Sicht der Zeitgenossen auf das HRR im 17./18. Jh.

Repo

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Es wird immer sehr beklagt, dass die Deutschen so spät zu einem Nationalstaat kamen, die Ohnmacht des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation usw..
Lauter Versäumnisse werden genannt. und als sehr schlimm dargestellt.

Wobei ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass dies die Sicht des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ist. Und die Zeitgenossen dies bei weitem nicht als so schlecht empfanden.

Deswegen meine Frage, wie sahen eigentlich die Zeitgenossen das HRR. Wie sah dies ein Simon Dach oder Paul Gerhard, ein Leibnitz oder gar ein Wallenstein oder Tilly z. b., kennt Jemand dazu irgendwelche Äußerungen? (muss ja nicht von den genannten sein, sind nur Beispiele eben Zeitgenossen der genannten Jahrhunderte)

Ist sonst nicht mein Gebiet,

Grüße Repo
 
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goethe, zur auflösung des hrrdn 1806:

Und selbst Goethe erzählt in „Dichtung und Wahrheit“, der Streit seiner Kutscher auf dem Bock beim Heimweg von der Karlsbader Kur habe ihn mehr aufgeregt als das Ende des Reiches. Seine Mutter freilich, die Frau Rätin, bemerkt in einem Brief an den Sohn ergriffen, es sei am Sonntag erstmals im Gottesdienst nicht für Kaiser und Reich gebetet worden.
 
Das kenne ich vom Geheimrath. Nicht zuletzt deswegen bewußt 17/18. Jahrhundert.

Grüße Repo
 
Deswegen meine Frage, wie sahen eigentlich die Zeitgenossen das HRR. Wie sah dies ein Simon Dach oder Paul Gerhard, ein Leibnitz oder gar ein Wallenstein oder Tilly z. b., kennt Jemand dazu irgendwelche Äußerungen?

Mercy und Jan de Werth verrichteten ihre Arbeit. Die Intellektuellen dieser Zeit, beklagten Teutschland.
Empfehle dir mal Günter Grass. Das Treffen in Telgte.
 
Mercy und Jan de Werth verrichteten ihre Arbeit. Die Intellektuellen dieser Zeit, beklagten Teutschland.
Empfehle dir mal Günter Grass. Das Treffen in Telgte.
Kenne ich eigentlich auch. Muss ich anscheinend mal wieder nachlesen. (Daher Paul Gerhard)
Danke
Grüße Repo
 
Das ist für mich auch ein interessantes Thema, habe aber derzeit keine Zeit mich mit Literatur einzudecken.
Als Hinweise fielen mir ein: "Teutscher Fürstenstat" von Veit Ludwig von Seckendorff 1656.
Daraus:
"... einen unterthänigsten oder allerunterthänigsten gehorsamsten fürsten des Reiches heisset und nicht ... sich von Gottes Gnaden, und Wir, sondern nur Ich schreibet."
Leibniz sagt wirklich einiges dazu:
"... Die größeren Fürsten Deutschlands sind Souveräne, mögen sie auch die Majestät von Kaiser und Reich anerkennen."
Dann gibt es noch von Samuel von Pufendorf das 1667 erschienene "De statu imerii Germanici", dem die Gegenschrift von Dr. Johann Kulpis von 1682 folgte.
 
Empfehlenswert dazu wäre wohl auch Johann Jacob Moser, der sich mit dem Reich beschäftigte auch wenn seine Argumentation und Herangehensweise etwas veraltert gewesen sein soll. Geschrieben hat er jedenfalls sehr viel: http://www.bautz.de/bbkl/m/moser_j_j.shtml


Landschaftskonsulent Moser,
kein Unbekannter in der württembergischen Landesgeschichte.

Serenissimus Carl Eugen hatte das Talent vorwiegend die besten Köpfe seines Ländchens für halbe und ganze Jahrzehnte einzusperren.

Und wenn ich dann an den ach so aufgeklärten Wilhelm I v. Württ. denke, und an Friedrich List, ............


Man muss sich nur wundern, dass das Ziefer es nicht geschafft hat, das Land gänzlich zu ruinieren.

Es lebe die Demokratie!



