Greys Kampf für den Frieden

EL_Mercenario

Aktives Mitglied
"So erweisen sich die Anstrengungen eines ganzen Lebens als vergebens. Ich komme mir vor wie ein Mann, der sein Leben vergeudet hat."

Angeblich ein Zitat von Sir Edward Grey, dem brit. Außenminister, auf die Tatsache bezogen, dass der Krieg gegen Deutschland nicht mehr zu vemeiden war.

Wenn man davon ausgeht, dass die Wahrung des europäischen Friedens das Hauptziel von Greys Außenpolitik war, finde ich die Frage interessant, ob Grey wirklich alles richtig gemacht hat, um den 1. WK zu verhindern, oder ob er Fehler gemacht hat. War der 1. WK durch GB schlicht nicht zu verhindern, oder wäre der Frieden durch eine andere britische Politik zu retten gewesen?

Greys Strategie war, wenn ich das richtig interpretiere, den Zweiverband stark zu machen, um das Deutsche Reich so von einem Krieg abzuschrecken. Also im Grunde eine Einkreisung (wenn auch in den meisten Büchern von Auskreisung die Rede ist). Das hat aber nicht funktioniert, ich frage mich, warum? Waren die britischen Kräfte einfach zu schwach oder wurde die Strategie nicht energisch genug verfolgt, um die Deutschen einzuschüchtern?
 
Die Deutschen ließen sich nicht einschüchtern, wie die Geschichte 1914 ja beweist; insofern war der Ansatz wohl falsch. Dass hätte man evtl auch ahnen können, immerhin ist der Schlieffenplan, mit dem Deutschland einen Mehrfrontenkrieg gegen Frnakreich, GB und Rußland geinnen wollte, das eine oder andere Jahr alt. Interessant wäre, wie ernst das genommen wurde, also wie wahrscheinlich es wahr, dass sich Deutschland auf einen solchen Mehrfrontenkrieg wirklich einlassen würde.

BTW, ich würde ja das Hauptanliegen eines britischen Außenministers darin sehen, die britische Großmachtstellung abzusichern und das Empire zu erhalten bzw zu stärken; da mag aber für Grey der Fokus auf dem Erhalt des Friedens gelegen haben, aber das war ein Mittel zum Zweck... ;)
 
Die britische Armee war 1914 noch eine relativ kleine Berufsarmee, mehr für die Kolonien gedacht, man hatte ja die Flotte. Wehrpflicht gab es erst ab 1915, konsequenter Heldenklau in der Heimat dann nach den Pleiten 1916/17.
 
Greys Strategie war, wenn ich das richtig interpretiere, den Zweiverband stark zu machen, um das Deutsche Reich so von einem Krieg abzuschrecken. Also im Grunde eine Einkreisung (wenn auch in den meisten Büchern von Auskreisung die Rede ist). Das hat aber nicht funktioniert, ich frage mich, warum? Waren die britischen Kräfte einfach zu schwach oder wurde die Strategie nicht energisch genug verfolgt, um die Deutschen einzuschüchtern?

Dafür könnte man zweierlei betrachten:

die vorhandenen britischen Signale und ihre Perzeption in der deutschen Politik. Hält man einige deutsche Äußerungen kurz vor Kriegsausbruch für glaubwürdig, bestand dort die Hoffnung auf Neutralität.

Die andere Frage ist, ob Großbritannien mit seinen maritimen Kapazitäten eine Landmacht glaubwürdig abschrecken konnte. In gewisser Hinsicht waren die Reaktionen durch das Abschlaufschema von Mobilmachungen, Operationsplänen bestimmt, und bei diesen bestand kein britischer Faktor. Wie will man überhaupt eine Operationsplanung beeindrucken (Moltkes Schlieffenplan-Fortsetzung), die auf Frankreich/Rußland fixiert ist und einen Kriegsausgang vor der Wirkung britischer Blockaden prognostiziert und kalkuliert?
 
Grey war einer derjenigen,zu nennen sind auch Lichnowsky und Pourtales, die sich tatsächlich um den Erhalt des Friedens bemüht haben. Grey muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, Großbritannien nicht schon frühzeitig klar positioniert zu haben. Aber das kann für die verantwortlichen deutschen Diplomaten keine Entschuldigung sein, denn sie wurden über Lichnowsky frühzeitig und eindringlich gewarnt.

Die Franzosen haben von ihren Einflussmöglichkeiten in St.Petersburg kein Gebrauch gemacht; ganz im Gegenteil. Das haben auch die Gebrüder Cambon nach dem Kriege so festgehalten.


Russland hat durch seine frühzeitige und unnötige Mobilmachung einen Tel der Schul zu tragen.

