Julikrise: Akteure und Gruppendynamik?

Bliblablub

Mitglied
Ihr seid alle tief drin und es ist spannend mitzulesen.


Hätte vier analytisch-schematische Fragen zur "Gruppendynamik" der Julikrise. Hab den Eindruck, es ist locker genug positiv-gesichertes Wissen da.
:angeln:

1.
a) Warum und
b) mit welchen Mitteln
konnten sich
die (1) Falken unter den Akteuren intern gegenüber den
(2) Moderaten und
(3) Indifferenten 1914 durchsetzen?

2.
Wie groß sind die jeweiligen "Lager"
(1) Falken;
(2) Moderate;
(3) Indifferente ) unter den Kriegsakteuern?

3.
Welche prävalenten Kriegshoffnungen haben die Falken der Akteure angetrieben?

(Auch abseits rein quellenpositivistisch-fassbarer Aussagen, die ja nur aus ihrem spezifisch-verengtem Handlungs- und Wahrnehmungsspielraum zweckgerichtet herausgesprochen wurden.

4.
Wie erreichten die Falken die Indifferenten, so dass die dann auf Kosten der Moderaten mitzogen?


Würde mich sehr interessieren.

Danke.
:friends:
 
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P { margin-bottom: 0.21cm; }A:link { } @ hatl, naja, ich finds halt ein bißchen mager, wenn ich auf meine belegten Argumente immer nur ein „Stimmt nicht“ höre. Man muss ja nicht mir mir diskutieren, aber dann hätte ich schon gerne etwas Futter. Die Behauptung, die russische Mobilmachung habe etwas Eskalierendes an sich gehabt, ist schlicht absurd (und übrigens auch infam): genau diese Mobilmachung wollte das deutsche Brinkmanship ja abtesten/herauskitzeln! Ich kann doch nicht jemanden provozieren, und wenn der Provozierte Wirkung zeigt, ihm dann den schwarzen Peter zuschustern (d.h. ich kann das machen, geschieht ja auch ständig, habe mich aber nicht zu beschweren, wenn ich dann demaskiert werde)! Genau das war ja auch der Zweck des deutschen Schachzugs – nämlich den Schwarzen Peter loswerden. Die gesamte deutsche Diplomatie spricht sich darüber in ihren internen Vermerken ganz offen aus. Wo dreht Russland an der Schraube, nur, weil es, der damaligen Machtlogik entsprechend, genau das tut, was Bethmann erwarten musste und auch erwartet hat? Und bitte dazu nicht Münkler lesen. Der glaubt ja sogar, Russland habe Deutschland den Krieg erklärt... ;-) (Ja, das ist jetzt Polemik!)


@Bliblablub da es keine relevanten Eskalationen von Seiten der Triple-Entente gab (jenseits des damals üblichen, also dass man zB irgendwann auch Kriegsvorbereitungen startet – die deutschen starteten übrigens spätestens am 9. Juli), beantworte ich das mal für Deutschland: Die Falken in Deutschland gingen spätestens Dezember 1912 von der Unvermeidlichkeit des Krieges aus. „Je eher, desto besser“ - Moltke wortwörtlich. Und immer wieder. Röhl hat jüngst noch einmal darauf hingewiesen. Irgendwann muss die „Krieg-muss-jetzt-wohl-sein“-Stimmung auch die zivile Reichsleitung erreicht haben. Vermutlich wie immer in solchen Fällen, indem man das Ausmaß der angeblichen Bedrohung maßlos übertrieb (die irakischen Massenvernichtungswaffen, Sie verstehen...). 1916/17 sind die neuen russischen Eisenbahnen fertig, Russland mobilisiert dann sehr schnell, wir sind chancenlos gegen die russische Dampfwalze etcetc. Diese (Selbst?)Suggestion kann man spätestens ab Dezem 1912 immer und immer wieder nachweisen. Irgendwann dürfte dann auch die zivile Reichsleitung sturmreif geschossen gewesen sein. Im Frühjahr hat Moltke Jagow noch einmal bekniet, jetzt aber bitte den Krieg auszulösen. John Röhl sieht es goldrichtig: Die Belege dafür, dass die Falken in Berlin diesen Krieg schlicht haben wollen, türmen sich. Wir haben dem gegenüber keinen Beleg, wohlgemerkt keinen, dass eine der Triple-Entente-Mächte zum Krieg provoziert hat – für 1914 sowieso nicht, aber auch für einen etwaig 1916/17 geplanten gibt es keinen Beleg.


