Oberschlesien

Rafael

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Hallo zusammen,

ich wollte, da ich selber viele Fragen und nur wenig Ahnung zu Oberschlesien habe, hier einen Thread eröffnen, der sich mit dieser Region beschäftigt.

Das weiß ich, glaub ich zu wissen:
Oberschlesien gehörte in seiner Geschichte nicht nur den Staaten Deutschland und Polen an, sondern auch Österreich.
Es gab in den frühen zwanzigern des 20. Jahrhunderts zwischen Deutschland und Polen den Oberschlesichen Grenzkrieg.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Oberschlesien dem Staat Polen zugesprochen.

Wer weiß mehr und wer weiß es besser?
 
oberschlesien gehörte nie zu dem staat, den wir als österreich kennen, allerdings gehörte oberschlesien mal zu habsburg. bevor oberschlesien zu deutschland gehörte, war es teil des preussischen königreichs.

grenzen sind in mitteleuropa sehr ungewiss und wechselhaft, für regionen noch mehr als für staaten. kann überhaupt jemand erklären, was schlesien ist? oberschlesien, unterschlesien, wo sind hier die grenzen. ist der südlichste teil der lausitz (görlitz, zittau) etwa ein teil niederschlesiens? ich wohne am niederrhein und habe noch keine wirklich einleuchtende erklärung gehört oder gelesen, wo der niederrhein aufhört und anfängt. die gegend in der ich wohne wahr schon kurkölnisch, niederländisch, preussisch, französisch, noch mal preussisch und schließlich deutsch.

ponzelar
 
ponzelar schrieb:
oberschlesien gehörte nie zu dem staat, den wir als österreich kennen, allerdings gehörte oberschlesien mal zu habsburg. bevor oberschlesien zu deutschland gehörte, war es teil des preussischen königreichs.

grenzen sind in mitteleuropa sehr ungewiss und wechselhaft, für regionen noch mehr als für staaten. kann überhaupt jemand erklären, was schlesien ist? oberschlesien, unterschlesien, wo sind hier die grenzen. ist der südlichste teil der lausitz (görlitz, zittau) etwa ein teil niederschlesiens? ich wohne am niederrhein und habe noch keine wirklich einleuchtende erklärung gehört oder gelesen, wo der niederrhein aufhört und anfängt. die gegend in der ich wohne wahr schon kurkölnisch, niederländisch, preussisch, französisch, noch mal preussisch und schließlich deutsch.

ponzelar

bis 1918 gab es oberschlesien als verwaltungseinheit überhaupt nicht, sondern nur die preussische provinz schlesien, die wiederum in drei regeierungsbezirke (breslau, liegnitz und oppeln) aufgeteilt war. ausserdem gab (und gibt es bis heute) noch ein "rest"-schlesien, welches bei habsburg verblieb und heute teil tschechiens ist.

oberschlesien wurde nach dem 1.wk gebildet, als es im rahmen des versailler vertrages zu volksabstimmungen über die zukunft dieses gebietes ging, entweder polnisch oder verbleib bei deutschland. im wesentlichen war das abstimmungsgebiet mit dem bezirk oppeln identisch. der bei deutschland verbliebene teil war dann die provinz oberschlesien.

grenziehungen sind meist willkürlich, jedenfalls wenn es um poltische grenzen geht. daher ist die zuordnung von einzelnen städten meist historisch bedingt. so gehörte görlitz tatsächlich zu niederschlesien, zittau ist seit 1635 säschsisch. nach der wende gab es kurzfristig einige, nicht sonderlich ernst zunehmende bemühungen, ein bundesland niederschlesien zu schaffen.

beim niederrhein verwechselst du politisch-verwaltungstechnisch-historische bezeichnungen mit geografischen, die meist sehr präzise abgrenzbar sind. der niederrhein gehört zur letzteren kategorie und bezeichnet im engeren sinne den abschnitt des rhein von bonn bis zur holländischen grenze (ganz genau bis zur teilung in lek und waal, 3 km nach der grenze). im heutigen sprachgebrauch wird mit niederrhein meist die landschaft ab duisburg flussabwärts bezeichnet, als kontrast zur städtelandschaft bonn-köln-düsseldorf-duisburg.
 
