Emser Depesche

Laura123

Mitglied
Hallo zusammen!

Ich verstehe nicht ganz weshalb die von Bismarck veränderte Version so ein Affront war für Frankreich und die preußische Bevölkerung.
Ich stelle fest dass durch den direkteren, knapperen Schreibstil alles offensiver wirkt, aber ist das alles?
Gab es inhaltlich eklatante Verdrehungen/Verfälschungen?

Danke für jede Hilfe!
 
Wurde mir i-wann mal mit den Ehrvorstellungen des 19. Jh. erklärt, kann aber nicht (mehr) sagen, wie seriös das war.
 
Nach dem ursprünglichen Telegramm hatte der Botschafter den König bestürmt, doch die gewünschte Erklärung abzugeben. Bismarcks Version ließ es offizieller erscheinen. Dabei nutzte er aus, dass die Französische Regierung ihrem Parlament zugesagt hatte, ultimativ den Verzicht der Hohenzollern zu fordern. Durch die Verkürzung schien der direkte Bezug dazu geben.

Und er sprach von Forderung. In der Wortwahl der Zeit war das eine für den Frieden zu erfüllende Bedingung. Das ist in etwa so, wie wenn die USA einem anderen Staat ein Ultimatum stellten.

Warum war das so? Bei einer Ablehnung war es peinlich für den Fordernden. Es wäre ehrenrührig gewesen, einen Rückzieher zu machen. Das ist eine ähnliche Denkweise, wie diejenige Erdogans, der durch die Rede vom Völkermord das 'Türkentum' beleidigt sieht. Man sah dem Staat durch die Ablehnung einer solchen Forderung einen realen Schaden zugefügt, wenn es unbeantwortet stehen blieb. Frankreich hätte "als bloßer Hampelmann" dagestanden, oder wie man es heute ausdrücken könnte, sein Standing verloren. Zudem hätte man dem Kaiser und der Regierung ohne Kriegserklärung vorwerfen können, das Parlament belogen zu haben.

Und dann tat ihm die Französische Presse den Gefallen, seine Version noch falsch zu übersetzen. Hier wurde die Forderung wieder abgeschwächt, zu einem einfachen Verlangen, einer Frage. Aber dadurch ergab sich durch die zweite Fehlübersetzung etwas Unverzeihliches. Der König ließ dem Botschafter seine abschlägige Botschaft durch einen Adjutanten überbringen. Der Adjutant wäre ein 'aide de camp'. Es blieb aber 'wörtlich' bei 'adjutant'. Damit war gesagt worden, ein Hauptfeldwebel (oder generell Feldwebel?) habe die Botschaft überbracht, was eine Herabwürdigung des Botschafters war. Und die Beleidigung eines Botschafters...

Und den Dementis des Botschafters wurde kein Glauben geschenkt.

Allerdings war es zuerst Frankreich, dass mit Krieg drohte. Sie hatten also gesagt, dass sie es ernst meinen. Es hätte also auch ohne die Emser Depesche eine Kriegserklärung folgen können. Bismarck hat das sozusagen abgesichert und beschleunigt. Zuvor soll er Moltke gefragt haben, wie schnell dieser den Kriegsausbruch als optimal ansehe. Dieser hatte in etwa geantwortet "Je schneller, desto besser."

Heute erscheinen solche Überlegungen als Blödsinn. Doch muss man sich auch daran erinnern, dass man Wünsche in Fragen kleidete. Dadurch musste keine Seite konkret hinsichtlich der Intensität ihrer Wünsche werden. Und die Herabwürdigung von Menschen als Opfer erlebt ja heute in der Jugendsprache eine Renaissance, wohl mit den dortigen veralteten Ehrvorstellungen aus Russland und der Türkei importiert.

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/MOD: Tagespolitik entfernt /MOD
 
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"(...) Seine Maj. der König hat es darauf abgelehnt, den Franz. Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, dass S. Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe."

In Bismarcks gekürzter Version kann der Eindruck erweckt werden, dass Wilhelm sich generell weigere, den französischen Botschafter zu treffen. Wenn man einem Botschafter nichts zu sagen hat, hat man dem entsprechenden Land nichts zu sagen. So etwas konnte man als Abbruch der diplomatischen Beziehungen interpretieren.
 
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Wichtig in diesem Kontext ist, das Frankreich zu jenem Zeitpunkt bereits einen glänzenden diplomatischen Erfolg eingefahren hatte. Doch dabei konnte es der nicht sehr fähige französische Außenminister belassen.
DUc de Gramont musste noch einen draufsetzten und Preußen unbedingt demütigen.

