselbe geschehen sollte.
 
Und was ist daran so schlimm?

Die ehemaligen Ostblockländer hatten nicht das Kapital um ihre eigene Wirtschaft nach dem Zusammenbruch wieder zum Laufen zu bringen. Durch Auslandsinvestitionen bzw. in der DDR Investitionen aus dem Westen wurde die Wirtwschaftslage wieder gepuscht indem Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung durch Ansiedelung ausländischer Betriebe geschaffen wurde.
 
Lili schrieb:
Und was ist daran so schlimm?

Die ehemaligen Ostblockländer hatten nicht das Kapital um ihre eigene Wirtschaft nach dem Zusammenbruch wieder zum Laufen zu bringen. Durch Auslandsinvestitionen bzw. in der DDR Investitionen aus dem Westen wurde die Wirtwschaftslage wieder gepuscht indem Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung durch Ansiedelung ausländischer Betriebe geschaffen wurde.

Gar nichts ist daran schlimm; so ist die Wirtschaft halt. Das Ganze funktioniert doch überhaupt nur deshalb, weil die Konsumenten bereit sind, die Produkte dieser Firmen und Konzerne zu kaufen - dies ist ihre freie Entscheidung.

Gerade auf das Beispiel Skoda bezogen lässt sich erkennen, dass erst der Transfer von Wissen, Technik und Kapital das Unternehmen überhaupt erhalten hat. Ohne diesen Transfer wäre Skoda mit Sicherheit nicht mehr existent.
 
Denken wir immer noch in den Kategorien des 19. Jh.? Die EU ist auf dem Weg zu einem gemeinsamer Wirtschaftsraum. Was bedeutet es denn, wenn Skoda nun als Tochter von VW sichere Arbeitsplätze bietet und seine Erzeugnisse auch ausserhalb Tschechiens erfolgreich absetzen kann?
Bei den Handelsunternehmen ist die Situation nicht anders. Metro, zu der auch Real gehört, ist ein europäischer Konzern mit Sitz in Deutschland.
Von einem Ausverkauf in Tschechien kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede sein; von einer Eroberung Tschechiens schon gar nicht.
 
Mercy schrieb:
Von einem Ausverkauf in Tschechien kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede sein; von einer Eroberung Tschechiens schon gar nicht.

Ich stimme dir in beiden Punkten vollkommen zu!

Nur, das "Denken in den Kategorien des 19. Jh.", scheint tatsächlich in vielen Köpfen noch fest verankert. Aber ist das nicht auch irgendwo verständlich? Dass bspw. bei den Menschen in Tschechien nicht nur Freude aufkommt ob der oben beschriebenen Zustände, sondern auch diffuse Ängste und Aversionen gegen die genannten Wirtschaftsunternehmen, kann ich nachvollziehen.
Beispiel: Ohne dass ich wirklich weiß, welche Folgen das für den Standort und die Wirtschaft haben könnte, wird mir bei dem Gedanken, dass die Deutsche Bank als Übernahme-Kandidat für US-Großbanken gilt, auch mulmig. Obwohl das vielleicht jeglicher Grundlage entbehrt, bleibt bei mir in diesem Zusammenhang ein latentes Gefühl des Unbehagens.
 
Kirlon schrieb:
Beispiel: Ohne dass ich wirklich weiß, welche Folgen das für den Standort und die Wirtschaft haben könnte, wird mir bei dem Gedanken, dass die Deutsche Bank als Übernahme-Kandidat für US-Großbanken gilt, auch mulmig. Obwohl das vielleicht jeglicher Grundlage entbehrt, bleibt bei mir in diesem Zusammenhang ein latentes Gefühl des Unbehagens.
Gegen mulmige oder auch latente Gefühle des Unbehagens hilft nur Information. Was glaubst du, wie es bei den Bewohnern der bayerischen Grenzregionen aussieht.
 