Aber was sich die Herren in deutschen Auswärtigen Amt, vor allem der Staatssekretär von Jagow und der Chef der politischen Abteilung von Stumm und dann der deutsche Botschafter in Wien Tschirschky geleistet haben, kann man eigentich nur als vorsätzliches herbeiführen des Krieges qualifizieren. Diese Herren haben eng mit dem Ballhausplatz in dieser Frage zusammengearbeitet.

Aber auch die Militärs, also von Moltke und Conrad, verdienen Beachtung. Ihre nicht unberechtigte Sorge galt, aus damaliger Sicht, hinsichtlich vor allem der erheblichen russischen Rüstungsanstrengungen und deshalb haben sie immer wieder den krieg gefordert.
 
GB frühzeitig klar zu Positionieren war schwierig für Grey, da das Parlament, speziell seine Partei nicht hinter ihm stand. Die Militärabsprachen mit Frankreich liefen ja nicht umsonst ohne Kenntnis des britischen Parlaments.
Eine Garantieerklärung für Frankreich oder eine Kriegsdrohung an Deutschland hätte sofort zur Kabinettskrise geführt. Allerdings hätte er im Vorfeld des Krieges versuchen können, seine Position, die rückhaltlose Unterstützung Frankreichs, im Parlament durchzusetzen und falls das nicht möglich war, zurückzutreten und einer anderen mehrheitsfähigen Politik den Weg frei zu machen.
 
GB frühzeitig klar zu Positionieren war schwierig für Grey, da das Parlament, speziell seine Partei nicht hinter ihm stand.
Woran macht man das "nicht" für Parlament und Liberale eigentlich fest?


Eine Garantieerklärung für Frankreich oder eine Kriegsdrohung an Deutschland hätte sofort zur Kabinettskrise geführt.
Da das 1911 ähnlich funktioniert hat, bei einem recht geringfügigen Anlaß aus britischer Sicht, der allenfalls auf einen mickrigen Hafen für Deutschland an der Westküste Afrikas hinausgelaufen wäre (vgl. dagegen die Balkankrise und die Involvierung Rußlands inkl. Meerengenfrage und deutschem Einfluss auf das Osmanische Reich), ...

kann man sich die Frage stellen: Warum eigentlich nicht in der Juli-Krise?Wenig beachtet ist die britische Perzeption Rußlands in dreierlei Hinsicht:

1. die Aufrüstung führte zur Einschätzung, dass es in wenigen Jahren als Landmacht auf dem Kontinent mindestens mit dem Deutschen Recht gleichzieht, wenn nicht dieses sogar überflügelt
2. Daraus folgernd wurde ein künftiges deutsch-russisches Agreement befürchtet (mangels Alternative für das Deutsche Reich unter Aufteilung von ÖU).
3. Parallel dazu wurde die geplante russische Marinerüstung stark beachtet und als weitere Verschiebung zu Lasten Großbritanniens gewertet.
Diese Aspekte waren Anlaß für die Anknüpfung an russische Fühler 1912, das lose Agreement von 1907 auf welche Art auch immer zu festigen.
 
Woran macht man das "nicht" für Parlament und Liberale eigentlich fest?
Nun, vor dem Einmarsch in Belgien wurde wohl parteiintern abgeklärt, wieviele Liberale für eine Kriegserklärung gegen Deutschland stimmen würden. Angeblich waren drei Viertel dagegen.
Für das gesamte Parlament wäre aber ev. eine Mehrheit da gewesen, denn die Konservativen waren deutlich kriegslustiger. Allerdings hätte dann die Regierung umgebildet werden müssen, dann wahrscheinlich unter konservativer Führung.

Da das 1911 ähnlich funktioniert hat, bei einem recht geringfügigen Anlaß aus britischer Sicht
Naja, 1911 gab es keine konkreten Kriegsdrohungen soweit ich weiß.

2. Daraus folgernd wurde ein künftiges deutsch-russisches Agreement befürchtet (mangels Alternative für das Deutsche Reich unter Aufteilung von ÖU).
Die deutsch-russischen Beziehungen gingen doch nach der Bosnien-Annektion fahrstuhlartig Richtung Keller. Wo sollte denn da ein Agreement herkommen?
Eine Aufteilung ÖUs hätte bedeutet, dass Deutschland dem Zweiverband dann alleine gegenübersteht. Dafür war nach 1908 doch gar keine Vertrauensbasis mehr vorhanden zwischen Deutschland und Russland. Dafür hätte Russland mindestens auf sein Bündnis mit Frankreich verzichten müssen, was sie nie gemacht hätten.
Gut, ich weiß nicht, was ein brit. Politiker damals geglaubt haben mag, aber das ist nun wirklich illusorisch.
 
