Rolle Englands

SackZement

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Moin,
ich habe eine Frage zur Rolle Englands kurz vor dem Beginn des 1. WK. Nämlich habe ich hier zwei entgegengesetze Meinungen von den Historikern Golo Mann und Sebastian Haffner.

Mann schreibt in "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" auf Seite 604/605:
"England hatte Deutschland um seine Macht in Europa beneidet, seine Industrie, seinen Handel, seine Macht in Europa und über Europa [...]. Leise, emsig hatte England das giftige Netz der Koalition gesponnen [...]."

Haffner schreibt jedoch in "Von Bismarck zu Hitler" auf Seite 114/115:
"Bethmann Hollweg hatte sich die Sache so zurecht gelegt [...], daß der Krieg wahrscheinlich kommen werde und daß es für das Deutsche Reich drei Bedingungen gab, unter denen er geführt und vielleicht sogar gewonnen werden konnte: [Auflistung der ersten 2 Bedingungen] und England müsse neutral bleiben. Im Lichte dieser drei Bedingungen war die Lage [...] eine denkbar günstige. Der Krieg würde in erster Linie kein deutscher, sondern ein österreichischer Krieg sein [...]. Wenn Russland in diesen Krieg zuginsten Serbiens eingriff, dann war erstens sicher, daß man Österreich auf seiner Seite hatte [...]. Drittens aber, und das war das Beste, würde England in einen solchen Ostkrieg wahrscheinlich nicht eingreifen [...] - was eine durchaus richtige Rechnung war. England hatte sich in seiner Geschichte aus rein osteuropäischen Verwicklungen immer herausgehalten. Auch in diesem Fall waren seine Interessen nicht besonders betroffen; eine gewisse Gewichtsverschiebung [...] wäre für England durchaus annehmbar, vielleicht sogar erwünscht gewesen."

Welchem Bild kann ich nun Glauben schenken? Das des "bösen", hinterlistigen, nur auf Rache wartenden Englands, das der Anführer der Anti-Deutschland Koalition war.
Oder das des abwartenden, eher ruhigen Englands, das erst eingreift, wenn seine Interessen betroffen sind?


Gruß
SackZement
 
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Da steht ja nicht, England werde abwarten, sondern Bedingung für einen wahrscheinlichen Sieg wäre, dass England neutral bliebe. Also genaugenommen alles Konjunktiv. :still:
 
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Da steht ja nicht, England werde abwarten, sondern Bedingung für einen wahrscheinlichen Sieg wäre, dass England neutral bliebe. Also genaugenommen alles Konjunktiv. :still:

jup, es ist richtig, dass das alles hypothetisch ist und deshalb im Konjunktiv steht, weil das der Plan von Bethmann Hollweg ist (steht zu Beginn des Zitats).
Doch Haffner schreibt auch:
Drittens aber, und das war das Beste, würde England in einen solchen Ostkrieg wahrscheinlich nicht eingreifen [...] -was eine durchaus richtige Rechnung war. England hatte sich in seiner Geschichte aus rein osteuropäischen Verwicklungen immer herausgehalten. Auch in diesem Fall waren seine Interessen nicht besonders betroffen; eine gewisse Gewichtsverschiebung [...] wäre für England durchaus annehmbar, vielleicht sogar erwünscht gewesen
Damit sagt er ja, wie England sich seiner Meinung nach in disem Fall verhalten hätte, wie Englands Situation also war. Und diese Meinung widerspricht klar der von Golo Mann.
 
Nein. Es bleibt trotzdem Konjunktiv. England habe sich bisher herausgehalten, und man habe deshalb davon ausgehen dürfen/können, dass dies so bliebe und " würde wahrscheinlich nicht in einen Ostkrieg eingreifen...".

Wenn das Wörtchen wenn nicht wäre ...

Man darf seine "Gegner" nie unterschätzen und sich in Kriegszeiten nie auf der sicheren Seite fühlen, selbst Verbündete können umfallen ... Dumm gelaufen ...
 
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Nein. Es bleibt trotzdem Konjunktiv. England habe sich bisher herausgehalten, und man habe deshalb davon ausgehen dürfen/können, dass dies so bliebe.

Ich glaube, ich verstehe deine Argumentation nicht ganz.