Hier Röhl. Man kann es in Nuancen anders sehen – am prinzipiellen Willen zum Krieg, den die Falken in Berlin seit 1912 an den Tag legten, kann es aber keine Zweifel geben.
Ausbruch des Ersten Weltkriegs - Wie Deutschland 1914 den Krieg plante - Süddeutsche.de Dort auch weitere Belege in Hülle und Fülle. Lügt Röhl?


Für Österreich: Österreich-Ungarn war 1914, wenn man so will, erledigt, finanziell (wie Schulte jüngst nachwies) und auch sonst. Verzweifeltes Hazardspiel der Falken in Wien, die den nicht mehr zu vermeidenden Abstieg nicht wahrhaben wollten und sich vom Krieg absurderweise einen Gesundungsprozess versprachen.


Ich mache mir in the long run keine Sorgen. Der aggressiv vorgetragene Revisionismus (Fritz Fischer würde heute keinen Proseminarschein mehr bekommen, dröhnt eben jener Münkler, der sich in seinem Buch unsterblich blamiert hat mit der russischen Kriegserklärung an Deutschland) wird nicht durchkommen, dazu sind die Fakten zu eindeutig. Aber es ist symbolisch mies, dass uns ausgerechnet zum Hundertsten dergleichen serviert wird.
 
Danke Juli-Kri.

Was haben sich Moltke - und seine Parteigänger - für's Reich ... versprochen?

Hatte diese Gruppe Konzeptionen abseits vom Militärischen bzw. "Verteidigungs"politischen?

Du schreibst, in Österreich hätten die Falken sich eine Art "Gesundung" versprochen? Sehr interessant; was haben die darunter verstanden?

Das klingt schon nach einer innenpolitischen Teilmotivation. Schlummern da alternative Verfassungsideen etc. im Hintergrund?

Lg
 
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P { margin-bottom: 0.21cm; } Und auch das sei klar gesagt: Klar gab es auch auf seiten der Triple-Entente Falken. Nikolaijewitsch, Oberstleutnant Dupont (der ähnlich begeistert durchs Pariser Kriegsministerium hüpfte wie Wenninger in Berlin, als der Krieg endlich da war), Joffre wohl auch, Admiral Fisher, auch und gerade, darf man ruhig mal sagen, Winston Churchill. Nur: Die haben, im Gegensatz zu den Falken in Berlin und Wien, nie die Politik bestimmt, nie die Politik am nasenring durch Europa führen können.


Was wäre passiert, wenn am 30. abends in etwa folgendes Telegram von Berlin nach London abgegangen wäre:


„Bitte Sir Grey sagen, dass wir halt-in-Belgrad auch schon vorgeschlagen haben, dass wir gute Möglichkeiten sehen, gemeinsam Krieg zu vermeiden, wenn London und Berlin beide sich für Faustpfandplan stark machen. Unsere Vermittlungsbedingung: Wien muss Satisfaktion haben.“ etcetc


Erstens: Wenn London eingeschlagen hätte – und das hätten sie mit Sicherheit – hätte es keinen Krieg gegeben. Siehe erfolgreiche Vermeidungsstrategie 2 Jahre früher Balkankrieg (als berlin Wien zurückhielt und London St. petersburg)


Zweitens: Daraus hätten sich ganz neue Bindungen an London ergeben können.