Die deutsch-russischen Beziehungen gingen doch nach der Bosnien-Annektion fahrstuhlartig Richtung Keller.


Nikolaus hat Wilhelm 1905 ja schon ziemlich verkohlt. Ich möchte nur an da Fiasko von Bjökö erinnern, als Nikolaus mit Wilhelm ein Vertrag abschloß, diesen auch unterzeichnete sich dann aber wieder davon distanzierte, da man Sorge vor der Reaktion der Franzosen hatte. Das war schon ein ziemlicher Hammer, den die Russen sich da geleistet haben.

Zu 1908 ist anzumerken, das Aehrental sich mit Iswolski im Vorfeld der Annektion bereits auf dieselbige verständigt hatte. Iswolski hatte sich im Gegenzug nämlich die Unterstützungs Österreich-Ungarn für die Öffnung der Meerengen zusichern lassen. Des Weiteren gehörten Bosnien-Herzegowina ja bereits de facto zu Österreich-Ungarn. Das öffentliche Theatedonner was Iswolski aufführte, war ein gutes Stück Heuchelei.

Iswolski war dann später im Juli 14 Botschafter des Zarenreichs in Paris und hat dort seinen Teil zu der Verschärfung der Krise beigetragen und die Wurzeln hierfür liegen im Jahre 1908.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun, vor dem Einmarsch in Belgien wurde wohl parteiintern abgeklärt, wieviele Liberale für eine Kriegserklärung gegen Deutschland stimmen würden. Angeblich waren drei Viertel dagegen.

Ist das quellenkritisch untersucht worden?


Naja, 1911 gab es keine konkreten Kriegsdrohungen soweit ich weiß.
Es ging mir um die "feste" Position im Vergleich zu 1911, nicht um die wohl eher kontraproduktive Abgabe (siehe Einkreisungsphobie, Schlieffen+England) von Kriegsdrohungen.


Die deutsch-russischen Beziehungen gingen doch nach der Bosnien-Annektion fahrstuhlartig Richtung Keller. Wo sollte denn da ein Agreement herkommen?
Die außenpolitischen Analysen des Foreign Office und ihre Schlußfolgerung beruhten - wie oben ausgeführt - auf den Stärkeprognosen zu Rußland. Ein Aspekt war die wachsende Bedrohung für Großbritannien im Mittleren Osten (bzgl. der "neutralen Zone" in Mittelpersien, und der Zonenteilung Süd/Nord), ein weiterer Aspekt war das dt./russ. Arrangement bei wachsender russischer Stärke, was britischerseits als alternativlos für das Deutsche Reich eingeschätzt wurde.
 
[Britische Liberale mehrheitlich gegen Kriegseintritt?] Ist das quellenkritisch untersucht worden?
Eine kurze, aber zunächst ergebnislose Recherche führte mich eben zu der interessanten Monographie von Müller [1], die zumindest plausibel macht, dass die britische Öffentlichkeit und insbesondere die Liberale Partei des Premierministers gespalten war.

So gab es z. B. in Großbritannien in den ersten Augusttagen "eine Welle von Antikriegsdemontrationen, die meisten von der Arbeiterbewegung, einige aber auch auf liberale oder kirchliche Initiative hin organisiert" (S. 74).

Der Autor stellt das in einen größeren Zusammenhang: Demnach war die innenpolitische Situation vor dem Krieg derart brisant, dass sogar von der Möglichkeit eines Bürgerkriegs gesprochen wurde (S. 46 ff.). [2]


[1] Die Nation als Waffe und Vorstellung - Google Bücher (S. 70)
[2] Das ist ein Aspekt, dem ich bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. Vgl. auch die Streitschrift von Dangerfield von 1935, die vor einigen Jahren neu aufgelegt wurde The strange death of Liberal England - Google Bücher
 
[Britische Liberale mehrheitlich gegen Kriegseintritt?]

Danke für den Hinweis an @jschmidt, die allgemeine Reaktion in der Öffentlichkeit und der Partei war mir schon klar.

Mir ging es aber dezidiert um die Herkunft dieser Angabe:
Angeblich waren drei Viertel dagegen.
Für das gesamte Parlament wäre aber ev. eine Mehrheit da gewesen,
also: Drei Viertel der Abgeordneten der Liberalen Partei, mit Bezug auf eine interne Abstimmung.