Ja, latente Gefühle des Unbehagens in diesem Zusammenhang sind im Grunde genommen dumm. Deswegen habe ich das Beispiel auch auf mich selbst bezogen. :p
Ob aber Informationen allein ausreichend sind, um dem entgegen zu wirken, glaube ich auch nicht. Die Menschen, gerade in Europa, benötigen m.E. eigene positive Erfahrungen, um die alten Denkstrukturen abzulegen. Da hilft nur der Lauf der Zeit - hoffentlich!
 
Zitat:"Ich habe das Gefühl, dass der deutschen Wirtschaft nach dem Fall des Eisernen Vorhanges dies gelungen ist, was den Deutschen Militärs nicht gelang: Tschechien (bzw Europa) zu erobern."

ich glaube, so etwas ähnlich sagte in den 80ern auch schon Maggie Thachter!!



Ich meinen Nachbarort gibt es einen Bauern, der hat schon vor Jahren als Hauptbeteiligter einer polnischen Treuhandfirma, die ehemaligen Länderein seiner Famile in Schlesien zurückgekauft. Nicht ,weil er Geschäfte damit machen will, sondern einfach nur aus Prinzip.
 
Ich glaube das ist eine Sache der weltweiten Globalisierung und ist nicht nur auf Tschechien bezogen.
Nehmen wir einmal Spanien, die Autofirma Seat ist ebenfalls eine Tochter von Volkswagen, und fährt man nach Mallorca, begegnen einem dort ebenfalls LIDL, Schlecker, AOK, anderswo auf dem Festland auch mal ein Aldi, so sind die Vorteile der neuen EU: Freie Niederlassungs- und Beschäftigungsfreiheit, freier Dienstleistungsverkehr, freier Warenverkehr, freier Kapitalverkehr.
 
askan schrieb:
Zitat:"Ich habe das Gefühl, dass der deutschen Wirtschaft nach dem Fall des Eisernen Vorhanges dies gelungen ist, was den Deutschen Militärs nicht gelang: Tschechien (bzw Europa) zu erobern."

Tja und Österreich macht das gleiche und baut die Donaumonarchie wieder auf, indem z.B. die OMV die rumänische Erdölgesellschaft aufgekauft hat, was wie der Pemierminister Rumäniens selbst sagt, gleich bedeutend ist mit der Kontrolle über die rumänische Wirtschaft und damit über die Politik.

Ob die Osterweiterun wirklich so der Hit ist für die Länder des Ostens, weiß ich nicht für die westeuropäischen Konzerne ist sie es mit Sicherheit. Aber die Menschen bleiben da auf der Strecke.

Das ist nicht das Intergationsprojekt von dem ich Träume, sondern nur die Eroberung neuer Absatzmärkte.
 
Kirlon schrieb:
Ob aber Informationen allein ausreichend sind, um dem entgegen zu wirken, glaube ich auch nicht. Die Menschen, gerade in Europa, benötigen m.E. eigene positive Erfahrungen, um die alten Denkstrukturen abzulegen. Da hilft nur der Lauf der Zeit - hoffentlich!
Die positiven Erfahrungen kann man fördern! Der Bayerische Rundfunk z.B. hat das seit langem getan und war auch zur EU-Osterweiterung weiter aktiv:
Der Bayerische Rundfunk hat in seinen Fernseh- und Hörfunkprogrammen ausführlich über die EU-Osterweiterung und ihre Folgen für Bayern berichtet. Als Ergänzung und Vertiefung zu diesem Programmschwerpunkt können Sie sich bei BR-ONLINE über die wichtigsten Themen informieren:
Wie sich Bayerns Wirtschaft auf die Osterweiterung einstellt
Was Polizei und Grenzschutz zum Thema Sicherheit sagen
Was uns auf Bayerns Straßen in den nächsten Jahren bevorsteht
Was unsere Landwirte durch die Ausdehnung der EU erwartet
Wie Kultur für neue grenzüberschreitende Kontakte sorgt
Wie junge Menschen in Bayern und Tschechien aufeinander zugehen

http://www.br-online.de/bayern-heute/thema/osterweiterung/index.xml
 
Linker schrieb:
Tja und Österreich macht das gleiche und baut die Donaumonarchie wieder auf, indem z.B. die OMV die rumänische Erdölgesellschaft aufgekauft hat, was wie der Pemierminister Rumäniens selbst sagt, gleich bedeutend ist mit der Kontrolle über die rumänische Wirtschaft und damit über die Politik.

