Der Tod in Flandern 1917, die große Flandernschlacht

Scorpio

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Es gab unzählige Schlachten im I. Weltkrieg, doch es waren vor allem drei, mit denen man den Begriff Materialschlachten verbindet: Verdun 1916, die Sommeschlacht 1916 und die große Flandernschlacht 1917. Während sich Verdun tief ins Bewußtsein der deutschen wie der französischen Armee eingegraben hat, so sind es in Großbritannien vor allem die Schlachten an der Somme und in Flandern, die die Sinnlosigkeit des Krieges symbolisieren. Die Schlacht von Flandern hat viele Namen, man nennt sie die Dritte Flandernschlacht, The Great Battle of Flander, die dritte Schlacht von Ypern oder auch die Schlacht von Passchendaele.
Gemessen an der Dauer der Operation, der Frontbreite, dem Einsatz der neuesten Waffentechnik, dem Munitionsverbrauch und der Geländezerstörungen war es die größte Materialschlacht des Weltkrieges.

Im Sommer 1917 hatte keine kriegführende Partei Grund zu frohlocken. Die Briten hatten in der Osterschlacht von Arras für die Westfront beachtliche Geländegewinne von 5-6 km Tiefe erzielen können, allerdings ohne die geringste Chance, diese taktisch oder gar strategisch ausbauen zu können. Die am 16. April 1917 mit hohen Erwartungen begonnene französische Großoffensive am Chemin des Dames hatte sich dagegen als ein gigantisches Debakel erwiesen. Die Doppelschlacht im Artois und der Champagne war nicht nur gescheitert, bei den Franzosen kam es im Mai 1917 zu Meutereien und zeitweise standen bestenfalls 10 zuverlässige Divisionen an der Westfront. Petain gelang es zwar, die Meutereien niederzuschlagen, doch vorläufig waren die Franzosen für offensive Operationen nicht zu gebrauchen. Um den Deutschen nicht die Iniatiave zu überlassen, waren die Briten gefordert anzugreifen, und Marschall Sir Douglas Haig plante bereits seit langem eine Offensive in Flandern.

Auch die Deutschen hatten keinen Grund zu triumphieren. Im "Steckrübenwinter" 1916/17 war es vielfach zu Streiks der Rüstungsarbeiter gekommen. Der uneingeschränkte U-Bootkrieg hatte zwar spektakuläre Erfolge gezeigt, allerdings zum Kriegseintritt der USA geführt, der auf Dauer den Alliierten das Übergewicht geben mußte. Die Bundesgenossen Österreich- Ungarn, Bulgarien und die Türkei waren ziemlich angeschlagen, und es war ziemlich vermessen, mit einem Siegfrieden zu rechnen, wenn man die eigenen Truppen mit Pferdefleisch und Dörrgemüse versorgen mußte. Allerdings hatten die Deutschen immer noch beeindruckende Erfolge vorzuweisen. In Rumänien hatten sie den neuen Kriegsgegner vernichtend geschlagen und im Dezember 1916 Bukarest erobert. An der Ostfront hatten sie die anfangs überaus erfolgreichen Offensiven Brussilows zurückgeschlagen. Der Zar hatte abgedankt, und wenn auch die Regierung Kerenski den Krieg fortsetzte, machten sich bei der russischen Armee starke Auflösungserscheinungen bemerkbar.

