Ostpreußen - deutsch oder polnisch oder russisch?

hall:grübel: liebe geschichtsforum freunde ich habe da mal eine frage an euch:

ich würde gerne mal von EUCH hören wem genau ostpreußen zusteht und warum?!:still: und wie es überhaupt zu diesem konflikt kam.
es wäre schön wenn ihr mir einige gründe geben würdet denn es beschäftigt mich sehr jedoch bin ich im internet nicht auf die richtigen seiten gestoßen und bücher sind eher nciht so mein fall:p:p:p...

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Peace and love!!

:friends::friends:
 
hall:grübel: liebe geschichtsforum freunde ich habe da mal eine frage an euch:

ich würde gerne mal von EUCH hören wem genau ostpreußen zusteht und warum?!:still: und wie es überhaupt zu diesem konflikt kam.
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Hallo Pornoralle2000,

der aktuelle Status von Ostpreußen ist der folgende:

Im Zwei-plus-Vier-Vertrag und dem deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990 erklärten die Vertragspartner die Außengrenzen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland als endgültig für das vereinte Deutschland. Damit gehört der Südteil des früheren äußersten deutschen Ostgebiets auch völkerrechtlich zu Polen und der nördliche zum heutigen Russland (damals noch UdSSR).

zitiert aus: Ostpreußen ? Wikipedia

Der "Konflikt" (ich vermute, Du meinst den unterschiedlich interpretierten Rechtsstatus von Ostpreußen bis 1990) resultiert aus den Grenzverschiebungen des Zweiten Weltkriegs.

Ostgebiete des Deutschen Reiches ? Wikipedia
 
Die aktuelle Rechtslage wurde Dir bereits durch Carolus dargestellt. Und an dieser gibt es nichts zu hinterfragen. Es ist geltendes internationales Recht!

Ansonsten basiert die Frage im wesentlichen auf der Idee von Wilson (14 Punkte-Plan), und ausformuliert in der "Monroe-Doktrin, dass die staatliche Zugehörigkeit durch die ethnische Zusammensetzug zu definieren sei bzw. andersherum

Die Ursprünge des Konflikts liegen in der Nähe von Preußen zu Polen. Im Zuge dieser Beziehung kam es zu mehreren Teilungen Polens und der Unterordnung der Polen unter die Herrscher anderer Staaten. Der Konflikt ist dabei nicht nur ein ethnischer, sondern auch teilweise konfessionell begründet.

http://de.wikipedia.org/wiki/Preu%C3%9Fen

Diese Forderung nach eigenständigen Nationalstaaten ist historisch aber erst verständlich mit dem Aufkommen der Idee von Nationalstaaten und an die europäische Neuzeit gebunden. Im Rahmen der "Befreiungskreige gegen Napoleon gewann die Idee in Deutschland / Preußen und Polen stark an Bedeutung.

Nationalstaat ? Wikipedia

In diesem Sinne entstand aber erst nach dem Mittelalter das Empfinden, man würde zu einer Nation gehören.

Neuzeit ? Wikipedia

Dass historisch die betreffenden Gebiete ethnisch stark durchmischt sind, zeigt folgende Karte.

German Settlements 800-1400 | ManyRoads

Mein persönliche Meinung ist, diese Gebiete "gehören" niemandem. Es sind lediglich künstliche Gebilde (Staaten) vorhanden, die aufgrund geltenden Völkerrechts einen legalen Anspruch haben und durchsetzen können.

Und diese Form von Rechtssicherheit ist auch gut so und hat uns, unter anderem, seit dem Ende des WW2 den Frieden in Mitteleuropa erhalten.

Deine Fragestellung spiegelt dann auch eher die stark ideologisch geprägte Debatte nach dem WW1 und WW2, wem diese Gebiete gehören.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo pornoralle2000,

ich kann mir vorstellen, dass du mit deiner Frage meintest: wie kam es überhaupt zu der Frage, ob Ostpreußen deutsch, russisch oder polnisch ist - also die Anfänge.

