Zur Definition Schutz-/Pachtgebiet -> Kolonie

Arne

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In Diskussionen wird häufig von Kolonialkritikern Anstoß an der Bezeichnung "Schutzgebiete" für die früheren Deutschen Kolonien genommen, weil man in dem Verhältnis des Deutschen Reiches zur jeweiligen indigenen Bevölkerung in vielen Fällen nicht von einem Schutzverhältnis im positiv erscheinenden Sinn sprechen will.
Die Bezeichnung ist jedoch nach dem reinen Gesetzeswerk, das im Zusammenhang mit der Entstehung der Gebiete zu sehen ist, rein formal zutreffend.

Ich zitiere hierzu einige Passagen nach Straehler aus dem Kolonial-Lexikon (Hrg. Dr.Heinrich Schnee, 1920):

Schutzgebiete heißen die überseeischen Länder, die unter dem Schutze eines europäischen Staates stehen.

Bildet das Schutzgebiet für sich einen eigenen Staat und erschöpfen sich die Pflichten und Rechte des schutzherrlichen Staates in der Gewährung des Schutzes, so besteht zwischen beiden nur ein völkerrechtliches Band. Ein solches Schutzverhältnis bezeichnet man als Protektorat.

Untersteht dagegen das fremde Gebiet nicht einer eigenen Staatsgewalt, sondern derjenigen des schutzherrlichen Staates, so sind ihre Beziehungen zu einander staatsrechtlicher Art und die Schutzgewalt ist ein Ausfluß der Souveränität des europäischen Staates über das Schutzgebiet. In solchem Falle spricht man von einer Kolonie. Die Staatsgewalt umfaßt alle Zweige der staatlichen Fürsorge für ein Land und äußert sich in der Gesetzgebung, der Rechtspflege, der Verwaltung und in dem Schutze des Gebiets gegen andere Mächte.

Rücksichten politischer oder örtlicher Art können den Herrscherstaat bestimmen, die Staatsgewalt zunächst nur in dem Schutze des Auslandsgebiets zu betätigen. Die Kolonie ist dann im engeren Sinne des Wortes bloßes Schutzgebiet.


Im letzten Absatz wird bereits deutlich auf die Entstehung der deutschen Kolonien unter Bismarck angespielt, der vorerst nur die privaten Erwerbungen (z.B.Lüderitz-DSWA, Peters-DOA) unter den Schutz des Reiches nach aussen stellen, sich aber nicht in die innere Verwaltung (mit allen Pflichten) hereinziehen lassen wollte. Zum offiziellen Namen und der späteren Entwicklung bis zum tatsächlichen Verhältnis wird weiter ausgeführt:

Die deutschen Schutzgebiete stehen zu dem Deutschen Reiche in staatsrechtlicher Abhängigkeit; sie sind zwar dem Reichsgebiet nicht einverleibt (Art. 1 Reichsverfassung), gehören, aber staatsrechtlich und völkerrechtlich zu dem Reiche. Dieses hat die unbeschränkte Souveränität über sie. Anfangs hat das Reich in den erworbenen Gebieten die Staatsgewalt nicht in vollem Umfange ausgeübt, sondern seine nächste Aufgabe vornehmlich in dem Schutz gesehen. Darauf beruht die Bezeichnung der Erwerbungen als "Schutzgebiete" und der dem Reiche zustehenden Gewalt als "Schutzgewalt" (s.d. [§ 1 SchGG.]). Inzwischen hat das Reich auch die weiteren Aufgaben der Staatshoheit: Gesetzgebung, Rechtspflege, Verwaltung übernommen und, seine Souveränität nach allen Seiten entfaltet. Der Name "Schutzgebiet" trifft daher nicht mehr ganz das Wesen der Beziehungen zwischen dem Reich und seinen Nebenländern. Die Schutzgebiete sind tatsächlich Kolonien des Reichs geworden, die vom Mutterlande mehr als bloßen Schutz erhalten.


Zusammenfassend mag also die Bezeichnung "Schutzgebiete" für das spätere tatsächliche Verhältnis nicht zutreffend sein oder gar verharmlosend wirken, sie ist aber nach dem amtlichen, rechtlichen Text richtig.

Eine Sonderstellung nehmen Pachtgebiete (wie z.B. das deutsche Kiautschou/Tsingtau, britische Hong Kong, portugiesische Macao in China) ein. Obwohl auch sie in der Literatur regelmäßig als Kolonie oder Schutzgebiet bezeichnet werden, ist die befristete Verwaltung ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal. Per Definition des Schutzgebietes ist die Bezeichnung nicht zutreffend, denn sie gehören staats- und völkerrechtlich weder zum Mutterland, noch übt dieses dort die unbeschränkte Souveränität aus, schon aus dem Grund, da man dort nur vorrübergehend agieren konnte.
 
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