Gramont wies seinen Botschafter Benedetti an, übrigens ohne Wissen seines Chefs und Napoleons, er möge bei Wilhelm vorstellig werden und dieser solle erklären, das für alle Zeiten den spanischen Thron entsagt würde. Und da Benedetti nicht abwarten wollte, bis ihm eine Audienz gewährt wurde, sprach er Wilhelm direkt auf der Kurpromenade in Bad Ems an. Das war selbst den recht geduldigen Wilhelm zu viel. Abeken informierte kurz darauf Bismarck über die Vorgänge in Bad Ems.
 
Kleine Ergänzung: Die Forderung Gramonts, das zukünftig kein Hohenzollern jemals für den spanischen Thron kandidieren werde, wurde von Beust, Graneville und Gortschakow missbilligt.
 
De Gramonts Forderung war schon deshalb für Wilhelm unannehmbar, weil er sich zwar selbst hätte binden können (wenngleich seine Ehre Schaden genommen hätte), niemals aber das Haus Hohenzollern für alle Zeiten.

Hier stand nicht das – sich zu jenem Zeitpunkt bereits herausbildende – völkergewohnheitsrechtliche Prinzip in Rede, dass Vertragsparteien auf den Fortbestand von Übereinkünften über einen Wechsel an der Staats- bzw. Regierungsspitze hinaus vertrauen dürfen, sondern das Prinzip der fürstlichen Souveränität.

Nach Wilhelms Tod würde ein anderer von Gottes Gnaden (!) souveräner Chef des Hauses Hohenzollern werden, und könnte er in dynastischen Fragen nicht frei entscheiden, was wäre damit über seine Souveränität ausgesagt?

Ich habe nie ganz verstanden, woher in der deutschen Geschichtsschreibung (gerade der jüngeren Zeit) diese Überbetonung der Emser Depesche rührt. Mancher scheint auf Seiten Frankreichs nur eine Lässlichkeit zu sehen, die Bismarck, dieser Intrigant, böswilligerweise in einen Kriegsgrund umgemünzt habe.

In meinen Augen war der Krieg zu dem Zeitpunkt, als der Botschafter den Kaiser auf der Promenade abpasste, schon nicht mehr zu verhindern. Nach den damaligen Wertvorstellungen hätte sich kein Land der Welt eine solche Behandlung gefallen lassen, auch Frankreich nicht, wären die Vorzeichen umgekehrt gewesen.
 
In meinen Augen war der Krieg zu dem Zeitpunkt, als der Botschafter den Kaiser auf der Promenade abpasste, schon nicht mehr zu verhindern. Nach den damaligen Wertvorstellungen hätte sich kein Land der Welt eine solche Behandlung gefallen lassen, auch Frankreich nicht, wären die Vorzeichen umgekehrt gewesen.

Wie schon mehrfach auch hier im Forum besprochen: Napoleon III benötigte UNBEDINGT einen außenpolitischen Erfolg und seine innenpolitische Schwäche zu kaschieren. Seiner Ansicht nach hatte es nicht ausgereicht, den (eigentlich schon grandiosen) diplomatischen Sieg zu erringen sondern er wollte den "Emporkömmling" Preußen nachhaltig demütigen. Offenbar war Napoleon noch immer wegen dem Luxemburg-Debakel verstimmt.
Damit ist er in Bismarcks offenes Messer gelaufen, den den Spieß quasi umgedreht hat.

Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass sowohl Frankreich einen Krieg billigend in Kauf nahm und Preußen (in Person von Bismarck) einen Anlass zum Krieg gesucht hat.
 
Wie schon mehrfach auch hier im Forum besprochen: Napoleon III benötigte UNBEDINGT einen außenpolitischen Erfolg und seine innenpolitische Schwäche zu kaschieren. Seiner Ansicht nach hatte es nicht ausgereicht, den (eigentlich schon grandiosen) diplomatischen Sieg zu erringen sondern er wollte den "Emporkömmling" Preußen nachhaltig demütigen. Offenbar war Napoleon noch immer wegen dem Luxemburg-Debakel verstimmt.

Nicht nur Napoelon war wegen Luxemburg verstimmt, sondern die ganze politische Klasse.

Aber die beabsichtigte Demütigung Preußens, diese Idee stammt von Gramont; er hat diese zusätzliche und demütigende Forderung ohne Wissen von Napoleon und seinen direkten Vorgesetzten Ollivier auf die Schiene gesetzt. Gramont war dafür bekannt, das er eine tiefsitzende Abneigung gegen Preußen hatte.
 