Ich bestreite ja nicht, dass dieser Plan hypothetisch ist. Aber nach Haffner hätte dieser Plan nach seiner Verwirklichung wahrscheinlich funktioniert. Das heißt, Haffner war der Meinung, dass England neutral bleiben würde, wenn sich der Krieg nur im Osten abgespielt hätte. Er hatte also eine zurückhaltende, defensive Meinung von england
Aber Golo Mann meint (zumindest interpretiere ich das hinein), dass England in jedem Fall Frankreich und Russland beigeprungen wäre, es also eher offensiv, aggressiv reagiert hätte.
 
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Die Rolle Englands oder wird ja auch gerne als Einkreisungspolitik bezeichnet.

Schon Wilhelm II. hat diesen Begriff immer gern in Zusammenhang mit seinem Onkel, den englischen König Edward VII., verwendet.


Dazu ein paar Fakten:

Als Wilhelm im Jahre 1888 die Regentschaft übernahm, befand sich das Deutsche Reich in einer glänzenden außenpolitischen Ausgangssituation. Aber da Wilhelm in seinem Geltungsdrang sein eigener Bismarck sein sollte, wurde dieser im Jahre 1890 in Rente geschickt, ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wo sich das Zarenreich um eine vorzeitige Verlängerung des Rückversicherungsvertrages bemühte. So wurde auf Betreiben des AA, hier ist besondern Friedrich Holstein zu nennen, der Rückversicherungsvertrag nicht erneuert. Begründung: Der Vertrag würde im Widerspruch zu den Vereinbarungen mit der k.u.k. Monarchie stehen. Als die Russen im Verlauf des Jahres 1890 dann anboten, die Bestimmungen des Rückversicherungsvertrages, die im Widerspruch zu dem Zweibund stehen, fallen zu lassen, hat man trotzdem abgelehnt. Man war im AA entschlossen auf Sicht ein Bündnis mit Großbritannien ins Werk zu setzen. Dabei ging man denn auch noch so außerordentlich ungeschickt vor, das daraus nichts wurde. Das AA, hier Berchem, hat nämlich die unfassbare Dummheit begangen, die Briten darüber aufzuklären, dass das Deutsche Reich seinen enge Bindung an das Zarenreich gelöst hatte. Für Salisbury bestand nun ganz gewiss keine Notwendigkeit, trotz dem für Großbritannien so vorteilhaften Helgoland-Sansibarabkommen, mit Deutschland ein Bündnis abzuschließen.

Was machte nun aber Russland? Verständlicherweise war man St.Petersburg darüber in Sorge, isoliert zu sein. Es geschah genau das, was Bismarcks Albtraum war, nämlich die französische-russische Allianz von 1894. Deutschland war zwischen den beiden kontinentalen Flügelmächten Europas.

Das war der erste bedeutende Schritt, aufgrund der nicht eben besonders fähigen Diplomatie des Deutschen Reichs, zur Auskreisung und nicht zur Einkreisung.

Zwischen 1898 und 1901, gab es möglicherweise die Chance, zwischen Großbritannien und Deutschland zu einer Normalisierung und sogar zu Absprachen zu kommen und das trotz des Ärgers in den vergangene Jahren (Krüger-Depesche, Beginn des Ausbaus der Flotte, Bagdad-Bahn, Rivalität in Afrika).

Diese Möglichkeit wurde von den verantwortlichen Politkern in der Wilhelmstraße nicht ergriffen.

Bei dieser Iniative Großbritanniens ging es um die grundsätzliche Verbesserung der Beziehungen und ein Zusammenwirken auf anderen Schauplätzen wie beispielsweise in China. Die deutschen Politiker wollten sich aber nicht "vor den britischen Karren spannen lassen" und haben wohl nicht wirklich ernsthaft ausgelotet, was an Übereinkünften mit den britischen Staatsmännern möglich gewesen wäre.

England benötigte in jener zeit nämlich Verbündete. Für die Briten stellten nämlich bisher die Franzosen und Russen die Bedrohung dar. Mit Frankreich ist es Stichwort Faschoda Krise von 1898, fast zum Krieg gekommen. Russland hatte seinen Einfluss in Ostasien immer weiter ausgedehnt; es hatte sich in der Mandschurei Rechte gesichert gehabt. Großbitannien benötige also Unterstützung und es lag daher nahe, sich an das Deutsche Reich zu wenden. Das war eine Chance, die die deutsche Diplomatie nicht in ihrer vollen Tragweite erfasst hat.

Der einflussreiche britische Kolonialminister Chamberlain richtete dies Angebot sogar öffentlich an Deutschland und die USA. Chamberlain machte gegenüber den Deutschen aber auch deutlich, das so ein Angebot nicht beliebig wiederholt werden würde. Chamberlain äußerte im Verlaufe der Verhandlungen sogar, "dass die teutonischen Völker Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Deutschlands dazu berufen seien, künftig über die ganze nicht-weiße Welt zu herrschen." Chamberlain brachte dann auch ein englisch-deutsche Bündnis ins Gespräch.