Die Anfänge sind: Im Jahr 1226 rief der polnische Herzog Konrad von Masowien den Deutschen Orden um Hilfe im Kampf gegen die heidischen Prussen und "erledigte" den "Job". Sonst wäre es wahrscheinlich niemals zu einer Ansiedlung von Deutschen in dieser Region gekommen; es gab zwar früher auch Weichselgermanen, aber das eigentliche Siedlungs-Stammgebiet der Deutschen lag in der Gegend des heutigen Norddeutschland/Hamburg/Schleswig-Holstein.

Die Prussen waren ein baltisches Volk wie die Kuren, Litauer und Letten. Das Gebiet wurde bis 1283 vom Deutschen Orden erobert, die Prussen besiegt. In den darauffolgenden Jahrhunderten entwickelte sich aus dem Ordensstaat ein Herzogtum, schließlich ein Königstum. der bekannteste preussische Königs war Friedrich der Große, der "alte Fritz". Man nannte das alte Kernland dann Ost- und Westpreussen, das durch Eroberungen immer größer werdende Land dann "Preussen" mit Berlin als Hauptstadt. Eigentlich hat also das besiegte baltische Volk der Prussen dem späteren deutschen Preussen den Namen gegeben. Nach der Einigung des Deutschen Reichs 1871 kam das Gebiet zum Deutschen Reich. Ab 1945 gehörte es zu Polen und der Sowjetunion, nach 1991 zu Polen, Russland und Litauen. Ostpreußen gab es also nur bis 1945, danach gibt es dieses Land nicht mehr.

Die Urbevölkerung waren hauptsächlich die Prussen. Das später entstandene Ostpreussen war eine Art "Schmelztiegel" im kleinen, so ähnlich wie die USA - es kamen dorthin sehr viele Einwanderer, auch weil es dünn besiedelt war und weil zum Beispiel die Pest das Land 1709/10 weitgehend entvölkerte. Neben den Deutschen (hauptsächlich Norddeutschen), die anfänglich mit dem Deutschen Orden gekommen waren, lebten dort Polen und Litauer und es kamen Schweizer, Österreicher, Schlesier und viele andere hinzu. Im südlichen Ostpreussen, das auch heute noch Masuren genannt wird, lebten besonders viele Polen, die sich jedoch als Preussen fühlten. Im nördlichen Teil lebten viele Litauer, so ist die noch heute gültige litauische Schriftsprache in Ostpreussen entstanden. Geschätzt wird, dass etwa die Hälfte der Ostpreussen von den eigentlichen Prussen, der Urbevölkerung, abstammen. Es gibt dazu auch DNA-Projekte, wo man seine Abstammung untersuchen lassen kann.

Ostpreussen und seine Hauptstadt Königsberg (das heutige Kaliningrad) entwickelte sich zu einem liberalen Geisteszentrum, vielleicht auch, weil so viele verschiedene Menschen zusammenlebten und weil es ein Leitspruch des preußischen Königs war, das jeder "nach seiner Facon" selig werden sollte - solange er sich an die Gesetzte und Regeln hielt. So war zum Beispiel der größte deutsche Philosoph, Immanuel Kant, Ostpreuße, und auch viele andere Schriftsteller und Wissenschaftler wie E. T. A. Hoffmann oder Marion Dönhoff.

1939 lebten etwa 2,5 Millionen Menschen in Ostpreußen. Königsberg hatte 1939 372.000 Einwohner.

Im Kriegswinter 1944/1945 flohen etwa 1,5 Millionen Ostpreußen aus ihrer Heimat vor der Roten Armee. Etwa 300.000 starben dabei. Nach 1945 wurden fast alle übrigen verbliebenen Deutschen aus dem polnischen und sowjetischen Teil ausgesiedelt oder vertrieben. Die Masuren durften, wenn sie wollten, in ihrer Heimat bleiben, etwa 160.000 Deutsche blieben in Masuren und wurden polnische Staatsbürger. Im sowjetischen Teil wurden fast alle Deutschen ausgesiedelt, viele kamen um. In Königsberg, das dann in Kaliningrad umbenannt wurde, starben von 1945-1948 noch etwa 130.000 Einwohner, bis die letzten Überlebenden nach Rest-Deutschland ausgesiedelt wurden.

