Mobilmachung/Grenzverletzungen August 1914: Smoking Guns?

Bdaian

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Welche russischen Truppen überfielen vor dem 1.Aug. 1914 Deutschland?

....
Deine Formulierung zeigt, dass du die antwort bereits kennst: Die Übergabe der Kriegserklärung durch das DR erfolgte am 1. August 1914 um 19:00. Am selben Tage sind jedoch bereits Russische Kavalleriespitzen in Ostpreussen eingedrungen und lieferten sich Schiessereien mit deutschen Grenzposten, z.B. bei Prostken.
 
Freiburger Zeitung vom 2. August 1914

Hier nur eine kleine Meldung am Rande:
 

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Ich weiss, es ist für die Katz, ich wollte jedoch nur kurz drauf hingewiesen haben dass ALLE beteiligten offensive Kriegspläne hatten

Das ist absolut richtig und wurde hier schon ausführlich diskutiert, wie bei J. Snyder ausführlich beschrieben (J. Snyder: The ideology of the offensive, 1984).

Und am aktuellesten zu den Kriegsplänen der einzelnen Länder bei Hamilton & Herwig (Hamilton & Herwig (Ed): War Planning 1914. 2010

und ganz konkret Russland vor dem DR mobilisiert

Eine ausgesprochen komplizierte Materie, die diplomatische und militärische Aspekte der Mobilisierung miteinander verbindet.

Die Aktivitäten Russalnds zielten zunächst auf Ö-U ab und man signalisierte, gerade mit der Teil-Mobilmachung, dass sie zwar im politischen und militärischen Sinne Ö-U abschrecken soll, aber gegenüber dem DR deeskalierend gemeint war. Eine Sichtweise, die Pourtales (DR-Botschafter in Petersburg) zwar theoretisch verstand, aber praktisch für irrelevant hielt. Von Trachtenberg, Levy und Stevenson kommen die entsprechenden Basisbeiträge zum Thema Mobilisierung.

Erstaunlicher- und unverständlicherweise greift Clark diese Diskussion gar nicht auf bei der Diskussion seiner Sicht zur russischen Mobilisierung.

- M. Trachtenberg: The Meaning of Mobilization 1914, International Secutity, Vol. 15, No. 3, (1990/91) S. 120-150

- Antwort auf Trachtenberg hier:
J. Levy, T.Christensen & M. Trachtenberg: Correspondence: Mobilization and Inadvertence in July Crisis, International Security, Vol. 16, No. 1 (1991), S. 189-203

- Fortführung des Gedankens bei:
D. Stevenson: War by timetable? The Railway Race before 1914. Past and Present, No 162, Feb. 1999, S. 163-194)

Die unterschiedlichen Phasen der russischen Mobilisierung werde ich noch ausführlich im entsprechenden Thread diskutieren.

Russland ...noch vor der Kriegserklärung auf deutsches Territorium vorgedrungen ist.

Das wären wohl eher, sofern überhaupt stattgefunden, mehr oder minder unbeabsichtigte "Grenzverletzungen", die im Zuge des Aufmarsches stattfinden können. Bei Stone findet sich die Aussage, dass die russische Invasion von Ost-Preußen am 15. August 1914 begann.

N. Stone: The eastern front. 1914-1917, 1975, S. 48

OT Im Zuge der Mobilisierung der Nato-Truppen während des Prager Frühlings sind auch Nato-Einheiten, irrtümlich auf östliches Gebiet vorgestoßen. Allerdings ohne Schusswechsel.

@kwschaefer: Ich will die Meldung gar nicht in Frage stellen, da ich den Gegenbeweis nicht antreten kann. Dennoch: Gerade weil es von extrem hoher innenpolitischer Bedeutung war, den Russen die Schuld für den Beginn zu geben, auch um die Sozialdemokratie im Boot zu halten, sind manche Meldungen oder Telegramme kritisch zu beurteilen. Wie beispielsweise das Telegramm von KW II an Nikolaus Ende Juli.
 