Wilhelm II. versuchte dies Angebot mit einem billigen Versuch gegenüber den Zar Nikolaus II. für Deutschland auszunutzen, nur holte er sich dort eine glatte Abfuhr ein.

Die Briten waren bereit sich mit den Deutschen über Kolonialfragen zu unterhalten. Die deutsche Diplomatie wollte sich mit den Briten über Kolonien in Afrika einigen und dabei natürlich Gewinne einstreichen aber im Gegenzug war man nicht bereit mit den Briten in China zu kooperieren, denn man wollte nicht im Gegensatz zu Russland gelangen. Im Endeffekt haben die "Künstler" in der Wilhelmstraße es vollbracht, sich zwischen alle Stühle, mit den bekannten Folgen, zu setzen.

Dies war wohl der zweite bedeutende Schritt, die zur Auskreisung des Deutschen Reiches geführt hat. Was tat Großbritannien in der Folge. Wie Chamberlain schon gefordert hatte, wurden sämtliche Reibungsflächen mit den USA beseitigt. 1902 wurde mit Japan ein Bündnis abgeschlossen, 1904 kam es zur Entente Cordiale mit Frankreich und schließlich hat man im Jahre 1907 mit Russland seine Spannungen erfolgreich abgebaut. Und das Deutsche Reich hat selbst noch im Jahre 1912, Haldane-Mission, es versäumt, sich mit Großbritannien zu einigen um den sinnlosen, ruinösen Wettrüsten zur See ein Ende zu setzen, um dann in der Folge auch die weiteren Spannungen mit Großbritannien abzubauen.

Es kann also m.M. nach nicht von einer Einkreisung die Rede sein.
 
Da es zu dem besagten "Ostkrieg" nie kam, kann man mit Gewißtheit auch nicht sagen, wer nun recht behalten hätte, Mann oder Haffner.
Manche Zeitgenossen darunter Churchill waren der Meinung GB hätte ohne den Einmarsch in Belgien nicht in den Krieg eingegriffen. Sicher ist, dass mit der britischen Regierung so wie sie bestand ein Kriegseintritt nicht möglich war. Grey musste die militärischen Absprachen mit Frankreich und Russland meist hinter dem Rücken des Kabinetts tätigen, weil er keine Mehrheiten für einen Kriegseintritt hatte. Eine Regierungsumbildung hätte jedoch eine solche Mehrheit sorgen können.

Plausibel ist, so denke ich, dass im Falle eines "Ostkrieges" GB zunächst nicht in den Krieg eingegriffen hätte. Auf derart dünner Machtbasis im englischen Parlament war ein Kriegseintritt kaum zu machen, nicht ohne direkte Provokation. Zumal garnicht sicher ist, ob die regierenden Liberalen, einer sofortigen Regierungsneubildung überhaupt zugestimmt hätten, damit eine Regierung auf Basis der Konservativen dann in den Krieg eintreten kann. Ich vermute GBs Regierung hätte erst einmal versucht, Friedensvermittlung zu betreiben.

Im späteren Kriegsverlauf sieht die Sache dann anders aus.
 
Da es zu dem besagten "Ostkrieg" nie kam, kann man mit Gewißtheit auch nicht sagen, wer nun recht behalten hätte, Mann oder Haffner.
Manche Zeitgenossen darunter Churchill waren der Meinung GB hätte ohne den Einmarsch in Belgien nicht in den Krieg eingegriffen. Sicher ist, dass mit der britischen Regierung so wie sie bestand ein Kriegseintritt nicht möglich war. Grey musste die militärischen Absprachen mit Frankreich und Russland meist hinter dem Rücken des Kabinetts tätigen, weil er keine Mehrheiten für einen Kriegseintritt hatte. Eine Regierungsumbildung hätte jedoch eine solche Mehrheit sorgen können.

Plausibel ist, so denke ich, dass im Falle eines "Ostkrieges" GB zunächst nicht in den Krieg eingegriffen hätte. Auf derart dünner Machtbasis im englischen Parlament war ein Kriegseintritt kaum zu machen, nicht ohne direkte Provokation. Zumal garnicht sicher ist, ob die regierenden Liberalen, einer sofortigen Regierungsneubildung überhaupt zugestimmt hätten, damit eine Regierung auf Basis der Konservativen dann in den Krieg eintreten kann. Ich vermute GBs Regierung hätte erst einmal versucht, Friedensvermittlung zu betreiben.