Heute leben noch viele Ostpreußen in Deutschland, aber sie sind natürlich alle älter. Da viele von ihnen sehr heimatverbunden sind, treffen sie sich in Vereinigungen wie z. B. der Landsmannschaft der Ostpreußen Ostpreußen.de »Startseite, oder fahren in ihre alte Heimat. So war zum Beispiel mein Vater, der aus Masuren stammte, seit den 1970er Jahren über 35 Mal dort. Aber auch die Nachkommen interessieren sich für ihre Herkunft, so findest du zum Beispiel bei WKW Alte Bekannte finden und neue Freunde suchen - wer-kennt-wen.de mehr als 5 oder 6 Ostpreußen-Foren, in denen sich Angehörige der 2. oder 3. Generation (also die Kinder und Enkel 1945 von aus Ostpreußen Geflüchteten oder Vertriebenen) - zusammen mit einigen noch dort selbst geborenen Ostpreußen über Kochrezepte, Weihnachtsbräuche, die Sprache und das heutige Leben dort austauschen. Eigentlich völlig verrückt - der Untergang Ostpreußens hat sich auf diese Weise bis ins Internetzeitalter hinübergerettet.

Hier findest du einen Link zu meinem ostpreußischen Großvater Fritz Maxin ? Wikipedia, und hier eine Link zu der Errichtung eines Gedenksteins für die Königsberger Waisenkinder, die nach 1945 elendiglich umkamen Gedenkstein eingeweiht. Viele Russen in der Region Kaliningrad interessieren interessieren sich für die ostpreussische Vergangenheit, so gibt es zum Beispiel Ausstellungen darüber oder private Initiativen wie z. B. die Internetseite Koenigsberg / Êàëèíèíãðàä, wo Aufnahmen aus der heutigen und der osptreussischen Zeit gegenübergestellt werden. Hier ist auch noch eine sehr interessante Studie über die Region von Christian Wellmann: Historische Miszelle - Die russische Exklave Kaliningrad als Konfliktsyndrom http://www.frieden.uni-kiel.de/pdf_files/CW-Friedenswarte-Deutsch.pdf, die deine Frage wissenschaftlich beleuchtet.
 
Dass Ostpreußen in grauer Vorzeit mehrheitlich von nicht deutsch sprechender Bevölkerung bewohnt wurde, ist völlig bedeutungs. Bis 1945 war die deutliche Mehrheit der ostpreußischen Bevölkerung deutsch. (Westpreußen mit seiner mehrheitlich polnischen Bevölkerung wurde bereits nach dem 1. Weltkrieg vom Reich abgetrennt und dem neuen polnischen Staat zugesprochen.)
Eine russische oder polnischen Anspruch auf das Gebiet kann mit dieser Geschichte keineswegs erklärt werden.

Das ganze stet im klaren Zusammenhang mit der Expansionspolitik der Sowjet-Union in alle Richtungen, dies war war auch maßgebend für die Westverschiebung Polens.
Den langen Exkurs um die alten Pruzzen kann man sich getrost sparen. Er ist ohne Belang. Die Sowjets waren weder deren Nachfolger geschweige denn deren Anwälte.
Die Sowjet-Union hat sich das Land einfach im Krieg genommen und die Bevölkerung dort systematisch vertrieben (und dann das westliche Ostpreußen Polen als Ausgleich für dessen Gebietverluste zu Gunsten gegeben).
Auf der Konferenz von Jalta und Berlin ließ sich Stalin dies von Großbritannien und den USA im nachhinein bestätigen, nicht mehr zu Lebezeiten Stalins hat dann die BRD mehrfach die neue Grenzziehung bestätigt, erstmal im Warschauer und Moskauer Vertrag von 1970.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und zur Frage, wem es denn nun gehört, möchte ich die zentrale Position von Wellmann (vgl. Link oben) kurz zitieren, da "Kirschen" ihn explizit anführt.

Wellmann: "Der Exklavenstatus, historisch ein Stolperstein für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, könnte sich am Ende zum Kristallisationspunkt für neue Formen der Integration durch Relativierung von Grenzen und zum Vorreiter für die Herausbildung einer dauerhaft tragfähigen Friedensstruktur in Europa wandeln."

Und die Frage des territorialen Besitzstandes als antiquiert erscheinen lassen, um auf die Ausgangsfrage wieder zurück zu kommen.
 