Taktisch hatten sich wohl die Deutschen am besten auf die Materialschlacht eingestellt und aus den Erfahrungen von Verdun und der Somme am meisten gelernt. Bei Verdun und an der Somme hatten beide Seiten den Fehler begangen, aus ideologischen Gründen an eigentlich takisch und strategisch wertlosem Gelände festzuhalten. An Punkten wie Douaumont, Mort Hommes, Fort Vaux hatten sich überaus verlustreiche Kämpfe entwickelt. Im späteren Verlauf der Sommeschlacht waren die Deutschen dazu übergegangen, die vorderen Linien nur dünn zu besetzen, so daß das Artilleriefeuer weniger Verluste verursachte. Die bombensicheren Unterstände hatten sich an der Somme oft als Fallen erwiesen, da die Infanteristen wohl gegen das Artilleriefeuer geschützt waren, allerdings beim Infanterieangriff nicht rechtzeitig oben in den Gräben erscheinen konnten und durch hineingeworfene Handgranaten und Flammenwerfer erledigt wurden. Daher wurden alle besonders tief angelegten Unterstände gesprengt. Taktisch hatten die Deutschen ihre Truppen in Stellungs-, Eingreif- und Reservedivisionen unterteilt.

Haig lagen weitausgreifende Operationen nicht, ihm schwebte kein Tannenberg oder Tarnow- Gorlice vor, seine Planung beschränkte sich auf die Materialschlacht, auf das rein rechnerische Spiel numerischer und artilleristischer Überlegenheit, das am Ende die Entscheidung herbeiführen mußte. Dieses Konzept sah etwa so aus: Man suche sich einen 20 km breiten Frontabschnitt, zerpflüge ihn eine Woche lang mit Trommelfeuer und Gasgranaten und besetze ihn dann durch zehnfach gestaffelte, von Tanks und Jagdfliegern unterstützte Schützenwellen.

Ziel der britischen Offensive war die Einnahme der flämischen Küste und der U-Bootstützpunkte. Taktisches Ziel waren die Höhenstellungen zwischen Westrosebeeke und Wytschate. Die Operation sollte in zwei Aktionen stattfinden. Die Schlacht von Mesen (Messines), die Einnahme des Wytschatebogens war eine der wenigen erfolgreichen Operationen an der Westfront. Herbert Plumer gelang es, dank erfolgreicher Unterminierung, Anfang Junie 1917 den gesamten Wytschatebogen südlich Yperns einzunehmen.

Die eigentliche Offensive startete am 31. Juli mit mehrtägiger Artillerieunterstützung. Es war ein schwieriges Gelände, reich an Wasserläufen und arm an natürlicher Deckung. Von Norden nach Süden fließt der Ypern- Yserkanal, östlich davon verläuft der Steenbeek, der eine ganze Reihe kleinerer Bäche aufnimmt. Veteranen von Verdun und der Somme behaupteten, Flandern sei noch furchtbarer gewesen.
Was dieses Schlachtfeld von anderen unterschied, läßt sich in einem Wort sagen: der Schlamm! Das Artilleriefeuer der Briten hatte die Bäche aus ihrem natürlichen Bett geleitet und fast ganz Westflandern in eine futuristisch anmutende Schlammwüste verwandelt. Dazu kamen die schwersten Regenfälle seit 30 Jahren. Stellungsbau war praktisch unmöglich geworden, die Deutschen machten dann Versuche mit Bunkern aus Beton. Die Soldaten beider Seiten waren dem Artilleriefeuer praktisch schutzlos ausgeliefert. Doch im weiteren Verlauf erwies sich der Schlamm für die Deutschen als Verbündeter. Die Tanks der Briten blieben stecken, ebenso wie ihr Nachschub. Zu Beginn der Offensive setzten die Deutschen erstmal Senfgas ein, in nur zwei Wochen hatten die Briten 14.000 Gaskranke, eine ganze Division zu beklagen. An manchen Tagen wurden mehrere Millionen Granaten verfeuert. Allein am 1. August 1917 ein vielfaches des gesamten Munitionsverbrauchs des Deutsch-Französischen Krieges. Wie bereits an der Somme erwiesen sich die Verteidigungswaffen als überlegen, ein paar Mann, vom Trommelfeuer verschont, konnten mit einigen MGs ganze Batailione zurückschlagen. Die Flandernschlacht erwies sich wieder als ein gigantisches Gemetzel.