Ich hätte eher an folgende Abhandlung gedacht:
Ekstein/Steiner, The Sarejewo Crisis, in: Hinsley, British Foreign Policy under Sir Edward Grey. Grundströmungen in der Liberalen Partei sind klar, es gab eine anti-russische und eine pro-deutsche Sektion, nicht gerade personell identisch, aber in der Krise merkwürdig verbunden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Insgesamt darf durchaus bezweifelt werden, ob Grey eine wirklich gute Wahl für das Außenamt war.

Grey hat mit der Politik, der Balance of power, seiner Vorgänger gebrochen. Für ihn stand von vornherein fest, schon seit 1895 als junger Oppositionspolitiker, das Großbritannien ein Bündnis mit Frankreich und Russland eingehen muss. Angeblich war seiner Meinung nach das Deutsche Reich ja nicht bündnisfähig gewesen und der Oppositionspolitiker Grey hatte alle Register gezogen, um eine Annäherung zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich zu verhindern, dabei wurden dann auch gerne die Medien instrumentalisiert.

Lansdowne und Balfour hatten durchaus richtig erkannt, das Großbritannien, nachdem die russishe Flotte sich auf dem Grund des Pazifiks befand und der Krieg gegen Japan verloren war, sich in einer durchaus vorteilhaften Position gegenüber dem Zarenreich befand. So wurde ja auch der Zweibund mit Japan vorzeitig verlängert und die Bedingungen für den Casus Belli der aktuellen Sitaution angepasst, nicht zum Vorteil Russlands. Aus diesem Grunde konnte man es sich dann auch leisten, dem russischen Werben, hier der russische Botschafter in London Benkendorff, um eine Vereinbarung, abzulehnen. Ganz anders Grey. Kaum im Amte rannte er zu Benkendorff und bot einer Vereinbarung an. Ja er stellte sogar die Dardanellen zur Disposition.

Ähnliches ist auch in der Marokkokrise Teil 1 zu beobachten. Während Lansdowne Berlin, ohne Paris zu informieren, warnte, meinte Grey dies öffentlich gegenüber dem französischen Botschafter kundtun zu müssen. Das war eine ganz andere diplomatische Qualität. Grey verfügte eben nicht über die Fähigkeiten, für diplomatische, geschweige denn komplizierte, Manöver, eines Salisbury oder Lansdowne. Er war ein Außenminister, der sein Land nie verließ und seinen Monarchen auf dessen Auslandsreise nicht begleitete; dies überließ er nur zu gerne Hardinge.

Nicht von ungefähr hat sein Parteikollege Lloyd George Grey eine erhebliche Mitschuld am Ausbruch der Weltkrieges gegeben. Arthur Ponsonby meinte, er sei zu abhängig von seinen Beratern im Foreign Office gewesen und dies war nach dem Abgang von Sanderson ziemlich antideutsch eingestellt. Auch Richard Haldane sein Urteil über Grey fällt nicht günstig aus, denn dieser meinte, er (Grey) hätte das Ausland insbesondere Deutschland komplett ignoriert. Hingegen war Grey bemüht die russischen Zumutungen, beispielsweise in Persien, mit Verständnis zu begegnen.

Schon Grey sein Biograph Trevelyan beklagte sein auffälliges Halbwissen, welches zu einseitigen Urteilen geführt hat. (1)

(1) Trevelyab, Grey, S.78; S.233
 
Zuletzt bearbeitet:
Lansdowne und Balfour hatten durchaus richtig erkannt, das Großbritannien, nachdem die russishe Flotte sich auf dem Grund des Pazifiks befand und der Krieg gegen Japan verloren war, sich in einer durchaus vorteilhaften Position gegenüber dem Zarenreich befand. So wurde ja auch der Zweibund mit Japan vorzeitig verlängert und die Bedingungen für den Casus Belli der aktuellen Sitaution angepasst, nicht zum Vorteil Russlands. Aus diesem Grunde konnte man es sich dann auch leisten, dem russischen Werben, hier der russische Botschafter in London Benkendorff, um eine Vereinbarung, abzulehnen. Ganz anders Grey. Kaum im Amte rannte er zu Benkendorff und bot einer Vereinbarung an. Ja er stellte sogar die Dardanellen zur Disposition.

Ich weiß nicht, ob Grey da zu schlecht wegkommt. :winke:

Richtig, nach dem Wahlsieg der Liberalen Dez1905 versicherte Grey bereits wenige Tage später Benckendorff seinen Willen zum Vertragsabschluss. Die indische Regierung wurde im März1906 um ihre Wünsche bzgl. eines Abkommens gefragt, und im Mai1906 wurde der Botschafter in Petersburg ausgetauscht, so dass die formellen Verhandlungen am 7.6. beginnen konnten.