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Lieber Collo,
als ehemaliger Ostrentensachbearbeiter weiß ich, dass es sogar eine oberschlesische Sprache gab, ein Gemisch aus der polnischen, deutschen und tschechichen Sprache. Ein Großteil der oberschlesischen Bevölkerung wurde im Gegensatz zur deutschen Bevölkerung von Pommern, Ostpreußen und Niederschlesien auch nach 1945 nicht ausgewiesen. Viele blieben noch jahrzehntelang in ihrer Heimat und sind dann erst gekommen oder leben heute noch dort als deutschsprachige Minderheit.
 
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Also das Herzogtum Schlesien war bis 1866 Teil des Kaisertums Österreich und bis 1918 Bestandteil der Österreich-Ungarns und nicht "Habsburgs".
 
Hallo zusammen,

danke erstmal für die Beiträge! Die Karte finde ich total interessant. Habe schon mal Karten von Schlesien gesucht und leider nur 2 alte gefunden.

Zu Heinz Beitrag über die Sprache:
Ein Lehrer von mir, der auch aus Oberschlesien kommt, hat mal versucht in irgendeinem platt mit mir zusprechen. Das verstand ich nicht. War wahrscheinlich das schlesische Plattdeutsch.

Heute aber sprechen die Oberschlesier, ein Polnisch, dass dennoch viele Unterschiede zum richtigen Polnischen hat.
Soviel ich übers selber sprechen mitbekommen habe, redet der Oberschlesier mit gleicher Grammatik, aber einige Vokabeln sind anders.

Einige Beispiele, die mir so einfallen (wegen Schreibweise übernehme ich keine Garantie, ich schreibs, wie ich spreche...):

Oberschlesisch:.......................Polnisch:.................. Deutsch:

Auto.......................................samochod.................Auto
ja...........................................tak..........................ja
szczewikie................................boty........................Schuhe


....

Einmal habe ich bei einem Urlaub in Polen einem Mann erklären müssen, was das schlesische Moplik (Mofa) auf polnisch meint, da das Wort in einer Sendung andauernd vorkam, er damit aber nichts anfangen konnte.

Auch hat Heinz geschrieben, dass viele Oberschlesier nicht vertrieben wurden. Meine Familie, obwohl deutschstämmig gehört dazu. Wie kam es dazu, dass es in anderen Regionen so viele Vertriebene gab? In Oberschlesien gab es ja auch viele Vertriebene... Wie kam es dazu, dass meine Familie in Oberschlesien bleiben konnte?
 
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Rovere schrieb:
Also das Herzogtum Schlesien war bis 1866 Teil des Kaisertums Österreich und bis 1918 Bestandteil der Österreich-Ungarns und nicht "Habsburgs".

da ich nicht alle politisch korrekten bezeichnungen der zugehörigkeit diesen teils schlesiens aufzählen wollte, habe ich die sache etwaas verkürzt dargestellt und mich an das herrscherhaus gehalten...korrekt wäre wohl zu sagen, dass die österreichischen habsburger seit 1525 auch herzöge von schlesien waren (als teil des königreichs böhmen) und dass nach 1740 ein kleiner teil dieses herzogtums österreichisch blieb.

über die sprachzugehörigkeit um 1918 in diesem gebiet folgende karte:
 
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Rovere schrieb:
Also das Herzogtum Schlesien war bis 1866 Teil des Kaisertums Österreich und bis 1918 Bestandteil der Österreich-Ungarns und nicht "Habsburgs".

Da meinst Du das "Herzogtum Ober- und Niederschlesien" auch "Österreichisch Schlesien" genannt.
 
Rafael schrieb:
Oberschlesien gehörte in seiner Geschichte nicht nur den Staaten Deutschland und Polen an, sondern auch Österreich.

Vor einiger Zeit stellte ich eine ähnliche Frage und erhielt von Lukrezia folgenden interessanten Link, der auch diesem Thread nützlich sein dürfte:

Schlesien
 
Rafael schrieb:
Auch hat Heinz geschrieben, dass viele Oberschlesier nicht vertrieben wurden. Meine Familie, obwohl deutschstämmig gehört dazu. Wie kam es dazu, dass es in anderen Regionen so viele Vertriebene gab? In Oberschlesien gab es ja auch viele Vertriebene... Wie kam es dazu, dass meine Familie in Oberschlesien bleiben konnte?