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Zur russischen Mobilmachung

Zu der von dir genannten Literatur kann ich, leider, aus bekannten Gründen nichts sagen. McMeekin schreibt, das in Russland in den frühen Morgenstunden des 26.Juli die Kriegsvorbereitungsperiode begann. Sasonow hatte Buchanan und Palèologue mitgeteilt, das sich diese Maßmaßnahme auf die vier Militärbezirke beschränkt bleibe, die Österreich-Ungarn gegenüberliegen.(1)

Tatsächlich wurden aber sechs Distrikte, nämlich Warschau, Wilna, Kasan, Kiew, Moskau und Odessa einbezogen. (2)

David Stevenson schreibt auch, das Russland am 26.Juli entscheidend an der Eskalationspirale drehte, indem es Maßnahmen zur Vorbereitung der Mobilmachung trafen. (3) er berichtet weiterhin, das dies den Deutschen und Österreichern nicht verborgen bleiben konnte und diese alarmieren musste. Diese Abschreckung, wenn sie denn eine war, war wie die weiteren Ereignisse zeigten nicht möglich als Instrument der Diplomatie eingesetzt zu werden. Das war ja wohl auch ein ziemlich heftiger Schritt.


(1) McMeekin, Julikrise, S.265f

(2) McMeekin gibt hierfür als Quelle das Journal of the Committee of the Russian General Staff an

(3) Stevenson, Der Erste Weltkrieg
 
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Die Aktivitäten Russalnds zielten zunächst auf Ö-U ab und man signalisierte, gerade mit der Teil-Mobilmachung, dass sie zwar im politischen und militärischen Sinne Ö-U abschrecken soll, aber gegenüber dem DR deeskalierend gemeint war. Eine Sichtweise, die Pourtales (DR-Botschafter in Petersburg) zwar theoretisch verstand, aber praktisch für irrelevant hielt. Von Trachtenberg, Levy und Stevenson kommen die entsprechenden Basisbeiträge zum Thema Mobilisierung.

Wie zum Teufel, soll eine Mobilmachung deeskalierend gemeint sein?

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Das wären wohl eher, sofern überhaupt stattgefunden, mehr oder minder unbeabsichtigte "Grenzverletzungen", die im Zuge des Aufmarsches stattfinden können. Bei Stone findet sich die Aussage, dass die russische Invasion von Ost-Preußen am 15. August 1914 begann.

N. Stone: The eastern front. 1914-1917, 1975, S. 48

OT Im Zuge der Mobilisierung der Nato-Truppen während des Prager Frühlings sind auch Nato-Einheiten, irrtümlich auf östliches Gebiet vorgestoßen. Allerdings ohne Schusswechsel.

@kwschaefer: Ich will die Meldung gar nicht in Frage stellen, da ich den Gegenbeweis nicht antreten kann. Dennoch: Gerade weil es von extrem hoher innenpolitischer Bedeutung war, den Russen die Schuld für den Beginn zu geben, auch um die Sozialdemokratie im Boot zu halten, sind manche Meldungen oder Telegramme kritisch zu beurteilen. Wie beispielsweise das Telegramm von KW II an Nikolaus Ende Juli.

Es gibt viele Zeugnisse dass es ab den 1. August inklusive, verschiedene Grenzverletzungen und Vorstöße gab. Das waren keine "Zufälle" sondern die Vorzeichen einer großen Invasion. Und angesichts der damaligen Kommunikationsmittel, war das keine "Reaktion" auf die Kriegserklärung sondern etwas, das bereits im Gange war.

Als erste deutsche Kreisstadt wurde übrigens Markgrabowa am 14. August besetzt, also noch vor dem von dir erwähnten vermeintlichen Beginn der Offensive am 15. August.
 
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Ich bin ja nur Laie im Bereich Neuere Geschichte, doch soweit mir bekannt, gab es auch Grenzverletzungen im Westen. Ein dt. Offizier-Trupp des 143. IR erkundete nahe Saales, NE von St.Die am 31.7., das 14. JägerBTL klärte am 2.8. nahe Markirch auf, mehrere Kavallerie-Einheiten klärten im südlichen Bereich der Vogesen auf und an der Burgundischen Pforte, die 3. Schwadron des 6. berittenen JägerBTLs geriet dabei auf Schweizer Gebiet und hatte Verluste.
Am 1. und 2., sowie 2. und 3.8 wurden von den Franzosen deutsche Positionen am westlichen Ausgang des Schlucht-Passes bei Mühlbach und westlich Metzeral angegriffen, ebendso bei Markirch. Feindliche französische Patrouillen wurden auch bei Avricourt, nahe Urbeis, nw von St.Amarin, nahe Ober-Traubach und Altmünsterol aktiv.
 