Tatsächlich hatte sich Grey bereits frühzeitig 1902 für das Abkommen stark gemacht, aber auch die konservative Regierung hatte 1903 solche Gesprächsfäden aufgenommen. Die besondere Furcht war - ähnlich wie bei Grey - eine deutsch-russische Annäherung (die Hardinge als certain consequence bezeichnete, wenn GB die Annäherung an Rußland nicht gelingen würde). Man kann das also durchaus als breite Strömung sehen, auch wenn bei den Konservativen einige germanophile mehr saßen.

Immerhin sah das Liberale Programm ab 1905 Kürzungen bei den Marine- und Rüstungsetats sowie steigende Sozialausgaben vor. Was dann ab 1906 passierte, zunächst massiver Druck zur Rüstungskürzung, zwang später unter dem gewaltigen öffentlichen Druck der Flottenrüstung anderer Nationen zu einem Richtungswechsel (we want 'eight'). Als weiteren unverrückbaren Baustein folgte man der Politik, dass ein dt.-engl. Ausgleich nicht die Entente gefährden dürfe (diese wiederum war imperial motiviert). Da blieb nicht viel Spielraum. Auch das Scheitern der Haager Konferenz in ihren Abrüstungsaspekten (auch an Deutschland) komplizierte diese Gesamtlage. Man muss es mal so betrachten: das Klima der Nervosität in den Beziehungen zum Deutschen Reich hatte für die Liberalen innenpolitische Folgen!

Die Grey-Biographie kenne ich leider nicht. Sehr viel Material bietet das Sammelwerk von Hinsley, British Foreign Policy under Sir Edward Grey.
 
silesia schrieb:
Ich weiß nicht, ob Grey da zu schlecht wegkommt. :winke:


Grey war m.E. nach zu festgelegt, zu einseitig und wollte etwas, was es nicht gibt, schon gar nicht im Zeitalter des Imperialismus, absolute Sicherheit. Deshalb hat er ja auch die traditionelle Politik eines Salisbury oder auch Lansdowne aufgegeben.

Auffällig ist, das er nach seiner Amtsübernahme die wichtigen Botschafterposten in Paris mit Bertie, in Petersburg mit Nicholson und in Berlin ab 1908 mit Goschen besetzte, die alle antideutsch eingestellt waren. Lascelles, Vorgänger von Goschen, wurde von Crowe sogar bedeutet, das es in London niemand interessiere, was für Ziele das Reich verfolge, denn allein die Existenz des Deutschen Reiches sei schon für London eine Bedrohung.

Für Grey war die absolute und zuverlässige Loyalität zu Paris und Petersburg überaus wichtig.

silesia schrieb:
Tatsächlich hatte sich Grey bereits frühzeitig 1902 für das Abkommen stark gemacht, aber auch die konservative Regierung hatte 1903 solche Gesprächsfäden aufgenommen. Die besondere Furcht war - ähnlich wie bei Grey - eine deutsch-russische Annäherung (die Hardinge als certain consequence bezeichnete, wenn GB die Annäherung an Rußland nicht gelingen würde). Man kann das also durchaus als breite Strömung sehen, auch wenn bei den Konservativen einige germanophile mehr saßen

Richtig, die Torys strebten aber kein Bündnis, wie Grey es vorschwebte, an. Ihnen ging es um punktuelle Übereinkünfte, beispielsweise die Anerkennung der britischen Vorherrschaft in Afghanistan, keine Aufteilung Persiens, kein weiterer Eisenbahnbau etc., die vor allem auch nicht auf Europa zurück wirken durften. Grey war das alles egal. Die Zugeständnisse die Grey gegenüber dem Zarenreich gemacht hat, zu denen hätte sich ein Landsdowne und ganz gewiss auch kein Salisbury bereitgefunden.

Bei den Liberalen saßen dafür, vor allem im Foreign Office fast nur Männer, bei denen ein Germanophobie angesagt war.

Schon 1903 war Grey zu der Überzeugung gelangt, dass das Deutsche Reich der Feind ist. In Paris oder Petersburg dürfe unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, das großbritannien sich dem Deutschen Reich annäheren könnte/würde .
Selbst Greys Mentor, Roseberry, konnte seinen Schüler von seinem einseitgen außenpolitischen Kurs nicht abbringen.

