Gandolf
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[font=trebuchet ms, tahoma,verdana,arial,helvetica]Im Mai 2005 wurde viel über den Untergang des von Otto von Bismarck geschaffenen Deutschen Reiches berichtet. In den Anfangsjahren dieses Reiches - vor 130 Jahren - ereignete sich eine von Bismarck inszenierte Krise, in denen dieser die deutschen außenpolitischen Chancen auslotete. Scheiterte das Reich 70 Jahre später (auch) daran, dass es Bismarcks "Lehrstück für die Zukunft" nicht beherzigte?
„Ist der Krieg in Sicht?“, fragte am 8. April 1875 der Publizist Constantin Rößler in der Überschrift seines Artikels, der in der „Post“ erschien. Der Artikel nahm in aufheizendem Ton Bezug auf das französische Kammergesetz, das Frankreichs militärische Schlagkraft erhöhte. Die Zeitung, in der er erschien, war ein regierungsnahes Blatt und wurde häufig für offiziöse Zwecke benutzt. Daher provozierte und alarmierte der Artikel die europäischen Großmächte.
In Berlin drängte das Militär unter Moltke tatsächlich darauf die französische Gefahr, die keine war, mit Hilfe eines Präventivkrieges zu beseitigen. In einem solchen Krieg durfte das erst 1871 gegründete Reich nicht mit Rußlands Neutralität rechnen. Über seinen Gesandten von Radowitz erfuhr Bismarck, dass Rußland nicht bereit war, bei einem deutsch-französischen Krieg Neutralität zu wahren. Selbst das deutsche Versprechen, die Interessen Russlands in Südosteuropa auf Kosten Österreich-Ungarns zu fördern, konnte dem traditionellen Verbündeten Preußens diese Bereitschaft nicht entlocken.
Bismarck nutzte die durch den Zeitungsartikel inszenierte Kriegsgefahr, um die Frage zu klären, wie sich Europa verhalten würde, wenn Deutschland Frankreich ernsthaft drohte und die Rücknahme des Kadergesetzes verlangte.[/font]
[font=trebuchet ms, tahoma,verdana,arial,helvetica]Frankreich konnte dieser Forderung nicht nachgeben. Es wäre zu einer Mittelmacht abgestiegen.[/font]
[font=trebuchet ms, tahoma,verdana,arial,helvetica]Doch es zeigte sich, dass auch die miteinander zerstrittenen Flügelmächte Europas, England und Rußland, einen solchen Abstieg Frankreichs nicht akzeptieren konnten. Diese hätten einen möglichen Verbündeten verloren. So kamen England und Rußland notgedrungen gemeinsam dem ihnen bedroht vorkommenden Frankreich zu Hilfe. Sie bestanden darauf, ohne jedes Wenn und Aber, „ein Frankreich auf der Karte Europas“ zu sehen, „um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten“, wie sich der russische Kanzler Gortschakow 1875 in Berlin ausdrückte.
Bismarck schloss aus diesem Verlauf der „Krieg-in-Sicht“-Krise, dass Deutschland die Diplomatie des Gleichgewichtes betreiben und alternative Optionen wie die Politik der territorialen Kompensation oder die des diplomatisch unterstützten Präventivkrieges zurückstellen muss. Jeder Versuch, das Reich territorial zu erweitern und die Machtstellung des Reiches auszubauen, barg unkalkulierbare Risiken für das frisch gegründete Reich. Auch Frankreich musste von Deutschland im Kreis der Großmächte akzeptiert werden. Deutschland konnte versuchen, seinen ungeliebten Nachbarn zu isolieren, aber es durfte ihn nicht ausschalten, weil dies das Gleichgewicht der Kräfte in Europa in Frage stellte.
39 Jahre später war es Frankreich gelungen aus seiner 1875 noch bestandenen außenpolitischen Isolierung auszubrechen. Seit 1894 unterhielt Frankreich ein Bündnis mit Russland und seit 1904 herzliche Beziehungen mit England. Frankreichs Rolle als europäische Großmacht stand bereits 1875 nicht zur Debatte, 1914 schon gar nicht. Dennoch missachteten Bismarcks Erben dessen „Lehrstück für die Zukunft“. Sie griffen im August 1914 Frankreich an, um es auszuschalten, und hofften zugleich – wider alle Vernunft und Erfahrung - darauf, England mit Hilfe der Diplomatie von einem Kriegseintritt zu Gunsten Frankreichs und zu Lasten Deutschlands abhalten zu können.
Der politischen Elite des Bismarckreiches fehlte offensichtlich im Laufe der Zeit die Vernunft, aus seiner räumlichen Enge, die richtigen Schlussfolgerungen (Politik des Gleichgewichts und des Interessenausgleichs) zu ziehen. Stattdessen gingen Bismarcks Erben zu einer Politik über, die die beengten Raumverhältnisse aufsprengen wollte. 1914 sollte Frankreich für immer ausgeschaltet werden. Die während des Krieges entworfene Kriegszielpolitik sah vor, den belgischen Gebietsstreifen Lüttich-Antwerpen, die flandrische Küste und das französische Erzbecken von Briey zu annektieren. Nach dem Ersten Weltkrieg konzipierte der vom Kriegsausgang enttäuschte und bei Kriegsausgang blinde Hitler ("als ich die Binde abnahm") seine Lebensraumpolitik. Diese sah vor Russland aus rassischen Gründen auszuschalten und hierdurch die Hegemonie über Europa zu erringen. Hitlers "Dritte Reich" sollte nicht mehr den Unsicherheiten des Gleichgewichts der Kräfte unterworfen sein: territorial entgrenzt und ewig (tausend Jahre) dauernd. Am 8.5.1945 war Schluss damit.[/font]
„Ist der Krieg in Sicht?“, fragte am 8. April 1875 der Publizist Constantin Rößler in der Überschrift seines Artikels, der in der „Post“ erschien. Der Artikel nahm in aufheizendem Ton Bezug auf das französische Kammergesetz, das Frankreichs militärische Schlagkraft erhöhte. Die Zeitung, in der er erschien, war ein regierungsnahes Blatt und wurde häufig für offiziöse Zwecke benutzt. Daher provozierte und alarmierte der Artikel die europäischen Großmächte.
