Karlsbader Beschlüsse und Frühkonstitutionalismus

apohlma

Neues Mitglied
:devil:Liebe Geschichtsfreunde/inne!
Ich habe eine Fachfrage, die mir auf den Nägeln brennt, die ich aber allein nicht lösen kann:
Im Rahmen des süddeutschen Frühkonstitutionalismus wurden, bsp. Badische Verfassung vom 22.08. 1818, gewisse Grundrechte gewährt. Nach den Karlsbadebeschlüsse 1819 wurde diese in einigen Teilen eingeschränkt. Aber galten diese Beschränkungen auch für die gewählten Mitglieder der zweiten Kammer der angegbenen Verfassung, die aus dem Bürgertum stammen dürften, oder exisitierte damals bereits eine Immunität. Falls das nicht der Fall gewesen sein sollte, dürfte dieser Teil der Legislative doch völig zum Erliegen gekommen sein.
Kann da jemand helfen? Bin sehr gespannt :devil:!
apohlma
 
Aber galten diese Beschränkungen auch für die gewählten Mitglieder der zweiten Kammer der angegbenen Verfassung, die aus dem Bürgertum stammen dürften, oder exisitierte damals bereits eine Immunität.

Die Beschränkungen galten zunächst einmal für alle Bürger der Einzelstaaten des Deutschen Bundes, also auch für Parlamentarier - wenn man einmal außer Acht lässt, dass es
keine bundesrechtliche Pflicht zur gliedstaatlichen Veröffentlichung des Gesetzestextes gab, [so dass dieser] in einigen Gliedstaaten nicht veröffentlicht und [...] formal in diesen nicht in Kraft [trat]
Karlsbader Beschlüsse ? Wikipedia

Ungeachtet dessen genossen die badischen Parlamentarier Immunität, die allerdings aufgehoben werden konnte. Ich zitiere aus der badischen Verfassung:

§ 49 Kein Ständeglied kann während der Dauer der Versammlung, ohne ausdrückliche Erlaubniß der Kammer, wozu es gehört, verhaftet werden; den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bey begangenen peinlichen Verbrechen ausgenommen.
documentArchiv.de - Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden (22.08.1818)

Fraglich wäre nun, in wie vielen Fällen die Immunität von Abgeordneten tatsächlich aufgehoben wurde. Da aber die "Kammer, wozu es gehört" selbst über die Aufhebung der Immunität eines Ständemitgliedes entscheiden musste, erscheint die These, die Karlsbader Beschlüsse hätten zu einem "völligen Erliegen" der Aktivität dieser Kammer geführt, auf den ersten Blick nicht überzeugend.
 
Zuletzt bearbeitet:
Fraglich wäre nun, in wie vielen Fällen die Immunität von Abgeordneten tatsächlich aufgehoben wurde. Da aber die "Kammer, wozu es gehört" selbst über die Aufhebung der Immunität eines Ständemitgliedes entscheiden musste, erscheint die These, die Karlsbader Beschlüsse hätten zu einem "völligen Erliegen" der Aktivität dieser Kammer geführt, auf den ersten Blick nicht überzeugend.
Das sehe ich auch so! :winke:
Die verfassungsrechtlich verbürgte Immunität als solche wurde ja durch die K. B. nicht beseitigt. Ich formuliere das Problem mal anders: Führten die K. B. dazu, dass danach die Immunität von Abgeordneten häufiger und insbesondere aus politischen Gründen aufgehoben wurde?

Statistisches Material dazu habe ich nicht, kann aber etwas zum "Mechanismus" sagen: Eine gewisse Einschränkung der parlamentarischen Arbeit ergab sich aus Art. 59 der Wiener Schlußakte (1820): "Wo die Oeffentlichkeit landständischer Verhandlungen durch die Verfassung gestattet ist, muß durch die Geschäfts-Ordnung dafür gesorgt werden, daß die gesetzlichen Grenzen der freien Aeußerung, weder bey den Verhandlungen selbst, noch bey deren Bekanntmachung durch den Druck, auf eine die Ruhe des einzelnen Bundesstaats oder des gesammten Deutschlands gefährdende Weise überschritten werden."