Grüße Repo
 
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Landschaftskonsulent Moser,
kein Unbekannter in der württembergischen Landesgeschichte.

Serenissima Carl Eugen hatte das Talent vorwiegend die besten Köpfe seines Ländchens für halbe und ganze Jahrzehnte einzusperren.
Der andere Teil wird für sich instrumentalisiert und darf Schriften im Sinne des Potentaten verfassen (und gegen den Kaiser). In der Pfalz ist das höchstwahrscheinlich noch konfuser, soweit ich bis jetzt drin bin.

Um was geht es Dir eigentlich eher, um die Aussagen der großen Köpfe wie Staatstheoretiker (wie die beiden Mosers) oder eher um das Empfinden der "kleinen Leute"?
 
Zuletzt bearbeitet:
Um was geht es Dir eigentlich eher, um die Aussagen der großen Köpfe wie Staatstheoretiker (wie die beiden Mosers) oder eher um das Empfinden der "kleinen Leute"?


Um die Staatstheoretiker weniger, mehr um die "Fachfremden"


Grüße Repo

NS: Zz interessiere ich mich aber wieder mehr für Indians und andere Mopeds. wird anscheinend Frühling (nix meiner Frau sagen:cool:)
 
Du meinst sowas, wie den scheinbar recht bekannten Brief von Goethes Mutter vom 19. August 1806 (leider also nicht mehr 18. Jh., aber immerhin im Sinne desselben):
"mir ist übrigens zu muthe als wenn ein alter Freund sehr kranck ist, die ärzte geben ihn auf mann ist versichert dass er sterben wird und mit aller Gewißheit wird man doch erschüttert wann die Post kommt er ist todt. So gehts mir und der ganzen Stadt - Gestern wurde zum ersten mahl Kaiser und Reich aus dem Kirchengebet weggelaßen."
Natürlich muss man bedenken, sie schreibt aus der Stadt der Kaiserwahl, wo noch vierzehn Jahre zuvor mit dem üblichen Zeremoniell die Krönung des Römischen Kaisers vollzogen worden war und zwei Jahre davor noch mal. (Also bei Franz II. und zuvor bei Leopold II.)
 
Die Goethes sind überhaupt Fundgruben für Zitate über das HRDN. Ich denke dabei an die Szene in Auerbachs Keller. Der Student Frosch singt ein offenbar populäres Lied: "Das liebe heil´ge Römische Reich, wie hält´s nur noch zusammen..." Sein Kommilitone Brander ist darüber bestürzt:
"Ein garstig Lied! Pfui, ein politisch Lied! Ein leidig Lied! Dankt gott jeden Morgen, daß ihr nicht braucht fürs Römische Reich zu sorgen!
Ich halt´s wenigstens für reichlichen Gewinn, daß ich nicht König oder Kanzler bin."
 
@ Scorpio
Der gute Mann war halt am Ort des Geschehens, ganz klar, dass sich sowas einprägt und auch auf das schriftstellerische Werk Einfluss hat, ginge mir sicherlich genauso, wenn man dabei noch die respektable Stellung seiner Familie betrachtet, die sie in der Stadt genoss und was das wiederum für eine Auswirkung hinsichtlich der Krönung hatte, nämlich dass ein Goethe dabei war, weil die Ratsherren doch eine Funktion bei diesem hohen Anlass hatten.
 
Deswegen meine Frage, wie sahen eigentlich die Zeitgenossen das HRR.quote]


Viele Zeitgenossen im 18. Jh. betrachteten das Heilige Römische Reich als Anachronismus, ein lebender Leichnam, der sich überlebt hatte. Das gilt besonders für die liberalen Kräfte im Reich, die Ende des 18. Jh. stärker wurden, und einen Nationalstaat anstrebten, der ein politisch geeintes Volk umfassen sollte. Immerhin bestand das Reich vor der Französischen Revolution aus über 300 selbstständigen Territorien (ohne die Gebiete der Reichsritterschaft), was den Eindruck eines kaum überschaubaren Gebildes noch verstärkte. Auch geistliche Füstentümer wie Erz- und Hochstifte oder Reichsabteien waren in anderen Staaten völlig unbekannt und förderten den Eindruck der Fremdheit..