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Hm... der Ausdruck "antiquiert" stört mich ein wenig als Deutsche ostpreußischer Abstammung.

Ich überlege, was mich daran stört:

Die Antwort auf die Frage "Ostpreußen - deutsch oder polnisch oder russisch?" ist klar, Ostpreußen gibt es nicht mehr und das Gebiet des historischen Ostpreußen gehört heute zu Polen, Russland und Litauen. Deutschland erhebt keine Ansprüche auf dieses Gebiet.

Hinter dieser Frage eines offenbar jungen Forumteilnehmers steht aber offenbar ein Interesse an diesem Gebiet, und dieses Interesse ist nicht antiquiert, sondern hochaktuell, und spricht verschiedene Ebenen an:

- Die außenpolitische Ebene: Was spielt sich in dieser Region ab und welche Bedeutung hat es für uns? Warum ist diese Region für Deutschland wichtig?

- Die innenpolitische Ebene der Beschäftigung mit der eigenen deutschen Geschichte.

Ich denke, dass der Verlust von 1/4 des deutschen Staats- und Kulturraums in der Beschäftigung der Deutschen mit der Schuld am Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau des Restlandes in den Nachkriegsjahren untergegangen ist. Der Verlust wurde tabuisiert.

Nach 1989 kam als Aufgabe die Wiedervereinigung des deutschen Restlandes. Gleichzeitig verstärkte sich mit dem Ende des Kalten Krieges durch die Reisemöglichkeiten und den beginnenden Dialog mit der heute dort lebenden Bevölkerung die Beschäftigung mit dem historischen deutschen Osten. Dieses Thema wird wie eine Wunde durch "störende" Aktionen der Vertriebenenverbände, die sich aus der Trauer über den Heimatverlust und die fehlende Wertschätzung ihrer Heimat, der früheren deutschen Ostgebiete, bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft ergiben, im gesellschaftlichen Bewusstsein offen gehalten.

Die Tabuisierung zeigt sich in z. T. völliger Unkenntnis über die historischen deutschen Ostgebiete, z. B. wenn eine 1959 geborene Westdeutsche Ende der 1990er Jahre eine Reise nach Kalinigrad unternimmt und nicht weiß, dass es sich um das frühere deutsche Königsberg handelt. Sie wunderte sich über die vielen deutschen Touristen dort. Oder wenn eine Nachkriegsgeborene meint, Ostpreußen sei eine Gegend in der ehemaligne DDR gewesen. Oder wenn eine Nachfahrin der 3. Generation (Enkel von Vertriebenen) mit dem schönen ostpreußisch-litauischen Namen "Karrusseit" meint, ihr Großvater sei Pole gewesen und Ostpreußen liege in Polen. Wo wohnte eigentlich Kant? In Polen. Wer war Nikolaus Kopernikus? Pole. Es ist verrückt, aber so denke viele heutige Deutsche. D. h., mit dem Verlust des deutschen Ostens ist anscheinend auch ein Teil der deutschen Geschichte und des deutschen Kulturraums im Bewussstein der Deutschen untergegangen. Womöglich wurde in bekannter deutscher Gründlichkeit bei der Beschäftigung mit der Schuldfrage das Kind mit dem Bade ausgeschüttet (d. h., der frühere deutsche Osten als unwichtig erklärt). Die Frage ist, ob das so sein muss. Deswegen freut mich das Interesse des jungen Forumteilnehmers mit der anscheinend antiguierten Frage: Ostpreußen - deutsch oder polnisch oder russisch?

Übrigens: Ohne die Prussen gäbe es den heutigen Exklavenstatus der Region Kaliningrad nicht. Deswegen haben die Prussen etwas mit der heutigen Situation in diesem Gebiet zu tun.
 
Womöglich wurde in bekannter deutscher Gründlichkeit bei der Beschäftigung mit der Schuldfrage das Kind mit dem Bade ausgeschüttet (d. h., der frühere deutsche Osten als unwichtig erklärt). Die Frage ist, ob das so sein muss.