Da das Thema Grenzverletzungen (um den 1.8.1914 herum ) eingeführt worden ist:

Was haben diese berichteten Grenzverletzungen nun mit der Frage des "wie" zum Kriegsausbruch ("wie" im Sinne der Methodik von Clark), oder mit der Frage von Vermeidbarkeit und - im engeren Sinne - Verantwortlichkeit für den Kriegsausbruch 1914 zu tun?
 
In wie weit es die Frage nach der Verantwortlichkeit für den Krieg direkt oder indirekt beantwortet mag dahingestellt sein. Meiner Meinung nach zeigt es aber, daß von einem defensiven Verhalten Frankreichs und Rußlands keinesfalls die Rede sein kann. Dies zeigt sich auch daran, daß Frankreich kurz vor Deutschland die Mobilisierung befahl. Ich bin immer wieder überrascht, wenn beklagt wird, daß Deutschland daraufhin losschlug. Sollte Deutschland warten, bis Frankreich und Rußland voll mobilisiert hatten und ihre Truppen in Stellung gebracht haben oder bis beide Heere in Deutschland eingefallen wären? Deutschlands Schuld oder Verantwortung liegt meines Erachtens vor allem darin, daß man sich politisch in eine Position brachte und bringen ließ, in der es keine wirklichen Alternativen gab.
 
Da das Thema Grenzverletzungen (um den 1.8.1914 herum ) eingeführt worden ist:

Was haben diese berichteten Grenzverletzungen nun mit der Frage des "wie" zum Kriegsausbruch ("wie" im Sinne der Methodik von Clark), oder mit der Frage von Vermeidbarkeit und - im engeren Sinne - Verantwortlichkeit für den Kriegsausbruch 1914 zu tun?

Es war als Antwort auf den Teilnehmer geschrieben, der behauptete, Franzosen und Russen hätten rein deffensiv reagiert. Diese Behauptung ist schlicht nicht haltbar.

Kleine Schiessereinen zwischen Grenzposten aussen vor gelassen, dass jedoch gleich am ersten Tag des krieges die Russen auf deutsches Territorium vordrangen und nach wenigen Tagen die erste Statt eroberten, zeugt von Vorbereitung und offensiven Absichten. Die russischen Manöver der letzten jahre vor den Krieg sollen auch völlig auf einen Krieg gegen Deutschland ausgelegt gewesen sein.
 
Das habe ich dann anders verstanden.
Den Gedanken bzgl. Grenzverletzungen und ihre Bedeutung für die diskutierte Frage des „wie“ oder „warum“ 1914 hattest Du im Beitrag #593 in dem anderen thread zum Kriegsausbruch erwähnt, in Bezug auf Russland.
http://www.geschichtsforum.de/710868-post593.html

Ich greife das mal für Frankreich auf:
In der militärhistorischen Literatur werden zwar offensive-defensiv-Unterscheidungen angestellt, jedoch nicht in Zusammenhang bzw. einer Kombination von Grenzgeplänkel/Kriegsausbruch 1914/strategischen Plänen. Der Kontext für Frankreich ist folgender:

Joffres Planungen für den Kriegsfall gingen davon aus, dass deutsche Sperrkräfte im Osten verbleiben würden, und eine deutsche Armee von über 1 Mio. Mann, mglw. 1,5 Mio. im Westen anmarschieren würde. Obgleich diese über neutrales Territorium marschieren würde, hielt er bereits vor dem Krieg die deutschen Kräfte dabei im Verlauf des Vorstoßes für überdehnt (was hier weiter keine Rolle spielt). Der Rest ist nach der militärhistorischen Literatur Geplänkel.