In Europa, das meist aus straff organisierten Zentralstaaten wie Frankreich, Spanien oder England bestand, galt das Heilige Römische Reich ebenfalls als Relikt einer vergangenen Zeit. Keineswegs als Relikte galten hingegen einzelne Glieder des Reichs wie Preußen oder Österreich, die zu den europäischen Großmächten zählten, und Respekt genossen.

Wie das Reich nun im Vergleich zu Zentralstaaten wie Frankreich oder England zu bewerten ist, ist eine ganz andere Frage. Darüber habe ich hier im Forum vor längerer Zeit eine Diskussion mit Herold geführt, der die vielfach kritisierte politische Zerrissenheit des Reichs sogar als Vorteil für die darin lebenden Menschen betrachtete. Ich hingegen war der Meinung, dass diese Situation rein machtpolitisch ein Nachteil gegenüber anderen europäischen Staaten sei. Einen Kompromiss konnten wir seinerzeit bei dieser Diskussion nicht erreichen.
 
Wie das Reich nun im Vergleich zu Zentralstaaten wie Frankreich oder England zu bewerten ist, ist eine ganz andere Frage. Darüber habe ich hier im Forum vor längerer Zeit eine Diskussion mit Herold geführt, der die vielfach kritisierte politische Zerrissenheit des Reichs sogar als Vorteil für die darin lebenden Menschen betrachtete. Ich hingegen war der Meinung, dass diese Situation rein machtpolitisch ein Nachteil gegenüber anderen europäischen Staaten sei. Einen Kompromiss konnten wir seinerzeit bei dieser Diskussion nicht erreichen.
Kann man wohl auch nur, wenn man sich darauf einigen könnte und nicht von vornherein dieses Modell frühzeitig als chancenlos ansieht, das heißt nicht reformfähig.
Leider schreibt ja Herold kaum noch was, wenn dann aber sehr fachkundig. Das scheint wohl sein Steckenpferd zu sein.
Zu dieser Diskussion hier, weil sie eigentlich recht wertungsfrei sein müsste, da ja einfach nur, höchstwahrscheinlich in erster Linie in Zitaten, hätte er sicherlich viel beizusteuern.

Leider liegen mir selbst nicht allzu viele Quellen vor. Goethe selbst ist ja auch schon fast in den Bereich der wissenschaftlichen Theoretiker einzuordnen. Daher sind ja auch eher die Äußerungen seiner Umgebung interessanter als seine eingenen, die weil oftmals nach dem Ende des Reiches aufgeschrieben, seine damaligen Ansichten zum Zeitpunkt des Aussprechens etwas verwässert sind. Oftmals lehren ja die Erlebnisse eine Korrigierung alter Ansichten, die in seine Rückbesinnungen mit einflossen.
Schön wäre es wenn wir beide Seiten betrachten könnten, eben diejenigen, welchen das Reich recht fern stand und denen, bei welchen es noch präsent war. In einigen Reichskreisen wie in Süddeutschland und in den Reichsstädten war natürlich der Reichsgedanke viel länger wichtig, während in den Mittel- und Großmächten eine größere Distanz zum Reich entstand (außer in Österreich und selbst dort fand eine Entfremdung statt, obwohl der Kaiser zumeist Habsburger war).
 
Viele Zeitgenossen im 18. Jh. betrachteten das Heilige Römische Reich als Anachronismus, ein lebender Leichnam, der sich überlebt hatte. Das gilt besonders für die liberalen Kräfte im Reich, die Ende des 18. Jh. stärker wurden, und einen Nationalstaat anstrebten, der ein politisch geeintes Volk umfassen sollte. Immerhin bestand das Reich vor der Französischen Revolution aus über 300 selbstständigen Territorien (ohne die Gebiete der Reichsritterschaft), was den Eindruck eines kaum überschaubaren Gebildes noch verstärkte. Auch geistliche Füstentümer wie Erz- und Hochstifte oder Reichsabteien waren in anderen Staaten völlig unbekannt und förderten den Eindruck der Fremdheit..

Das ist die Sichtweise des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, wie wenn da das Bismarck-Reich als zwingende Folge dargestellt werden soll. Das neue Reich muss sooo stark sein, weil das alte ja so schwach war.