Und Gramont hat noch nachgelegt. Gegenüber Werther hat Gramont ausgeführt, "von Hohenzollern sei keine Rede mehr. Unser König muss in eigenhändigen Brief dem Kaiser Abbitte tun für das was vorgefallen." (1)

(1) Baumgart, Ein preußischer Gesandter in München, Georg Freiherr von Werthern, S.320f
 
Zuletzt bearbeitet:
De Gramonts Forderung war schon deshalb für Wilhelm unannehmbar, weil er sich zwar selbst hätte binden können (wenngleich seine Ehre Schaden genommen hätte), niemals aber das Haus Hohenzollern für alle Zeiten.

Hier stand nicht das – sich zu jenem Zeitpunkt bereits herausbildende – völkergewohnheitsrechtliche Prinzip in Rede, dass Vertragsparteien auf den Fortbestand von Übereinkünften über einen Wechsel an der Staats- bzw. Regierungsspitze hinaus vertrauen dürfen, sondern das Prinzip der fürstlichen Souveränität.

Nach Wilhelms Tod würde ein anderer von Gottes Gnaden (!) souveräner Chef des Hauses Hohenzollern werden, und könnte er in dynastischen Fragen nicht frei entscheiden, was wäre damit über seine Souveränität ausgesagt?

Ich habe nie ganz verstanden, woher in der deutschen Geschichtsschreibung (gerade der jüngeren Zeit) diese Überbetonung der Emser Depesche rührt. Mancher scheint auf Seiten Frankreichs nur eine Lässlichkeit zu sehen, die Bismarck, dieser Intrigant, böswilligerweise in einen Kriegsgrund umgemünzt habe.

In meinen Augen war der Krieg zu dem Zeitpunkt, als der Botschafter den Kaiser auf der Promenade abpasste, schon nicht mehr zu verhindern. Nach den damaligen Wertvorstellungen hätte sich kein Land der Welt eine solche Behandlung gefallen lassen, auch Frankreich nicht, wären die Vorzeichen umgekehrt gewesen.


Ich verweise hier auf meinem dazu passenden Beitrag.

https://www.geschichtsforum.de/them...-die-die-welt-veraenderten.59329/#post-849882
 
Da fällt mir ein Lapsus meinerseits auf. Wilhelm war natürlich seinerzeit König von Preußen, nicht Deutscher Kaiser.
 
Erwähnenswert ist in diesem Kontext, das die spanische Regierung am 10.Juli damit einverstanden war, Leopold zum Verzicht auf die Thronkandidatur aufzufordern. Damit war das eigentliche Problem gelöst, aber der französische Außenminister Gramont war aber nicht mehr zu stoppen. Ein freiwilliger Rücktritt Leopolds würde Preußen nicht demütigen. Gramont setzte also Benedetti in Marsch, den er permanent mit immer neuen Depeschen zur Eile aufforderte. Leopold sollte von Wilhelm I. zurückgepfiffen werden, das war es was Gramont unbedingt wollte.
Gramont kabelte an Benedetti, "Ich muss Sie wissen lassen, dass Ihre Sprache, was die Festigkeit betrifft, nicht mehr der von der Regierung des Kaiser eingenommenen Stellung entspricht. Sie müssen heute einen schärferen Ton anschlagen. [...] Wir verlangen, dass der König dem Prinzen von Hohenzollern verbiete, auf seine Kandidatur zu beharren, und wenn wir morgen nicht eine entscheidende Antwort haben, so werden wir das Schweigen oder die Zweideutigkeit als eine Weigerung betrachten, zu tun was wir verlangen.
Benedetti eilte nach Ems. Wilhelm I. servierte Benedetti zunächst das Argument der Familienangelegenheit. Bismarck war zu jener Zeit in Varzin und wurde vom Auswärtigen auf dem Laufenden gehalten. Er kabelte nach Berlin, " Inhalt vollkommen gleichgültig. Lassen Sie geschehen, was geschieht." Erst am 12.Juli traf Bismarck dann in Berlin, dem Tag, an dem Fürst Karl Anton für sein Sohn den Verzicht erklärte, da dieser in den Alpen herumkraxelte. In Berlin setzte Bismarck sich zunächst mit Roon und Moltke zusammen. Er traf dann auch noch den russischen Staatskanzler Gortschakow und den englischen Botschafter. Bismarck war vorbereitet.
 
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