Hamilton/Herwig; War Plans 1914
Kennedy, Knowing One’s Enemy

Doughty: French Strategy in 1914 - Joffre's Own, JoMH 2003, S. 427-454:
“After learning on 29 July that the Germans had strengthened their covering forces on the Franco-German border, the Viviani government on the following day approved placing part of France's covering forces along the border but keeping them ten kilometers from the frontier. To avoid escalating the crisis, only those troops who were close enough to march to the frontier, rather than ride, moved forward. When Austria and Russia began full mobilization on 30-31 July, Joffre demanded permission on 31 July to place the entire covering force along the border. After citing German steps toward mobilization, he insisted that further delays could result in France's having to abandon part of its territory.

That afternoon, after a meeting of the Council of Ministers, the Premier, René Viviani, approved sending the entire covering force to the border but ordered it to remain ten kilometers from the frontier. On Saturday, 1 August, the Council of Ministers decided it could not
delay mobilization any longer and authorized the Minister of War to issue the order that afternoon. At 1530 hours Messimy signed the
mobilization order and twenty-five minutes later the news flashed via telegram across France. That same day, Germany declared war on Russia, and the next day, 2 August, the day prior to the German declaration of war on France, small groups of German troops crossed the French border at several points. Though the Minister of War had emphasized earlier the importance of not having anyone enter Germany, he immediately reversed himself and informed Joffre that he had "absolute liberty of movement for executing his plans even if this results in the
crossing of the German frontier. But he did not permit French forces to enter Belgium.

At 1730 hours, Joffre sent an order to the commanders of the six corps in the covering force which said, The intention of the commandcr-in-chief is not to launch a general offensive until his forces are assembled. That warning order gave specific missions to each of the corps in the covering force; of these corps, VII Corps prepared to advance toward Mulhouse, which was on Joffre's far right, twenty-five kilometers forward of the French frontier in Alsace, while XX Corps prepared to advance toward Nancy, which lay in France twenty kilometers forward of the Charmes gap between the Toul and Épinal fortifications. Later that evening, as indications of Germany's having violated Belgium's neutrality mounted, Joffre ordered Fourth Army, which was assembling to the rear of Second and Third armies, to enter the line between Third and Fifth armies and prepare to attack north. He also informed Fifth Army of the change.”


Ergo:
Mit der Frage von Fehlern, Verantwortlichkeiten oder der Schulddebatte zum Kriegsausbruch hat das nur insoweit zu tun, als diese Planungen Anforderungen an die Mobilisierung stellten, oder: die Zeit der militärischen Vorbereitungen verknappten, und politische Entscheidungsspielräume einengten bzw. völlig beschnitten, den Primat der Politik in den letzten Tagen aufhoben, und wie Clark formuliert: Clausewitz – allerdings in unterschiedlichem Grad - missachteten.

Joffres Planungen – und er unterlag bis Kriegsausbruch politischen Weisungen, siehe oben - waren völlig auf den Zusammenstoß mit der offensiven deutschen Hauptstreitmacht konzentriert, die ihm die militärische Aufklärung prognostizierte, und was militärisch völlig nachvollziehbar war. Umfang und Schwerpunkt des deutschen Vormarsches waren ungewiß. Ein weiterer Schluss der Fachliteratur daraus: territoriale Aspekte waren bei Joffre völlig dem Gedanken an diesen „Zusammenprall“ der Hauptstreitkräfte untergeordnet.

Grenzgeplänkel spielten dabei keine Rolle, es kann nicht einmal ein Vorstoß nach Elsaß-Lothringen unter eine strategische Kategorie offensiv/defensiv oder dem „Gesetz des Handels“ subsumiert werden. Selbst in operativer Hinsicht, unter dem tatsächlich realisierten Gesamtplan Joffres 1914 (den man noch von Plan XVII zu unterscheiden hat), waren dies nur Randaspekte des strategischen Zieles: Auffangens einer erwarteten deutschen Offensive mit der deutschen Hauptstreitmacht.

Vielleicht kann das jemand mal für die russische Planung und Mobilisierung 1914 im Detail betrachten, und die Grenzgeplänkel in einen Kontext stellen.
 