Aber Berlin wollte ja nicht. Berlin gab lieber zwei Jahrzehnte lang den diplomatischen Ochs im Porzellanladen („Viel Feind, viel Ehr“). Hinterher fühlte es sich eingekreist (es hat sich eher, wie Gasser zu recht sagt, selber planmäßig ausgekreist) und hielt alle Welt für bösartig. Es ist gar nicht aus zu denken. Alles hätte anders kommen können.


Ach so um das mal schnell noch zu erledigen: Von fehlendem Vertrauen weil wg englisch-russischer Marinegespräche kann hinten und vorn keine Rede sein. Schon 1911 liefen die Kaisermanöver unter der angenommenen Lage „Abwehr Landung in Pommern“ (Bernd Schulte). Dass England und Russland verbandelt sind und solche Gedankenspiele hegten wusste Berlin seit eh. Man komme mir nicht so, dass auf einmal 1914 im Mai/Juni kein „rechtes Vertrauen“ mehr dagewesen sei. Spekulationen über Anlandungen von Truppen von See her waren damals regelrecht Mode. Vergl Erskine Childers damals berühmter Roman „Rätsel der Sandbank“...
 
@bliblablub

Conrad (Vertreter Falken in Wien) wollte den gesellschaftlichen status quo bewahren. Für Dtld wurde ähnliches angenommen (These von der innenpolitischen Motivation zum Krieg), was mE aber nur zum Teil stimmt. Die Alldeutschen hatten geistig gleichsam das sagen im Reich, forcierten immer wieder die Öffentlichkeit, machten Stimmung gegen "Flaumacher", zu denen sie auch Bethmann rechneten. Die Alldeutschen sind als legitimer Vorfahre der Nazis zu deuten; Heinrich Claß Buch "Wenn ich der Kaiser wär" ist regelrecht als Band 1 von "mein Kampf" zu sehen. Deutschland brauche Raum wg Bevölkerungsüberschuß, dieser Raum sei per Krieg zu beschaffen, die Bevölkerung, die bisher dort lebte, sei zu "evakuieren" (er meint sog ethnische Säuberung oder Völkermord), die Juden die Slaven, die Schwarzen ohnedies...alles keine wirklichen menschen, denen sei man als Germane nichts schuldig. General Bernhardi äußerte ibn seinem Buch über Deutschland und den nächsten Krieg ganz ähnliche Gedanken. Beide Bücher waren frei verkäuflich in Deutschland und erregten einiges Aufsehen.
 
Zur "Gesundung": das war auch in Dtld verbreitetes Thema. Ein Krieg, so notierte mal ein Generalstäbler, würde zwar für Einzelne Schmerzen bedeuten, das Volk (das hier als monolithischer Block gedeutet wird, quasi schon als Volksgemeinschaft) würde aber innerlich gesunden...was immer damit gemeint war. Vielleicht: sich als ein Volk fühlen?
 
Freut mich.
Danke Juli-Kri.

Hast du eine "Bauchschätzung" - inwieweit die Haltung der Falken der sog. "öffentlichen Meinung" entsprach: also ca. 1/10, 1/5, 1/3 oder 1/2 etc. der Bevölkerung?
Hier der Haltung von
a) Moltke (von dessen Wertschätzung Wilhelms II. abgesehen) und
b) Conrad.

Warum konnten - oder mussten (?) - die Moderaten geradezu blitzartig via vollendeter Tatsachen "überrumpelt" werden?
 
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Freut mich.
Danke Juli-Kri.

Hast du eine "Bauchschätzung" - inwieweit die Haltung der Falken der sog. "öffentlichen Meinung" entsprach: also ca. 1/10, 1/5, 1/3 oder 1/2 etc. der Bevölkerung?
Hier der Haltung von
a) Moltke (von dessen Wertschätzung Wilhelms II. abgesehen) und
b) Conrad.

Warum konnten - oder mussten (?) - die Moderaten geradezu blitzartig via vollendeter Tatsachen "überrumpelt" werden?