Im späteren Kriegsverlauf sieht die Sache dann anders aus.

das wäre dann eine Mischung von beiden. Man wollte dem Krieg beitreten, hatte hinterrücks schon alles vorbereitet (trifft auf Manns Aussage zu), aber zu Beginn hätte England sich erstmal raushalten müssen (Haffners Aussage), um dann später eventuell einzutreten.
 
das wäre dann eine Mischung von beiden. Man wollte dem Krieg beitreten, hatte hinterrücks schon alles vorbereitet (trifft auf Manns Aussage zu), aber zu Beginn hätte England sich erstmal raushalten müssen (Haffners Aussage), um dann später eventuell einzutreten.

Von "hinterrücks vorbereitet" kann keine Rede sein, gab doch schon Lichnowskys Bericht aus London im Dezember 1912 die klare Ansage an Berlin, dass England nicht einer russ.-frz. Niederlage zusehen würde. Das führte einige Tage später zum so genannten "Kriegsrat" Wilhelms II.

Die britische Position ist komplizierter, siehe den Beitrag von @turgot.
Die Entscheidung für die Lagerbildung aus britischer Sicht fiel 1896-1902, nachdem sich Friktionen und gescheiterte Fühlungnahmen mit dem Deutschen Reich ereignet hatten. Um 1900 war die Aufgabe der britischen "splendid isolation" klar, die Orientierung erfolgte dann - erst mit dem naheliegenden Bündnis mit Japan, dann mit bemerkenswerten Interessenausgleichen gegenüber Frankreich und Rußland - in Schritten.

Im Prinzip war diese Entwicklung fast abgeschlossen, als mit der Flottenrüstung bzw. -konfrontation ab 1906 der deutsch-britische Gegensatz eskalierte.
 
Von langer Zeit geplant triffts eher

Eher auch nicht.:winke:

Staaten sind nicht mit Personen zu vergleichen, Masterpläne sind höchstens eine Spielwiese für Verschwörungsphantasien.

Die außenpolitischen Abläufe sind sehr komplex. Von Golo Mann zB den wirtschaflichen "Neid" anspricht, ist das ein kompliziertes Feld, man sollte das nicht bildhaft auf Personen übertragen.

Das wäre ein eigenes Thema wert, ist hier OT.
 
Ich glaube, ich verstehe deine Argumentation nicht ganz.

Ich bestreite ja nicht, dass dieser Plan hypothetisch ist. Aber nach Haffner hätte dieser Plan nach seiner Verwirklichung wahrscheinlich funktioniert. Das heißt, Haffner war der Meinung, dass England neutral bleiben würde, wenn sich der Krieg nur im Osten abgespielt hätte. Er hatte also eine zurückhaltende, defensive Meinung von england
Aber Golo Mann meint (zumindest interpretiere ich das hinein), dass England in jedem Fall Frankreich und Russland beigeprungen wäre, es also eher offensiv, aggressiv reagiert hätte.
Ich meine damit, dass ein "Nicht-Eingriff" der Engländer in jedem Fall hypothetisch war, auch wenn sie sich bisher mehr oder weniger neutral gezeigt hatten.

Ich finde es ebenso falsch England Hinterhältigkeit vorzuwerfen, wenn sie sie dann nicht als "neutral" zeigten.

Meines Wissens gab es keine "Stillhalteverträge" mit England, sondern man ging nur davon aus, England würde sich so oder anders verhalten.

Was ich meinte ist, dass man sich gerade im Kriegsfall selbst auf Verbündete nicht wirklich 100%ig verlassen kann. Man sollte sich also grundsätzlich nicht nur den best-case anschauen, sondern vor allem den worst-case und sich entsprechende Strategien zulegen.
Den Fall, England könne eben doch in den Krieg eintreten, hatte wohl niemand bedacht, obwohl England doch wohl das Recht hatte sich eben entweder neutral zu verhalten, oder auf eine Seite zu schlagen.

In derlei Überlegungen kannst du nie von einer 100igen Sicherheit ausgehen.

Beispiel:
100 Männer springen aus dem 3. Stock, 99 Überleben, 1 stirbt. Die Wahrscheinlichkeit zu Überleben liegt wohl bei 99%. Aber woher willst du wissen, ob du überlebst, oder stirbst, wenn du springst?
Wenn du springst und überlebst, war die Entscheidung dann klug? Wenn du springst und stirbst war die gleiche Entscheidung dann dumm?
Weder noch, du musst selbst wissen, welches Risiko du tragen willst, denn ein Restrisiko bleibt immer.
Ich persönlich würde nicht springen ...