Aber hier liegt ja das Schlafwandlerische, wenn man es so bezeichnen möchte. Hätte Frankreich nicht grünes Licht auf dem Balkan gegeben und Deutschland Neutralität versichert, dann hätte Deutschland keinen zweifrontenktrieg befürchten müssen und nicht offensiv gegen Frankreich vorgehen müssen.
 
Aber hier liegt ja das Schlafwandlerische, wenn man es so bezeichnen möchte. Hätte Frankreich nicht grünes Licht auf dem Balkan gegeben und Deutschland Neutralität versichert, dann hätte Deutschland keinen zweifrontenktrieg befürchten müssen und nicht offensiv gegen Frankreich vorgehen müssen.

Wenn ich den Hinweis richtig verstehe, sind also die "Grenzgeplänkel West" für die "wie"-Frage zum Kriegsausbruch nebensächlich. Also keine smoking guns?

Ob man offensiv vorgehen "musste", und ob man das hätte wissen müssen, kann man hier dahingestellt lassen. Das macht nur das neue Fass auf, über die Alternativlosigkeit des Schlieffen-Moltke-Planes zu spekulieren.

Die "Schlussaufgaben" Moltkes für 1909 und 1913 sahen den Ostaufmarsch vor, so zB 1909 mit nur 23 Divisionen im Westen, bei denen man über mögliche Gegenoffensiven im Elsaß brütete.* Erst im April 1913 gab man die Bereitstellungsplanung Ostaufmarsch überhaupt auf, bis zum April 1913 existierten zwei Bereitstellungspläne** aus der Mobilmachung, und selbst Wilhelm II. war über diesen Umstand des nur einen Aufmarschplanes für 1914 offenbar nicht unterrichtet.

* Zuber, Inventing the Schlieffen-Plan
** Mombauer, German War Plans, in Hamilton/Herwig: War Planning 1914.

Wenn man darüber spekulieren möchte, wäre es aber auch falsch, mangelnde Erwartungen über den "Westaufmarsch" mit Schlafwandlungen der französischen Seite um erklären. Bekanntlich rechnete Joffre mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Westaufmarsch, sogar ab 1913 mit starkem rechten deutschen Flügel ("neue Schule", Doughty, French War Plans, in Hamilton/Herwig). Wenn man jetzt Unkenntnis der französischen Politischen Führung unterstellen möchte, müsste man nachweisen, dass diese militärischen Einschätzungen nicht an die Politik weitergegeben wurden. Da wäre ich gespannt.

Ändert aber alles nichts an dem Umstand, dass die einzige Wirkmacht dieser verschiedenen Kriegsplanungen in den Ländern diejenige war, den Entscheidungshorizont, am stärksten auf deutscher Seite (Mombauer, Moltke an the Origins of the Great War), für die Politik zu verkürzen bzw. abzuschneiden.

Einen Automatismus selbst zwischen einem französischen politischen Konfrontationskurs und einer Schlieffen-Moltke-Offensive im Westen behauptet nicht mal Clark, und das sicher nicht aus dem Grund, weil zB die Krise 1911 nicht zu diesem Automatismus geführt hat.+

EDIT: sorry für die gestaffelten Verneinungen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu den Grenzverletzungen im Osten noch ein Detail, obwohl diese Vorgänge für die Wirkungskette bis zum Kriegsausbruch an sich keine Rolle spielen.

Der publizistische Krieg, wer wen zuerst beschossen hat und eingerückt ist, geht zurück bis auf die deutschen Amtlichen Kriegsdepeschen, die den Vorgang mit Prostken in ihre Sammlung aufnahmen (natürlich international nicht anders).

Vorab kann man unbesehen unterstellen, dass beachtliche Hysterie an den Grenzen geherrscht haben muß, da die Mobilmachungen liefen.

In den Quellen der Akteure zieht das noch weitere Kreise, so die militärischen Meldungen, die Bethmann-Hollweg über angeblich kurz hinter der Grenze zerstörte Eisenbahnlinien und Kosaken-Schwadronen vor Johannisburg an den Kaiser weitergab. Dieser erzählte es Wenninger, der wiederum das bayerische Kriegsministerium über die russischen Grenzverletzungen instruierte. Es landete auch so in den DD, Nr. 629. Deshalb muß das aber noch nicht stimmen.