Da müssten wir uns - bessere Daten haben wir nicht - die Reichstagswahlen anschauen (absuolute Auszählung der Stimmen, nicht Reichstagsmandate, denn per Wahlgesetz wurde zB die SPD klar benachteiligt). Und da muss man sagen: Die Falken hatten k e i n e Mehrheit. Aber sie saßen an den Schaltstellen! Its the Schaltstelle der Macht, stupid, wenn ichs mal so ausdrücken darf. Übrigens: In demokratischen oder auch nur noch halbdemokratischen Wahlen (März 33) hat auch die NSDAP nie die absolute Mehrheit von 50 plus 1 Stimme Prozent erreicht. Das soll nichts entschulden. Aber man muss es wahrnehmen, damit die Analyse nicht fehl geht.

Zur Überrumpelung: ich habe, ohne es zu billigen, dafür menschlich Verständnis. Was würdest Du tun, wenn Dir verklickert wird (von Militärs, die "es ja wissen müssen"): Wir müssen jetzt Krieg erklären, sonst ist der Russe in 30 Tagen in Berlin! Würdest Du die Verantwortung dafür übernehmen können? Ich nicht... ich wäre auch schwach geworden, ich sage das ganz offen.

In der Julikrisendebatte müssen wir uns nicht darum kümmern, wer zum Krieg eskaliert hat. Es war primär Deutschland (sekundär ÖU), und punkt. Jede anders lautende Betrachtung muss Fakten fälschen oder ignorieren. Siehe den von mir verlinkten Röhl-Artikel. Berlin und Wien wollten Krieg.

Wir müssen uns vielmehr darum kümmern: Wie, um alles in der Welt, gelang es den Falken, gegen die Mehrheit eine solche Macht zu erlangen, dass sie zum Krieg blasen konnten? Die Frage ist aktuell wie kaum eine andere.
 
Das klingt schon nach einer innenpolitischen Teilmotivation. Schlummern da alternative Verfassungsideen etc. im Hintergrund?

In Ö-U war Innenpolitik auch gelichzeitig Außenpolitik. Viel deutlicher wie in anderen Staaten, so zumindest die Aussage der entsprechenden Historiker. Ein Waffengang, mit außenpolitischen Folgen, hatte automatisch Rückwirkungen auf die heterogene Struktur und Balance in den Vielvölker-Staat, also innenpolitisch.

Es stand eine "alternative" Verfassungsidee im Raum, deren Protagonist vor allem Franz Ferdinand war. Neben der förderalen Teilung von Österreich und Ungarn sollte noch "Serbien" als drittes Gebiet hinzukommen. Und so ein komplett neuer "Vielvölkerstaat" entstehen, in dem die Interessen besser balanciert werden sollten. Das sollte radikale Strömungen, vor allem in Serbien wie die "Schwarze Hand" etc., die Unterstützung in der Bevölkerung entziehen.

Das hätte Vor- und Nachteile gehabt.

1. Die Integration der "Süd-Slawen" (Bosnien Herzegowina etc.) wäre besser gelöst worden. Und hätte den Patriotismus / Nationalismus reduziert.
2. Die Serben wurden provoziert, da diese Konzeption ihren eigenen Vorstellungen von einem "Groß-Serbischen" bzw. "Süd-Slawischen" Reich entgegenstanden.
3. Die Ungarn wurden provoziert, da sie ihre politische Stellung reduziert hätte.
4. Die Österreicher wurden provoziert, da sie ohnehin stärker in Richtung DR sahen und sich dort die politische Zukunft erhoffen.

Vor diesem Hintergrund wird ansatzweise deutlich, wie schwierig die politischen Vorstellungen in Wien 1914 zu beurteilen waren.

Einig war man sich am ehesten darin, dass die Lage extrem kompliziert war. Und es einer "Lösung" bedurfte. Dass sich Conrad, und damit die Kriegspartei, dabei durchgesetzt hatte bzw. durchsetzen konnte war nur möglich durch die Ermordung von Franz Ferdinand. Er war am deutlichsten gegen mlitärische Lösungen und es ist eine gewisse Form der Ironie, dass seine Ermordung als Vorwand für den Krieg genutzt worden ist.
 