Dieser "Anachronismus" hat aber immerhin trotz allem doch sehr lange überlebt. (länger wie alle anderen Systeme in Europa) Deshalb denke ich, dass die Sichtweise des 17. und 18. Jahrhunderts so negativ nicht gewesen sein kann.
Der 30 jährige Krieg, die Türken, die diversen Erbfolgekriege, das will doch alles zuerst mal überstanden sein. So marode kann der Anachronismus gar nicht gewesen sein.

Ich denke, schon heute hält man den "National-Staat" eher für einen Anachronismus, zumindest ein Auslaufmodell, sind Staatsideen wie das HRDN, wie ÖU oder auch das Osmanische Reich eher die Systeme der Zukunft. (Natürlich meine ich nicht die Regierungssysteme) Oder seht euch doch die Schweiz an, 4 Völker 4 Sprachen und ein Topp-Erfolgs-Modell.
Die Region, oder Großregion, die gemeinsame Probleme hat, die gemeinsam am besten gelöst werden können. Nicht, dass da ausschließlich Brecht oder Sartre gelesen wird, das ist doch zweitrangig,

Aber, wie gesagt, ich habe so gut wie kein Hintergrundwissen über diese Zeit, lasse mich also liebend gerne belehren.

Grüße Repo
 
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Das ist die Sichtweise des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.


Das glaube ich eben nicht, obwohl ich das nicht mit Quellen belegen kann. Auf jeden Fall war ein Gebilde wie das Heilige Römische Reich einmalig in Europa und insofern schon ein ungewöhnliches Element. Zudem war es in einer Zeit, die machtpolitisch ausgerichtet war, ein schwaches Gebilde, in dem die Kaiser nur noch eine schattenhafte Herrschaft ausübten.

Es scheint mir daher ein folgerichtiger Schluss zu sein, dass die straff organisierten Zentralstaaten, die das Heilige Römische Reich umgaben, in ihm auch eine fette Beute witterten. Das hatten sie nämlich bereits zuvor im 30-jährigen Krieg erfolgreich exerziert und mit Metz, Toul, Verdun, Vorpommern und anderen Gebieten große Teile aus dem HRR herausgerissen.

Insofern muss ihnen das Reich anachronistisch und schwach erschienen sein - auch ganz ohne den späteren Herrn Bismarck mit seiner zweiten Reichsgründung!
 
@ Dieter
Wer riss denn Vorpommern aus dem Reichsverband? Das Problem war doch eher, dass Gebiete nur langsam in den Besitz anderer Staaten übergingen, die anfangs wie Louis XIV. nur gewisse Rechte, wie die Landvogteirechte im Elsass inne hatten. Außerdem war es für das Reich oftmals ein Ding der Unmöglichkeit, bei all den komplizierten Verhältnissen, gescheite Friedensverträge auszuarbeiten, weshalb man als Ausländer dazu überging mit jedem Reichsstand einzeln Verträge abzuschließen.
Entschuldige, aber wir zwei sind: :eek:fftopic:
 
Für mich hat das HRDN nach wie vor etwas faszinierendes. Ein Riesengebilde, das keinen seiner Nachbarn bedroht hat!
Ein reiner Schutzverband nach außen. "Wenn zu Schutz und Trutze"

Nicht ein paar Jahrzehnte, sondern fast ein Jahrtausend.


Wie wohl die Geschichte Europas verlaufen wäre, wenn in der Mitte in der selben Zeitspanne ein aggressiver Nationalstaat (wie die anderen) existiert hätte?


Grüße Repo
 
Wer riss denn Vorpommern aus dem Reichsverband? Das Problem war doch eher, dass Gebiete nur langsam in den Besitz anderer Staaten übergingen.


Vorpommern ging nicht "langsam" in den Besitz eines anderen Staates über, sondern wurde von den Schweden während des 30-jährigen Krieges annektiert, weil das Reich zu schwach war, Schweden daran zu hindern. Gleiches galt für die schwedische Annexion der Gebiete zwischen Weser und Elbe (Hzm. Bremen, Fsm. Verden), die ebenfalls 1648 an Schweden fielen. Metz, Toul und Verdun wurden 1648 von Frankreich annektiert, das diese Gebietsteile wegen der Schwäche des Reichs schon 1552 besetzt hatte.
 
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