Schon historisch ist das Urteil schwer zu halten. Was die Schuldfrage damit zu tun hat, ist mir nicht ersichtlich. Fakt ist, dass es ein Bundesministerium bis 1969 gegeben hat, das die Interessen der Vertriebenen vertreten hat.

Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte ? Wikipedia

Nicht zuletzt freundlich assiitiert durch eine sehr präsente, konservative mediale Unterstützung (die einzelnen Blätter muss man nicht aufführen)

Dass es aufgelöst wurde ist wohl eher der Entwicklung der gegenseitigen Beziehung in Europa geschuldet gewesen.

Und sicherlich auch der Erinnerung, dass revisionistische Forderungen historisch betrachtet wenig dazu beigetragen haben, Völkerverständigung zu betreiben.

Diese Punkte beleuchten ansatzweise, dass hier kein "Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde", sondern pragmatisch Außenpolitik betrieben wurde zum Wohle des Deutschen Volkes. Und dieses mit einem meßbaren Erfolg, auf der diplomatischen Bühne und auf den Weltmärkten.
 
Ich könnte mir vorstellen, dass bei der Einstellung gegenüber den verlorenen deutschen Ostgebieten auch unbewusste Schuldgefühle bei dem Teil der Deutschen vorhanden sind, die ihre Heimat nicht verloren haben, gegenüber denen, die vertrieben wurden. Ein Aspekt, der mir bisher noch nicht bewusst war. Vielen Dank für die Anmerkung.
 
...Oder wenn eine Nachfahrin der 3. Generation (Enkel von Vertriebenen) mit dem schönen ostpreußisch-litauischen Namen "Karrusseit" meint, ihr Großvater sei Pole gewesen und Ostpreußen liege in Polen....
Das ist dann aber ein schweres Versämnis dessen Eltern und Großeltern, die dem Nachkommen die eigene Falimiengeschichte verschwiegen haben - aus welchem Grund auch immer. Ich wußte mit 12/13 Jahren bereits, daß meine Großeltern allesamt Heimatvertriebene waren.
...Wo wohnte eigentlich Kant? In Polen. Wer war Nikolaus Kopernikus? Pole...
Übrigens: Selbst der Staat Polen beansprucht Kopernikus heute für sich. ;)
 
Ich denke, dass der Verlust von 1/4 des deutschen Staats- und Kulturraums in der Beschäftigung der Deutschen mit der Schuld am Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau des Restlandes in den Nachkriegsjahren untergegangen ist. Der Verlust wurde tabuisiert.

Wie sollte sich das denn ausdrücken? Welche Tabuisierung soll das sein?

Angesichts der außenpolitischen Realitäten würde ich von mangelndem Interesse abseits formelhafter Bekenntnisse sprechen.
 
Hm... der Ausdruck "antiquiert" stört mich ein wenig als Deutsche ostpreußischer Abstammung.

Ich überlege, was mich daran stört:

Die Antwort auf die Frage "Ostpreußen - deutsch oder polnisch oder russisch?" ist klar, Ostpreußen gibt es nicht mehr und das Gebiet des historischen Ostpreußen gehört heute zu Polen, Russland und Litauen. Deutschland erhebt keine Ansprüche auf dieses Gebiet.

Das ist korrekt. "Deutscher Osten" ist ein historischer Terminus.

Ich denke, dass der Verlust von 1/4 des deutschen Staats- und Kulturraums in der Beschäftigung der Deutschen mit der Schuld am Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau des Restlandes in den Nachkriegsjahren untergegangen ist. Der Verlust wurde tabuisiert.