Ich kann da aus den Erzählungen meiner Großeltern berichten. Danach war es so, daß eines Tages Polen an der Tür waren und fragten "Wollt ihr Polen werden, oder Deutsche bleiben?"

Als meine Großmütter sagten, daß sie Deutsche bleiben wollten (die Männer waren in Kriegsgefangenschaft), hieß es:
"Packt eure Sachen - das was ihr tragen könnt. In zwei Stunden kommen wir wieder, dann seid ihr hier weg. Und lasst alle Schlüssel stecken."

Kurz und knapp. Sie sammelten die Kinder, ihre wertvollsten Sachen und Papiere ein und zogen los...von den Kindern starben mehrere auf der Flucht und die Wertsachen wurden ihnen zwischendurch abgenommen.

Weiterhin ist mir bekannt, daß man die Leute auch recht "unterschiedlich" behandelt hat. Da gab es alle Variationen. Vom Extrembeispiel, daß jemand als Nazifunktionär galt, der sich überhaupt nicht erwischen lassen durfte um am Leben zu bleiben bis zum Bergmann, den die Polen brauchten und deswegen recht zuvorkommend behandelt wurde.
 
Arne, was du sagst kommt dem sehr nahe, was ich von meinen Grosseltern auch gehört habe. Meine Oma zum Beispiel hatte noch ihre (ursprüngliche KUK-österreichische) Geburtsurkunde, aus der hervorging das sie in der Tschechei geboren war. Die polnische Verwaltung hatte sie und Restfamilie vor die Wahl gestellt, das sie entweder als tschechischstämmige Polen bleiben dürfen oder Deutsche (wegen Österreich) vertrieben würden. Tja, seit dem ist meine Familie Norddeutsch.
 
Wie bereits erwähnt entstand Oberschlesien erst nach dem 1. weltkrieg. Seit 1920 ist die ehemals preußische Provinz Schlesien in Nieder- und Oberschlesien getrennt. Von Oberschlesien wurde ein wirtschaftlich interessanter Teil abgetrennt und von Polen annektiert. Ursprünglich erhoffte sich Polen ganz Oberschlesien annektieren zu können, ebenso wie das südliche Ostpreußen. Dazu wurden Volksabstimmungen durchgeführt. Allerdings stimmten in Ostpreußen ca. 98% für Deutschland und in Oberschlesien ca. 70%. Letzlich beschlossen die Alliierten dann trotz der für Deutschland positiven Abstimmung einen Großteil des oberschlesischen Kohlereviers von Deutschland abzutrennen. Auf ethnische Bevölkerungsgrenzen wurde dabei dann, anders als in Wilsons Plan, nicht mehr Rücksicht genommen.
 
Rovere schrieb:
Also das Herzogtum Schlesien war bis 1866 Teil des Kaisertums Österreich und bis 1918 Bestandteil der Österreich-Ungarns und nicht "Habsburgs".


hyokkose schrieb:
Da meinst Du das "Herzogtum Ober- und Niederschlesien" auch "Österreichisch Schlesien" genannt.


...aber die Bezeichnung "Herzogtum Schlesien" ist genauso richtig.

http://www.deutsche-schutzgebiete.de/kuk_schlesien.htm



Auch die Bezeichnungen "West-Schlesien und Ost-Schlesien" waren geläufig.
 
Habe irgendwie versäumt hier wieder reinzuschauen.

@Arne und Askan: Endlich mal Informationen, die mir bei der Frage weiterhelfen, weshalb es Vertriebene gab und Deutsche, die in Polen geblieben sind.
In meiner Familie konnte mir das keiner so Recht sagen und ich weiß nur, dass wir noch Fotos von meinem Urgroßvater und seinem Bruder an der Front haben. Auch hat die Familie ein Büchlein aufbewahrt, in dem ein anderer Uropa von mir die "Verdienstmärkchen" (kann man diese so nennen?) während der Zeit in der Arbeiterfront eingeklebt hat.