Dazu Mombauers kommentierte und zeitlich sortierte Dokumentensammlung, die auch eine Literaturempfehlung wert ist: The Origins of the First World War - Diplomatic and Military Documents, 2013:

"This does not seem to have been correct. There was an initial raid by the russian 4th Cavalry Division into the south of East Prussia on 5th of August, in which a rail station was wrecked. On 9th of August elements of the same division (dragoons and cossacks) penetrated into Johannisburg, before being turned back by local german formations. I am very grateful to Bruce Menning,* who kindly consulted the archives in Moscow ... to help clarify the initial moves of the russian army." (S. 530).

Stimmt das, hätte man sich dazu sozusagen im Datum vertan, wie häufig und allseits in den Tagen. :devil:

Sieht man von (sehr plausiblen) allgemeinen und beiderseitigen Schußwechseln an der Grenze, übereifrigen lokalen Kommandeuren etc. ab, gab es keine organisierten Raids oder "bewaffnete Aufklärung" vor dem 5.8.1914.

Der Wettlauf um die erste vorsätzliche Grenzverletzung wird damit abseits der Archive zur Glaubensangelegenheit der Kriegsdepeschen im www oder des Abdrucks telegraphierter Meldungen in den Zeitungen.

Spielt aber alles, wie gesagt, keine Rolle in der Ursachenkette für den Kriegsausbruch.

* wer ihn nicht kennt:
Bayonets before bullets: the Imperial Russian Army, 1861-1914 - Bruce W. Menning - Google Books
Am Rande sollte man hier auf den Unterschied zu McMeekin (July 1914) hinweisen, der die "gemeldeten" Grenzverletzungen im Kontext des 2.8.1914 und Bethmann Hollweg zitiert, ohne Quellenangabe zu machen und offenbar ohne eigene Prüfung, im Kontrast zu Mombauer.
 
Zuletzt bearbeitet:
im seit langem geteilten Polen belauerten sich die Großmächte D, Ö-U und R und rüsteten massiv - anders lässt sich im späten 19. und frühen 20. Jh. der gewaltige Festungsbau auf heute polnischem Boden nicht erklären. Das wurde von allen dreien wohl abseits der offiziellen Diplomatie als potenzieller Kriegsschauplatz eingeschätzt.

Die Haltung zu den Großfestungen war in Russland nicht konfliktfrei und hatte massive Auswirkungen sowohl auf die Nutzung der Artillerie insgesamt und auch auf die Verteilung der Budgets. Es kam dabei zu massiven Konflikten der einzelnen Interessengruppen. Heer gegen die Marine, Feldheer gegen Festungsvertreter etc.

Die traditionelle zentrale Rolle der Festungen in Russland basierte auf ihrer Funktion als zentrale Orte für die Mobilisierung zu fungieren. Für Russland hatten sie eine besondere Bedeutung, da der Mobilisierungsprozess aufgrund der Größe des Landes und der schlechten Infrastruktur deutlich langsamer durchgeführt wurde wie bei den westlichen Nacharn.

Vor 1910 lag der Schwerpunkt der Gebiete, aus denen die Reserven für die Mobilisierung gezogen wurden, im westlichen Bereich von Russland bzw. in Polen [3, S. 224]. Da der Prozss der Mobilisierung ab 1910 ins Innere von Russland verlegt worden ist und in die 1. Phase der Mobilisierung der Einheiten und in die 2. Phase die Konzentration (Dislozierung) zerfiel, hatten die Festungen eine abnehmende Bedeutung für den eigentlichen Mobilisierungsprozess, [4.S. 167].

Wenngleich unter den Bedingungen von „Plan 19“ respektive „Plan 20“ eine offensivere Konzentration der russischen Armeen angestrebt worden ist und somit die Gefahr einer Störung des russischen Aufmarsches durch mobile deutsche Einheiten deutlich zugenommen hatte. Aus dieser gestiegenen Anfälligkeit der russischen Konzentrationsphase resultiert dann auch die Bedeutung der Maßnahmen vor der eigentlichen Mobilisierungsperiode.