Wir müssen uns vielmehr darum kümmern: Wie, um alles in der Welt, gelang es den Falken, gegen die Mehrheit eine solche Macht zu erlangen, dass sie zum Krieg blasen konnten? Die Frage ist aktuell wie kaum eine andere.

Ja!

Zur Überrumpelung: ich habe, ohne es zu billigen, dafür menschlich Verständnis. Was würdest Du tun, wenn Dir verklickert wird (von Militärs, die "es ja wissen müssen"): Wir müssen jetzt Krieg erklären, sonst ist der Russe in 30 Tagen in Berlin! Würdest Du die Verantwortung dafür übernehmen können? Ich nicht... ich wäre auch schwach geworden, ich sage das ganz offen.

Verständlich, wenn
a) die anderen Wilhelm-Berater entweder ähnlicher Meinung sind (dass sich also personalpolitisch oder wie auch immer eine kritische Masse an "Falkenkorpsgeist" im Beraterstab gebildet hatte) oder
b) die Moderaten - warum auch immer - nicht durchdrangen? Gab es da noch welche im Beraterstab?

LG
 
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Ja!



Verständlich, wenn
a) die anderen Wilhelm-Berater entweder ähnlicher Meinung sind (dass sich also personalpolitisch oder wie auch immer eine kritische Masse an "Falkenkorpsgeist" im Beraterstab gebildet hatte) oder
b) die Moderaten warum auch immer nicht durchdrangen? Gab es da noch welche im Beraterstab?

LG
Streng genommen gab es einen Moderator - den Botschafter in London (Lichnowsky), vielleicht ansatzweise noch einen zweiten (Pourtales in St. Petersburg). Lichnowsky wurde dann während des krieges unfassbarer-, aber auch bezeichnenderweise geblamet, er habe versagt etcetc. Lichnowsky hat nicht nur in seiner berühmten Antwort an Jagow klargestellt, das Gerede mit der demnächst drohenden militärischen Überlegenheit der Russen höre er seit 30 Jahren. Er hat - die zunehmende Verzweiflung dieses Mannes, der am Ausbruch des Krieges zerbrochen ist, ist mit allen Händen greifbar - dann auch bekanntlich dargetan: Man möge doch bitte an die Neutralität Englands nicht länger glauben, England werde nicht neutral bleiben, und er bitte gehorsamst anmerken zu dürfen, dass man doch dem deutschen Volk einen Krieg erspare, in dem es nichts zu gewinnen und alles zu verlieren habe. Die Falken in Berlin haben Lichnowsky gehasst. Riezler vorneweg. Auch ein Motiv, seine TBs zu verfälschen...
 
Vor diesem Hintergrund wird ansatzweise deutlich, wie schwierig die politischen Vorstellungen in Wien 1914 zu beurteilen waren.

Einig war man sich am ehesten darin, dass die Lage extrem kompliziert war. Und es einer "Lösung" bedurfte.

Welche Konzepte wurden ausgestochen - und wie?

Lg
 
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@ Juli-Kri

Nur einer? Nur Lichnowsky? Wie kommt das denn zustande? :motz:

Point of no return dann früheres Problem im Blick auf Personenkonstellation, die nur auf den passenden Moment spechtet?
 
@ Juli-Kri

Nur einer? Nur Lichnowsky? Wie kommt das denn zustande? :motz:

Point of no return dann früheres Problem im Blick auf Personenkonstellation, die nur auf den passenden Moment spechtet?


ja, ist wohl leider so. "Große Männer machen Geschichte" hin oder her, sozialgeschichtlicher Ansatz hin oder her...die oberen Posten mussten vom Kaiser bestätigt werden, so war die Verfassung. Und da spielt es schon eine Rolle, wie der Mann (Frauen schieden aus im kaiserlichen Deutschland) beschaffen ist, der Personalentscheidungen zu bestätigen hat. Lichnowsky ist nur durchgewunken worden - trotz Bedenken, übrigens gerade wegen seiner Frau Mechtilde - , weil man eine Zeit lang auf Verständigung mit England hoffte. (Man wusste: das ist so n peaceiger, n England-Lieber)
 
@ Juli-Kri
Mensch, Mensch! Danke.