Der erste Angriff erzeugte den Gegenstoß der Bereitschaftstruppen, dieser Gegenangriff prallte mit der zweiten Angriffswelle zusammen. Diese traf dann auf das Vorgehen der Stellungsreserven. Der dritte Angriff ging über den zweiten hinweg und traf auf die Sicherheitsbesatzungen der Deutschen. Der vierte Angriff aber stieß auf die vorgeschobenen Kompanien der Eingreifreserven. Natürlich verwirrten sich dabei die Einheiten in total verzettelten Kämpfen. In dieses Chaos traf dann der systematische Gegenangriff der Verteidiger, der das alte Vorfeld zurück eroberte. Die Angreifer erwarteten natürlich den Gegenstoß, hinter den zurückgehenden Truppen der ersten Angriffswelle standen schon Truppen für die nächste Angriffswelle bereit. Frontabschnitte wie das Nonneboschen und der Herenthage Park wechselten bis zu 16 Mal den Besitzer. Vor allem wurde äußerst verlustreich um das Dorf Passchendaele gekämpft. Die Briten lagen dort in äußerst ungünstigen Stellungen, an eine positive Entscheidung war nicht mehr zu denken. Dennoch erschien der Truppenführung der Besitz der Höhenstellung um Passchendaele als unerläßlich. Das einsmals wohlhabende Dorf war allerdings im Oktober 1917 längst völlig zerstört. Briten und Deutsche kämpften schließlich um ein zerpflügtes Schlammfeld, das freiwillig nicht einmal eine Ratte hätte bewohnen wollen, ohne Chance im Umkreis der nächsten 20 km auch nur einen grünen Streifen zu sehen. Die Briten hatten am Ende 320.000 Mann Verluste, die Deutschen 250.000 Mann. Wenn man Fotos des flämischen Kriegsschauplatzes vom Herbst 1917 sieht, wird man sich wundern, daß dort überhaupt noch etwas wachsen konnte. Die Stadt Ypern (Ieper, Ypres), eine der schönsten flämischen Städte und ein Zentrum der mittelalterlichen Tuchindustrie wurde völlig zerstört. Die St. Martinskathedrale, die historische Lakenhalle und der Grote Markt wurden allerdings nach dem Krieg originalgetreu wieder aufgebaut. In der Lakenhalle befindet sich heute das renommierte Museum In Flanders Field. Die Landschaft hat sich erstaunlich gut erholt, die Wälder rund um Ypern sind nachgewachsen, die flämischen Bauern finden aber heute noch Überreste der Schlacht.
 
Bravo, Scorpio, ein recht guter Artikel. Leider kann ich Dich nicht schon wieder bewerten...

Anzufügen ist eigentlich recht wenig, ich möchte aber noch 2 Buchtipps geben:

Lyn Macdonald: "They Called It Passchendaele: The Story of the Battle of Ypres and of the Men Who Fought in It "
Die Historikern LM hat seit den 1960er Jahren Augenzeugenberichte von Kriegsteilnehmern des 1. WK gesammelt und in jahrzehntelanger Arbeit ausgewertet. Ihre Bücher über den Krieg verbinden die offizielle Geschichtsschreibung mit den persönlichen Berichten von Kriegsteilnehmern beider Lager, vom Feldmarschall bis zum einfachen Soldaten.

Mehr unter:
http://www.amazon.de/They-Called-Pa...7/303-1385201-6638635?ie=UTF8&s=books-intl-de

Das 2. Buch wurde Mitte der 1920er Jahre vom deutschen Reichsarchiv herausgegeben und erschien unter dem Titel "Flandern 1917" als Band 27 in der Reihe "Schlachten des Weltkrieges" (hier natürlich die deutsche Sicht der Dinge, wobei jedoch auch auf die in Deinem Artikel genannten Unwägbarkeiten und äußeren Umstände Bezug genommen wird).

Gruß

Jacobum
 
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