Es gab also in jedem Fall ein (Rest-)risiko, dass England in einen Krieg (egal worum es ginge) eingreifen würde!

PS: Aber man/n leitet ja auch ein Gewohnheitsrecht ab, nach dem Motto: Ich bin es gewohnt, also ist es mein Recht. :rofl:
 
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Caro1 schrieb:
Den Fall, England könne eben doch in den Krieg eintreten, hatte wohl niemand bedacht, .....

Nun ja, das wäre dann doch wohl etwas reichlich naiv, wenn dieser nicht unwahrscheinliche Fall von den verantwortlichen Herren nicht bedacht worden wäre.

Nehmen wir nur einmal die belgische Neutralität, die von einigen Staaten Europas 1830 garantiert worden war. Der eigentliche Garant dieser Neutralität war Großbritannien.

Der Schlieffenplan sah bekanntermaßen ja eine Veretzung der belgischen Neutralität vor. Diese vorsätzliche Neutralitätsverletzung war nämlich zwingende Voraussetzung, damit der Schlieffenplan überhaupt funktionieren konnte.

Schlieffen war sich sicher darüber im Klaren, was für Konsequenzen seine Planungen für fatale Folgen für das Deutsche Reich haben musste. Sein Nachfolger Moltke meinte bei Gelegenheit großsprecherisch die Briten bei Landung gleich wieder in den Kanal zurückwerfen zu können. Nun ja, Anspruch und Wirklichkeit klaffen eben doch öfter auseinander.


Die Bemühungen der deutschen Diplomatie in der Julikrise galten primär der Neutralität Großbritanniens. Das dieses Anliegen eigentlich illusionär war, hätten die Herrschaften der Reichsleitung eigentlich wissen müssen, denn sie sind über den deutschen Botschafter, siehe oben Beitrag silesia, Fürst Lichnowsky entsprechend informiert wurden.

Schon im Jahre 1912 versuchte man deutscherseits die Haltung Großbritanniens im Falle einer militärischen Konflikts auf dem Balkan zuverlässig auszuloten. Zu diesem Zwecke entsandte Wilhelm seinem Bruden Prinz Heinrich nach Sandringham.
 
[...]
Der Naval Scare 1904/05 (Invasions Scare)vertiefte den deutsch-englischen Gegensatz. Hervorgerufen durch dem Abdruck der Rede Lees vom 2. II. 1905 im Daily Chronicle und einer politischen Wendung der britischen Haltung gegenüber Deutschlands, nach dem Abbruch der deutsch-englischen Verhandlungen um die Jahrhundertwende.
[...]

In einem anderen Beitrag hatte ich auch schonmal auf die Problematiken im Jahre 1904/05 hingewiesen, als die britische Regierung und Militärs der Ansicht waren, Deutschland wolle Russland und England in einen Krieg hetzen. Die Idee lag nah, denn zu diesen Zeitpunkt gab es gerade unter den europäischen Großmächten extreme Spannungen in Übersee, die vom russisch-japanischen Krieg begleitet wurden.
Nach einem Zwischenfall auf der Doggerbank, bei der Überfahrt der baltischen Flotte in den Pazifik, forderten die Briten in einem Presseartikel (siehe oben) sogar das "Copenhagen" der deutschen Flotte.

Damit zeigte sich schon früh, wie die Engländer gern gegen Deutschland gehandelt hätten.
 
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In einem anderen Beitrag hatte ich auch schonmal auf die Problematiken im Jahre 1904/05 hingewiesen, als die britische Regierung und Militärs der Ansicht waren, Deutschland wolle Russland und England in einen Krieg hetzen. Die Idee lag nah, denn zu diesen Zeitpunkt gab es gerade unter den europäischen Großmächten extreme Spannungen in Übersee, die vom russisch-japanischen Krieg begleitet wurden.
Nach einem Zwischenfall auf der Doggerbank, bei der Überfahrt der baltischen Flotte in den Pazifik, forderten die Briten in einem Presseartikel (siehe oben) sogar das "Copenhagen" der deutschen Flotte.

Damit zeigte sich schon früh, wie die Engländer gern gegen Deutschland gehandelt hätten.


Dieser Zwischenfall auf der Doggerbank fand doch zwischen britischen Einheiten und der russischen baltischen Flotte statt.