Gibt es da Untersuchungen zur Ratgeberkonstellation?
Also nach welchen Kriterien sie bestellt wurden u evtl. personalpolitische "Brüche" zugunsten einer entschiedenen Kriegspartei im Umfeld Wilhelms?
 
@ Juli-Kri

Nur einer? Nur Lichnowsky? Wie kommt das denn zustande? :motz:

Point of no return dann früheres Problem im Blick auf Personenkonstellation, die nur auf den passenden Moment spechtet?


Ergänzend. Es gab natürlich noch andere. Franz Pfemfert etwa, oder Arthur Bernstein. Die hatten öffentlichern, aber keinen direkt politischen Einfluß.

Franz Pfemfert ? Wikipedia

Bernstein, 30. Julin 1914, durfte nicht mehr veröffentlicht werden aus bis heute unklaren Gründen:

Es besteht kein Zweifel mehr, die Nikolajewitsche diesseits und jenseits wollen den Krieg…Die Militärs wittern Gloire, und da die verantwortlichen Politiker in Deutschland nie mitzureden haben, wenn die Militärs sich unterhalten, werden Bethmann und Jagow sich bescheiden. (…) In wenigen Tagen wird niemand mehr die Wahrheit schreiben dürfen.
Darum also im letzten Augenblick: Die Kriegshetzer verrechnen sich. Erstens: es gibt keinen Dreibund. Italien macht nicht mit, jedenfalls nicht mit uns; wenn überhaupt, so stellt es sich auf die Seite der Entente. Zweitens: England bleibt nicht neutral, sondern steht Frankreich bei…England duldet auch nicht, daß deutsche Heeresteile durch Belgien marschieren, was seit 1907 allgemein bekannter strategischer Plan ist (sic!). Kämpft aber England gegen uns, so steht die ganze englische Welt, insbesondere Amerika, gegen uns auf. Drittens: Japan greift Russland nicht an, wahrscheinlich aber uns…(…) Österreich-Ungarn ist militärisch kaum den Serben und Rumänen gewachsen. Wirtschaftlich kann es sich gerade 3-5 Jahre selbst durchhungern. Uns kann es nichts geben. (…)
Unsere Botschafter kennen die Lage ganz genau. Auch Herr Bethmann muß sie kennen. Es ist nicht denkbar, daß er das Reich durch Unverantwortlichkeit in einen drei- bis fünfjährigen Krieg hineinsteuern läßt, während er aus Scheu vor den Drohungen der Alldeutschen und Militaristen seiner Verantwortlichkeit sich entledigt. Ob wir am Ende dieses furchtbarsten Krieges, den die Welt je gesehen haben wird, Sieger sein werden, stehe dahin. Aber selbst wenn wir den Krieg gewinnen, so werden wir nichts gewinnen…Geld als Kriegsentschädigung wird am Ende des Gemetzels nirgends mehr zu finden sein…Deutschland führt den Krieg um nichts, wie es in den Krieg hineingegangen ist um nichts. – Eine Million Leichen, zwei Millionen Krüppel und 50 Milliarden Schulden werden die Bilanz dieses ‘frischen, fröhlichen Krieges’ sein. Weiter nichts. (Bernstein, Arthur, Script “Die letzte Warnung” zitiert nach: Ludwig, Emil, Juli 14, Hamburg 1961, p.97-98)
 
Franz Pfemfert ? Wikipedia

Bernstein, 30. Juli 1914, durfte nicht mehr veröffentlicht werden aus bis heute unklaren Gründen:

Thesen?