Silesia schrieb:
Immerhin sah das Liberale Programm ab 1905 Kürzungen bei den Marine- und Rüstungsetats sowie steigende Sozialausgaben vor

Stimmt genau. Hier wäre natürlich eine gute Beziehung zum Deutschen Reich hilfreich gewesen, aber das wurde ja konsequent abgelehnt. So drehte sich die Spirale in Sachen Flottenrüsten weiter. ICh weiß jetz nicht genau, wie weit die Abrüstung des Heeres gediehen war, das ja nach dem Burenkrieg sich heftig gegen die Auflösung der Verbände zur Wehr setzte. Dafür wurden dann wieder das Deutsche Reich bemüht und die Presse eingespannt. Man war da wirklich nicht sonderlich zimperlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
silesia schrieb:
Immerhin sah das Liberale Programm ab 1905 Kürzungen bei den Marine- und Rüstungsetats sowie steigende Sozialausgaben vor.

1907 hat das Unterhaus mit 74 zu 32 eine Armee von 150.000 Mann genehmigt. Dass das erhebliche Kosten verursachen dürfte, liegt auf der Hand. Komisch, das wird häufig in der gängigen Literatur gar nicht erwähnt.

Vorausgegangen war eine erneute C.I.D. Untersuchung zur Frage, man kann es gar nicht glauben, zur Invasion der Insel durch das Deutsche Reich. Fisher agierte sehr souverän und sachlich und vertrat die wohl zutreffende Ansicht, das die Sicherheit Großbritanniens durch die Royal Navy gewährleistet sei.

Nur ist zu berücksichtigen, das in Großbritannien eine erbitterte Rivalität zwischen den beiden Teilstreitkräften herrschte und die Armee sich nicht zu schade war, ein vollkommen unzutreffendes, überzeichnetes BIld von der Leistungsfähigkeit der kaislerlichen Marine bzw. Heeres malte.

Im C.I.D. wurde von seitens der interessierte Armee, hier ist vor allem Roberts zu nennen, aber auch Herrschaften wie Repington, die die Untersuchung mit einem groß anglegten Propagandafeldzug in der einschlägigen Presse begleiteten.

So wurde dann im Ausschuss das lächerliche Argument ventiliert, die britische Suprematie zur See sei in Gefahr. Grey oder auch Haldane, die es besser wußten, zogen es vor nichts dazu zu sagen. Auch das Kräfteverhältnis zwischen der Royal Navy und der kaiserlichen Marine wurde dann schon Mal gefälscht.

Im Ergebnis stand dann, obwohl die Resultate der Sitzungen anders ausah, eine genügend große Armee aufzustellen, die eine Ivasion abzuwehren.

Das ist schon ein Ding, vor allem wenn man sich die Überlegenheit der Royal Navy und dann einmal alle Variablen einer eventuellen Landung ins Gedächtnis holt. Allein schon der Anmarsch so einer großen deutschen Flotte, Stichwort Dampf, wäre schon auf große Entfernung zu sichten gewesen. Dann der Zeitraum, wie lange es dauert, um ein Invasiosheer anzulanden und et.etc. . Da kann man nur noch staunen. Im Hintergrund wird wohl auch der Gedanke der Bündnisfähigkeit eine Rolle gespielt haben.

Rose, Zwischen Empire und Kontinent
 
Zuletzt bearbeitet:
Sir Edward Grey war für das deutsch-britische Verhältnis am Vorabend des Weltkrieges Nummer 1 ein erheblicher Negativposten. Mit Beginn seiner Amtszeit als Außenminister galt die Loyalität, man könnte schon versucht sein zu sagen Gefolgschaft, gegenüber Paris, später Petersburg, als oberstes Priorität. Von Grey ist auch das Zitat überliefert, „ Ich werde mit den Deutschen kein Geschäft ohne Frankreich und Russland anfangen.“ (1)

Er hielt es sogar für nötig beim König zu intervenieren, als dieser der Regimentskapelle der Coldstream Guards nach Deutschland bewilligte, da er sich ernsthafte Sorgen machte, wie dies in Paris aufgenommen werden würde. (2) Das ist schon peinlich.

Grey hatte gerade in den Anfangsjahren als Minister es mit seiner Informationspflicht gegenüber seinen Kabinettskollegen nicht sonderlich ernst genommen. Informiert wurde nur der, der „linientreu“ war. So wurde beispielsweise das Kabinett, als die militärischen Geheimgespräche mit den Franzosen begannen, vor dem Kabinett verborgen.

Im Zuge der Marokkokrise Nummer 1, als die Österreicher einen Vorschlag machten, der ein sehr weitreichendes Entgegenkommen des Deutschen Reiches beinhaltete und von diesen akzeptierte wurde, war Grey zunächst gewillt einzuwilligen. Paris aber strebe, ganz ähnlich wie im Sommer 1870, den „totalen“ Sieg an und bekam diesen auch, denn Grey schwenkte sofort um, als Paris signalisierte, nicht einverstanden zu sein.