Um 1900 waren diese Festungen weitgehend veraltet und konnten den Schutz für die Mobiliisierung nicht mehr gewährleisten. Vor diesem Hintergrund setzte sich Kriegsminister Sukhomlinow dafür ein, die Festungen zu schleifen. Sein Stellvertreter, Polivanow sprach sich dagegen aus und um 1912 wurde das Programm gestrichen, die Festungen zu schleifen [2, S. 30 ff].

Die Artillerie der Festungen erhielt eine hohe Bedeutung und wurde durch enorme Budgets unterstützt. Diese Mittelzuteilung ging teilweise zu Lasten der Feldartillerie [1, S. 298 ff].

Das führte dazu, dass in 1914 der Festungsartillerie eine überproportionale gute Ausstattung an schwerer Artillerie zur Verfügung stand. Im Rahmen des „Großen Programms“ , das zur durchgreifenden Modernisierung der russischen Armee konzipiert war, sollte der Festungsartillerie zusätzlich 516 schwere Haubitzen zugeteilt werden, während das Feldheer lediglich 228 erhalten sollte.

In 1914 umfaßte die Festungsartillerie 2813 moderne Geschütze und entzog somit der Feldartillerie einen hohen Anteil. [2, S. 32]

In der Konsequenz führte es dazu, dass der Anteil an Infantristen zu Geschützen in der russischen Feldarmee deutlich schlechter war wie in der deutschen Armee. Allerdings lag der russische Anteil in etwa bei dem Anteil der Franzosen.

Die aktuelle Ausstattung größerer Kaliber im Juli 1914 entsprach in vielen Bereichen dann auch den Planvorgaben aus dem dem Mobilisierungsplan von 1912 [1, S. 299]

.........................................Ist .....Prozentuale Erfüllung
4..2 inch Haubitzen ............. 88 ............ 105
4.2 inch Granaten ............. 22.344 ......... 25
4.8 inch Haubitzen ............. 586 ............. 91
4.8 inch Granten ............. 512.000 ......... 88
6 inch Kanonen................... 172 ............ 96
6 inch Granaten ............... 99.910 .......... 61

Die Betonung der Festungen und der Bereitstellung moderner Artillerie wirkte sich nicht nur negativ auf den Anteil der mobilen Artillerie aus, sondern sie hatte ebenfalls einen Einfluss auf die Bereitstellung von Munition. Wobei der Anfangsbestand, gemessen an den Erfahrungen aus dem japanisch russischen Krieg als durchaus akzeptabel betrachtet worden ist. Allerdings ohne sich Gedanken über den immensen Bedarf Gedanken zu machen, der einsetzen würde, sofern die Schlachen begannen und zu den „Munitions-Schocks“ führte. Indem man feststellte, dass kein ausreichende Nachschub für die Kampftätigkeit vorhanden war.

Ihre militärische Bedeutung konnten die Festungen nach Ausbruch des Krieges nicht unter Beweis stellen. Warschau, Novogeorgieviesk, Kovno, Grodno, Osowiec und Brest-Litowsk wurden nach Tagen „sturmreif“ geschossen und gaben auf. [2, S. 32]

[1] P. Gatrell: Government, industry and rearmament in Russia, 1900 – 1904, 1994
[2] N. Stone: The Eastern Front 1914 – 1917
[3] B. Menning: Bayonets before Bullets. The imperial Russian army 1861-1914. 1992
[4] D. Stevenson: War by Timetable: The Railway Race before 1914. Past and Present. No 162 Feb. 1999, S. 163-194
 
Zuletzt bearbeitet:
Ihre militärische Bedeutung konnten die Festungen nach Ausbruch des Krieges nicht unter Beweis stellen. Warschau, Novogeorgieviesk, Kovno, Grodno, Osowiec und Brest-Litowsk wurden nach Tagen „sturmreif“ geschossen und gaben auf. [2, S. 32]
Warszawa:
die Festungsanlagen waren 1908-9 geschleift worden, exemplarisch hierzu Fort VIIA der Festung Warschau ? Wikipedia

Osowiec:
die Haltbarkeit der Festung stellt sich hier ein wenig abweichend dar Festung Osowiec ? Wikipedia

Novogeogiewsk (Modlin)
wurde nicht wirklich ernsthaft verteidigt (erstaunlich: die Festungsanlagen wiesen nach der Kapitulation keinerlei nennenswerte Zerstörungen durch die Belagerungsartillerie auf - stattdessen hatten die Verteidiger einige Anlagen gesprengt, damit diese nicht genutzt werden können...)
 