Die Tabuisierung zeigt sich in z. T. völliger Unkenntnis über die historischen deutschen Ostgebiete, z. B. wenn eine 1959 geborene Westdeutsche Ende der 1990er Jahre eine Reise nach Kalinigrad unternimmt und nicht weiß, dass es sich um das frühere deutsche Königsberg handelt. Sie wunderte sich über die vielen deutschen Touristen dort. Oder wenn eine Nachkriegsgeborene meint, Ostpreußen sei eine Gegend in der ehemaligne DDR gewesen. Oder wenn eine Nachfahrin der 3. Generation (Enkel von Vertriebenen) mit dem schönen ostpreußisch-litauischen Namen "Karrusseit" meint, ihr Großvater sei Pole gewesen und Ostpreußen liege in Polen. Wo wohnte eigentlich Kant? In Polen. Wer war Nikolaus Kopernikus? Pole. Es ist verrückt, aber so denke viele heutige Deutsche. D. h., mit dem Verlust des deutschen Ostens ist anscheinend auch ein Teil der deutschen Geschichte und des deutschen Kulturraums im Bewussstein der Deutschen untergegangen. Womöglich wurde in bekannter deutscher Gründlichkeit bei der Beschäftigung mit der Schuldfrage das Kind mit dem Bade ausgeschüttet (d. h., der frühere deutsche Osten als unwichtig erklärt). Die Frage ist, ob das so sein muss. Deswegen freut mich das Interesse des jungen Forumteilnehmers mit der anscheinend antiguierten Frage: Ostpreußen - deutsch oder polnisch oder russisch?

Wie sollte sich das denn ausdrücken? Welche Tabuisierung soll das sein?

Angesichts der außenpolitischen Realitäten würde ich von mangelndem Interesse abseits formelhafter Bekenntnisse sprechen.

das ist ein sehr, sehr sensibles Thema, in welches wir in dieser Diskussion stoßen. Ich versuche mich vorsichtig in dieses 'Minenfeld' zu begeben.

Bei der Beschäftigung mit dem deutschen Osten kommt man ja nicht um das Thema des historischen Bruches von 1945 und Folgejahre herum: militärische Eroberung (in einem von Deutschland begonnenen 2. WK), Flucht von Teilen der Bevölkerung mit hohen Opfern, de-fakto-Annexion, Vertreibung der restlichen Bevölkerung und Neuansiedlung von Russen, Polen und Tschechen (ehemaligen Sudetenland). Hier sind Deutsche zu Opfern geworden. M. E. nach gab es ab spätestens den 70er Jahren ein vorherrschendes Geschichtsbild, das von der "Vergangenheitsbewältigung" geprägt war. Als Nebeneffekt ergab sich eine übersimplifizierte Sicht, die die Deutschen primär als Täternation definierte. Dazu paßte es nicht, daß Deutsche auch Opfer waren. Weiterhin wurde der Verlust des Ostens als Konsequenz und gerechte Bestrafung für die von Deutschen begangenen Kriegsverbrechen und den Holocaust angesehen. Forderungen nach Rückgabe der deutschen Ostgebiete von Seiten deutscher Politiker galten als gefährlicher Revanchismus (bei der damaligen Blockbildung auch nicht ganz zu Unrecht - thanepower hat es bereits oben gesagt).

Selbst die Benennung von ehemaligen deutschen Städten und Landschaften mit ihren alten deutschen Namen war suspekt. In den späten 80er Jahren (noch vor dem Mauerfall) wurde eine Städtepartnerschaft zwischen Wiesbaden und Wroclaw geschlossen. M. W. wurde damals der frühere deutsche Namen "Breslau" vermieden. Pikanterweise ist der damalige Oberbürgermeister von Wiesbaden, Achim Exner, selbst gebürtiger Breslauer (*1944).

Für mich waren damals die deutschen Namen der Städte des Deutschen Ostens Begrifflichkeiten aus dem Geschichtsbuch. Wenn z. B. jemand von Breslau, Königsberg, Kattowitz sprach, dann bezog sich das für mich auf Zeiten bis 1945. Das wäre so, als würde man von Lutetia (römischer Name von Paris) oder Konstantinopel (griechischer Name von Istanbul) reden. Die Verwendung dieser Namen mit Bezug auf die heutigen Städte hatte für mich damals den Beigeschmack von Revisionismus, Revanchismus und "Kalten Kriegern". In den 90er Jahren änderte sich das langsam:

Als ich in den späten 90er Jahren beruflich in England weilte, bekam ich bei einem Abendessen mit Kollegen mit, wie ein englischer Kollege ganz selbstverständlich und zu meiner Überraschung von "Königsberg" sprach. Wie sich später herausstellte, war er der Sohn eines polnischen Soldaten, der während des Zweiten Weltkriegs zwangsweise in die Wehrmacht eingegliedert worden ist, später bei erster sich bietender Gelegenheit mit seinen polnischen Kameraden in deutscher Uniform zu den Briten überlief und dann nach dem Krieg in England blieb. Ein polnischer Nachbar (ohne jedwede deutsche Wurzeln) sprach vollkommen selbstverständlich von Breslau. Heute wird die Benennung ehemaliger deutscher Städte mit ihren deutschen Namen wieder unverkrampft gesehen.

