Podiumsdiskussion mit Clark, Krumeich etc. in Bad Homburg

Ashigaru

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Hallo,
heute hatte ich die Gelegenheit, eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion im Kollegium Humanwissenschaften in Bad Homburg zu erleben. Dort fand seit Dienstag eine Tagung unter dem Motto "Europa 1914 - der Weg ins Unbekannte" statt. Von den Beteiligten saßen heute in eienr öffentlichen veranstatlung am Podium Christopher Clark, Gustavo Corni, Gerd Krumeich, Anita Mombauer und Frederic Rousseau.
Alle Anwesenden präsentierten sich nicht hochakademisch, sondern hielten eher kurze, verständliche Statements, wodurch es nicht immer ganz einfach war, die Essenz der sicher auch interessanten Tagung vorher zu erfassen.
Es ging aber, so viel verstand ich, darum, inwieweit Regierung, Politiker, Militär, aber auch Intellektuelle oder wichtige gesellschaftliche Gruppen hätten abschätzen können, wie sich der Erste Weltkrieg entwickelt. In zweiter Linie zielte das Thema auch darauf ab, wie sehr diese Gruppen den Krieg beförderten, oder, im Sinne des vielzitierten Augusterlebnisses begrüßten.
Es wäre zu umfangreich, alle Einzelstatements wieder zugeben - daher nur zwei Schlaglichter, die ich besonders interessant fand: so wie ich die Debatte verstehe (bin kein absoluter Experte, daher diskutiere ich auch üblicherweise nicht hier im Thread), sind Krumeich und Clark forscherisch eher Antipoden. Krumeich (wie auch später Rousseau) betonten, dass es vor allem die innere Verfassung der Völker - Sozialdarwinismus, Imperialismus, Nationalismus - gewesen sei, die den Weg zum Krieg beförderte. Eine spätere Replik von Clark darauf war, dass es ihm nicht um das "warum" gehe, sondern um das "wie", und hier die interessanten Fragen lägen. Persönlich imponierte mir ein Statement von Anita Mombauer, aufgrund der vielfach überlieferten Medien sei der Erste Weltkrieg der erste Krieg, von dem man zu wissen glaube, wie er gewesen sei - im Sinne eines Erlebens. Jeder könne sich etwas unter Grabenkämpfe etc. etwas vorstellen, doch In Wahrheit dann doch kaum einer die Dimension des Massenkampfes erfassen.

Nach den Statements der Wissenschaftler gab es eine Diskussion mit dem Publikum, die sich spannend entwickelte. Die Debatte lebte davon, dass viele im Publikum selbstbewusst und angriffslustig (nicht im Sinne von Pöbelei etc.) waren. Während das Thema der Tagung die Frage der Kriegssschuld umschiffte, brachten drei Diskutanten einige der Podiumsteilnehmer dazu, sich dazu zu äußern - Krumeich und Mombauer sagten, dass für sie die Kriegsschuld hauptsächlich bei Deutschland und Österreich-Ungarn. Clark legte sich in dieser Weise nicht fest, bekräftigte aber - das fand ich ungewöhnlich, weil er auch der einzige war, der diesen Namen ins Feld führte - dass Fritz Fischers Arbeiten in Bezug auf die deutsche Position bis auf Teilaspekte nicht zu widerlegen seien.

Ein zweites Thema für einige Diskutanten war der Vergleich des aktuellen Ukrainekonflikts mit der Situation 1914. Wobei die Sichtweise eher pessimistisch war, dass dort ein Krieg noch abgewendet werden könnte. Dieses Thema umschifften alle Podiumsteilnehmer bis auf Krumeich, der sinngemäß wiedergab, dass Kriege alle gesetzten Grenzen durchbrächen - ob man sie als humanitäre Intervention, begrenzte Kriege und so weiter verstünde, die wesentliche Lehre aus 1914 sei, dass man das Auskommen nicht kontrollieren könnte.

Ein letzter Punkt noch: sowohl in der Podiumsdiskussion als auch in der Diskussion mit dem Publikum war klar, dass Clark hier einen herausgehobenen Status besaß. Dies kommentierte anfangs besonders Krumeich ironisch. Es äußerte sich dari, dass viel über den "Schlafwandler"-Begriff diskutiert wurde. Krumeich attackierte Clark ein bißchen in der Form, dass er das Gefühl nach Lektüre des Buchs habe, dass Deutschland zwar schlafwandle, aber z.B. Frankreich beim Schlafwandeln hellwach gewesen sei. Ein Publikumsteilnehmer griff den Begriff an - er würde lieber vom "Spiel mit dem Feuer" sprechen, da "Schlafwandlerei" eher ein unbewusstes Ziel sei. Clark lieferte für alle noch einmal seine Definition - er meine damit, dass ein Schlafwandler ein klares Ziel habe, doch sich über die Folgen, die sein Handeln bewirken könne, nicht klar sei.

Soweit meine Eindrücke. Bei der Diskussion ging es übrigens eher freundlich und locker zu, was m.E. damit zusammenhing, dass es eben kein reines Fachpublikum war. Wens interessiert, übrigens nicht das einzige Ereignis dieser Kategorie im Rhein-Main-Gebiet. Clark wird in den nächsten beiden Wochen noch mal in Bad Homburg und Frankfurt auftreten (dann aber im Einzelvortrag), mit John C.G. Röhl kommt dann ein ähnliches Kaliber im Juli nach Bad Homburg, wobei Röhl sogar zur Regionalgeschicht vortragen wird.
 
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