Zuletzt bearbeitet:
Ihre militärische Bedeutung konnten die Festungen nach Ausbruch des Krieges nicht unter Beweis stellen.
und dennoch ist dieser Satz prinzipiell richtig (!) - aber inwiefern?
das gewaltige Großprojekt, als "Zentralstellung" und Spitze der Narew-Bug-Linie die Festungen Warschau, Modlin und Zegrze zu einem Festungsdreieck zu verbinden, wurde nicht ausgeführt. Die Ursache für eine Stagnation der Baumassnahmen Anfang der 20. Jhs. sowie für das aufgeben/sprengen der Großfestung Warschau liegt in internen Streiterein des russ. Militärs. So reduzierte man dann nach 1910 die ursprüngliche Konzeption, als quasi Notbehelf wurden 1912 Modlin und Zegrze modernisiert.
 
Die militärische Bedeutung vor dem Krieg liegt unter anderem in der hierdurch stark beeinflussten deutschen Operationsplanung, wie oben erwähnt, siehe oben Zuber, aber auch Herwig etc. im Kontext der Schlieffenplan-Kontroverse.
 
Wie zum Teufel, soll eine Mobilmachung deeskalierend gemeint sein?
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Die Verkündung am 28. Juli der teilweisen Mobilmachung Russlands geschah in der Absicht Ö-U von einem Krieg gegen Serbien abzuschrecken ohne gleich das DR mit hineinzuziehen.
Blöderweise aber musste die russische Regierung feststellen, dass es hierfür überhaupt keine militärische Planung gab und es sogar so war,
dass eine solche Teilmobilisierung die Organisation einer späteren Vollmobilisierung gravierend erschweren würde.
Stephen Van Evera - The Cult of the Offensive and the Origins of the First World War PDF-Seite 30.
Und dann hat man halt die Vollmobilisierung vorgenommen.

Bemerkenswert finde ich, dass wohl auch auf russischer Seite die Regierung sich unzureichend der Unflexibiltät der Planung ihrer Militärs bewusst war.
Man kann annehmen, dass hier, wie auch kurz danach im DR, das Militär nach eigener Logik vorwärtsdrängte und der zivilen Regierung das Heft aus der Hand nahm.
 
Die angebliche Unmöglichkeit einer russische Teilmobilmachung (Ankündigung wurde hier auch materiell durch den Fortschritt der Lage überholt zum allgemeinen Zustand der Kriegsvorbereitung und dann Generalmobilmachung) basiert auf wenigen Memoirenstellen, Nachkriegspublikation.

Die Korps machten regionenweise mobil, was zunächst kein Problem darstellt, im Übrigen sollten die Festungen und das stehende Heer in den Regionen in Alarmzustand versetzt werden. Soweit ich das begriffen habe, sollte es außerhalb dieser Maßnahmen keinen allgemeinen Aufmarsch geben. Zu den betroffenen Bezirken siehe oben, die Ergänzung der Baltikflotte erfolgte erst/unabgesprochen durch den Zar bei Unterschrift.

Das allgemeine Chaos war schon bei der GM gegeben. Offenbar wurde dieser Eindruck auf eine potenzielle TM übertragen bzw. noch aufgebauscht. Es gab keinen "Test", siehe oben die Diskussion um die 1,8 Mio. aus dem Planspiel.

Weiter gibt es dann noch öst. Berichte über frühe Kriegsgefangene aus Fernost, die auch regulären Truppen zugeordnet werden können, mglw. auch Kriegspropaganda.
 
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