In Berlin drängte das Militär unter Moltke tatsächlich darauf die französische Gefahr, die keine war, mit Hilfe eines Präventivkrieges zu beseitigen. In einem solchen Krieg durfte das erst 1871 gegründete Reich nicht mit Rußlands Neutralität rechnen. Über seinen Gesandten von Radowitz erfuhr Bismarck, dass Rußland nicht bereit war, bei einem deutsch-französischen Krieg Neutralität zu wahren. Selbst das deutsche Versprechen, die Interessen Russlands in Südosteuropa auf Kosten Österreich-Ungarns zu fördern, konnte dem traditionellen Verbündeten Preußens diese Bereitschaft nicht entlocken.
Bismarck nutzte die durch den Zeitungsartikel inszenierte Kriegsgefahr, um die Frage zu klären, wie sich Europa verhalten würde, wenn Deutschland Frankreich ernsthaft drohte und die Rücknahme des Kadergesetzes verlangte.[/font]
[font=trebuchet ms, tahoma,verdana,arial,helvetica]Frankreich konnte dieser Forderung nicht nachgeben. Es wäre zu einer Mittelmacht abgestiegen.[/font]
[font=trebuchet ms, tahoma,verdana,arial,helvetica]Doch es zeigte sich, dass auch die miteinander zerstrittenen Flügelmächte Europas, England und Rußland, einen solchen Abstieg Frankreichs nicht akzeptieren konnten. Diese hätten einen möglichen Verbündeten verloren. So kamen England und Rußland notgedrungen gemeinsam dem ihnen bedroht vorkommenden Frankreich zu Hilfe. Sie bestanden darauf, ohne jedes Wenn und Aber, „ein Frankreich auf der Karte Europas“ zu sehen, „um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten“, wie sich der russische Kanzler Gortschakow 1875 in Berlin ausdrückte.
Bismarck schloss aus diesem Verlauf der „Krieg-in-Sicht“-Krise, dass Deutschland die Diplomatie des Gleichgewichtes betreiben und alternative Optionen wie die Politik der territorialen Kompensation oder die des diplomatisch unterstützten Präventivkrieges zurückstellen muss. Jeder Versuch, das Reich territorial zu erweitern und die Machtstellung des Reiches auszubauen, barg unkalkulierbare Risiken für das frisch gegründete Reich. Auch Frankreich musste von Deutschland im Kreis der Großmächte akzeptiert werden. Deutschland konnte versuchen, seinen ungeliebten Nachbarn zu isolieren, aber es durfte ihn nicht ausschalten, weil dies das Gleichgewicht der Kräfte in Europa in Frage stellte.
39 Jahre später war es Frankreich gelungen aus seiner 1875 noch bestandenen außenpolitischen Isolierung auszubrechen. Seit 1894 unterhielt Frankreich ein Bündnis mit Russland und seit 1904 herzliche Beziehungen mit England. Frankreichs Rolle als europäische Großmacht stand bereits 1875 nicht zur Debatte, 1914 schon gar nicht. Dennoch missachteten Bismarcks Erben dessen „Lehrstück für die Zukunft“. Sie griffen im August 1914 Frankreich an, um es auszuschalten, und hofften zugleich – wider alle Vernunft und Erfahrung - darauf, England mit Hilfe der Diplomatie von einem Kriegseintritt zu Gunsten Frankreichs und zu Lasten Deutschlands abhalten zu können.
Der politischen Elite des Bismarckreiches fehlte offensichtlich im Laufe der Zeit die Vernunft, aus seiner räumlichen Enge, die richtigen Schlussfolgerungen (Politik des Gleichgewichts und des Interessenausgleichs) zu ziehen. Stattdessen gingen Bismarcks Erben zu einer Politik über, die die beengten Raumverhältnisse aufsprengen wollte. 1914 sollte Frankreich für immer ausgeschaltet werden. Die während des Krieges entworfene Kriegszielpolitik sah vor, den belgischen Gebietsstreifen Lüttich-Antwerpen, die flandrische Küste und das französische Erzbecken von Briey zu annektieren. Nach dem Ersten Weltkrieg konzipierte der vom Kriegsausgang enttäuschte und bei Kriegsausgang blinde Hitler ("als ich die Binde abnahm") seine Lebensraumpolitik. Diese sah vor Russland aus rassischen Gründen auszuschalten und hierdurch die Hegemonie über Europa zu erringen. Hitlers "Dritte Reich" sollte nicht mehr den Unsicherheiten des Gleichgewichts der Kräfte unterworfen sein: territorial entgrenzt und ewig (tausend Jahre) dauernd. Am 8.5.1945 war Schluss damit.[/font]