Es besteht kein Zweifel mehr, die Nikolajewitsche diesseits und jenseits wollen den Krieg…​

Wofür / stand Nikolajewitsch, der offenbar als verkörpertes Pars pro toto bekannt war? Alleinige "Gloire"-Fixierung? Als prävalentes Motiv verständlich, aber als nix mehr drüber raus?

Die Kriegshetzer verrechnen sich.

Welche Gruppe waren die Adressaten Pfemferts? Anti-Kriegslager oder Moderate?

Interessant, dass er - evtl. stellvertretend für mehrere dieser Meinung - offenbar "so leicht" kaltgestellt worden ist / werden konnte.

Lg
 
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@bliblablub

bitte Pfemfert, Die Aktion, Berliner Expressionismus, teilweise (nicht ganz!) radikal links, nicht mit dem linksliberal etablierten Journalisten Bernstein verwechseln. Hier Pfemfert, 27. Juli 14:

I
Das also ist die Kulturhöhe, die wir erreichten: Hunderttausende, die gesündesten, wertvollsten und wertevollsten Kräfte, zittern, daß ein Ungefähr, ein Wink der Regierer Europas, eine Böswilligkeit oder eine sadistische Laune, ein Cäsarenwahn oder eine Geschäftsspekulation, ein hohles Wort oder ein vager Ehrbegriff, sie morgen aus ihrem Heim jagt, hinweg von Weib und Kind, hinweg von Vater und Mutter, hinweg von allem mühselig Aufgebauten, in den Tod. Der irre Zufall kann heute, kann morgen, kann jede Minute rufen, und alle, alle werden kommen. Der Not gehorchend – aber gehorchend. Anfangs werden sie heulen, da sie ihr bißchen Erdenglück zusammenbrechen sehen, – bald jedoch werden sie, wenn auch nicht mit ganz sauberer Unterwäsche, vom allgemeinen Taumel besessen sein und besinnungslos morden und ermordet werden.
II
Es ist dumm, ein Wort der Vernunft zu sprechen, wenn die Stunde der Vernunft nicht da ist. Heute Manifeste zu schreiben, Resolutionen für den Frieden zu fabrizieren, nichts Zweckloseres gibt es, nichts Belangloseres. Und wenn die internationale Sozialdemokratie jetzt phrasentoll die “Schmach des Krieges brandmarkt”, wo die Genossen sich vielleicht schon zum Marschieren rüsten, sollte man die Führer auslachen oder auspeitschen. Denn allein die Pflichtvergessenheit armseliger Mandatsschacherer ist schuld, daß die Völker Europas noch heute (wie vor 50 Jahren) vor der Möglichkeit eines Weltbrandes zu bangen haben. Wäre die bombastisch quasselnde Viermillionenpartei nicht jahrzehntelang nationalistisch gedrillt worden, wir könnten heute jedes Kriegsgeheul heiter hinnehmen.
III
Möglich, daß die Gefahr, zu neun Zehntel durch gewissenlose Preßpiraten genährt, noch diesmal vorübergeht. Wenn diese Zeilen im Druck erscheinen (ich schreibe sie den 27. Juli im extrablattlosen Ilsenburg), ist das große Massenmorden vielleicht schon wieder vertagt worden. Wir werden dennoch keinen Anlaß zum Jubeln haben: das Bewußtsein bleibt: es kann jede Minute eine neue Gefahr kommen, der Chauvinismus ist die ständige Lebensgefahr der Menschheit. Er, allein er, kann über Nacht aus Millionen Vernunftswesen Besessene machen: dieser Gedanke muß uns wachhalten, auch wenn die Gefahr sich schnarchend stellt.
IV
(Was Deutschland, “realpolitisch” gesehen, von einem Weltkrieg zu hoffen, zu fürchten hat, diese Frage geht nur “Patrioten” an. Unsere Patrioten mögen sich damit abfinden, daß Preußen durch seine Polenpolitik dem Zarismus einen wertvollen Verbündeten gewaltsam aufdrängte, daß Schleswig und Elsaß-Lothringen so wenig Gelegenheit fanden, schwarz-weiß-rot lieben zu lernen.)
 
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