Das konnte als Maulkorb-Verengung angesehen werden. Robert von Mohl, der große Rechtsgelehrte, hat dazu die feinsinnige Bemerkung gemacht [1], diese Bestimmung der "Bundes-Gesetzgebung" gehe insoweit weiter als die "vaterländische" [= württembergische], als sie "auch wahre und an und für sich nicht rechtswidrige Aeußerungen betreffen kann, da die Ruhe in einem Staate nicht blos durch Lügen, sondern auch durch die Wahrheit bedroht werden mag"... :pfeif:


[1] Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg (1829), Teil 1, S. 523 (Hervorh.i.Orig.)
 
Eine gewisse Einschränkung der parlamentarischen Arbeit ergab sich aus Art. 59 der Wiener Schlußakte (1820): "Wo die Oeffentlichkeit landständischer Verhandlungen durch die Verfassung gestattet ist, muß durch die Geschäfts-Ordnung dafür gesorgt werden, daß die gesetzlichen Grenzen der freien Aeußerung, weder bey den Verhandlungen selbst, noch bey deren Bekanntmachung durch den Druck, auf eine die Ruhe des einzelnen Bundesstaats oder des gesammten Deutschlands gefährdende Weise überschritten werden."

Das konnte als Maulkorb-Verengung angesehen werden. Robert von Mohl, der große Rechtsgelehrte, hat dazu die feinsinnige Bemerkung gemacht [1], diese Bestimmung der "Bundes-Gesetzgebung" gehe insoweit weiter als die "vaterländische" [= württembergische], als sie "auch wahre und an und für sich nicht rechtswidrige Aeußerungen betreffen kann, da die Ruhe in einem Staate nicht blos durch Lügen, sondern auch durch die Wahrheit bedroht werden mag"... :pfeif:


[1] Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg (1829), Teil 1, S. 523 (Hervorh.i.Orig.)

Einen Dank für die Reformulierung der Frage! Und gleich auch ein Einwurf: Verteidigt Mohl in seinem Kommentar nicht gerade den parlamentarischen Gedanken, indem er der "Geschäfts-Ordnung" landständischer Verhandlungen die Verantwortung zuweist, über die Einstufung "wahre[r] und an und für sich nicht rechtswidrige[r] Aeußerungen" zu entscheiden?
 
Einen Dank für die Reformulierung der Frage! Und gleich auch ein Einwurf: Verteidigt Mohl in seinem Kommentar nicht gerade den parlamentarischen Gedanken, indem er der "Geschäfts-Ordnung" landständischer Verhandlungen die Verantwortung zuweist, über die Einstufung "wahre[r] und an und für sich nicht rechtswidrige[r] Aeußerungen" zu entscheiden?
Jawoll! Er geht zwar nicht so weit, das englische Parlamentsrecht für vorbildlich zu erklären, welches die Aufhebung der Immunität aus einem beliebigen Grunde, also willkürlich, verweigern kann. Aber er traut der landständischen Versammlung durchaus zu, dass sie solche Probleme vernünftig über die Geschäftsordnung regeln kann. Die Bundes-Exekution wegen eines gravierenden Falles von "Unordnung" erwähnt er zwar (S. 527), hält sie aber wohl für gänzlich unwahrscheinlich, vielleicht auch unverhältnismäßig.
 
Besten Dank für die Antworten! Ich fande sie qualitativ hervorragend und muss sagen, dass sie meine Frage in weiten Teilen geklärt. Als Ergänzung sei vielleichtnoch formuliert, dass sich die Karlsbader Beschlüsse meiner Meinung relativ zielgerichtet gegen oppositionelle liberal-nationale Kräfte an den damaligen Hochschulen richteten und die Mitglieder in der zweiten Kammer wahrscheinlich nicht ganz so radikal gewesen sein dürften.
Besten Dank für die Hinweise und: Weiter so!
apohlma
 
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