Vielleicht ist man einfach etwas sensibler was die Osterweiterung bzw. die Auslandsinvestitionen in ehemalige Ostblockländer betrifft.
Ein kleines Gegenbeispiel: der Mineralölkonzern Aral wurde letztes Jahr von BP aufgekauft. Viele Araltankstellen wurden deshalb überflüssig und gerade im süddeutschen Raum an die OMV verkauft. Mal ganz davon abgesehen hat die OMV in den letzten 10 Jahren zwei riesige Standorte in Burghausen (für Mineralöle) und in Feldkirchen bei München (für Schmierstoffe) errichtet. Hält das auch jemand für diskussionswürdig? Wird Bayern jetzt von Österreich erschlossen und für einen Anschluss vorbereitet? :D
 
Lili schrieb:
Wird Bayern jetzt von Österreich erschlossen und für einen Anschluss vorbereitet? :D
Naja erstenst ist vedoppelt sich die OMV damit von Heute auf Morgen, was also schon recht bedeutend ist und zweitens ist die OMV jetzt der mit Abstand größte Auslandsinvestor in Rumänien (was sie in Bayern wohl kaum ist)
Und ich möchte noch mal darauf verweisen was der rumänische Premierminister gesagt hat. Das hat steuber wohl nicht gesagt (oder gedacht) als die OMV ein paar Tankstellen eröffnet hat.
 
Bei mir im Ort und in der Gegend sind auch einige Aral-Tankstellen an die OMV gegangen. Ob sich dadurch viel geändert hat kann ich aber nicht sagen.
Auf der Homepage von OMV gibts auch noch viele Infos, unter anderem:
"OMV und Petrom werden führende Kraft in der Öl- und Gasindustrie Mittel- und Osteuropas".
http://www.omv.com
 
Auf der Homepage von OMV heißt es:
"Zusätzlich ergänzen eine 45%-ige Beteiligung am BAYERNOIL-Verbund und eine 25,1%-ige Beteiligung an der rumänischen Rompetrol Gruppe unsere starke strategische Versorgungsposition; z.B. durch einen Standort an der Schwarzmeerküste mit Zugang zur Donau."
 
Linker schrieb:
Naja erstenst ist vedoppelt sich die OMV damit von Heute auf Morgen, was also schon recht bedeutend ist und zweitens ist die OMV jetzt der mit Abstand größte Auslandsinvestor in Rumänien (was sie in Bayern wohl kaum ist)
Und ich möchte noch mal darauf verweisen was der rumänische Premierminister gesagt hat. Das hat steuber wohl nicht gesagt (oder gedacht) als die OMV ein paar Tankstellen eröffnet hat.

Das war auch gerade nicht so ernst zu nehmen.... Ich wollte damit nur darauf hinweisen, dass durchaus auch noch in anderen Märkten investiert wird, was aber nicht so im Mittelpunkt der Diskussion steht, wie derzeit Investitionen in Osteuropa und Asien. Und, ja, die OMV ist derzeit größter Investor in Rumänien, aber denkst du das bleibt so? Der Einfluss dürfte auch kurzfristig gegeben sein, mittel- bis langfristig verschiebt er sich aber wieder, da auch zukünftig Unternehmen in Rumänien investieren werden.
Außerdem sollte man die positiven sozialen Aspekte ausländischer Investitionen nicht vernachlässigen, wie es Mercy bereits angeführt hat.
 
Zitat:"Außerdem sollte man die positiven sozialen Aspekte ausländischer Investitionen nicht vernachlässigen, wie es Mercy bereits angeführt hat"

So wie vor einigen Jahren in Nigeria, als die Todesschwardronen mit den Werksbussen von Shell zu ihrer "Arbeit" gefahren wurden?
 
Eher die, dass durch das Schaffen von Arbeitsplätzen der Lebensstandard der Bevölkerung steigt. Alles andere zu dem Kommentar verkneife ich mir jetzt.
 
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