Wie ist Eure Einschätzung? Liege ich mit meinen Eindrücken richtig?
 
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Ein polnischer Nachbar (ohne jedwede deutsche Wurzeln) sprach vollkommen selbstverständlich von Breslau. Heute wird die Benennung ehemaliger deutscher Städte mit ihren deutschen Namen wieder unverkrampft gesehen.
Wie ist Eure Einschätzung? Liege ich mit meinen Eindrücken richtig?

Das kann ich aus Gesprächen bestätigen, wobei die Gesprächspartner natürlich nicht repräsentativ sein müssen bzw. sicher nicht sind. Man bemüht sich zB um die "Verwendung" von Wroclaw, es rutscht aber regelmäßig auch Breslau heraus, dto. Kattowitz und Kattowice, was dann unverkrampft aufgenommen und sogar auf polnischer Seite im Gespräch verwendet wurde.
 
Ich verstünde auch das Problem nicht, wenn man eines damit hätte. Auf den Wegweisern steht ja auch Königsberg/Neumark und Chojna. Ich sehe das einfach so wie mit den Schildern, wo sorbische oder wendische Ortsnamen draufstehen - eine nette Geste.
 
Heute wird die Benennung ehemaliger deutscher Städte mit ihren deutschen Namen wieder unverkrampft gesehen.

Genau auf dieses Phänomen weist ja auch Wellmann (siehe oben) hin. Wandel durch Annäherung bzw. auch - wirtschaftliche - Partnerschaft. In diesem Sinne ist das (von Carolus und Silesia beschrieben) Phänomen im originären Sinne des Wortes, auch das Ergebnis einer "Entspannungspolitik". Getragen durch die Mehrheit der Parteien im Bundestag!!!! auch ein beachtliches demokratisches Phänomen.

Und nicht nur in Deutschland kann man entspannt mit diesem Thema umgehen, sondern im gleichen Maße findet natürlich auch im Osten ein entspannterer Umgang mit diesen Themen statt.
 
Wenn es wirtschaftlich opportun ist, wird das heutzutage auch offiziell locker gesehen.
Beispiele wären Karlsbad oder Marienbad. Auch in den polnischen Gebieten ist ein Grund für das Wiederaufkommen der deutschen Namen der erwartete Tourismus.
 
Ostpreußen

Viele Dank für all diese Beiträge haben mich wirklich weitergebracht...
Jetzt nochmal eine schnell Frage:

Marschierten während des ersten Weltkrieges nur die russen und während des zweiten weltkrieges nur die deutschen nach ostpreußen??
 
Viele Dank für all diese Beiträge haben mich wirklich weitergebracht...
Jetzt nochmal eine schnell Frage:

Marschierten während des ersten Weltkrieges nur die russen und während des zweiten weltkrieges nur die deutschen nach ostpreußen??


Also bis 1945 war Ostpreußen deutsches Staatsgebiet.

Zum 1. WK:

Durch seine gemeinsame Grenze mit Russland und seine vorgeschobene geographische Lage wurde Ostpreußen im Ersten Weltkrieg zu einem entscheidenden Schauplatz der Ostfront; hier lagen die einzigen Gebiete des Deutschen Reichs, die während des Weltkrieges von fremden Truppen besetzt waren (abgesehen von kleinen Gebieten des Oberelsass. Die verlustreichen Schlachten an der Westfront fanden auf französischem und belgischen Territorium statt).
Der russische Vormarsch wurde in der zweiten Schlacht von Tannenberg zum Stehen gebracht.

Zum 2. WK:

Da Ostpreußen deutsches Staatsgebiet war, war im 2. WK Ostpreußen Aufmarschgebiet der Wehrmacht zum Polenfeldzug.

Weiteres siehe hier:

Ostpreußen ? Wikipedia

Schlacht um Ostpreußen ? Wikipedia
 
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