Weshalb haben dann britischen Zeitungen ein "Kopenhagen" für die deutsche Flotte in diesem Kontext gefordert?
 
Caro schrieb:
Ich meine damit, dass ein "Nicht-Eingriff" der Engländer in jedem Fall hypothetisch war, auch wenn sie sich bisher mehr oder weniger neutral gezeigt hatten.

Ich finde es ebenso falsch England Hinterhältigkeit vorzuwerfen, wenn sie sie dann nicht als "neutral" zeigten.

Meines Wissens gab es keine "Stillhalteverträge" mit England, sondern man ging nur davon aus, England würde sich so oder anders verhalten.
Ich glaube nicht, dass man sich in der militärischen Führung des Reiches bezüglich eines Kriegseintritts Englands Illusionen hingab. Die Mobilmachungsplanung der Kaiserlichen Marine ging von einem britischen Kriegseintritt aus.

Zumindest Admiral Pohl hat für einen Krieg gegen Großbritannien geplant. Zu diesem Zwecke wurden fast alle verfügbaren Einheiten dem Nordseekriegsschauplatz zugeschlagen. Für die Ostsee verblieben nur ein Handvoll Schul- und Hilfsschiffe. Damit waren die Küsten von Hinterpommern, von West- und Ostpreußen einem Angriff der russischen Flotte preisgegeben.

Hätte die Kaiserliche Marine mit einer Neutralität Großbritanniens gerechnet hätte die Kriegsplanung ganz anders gestaltet sein müssen als man sie real durchgeführt hat. Denn um eine britische Neutralität nicht zu gefährden, hätte man keinen Angriff auf die französische Küste und die französischen Transporte im Kanal oder der Biskaya vornehmen können. Wenn man aber auch bei britischer Neutralität keine großen Aktivitäten in der Nordsee durchführen hätte können, dann hätte der eigentliche Schwerpunkt die östliche Ostsee sein müssen. Jedoch gab es für solch eine Strategie weder eine Vorbereitung planerischer Art noch - was noch erheblich gravierender war - den Aufbau einer geeigneten Basis (wofür sich Danzig oder Swinemünde angeboten hätten - mit ihren bekannten Einschränkungen).

Der Gedanke einer britischen Neutralität war wohl bei der Reichsführung mehr Tagträumerei als eine von Fakten getragene Möglichkeit. Insbesondere wenn man - wie schon erwähnt - den Überfall auf Luxemburg und Belgien bedenkt.
 
Der Gedanke einer britischen Neutralität war wohl bei der Reichsführung mehr Tagträumerei als eine von Fakten getragene Möglichkeit. Insbesondere wenn man - wie schon erwähnt - den Überfall auf Luxemburg und Belgien bedenkt.

Sehe ich auch so.
Dazu nochmal der Hinweis, dass bei der Kaiserlichen Besprechung im Dezember 1912 -beteiligt waren Militärs- genau dieses Szenario (alle 3 Mächte als Gegner) als unausweichlich unterstellt wurde.

Das war der Grund für Tirpitz, auf 1 1/2-jährige Verzögerung zu drängen (Abschluss der Flotte, Fertigstellung Kaiser-Wilhelm-Kanal für die großen Einheiten).

Das war der Grund für Moltkes Position: "je eher, je besser".
 
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Dieser Zwischenfall auf der Doggerbank fand doch zwischen britischen Einheiten und der russischen baltischen Flotte statt.

Weshalb haben dann britischen Zeitungen ein "Kopenhagen" für die deutsche Flotte in diesem Kontext gefordert?

Weil die Engländer vermuteten, daß hinter diesem Zwischenfall die Deutschen stecken.
Hier wurden britsiche Schiffe von der russischen Flotte versenkt, weil die Russen annahmen, dass es sich um japanische Zerstörer handelt.

Und so einen "Seeunfall", direkt vor der britsichen Haustür, konnte nicht nur ein Versehen sein, so nahmen die Briten an.
 
Dieser Zwischenfall auf der Doggerbank fand doch zwischen britischen Einheiten und der russischen baltischen Flotte statt.

Weshalb haben dann britischen Zeitungen ein "Kopenhagen" für die deutsche Flotte in diesem Kontext gefordert?

Waren die "Einheiten" nicht Fischereifahrzeuge?
 
In "Der Falsche Krieg" schreibt Ferguson über eine Reihe von Parlamentsreden, bei der ein Krieg gegen Deutschland gefordert wurde, bevor es zu stark wird.
 
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