Ein Herr im Seniorenheim, der aus Breslau stammt, konnte mir auch nicht erklären, wie es dazu kam, dass es Vertriebene und Nichtvertriebene gab, er selbst mutmaßte nur, dass man da bleiben konnte, wenn man irgendwo in der Familie einen polnischen Verwandten hatte.
 
Rafael schrieb:
Es gab in den frühen zwanzigern des 20. Jahrhunderts zwischen Deutschland und Polen den Oberschlesichen Grenzkrieg.

Hallo Rafael,

was die Kämpfe angeht, möchte ich in Auszügen Wiki zitieren:

"Bei Abstimmung am 20. März 1921 über die Zukunft Oberschlesiens stimmten fast 2/3 der Wähler für einen Verbleib der Region bei Deutschland. Im von Wojciech Korfantyorganisierten 3. polnischen Aufstand versuchten polnische Freischärler mit offener Unterstützung der französischen Besatzungstruppen, Oberschlesien entgegen des Abstimmungsergebnisses Polen zuzuschlagen. Deutschland war durch die Vereinbarungen von Versailles und den Druck der französischen Siegermacht daran gehindert, gegen die Aufständischen vorzugehen. Lediglich inoffiziell konnte man den deutschen Widerstand unterstützen.
Im Mai 1921 besetzten polnische Freischärler den strategisch wichtigen Annaberg und der Ort wurde zu einem Symbol für die beiden kämpfenden Parteien. Das Gebiet um den St. Annaberg war in dieser Zeit ein zentraler Ort der militärischen Auseinandersetzungen, die einen entscheidenden Einfluss auf das endgültige Ergebnis der Kämpfe hatten. Am 21. Mai 1921 erfolgte durch den aus deutschen Freikorps gebildeten Selbstschutz Oberschlesien (SSOS) im Sturm auf den Annaberg die Einnahme des Berges. Am 20. Oktober 1921 beschloss der Oberste Rat der Alliierten nach einer Empfehlung des Völkerbundes, das ostoberschlesische Industrierevier, das einem Drittel der Gesamtfläche Oberschlesiens entsprach, an Polen zu übertragen. Beim Deutschen Reich verblieb der zwar flächen- und bevölkerungsmäßig größere, vor allem jedoch eher agrarisch strukturierte Teil des Abstimmungsgebiets."


Grüße,

Jacobum
 
Danke für diese Informationen.
Der Annaberg ist mir selbst wohl bekannt. Ich kenne Kriegsanekdoten in denen der Annaberg eine zentrale Rolle spielt und weiß zu berichten, dass er ein wichtiger religiöser Anlaufpunkt ist. Meine Eltern waren damals oft dort und ich kann mich noch erinnern, dass ich als etwa 10 jähriger dort meine erste Marionette geschenkt bekommen habe. (Es war auch die letzte, da die blöden Seile sich immer verhedderten.)
 
Rafael schrieb:
Endlich mal Informationen, die mir bei der Frage weiterhelfen, weshalb es Vertriebene gab und Deutsche, die in Polen geblieben sind.

Vielleicht war es eine Frage des Zeitpunktes... Die Frau eines Studienkollegen von mir kommt aus Schlesien. Im Fall ihrer Familie war es so: zunächst lebte der Vater nach dem Krieg in Westdeutschland, aber seine Eltern waren nach wie vor in Schlesien; sein Vater hatte dort einen Bauernhof. Ihr Vater hatte im Westen auch geheiratet; seine Frau war 'westdeutsch'. So um 1950 verstarb der Großvater und ihr Vater beschloß, mit seiner Familie nach Schlesien zu gehen und den Hof zu übernehmen. Soweit sie mir erzählte, hat die Rückkehr keine Schwierigkeiten bereitet, auch die Übernahme des Hofes nicht. Als der Vater in Rente ging und der älteste Bruder den Hof übernahm, sind die Eltern mit ihr wieder in den Westen gegangen. Sie erzählte mir, daß sie keine Anfeindungen oder so in Polen erlebt hat. Die polnischen Bauern im Dorf hätten sich eigentlich nur beschwert, daß die deutschen Nachbarn immer so blöd (und der Obrigkeit ergeben) seien und genau die vorgeschriebene Mengen abgeliefert haben, während sie immer versuchten, eine geringere Erntemenge vorzuschützen und was beiseite zu bringen :pfeif:
 
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