Grey war auch bemüht, bessere Beziehungen zwischen König Edward VII. und seinen Neffen Wilhelm II. zu relativeren. Was zählte, war der Eindruck in Paris. Dafür wurde es auch schon einmal mit der Wahrheit nicht so genau genommen.


(1) Grey am 16.06.1906 an Cromer in Grey MS. BD VII
(2) Lee, King Edward VII, Bd.II, S.533
 
Grey war möglicherweise dere inzige Staatsmann der Triple Entente, der frühzeitig darüber im Bilde war, das Österreich-Ungarn gegen Wien eine militärische Aktion plane.

Bereits am 06.Juli 1914 informierte der deutsche Botschafter Lichnowski Grey darüber, "das die Österreicher etwas zu unternehmen beabsichtigt, und es sei nicht unmöglich, daß sie militärisch gegen Serbien vorgehen würden. Grey reagierte vollkommen entspannt und fragte nach, das es doch nicht etwa beabsichtigt sei, serbisches Territorium zu annektieren. Lichnowski konnte Grey die zusichern. So weit Greys eigene Aufzeichnung zu diesem Gespräch.

Am 08.Juli telegrafierte Grey an Bertie und führte aus, das die österreich-ungarische Regierung auf Druck der öffentlichen Meinung gezwungen werden könnte, irgendwelche Schritte gegen Serbien zu unternehmen. Wir (die Briten) müsse dann Petersburg zur Geduld ermutigen.

Ähnlich äußerte sich Grey in seine Gespräch mit Benckendorff, russischer Botschafter in London, das die Regierung in Wien "von ihren Füßen gefegt werden könnte." Und Grey machte benckendorff klar, das die Deutschen die feindselige Einstellung Russlands fürchten. Und darüber hinaus informierte Grey Benckendorff das die Deutschen über die Verhandlungen der Marinekonvention im Bilde seien und sich nicht von ihm (Grey) haben täuschen lassen. Grey brachte Benckendorff dazu, zu versichern, das sein Hof alles tun würde, um Deutschland zu beruhigen und kein Schlag gegen as Deutsche Reich geplant sei. Benckendorff fragte Grey dann, was denn der Vorwand für ein österreich-ungarisches Vorgehen gegen Serbien sein könne. Grey deutete an, das man die serbische regierung der Nachlässigkeit bezichtigt werden könnte, da die Bomben in Serbein gefertigt worden seien. Dies ist alles Greys eigenen Aufzeichnungen zu entnehmen. Benckendorff berichtete nach Petersburg von diesem Gespräch und fügte hinzu, je mehr die Russen berlin drohten, desto mehr würden diese an Wien heranrücken. Diese Gespräch fanden am 09.Juli statt.

Am 09.Juli sprach Grey erneut mit Lichnowski. Er äußerte, "wenn eine österreichische Aktion in Bezug auf Serbien in gewissen Grenzen gehalten würde, wäre es natürlich verhältnismäßig leicht St.Petersburg zur Geduld zu ermutigen. [...] Einige Dinge, die Österreich vielleicht unternehme, würde die russische Regierung vielleicht veranlassen zu sagen, das slawische Gefühl in Russland sei so stark, das man ein Ultimatum oder etwas ähnliche abschicken müsse."

Aber gleich danch, und das ist bedeutsam, sagte Grey, " daß ich die gleich Politik fortführen würde, wie ich sie während der Balkankriege verfolgt habe, und mein Äußerstes tun würde, um den Ausbruch eines Krieges zwischen den Großmächten zu verhüten."

Grey hatte also im Prinzip kein Problem mit einer lokal begrenzten österreich-ungarischen Aktion gegen Serbien. Ihm ging es ausschließlich um die Verhinderung eines militärischen Konfliktes zwischen den Großmächten. Die Dinge haben sich aber bekanntermaßen ganz anders entwickelt.

Lichnosky berichtete am 15.Juli nach Berlin. "Sir Edward Grey sagte, alles käme darauf an, welcher Art etwaige Eingriffe sein würde, keinesfalls dürfe eine Schmälerung des serbischen Gebietes in Frage kommen. Er hat auch, wie er berichtet, sich darauf bemüht, in St.Petersburg zugunsten der österreichischen Ansprüche zu wirken. Sollte aber Russland infolge militärischer Maßnahmen Österreichs eine gewaltige Bewegung entstehen, so würde er gar nicht in der Lage sein, die russische Politik in der Hand zu behalten und wird schon mit Rücksicht auf die Mißstimmung, die gegen England augenblicklich in Russland herrsch,...auf russische Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen müssen."

Hier wird die eingeschränkte britische Handlungsfähigkeit gegenüber Russland sehr deutlich, obwohl man Österreich-Ungarn Absicht durchaus mit Verständnis sah.

Sir Arthur Nicolson, ständiger Unterstaatssekretär im Foreign Office, und kein Freund Deutshlands, führte noch im Juli 1914 aufgrund der endlosen russischen Zumutungen in Persien aus: "Es scheint mir, daß unsere Beziehungen zu Russland nun einen Punkt erreicht haben, an dem ir entscheiden müssen, ob wir wirklich enge und persönliche Freunde sind, ober aber einen anderen weg einschlagen."

Herbert Butterfield, Sir Edward Grey im Juli 1914
 
[FONT=&quot]In der Zeit zwischen dem 08.Juli und 24.Juli begann Grey seine Haltung zu ändern. Sicher wird das harsche Ultimatum eine Rolle gespielt haben.[/FONT]
[FONT=&quot]Am Abend des 24.Juli kam in der Londoner Zentrale ein langes Telegramm aus Petersburg an. Buchanan berichtet, dass Poincare Greys Vorschlag, eine Konferenz zwischen Russland und Österreich-Ungarn, hintertrieben hatte. Poincare betrachtete das Vorhaben als schädlich. Des weiteren erfährt Grey von seinem Botschafter, das Franzosen und Russen in Wien vorstellig zu werden beabsichtigen, um zu verhindern, dass eine Erklärung oder Forderungen erhoben werden würden, die eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Serbiens gleichkommen. Dies würde jede Aussicht Wiens zunichte machen, die großserbische Agitation und die Verschwörergruppen unter Kontrollen zu bringen. Und Großbritannien solle seine Solidarität mit den beiden anderen Entente-Mächten erklären. (1) Wien sollte also gar keine Satisfaktion erhalten.[/FONT]
[FONT=&quot] [/FONT]
[FONT=&quot]Aufgrund dieses Telegramms von Buchanan schrieb Crowe am 25.07, „Der Augenblick ist vorüber, wo es vielleicht noch möglich gewesen wäre, Frankreich für einen Versuch zu gewinnen, Russland zurückzuhalten.“ Weiter schreibt Crowe, das Recht und Unrecht des österreichisch-serbischen Konflikts jetzt unerheblich sind. Frankreich und Russland haben entschieden, das es wesentlichen nur um die Frage Triple Entente gegen Triple Allianz geht und das bedeutet in der Sache, das es nunmehr um die Bündnistreue Britanniens ginge. Wenn der Krieg wirklich ausbricht, so Crowe, dann wird England früher oder später hineingezogen.[/FONT]
[FONT=&quot] [/FONT]
[FONT=&quot]Grey begann nun seinen hinlänglich bekannten Seiltanz, in dem er sich mühte, keine Seite zu ermutigen. Er wollte noch vermitteln.[/FONT]
[FONT=&quot] [/FONT]
[FONT=&quot]Sehr interessant ist der Tagebucheintrag Bertie, britischer Botschafter in Paris, vom 26.Juli 1914. „Es ist eigentlich unvorstellbar, dass die russische Regierung Europa in einen Krieg stürzen sollte, nur um sich zu Beschützerin der Serben zu machen. Und wenn sie bei ihrer augenblicklichen Haltung bleibt, wird sie erwarten, dass Frankreich und England sie militärisch unterstützen. Die öffentliche Meinung in England würde so eine Politik niemals billigen. (2)[/FONT]
[FONT=&quot]Auch Bertie sieht genau wie Crowe, das im Falle eines Krieges, England hineingezogen werden würde.[/FONT]
[FONT=&quot]Abschließend ist noch durchaus erwähnenswert, das einer der Herausgeber der Britischen Dokumente Herold Temperly meint, er könne nicht sehen, wo die Russen besser waren als die Deutschen – in mancher Hinsicht waren die Russen schlimmer. [/FONT]
[FONT=&quot] [/FONT]
[FONT=&quot]Grey und Großbritannien mangelte es an Fantasie, um sich vorzustellen, das es innerhalb der deutschen Reiseleitung doch eine gewissen Furcht vor Russland künftiger Stärke und sicher auch vor einer russischen Vorherrschaft gegeben und damit einhergehend eine gewisse Hoffnungslosigkeit gegeben hatte. Das ist schon erstaunlich[/FONT]
[FONT=&quot] [/FONT]
[FONT=&quot](1) [/FONT][FONT=&quot]Die Britischen Dokumente, Band 11, Buchanan an Grey 24.07.1914[/FONT]
[FONT=&quot](2) [/FONT][FONT=&quot]Diary of Lord Bertie[/FONT]
 
Zurück
Oben